Eine Vision wurde Wirklichkeit

Seit 50 Jahren lockt der Rotweinwanderweg Touristen ins Ahrtal

Günther Schmitt

Wer durch die einzigartige Natur des romantischen Ahrtals wandern und gleichzeitig Winzern bei der Arbeit über die Schulter schauen möchte, ist auf dem Rotweinwanderweg genau richtig. Er ist ein Klassiker unter den Panoramarouten – der Weg, den jeder gegangen sein muss, der das Ahrtal von seiner schönsten Seite kennenlernen möchte. Der Rotweinwanderweg gilt als eine der schönsten Wanderstrecken Deutschland, wurde als solche mehrfach ausgezeichnet und für Preise nominiert. Jüngste Auszeichnung: Das Deutsche Weininstitut kürte die beliebte Strecke, die ob ihrer Höhenlage die Flutkatastrophe 2021 unbeschadet überstanden hat, als einen von 14 „Höhepunkten der Weinkultur“ in Deutschland. Und das im Jahr des Goldjubiläums. Denn der Rotweinwanderweg, der durch fast alle Weinlagen der Ahr führt, wurde am 3. Juni 1972 eröffnet. Grund genug, einen Blick in die Anfänge des Tourismus-Magnet zu werfen.

Gedenktafel an die Eröffnung des Rotweinwan- derwegs 1972

Vier Visionäre

Es waren vier Visionäre, die Anfang der 1970er Jahre, als das Wandern von den meisten Bürgern noch als Alte-Leute-Beschäftigung oder Vereinsmeierei abgetan wurde, das touristische Potenzial eben dieses Sports erkannten. Es waren der damalige Ahrweiler Landrat Heinz Korbach (1921 bis 2004), der Dernauer Arzt und Eifelvereins-Vorsitzende Dr. Karl Näkel (1919 bis 1999), sein Bruder und langjähriger Dernauer Ortsbürgermeister Willibald Näkel (1924 bis 2004) sowie der Ehrenvorsitzende des Eifelvereins Konrad Schubach (1914 bis 2006). „Das Quartett hatte damals mit jeder Menge Unverständnis bei den Einheimischen zu kämpfen“, erinnert sich Ingrid Näkel-Surges vom Dernauer Verkehrsverein. „Doch was in den nächsten 50 Jahren folgte, die Erfolgsgeschichte des Rotweinwanderweges strafte alle Zweifler Lügen.“ Doch zurück in die Zeit der Planungsphase: Es war eine „Rütli-Schwur“ den die Gründerväter gemeinsam mit den Ortsbürgermeister von Dernau bis Altenahr im damaligen „Jägerstübchen“ in Mayschoß bei etlichen Flaschen Rotwein leisteten. „Bei dem Treffen in jenem Gasthaus hatten wir den Bau des Weges beschlossen“, erinnerte sich zum Silberjubiläum vor 25 Jahren Heinz Korbach, der nach seiner Zeit als Landrat in Ahrweiler Regierungspräsident in Koblenz war. Die Zuversicht war groß, denn auch die Flurbereinigung spielte den Visionären in die Karten. Eine Kommission unter Führung von Dr. Karl Näkel wurde für die Planung der Wegeführung eingesetzt. Ihr gehörte auch Heinz Korbach an, der, weil er in dem Projekt große Chancen für den Fremdenverkehr – so nannte man damals den Tourismus – sah, einen ganzen Stab aus der Abteilung Landwirtschaft und Weinbau des damaligen Landratsamtes zur Unterstützung abstellte. So war von Rech aus ahrabwärts die Streckenführung wegen der vielen Wege, die durch die Flurbereinigung gebaut wurden, relativ schnell fertiggestellt.

Wandertreffen am 1. Mai 1974 auf dem Krausberg in Dernau

Als der schwierigste Wegabschnitt stellte sich die große Felspartie oberhalb des Dernauer Auel in der Lage Dernauer Zaungarten dar. Die Gegner des Baues mussten überzeugt werden, dass die Weinberge in diesen unzugänglichen Lagen durch den neuen Wanderweg besser erschlossen würden. Zusätzlich werde dort ein besonders schöner Teil der Mittelahr-Landschaft für Wanderfreunde erschlossen. „Die Verhandlungen waren schwierig, zäh und feucht“, erinnern sich Zeitzeugen, dass einige der Gespräche durchaus länger als eine Flasche Rotwein dauerten.

Mit Lumpen und Lappen

„Für verrückt haben sie uns damals erklärt, die Leute. Na ja, manchmal hatten sie ja auch Grund dazu“, heißt es in den Erinnerungen von Karl Näkel im Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler von 1997. Denn das „Linienfeststellungsverfahren“ für das erste Teilstück von Dernau nach Altenahr (Die Teile des Weges von Dernau bis Bad Bodendorf kamen in den nächsten Jahren erst nach und nach hinzu.) hat manchem Außenstehenden ein schier unlösbares Rätsel aufgegeben. Denn wie an einer riesigen Wäscheleine festgeklammert, leuchteten „Signale“ aus den Weinbergen in das Tal. „Wir wissen heute kaum noch, wo wir die alten Lumpen, Hemden und Handtücher hergeholt haben, die wir in die Weinberge gehängt haben, um jene Route zu markieren, die unserer Meinung nach passte“, so Korbach und Karl Näkel.

Es muss eine schweißtreibende Aktion gewesen sein, denn Handys gab es damals noch nicht. So mussten immer wieder Männer vom Tal aus in die Weinberge aufsteigen, um die Höhenlinie aus Lumpen und Lappen zu korrigieren. Denn ein Ziel sollte erreicht werden: Der Rotweinwanderweg sollte so verlaufen, dass jederzeit ein schöner Blick übers Tal und über die Weinlagen des Anbaugebietes garantiert ist. Das ist den Gründervätern und ihren vielen Helfern gelungen. Der Rotweinwanderweg rangiert nunmehr seit Jahrzehnten in der Gunst des Publikums in der Spitzengruppe. Und ein weiteres Ziel haben die Visionäre von einst erreicht: Der Rotweinwanderweg ist für die Kommunen von Altenahr bis Bad Bodendorf zu einer Art Klammer geworden. Denn er hat, ihre Gemeinsamkeit gestärkt, sie im Wortsinne miteinander verbunden.

So auch bei den touristischen Aktionen unter dem Motto „Wandern für den Wiederaufbau“ im Jahr 2022. Goldjubiläum und Erfolgsgeschichte des Rotweinwanderweges wurden dabei entsprechend gewürdigt. Denn immer noch gilt ein Spruch, der in den 1990er-Jahren in einem Prospekt über das Ahrtal zu lesen war: „Gäbe es ihn nicht bereits seit 1972, der Rotweinwanderweg müsste unbedingt neu erfunden werden.“