Nach einem ungewöhnlichen Schuljahr folgte ein außergewöhnliches

Die Folgen der Flutkatastrophe für die Grundschule Dernau

Ralph Stollorz

In der letzten Schulwoche vor den großen Ferien war die Stimmung an der Sankt Martin-Schule in Dernau so wie an allen Grundschulen in Rheinland-Pfalz: Gebeutelt von dem anstrengenden Schuljahr unter dem Joch der Corona-Pandemie freute sich die gesamte Schulgemeinschaft auf eine schöne Abschiedsfeier für die Viertklässler sowie die verdienten Sommerferien. Was dann folgte, stellte die Probleme des abgelaufenen Schuljahres jedoch noch einmal in den Schatten …

Letzte Stunden der Normalität

Berichte über die Flutkatastrophe beginnen meistens am 14. Juli 2021 – ein aus heutiger Sicht sehr besonderer Tag, der damals allerdings vollkommen normal anfing: Die Viertklässler durften an ihrem letzten „richtigen“ Schultag noch einmal einen Sport-Tag in der Turnhalle erleben, andere Klassen übten für die Verabschiedung am nächsten Tag in der überdachten Pausenhalle. Der den Schulvormittag begleitende ergiebige Dauerregen ließ allenfalls Sorgen wegen des Abschiedsfestes des vierten Schuljahres aufkommen: Kann dies wie geplant auf dem Schulhof stattfinden – oder müssen wir mit möglichen Coronabedingten Einschränkungen in die Turnhalle ausweichen? Der Blick auf die Wetter-App ließ Hoffnung aufkommen: Für den Vormittag des 15. Juli war trockenes Wetter prognostiziert. So gingen alle Schülerinnen und Schüler nach Schulschluss mit der Vorfreude auf Zeugnisse und Ferien nach Hause, während die Lehrkräfte mit den meist stressigen letzten Vorbereitungen beschäftigt waren.

Der Schulhof wurde schnell Treffpunkt und „Überlebenszentrale“ mit wichtigen Hilfsangeboten.

Unser Schulgebäude steht 200 Meter von der Ahr entfernt – trotzdem stand das Wasser auf dem Schulhof 3 Meter hoch.

Schock in der Nacht und erste Bestandsaufnahme

Was dann am Abend und in der Flutnacht folgte, ist an anderer Stelle detailliert beschrieben worden. Die unglaublichen Wassermassen brachten das Alltagsleben über Nacht zum Stillstand. Obwohl das Schulgebäude 200 Meter von der Ahr entfernt liegt, stand das Wasser auf dem Schulhof drei Meter hoch. Dies ist nicht ansatzweise mit dem sogenannten „Jahrhunderthochwasser“ von 2016 zu vergleichen, als die Ahr 70 Meter vor der Schule halt machte.

An einen Schulbetrieb war angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Flut an den letzten beiden Tagen vor den Sommerferien nicht zu denken: Die komplette Infrastruktur im Tal wurde zerstört; Mayschoß und Rech jenseits der Nepomuk-Brücke waren komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Viele Familien unserer Schulkinder und aus dem Kollegium haben Hab und Gut verloren, einige mussten die Nacht unter dramatischen Umständen auf dem Dach verbringen.

Nach dem Einsatz der Rettungskräfte brachte eine erste Bestandsaufnahme am Samstag (17. Juli 2021) folgendes zutage: Alle Personen aus dem direkten Schulumfeld (Schülerinnen und Schüler, Geschwisterkinder, Eltern, Kolleginnen und Kollegen) haben überlebt! Unser Schulgebäude ist stark betroffen, nur das obere Stockwerk hat überhaupt kein Wasser gesehen. Im Keller befand sich ein Heizöl-Wasser-Schlamm-Gemisch (die beiden Heizöltanks sind aufgrund des Wasserdruckes geborsten), das erst nach 10 Tagen abgepumpt werden konnte.

Soforthilfe und Planung des neuen Schuljahres

Die nun anstehenden sechswöchigen Sommerferien gaben allen Beteiligten die Möglichkeit, das neue Schuljahr zu planen. Gemeinsames Ziel war es, allen Schülerinnen und Schülern im Kreis den Schulstart nach den Ferien zu ermöglichen. Am 20. Juli kam die Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig nach Burgbrohl, um sich bei allen betroffenen Schulleitungen über die Lage zu informieren.

Das „Kaufhaus Sankt-Martin-Schule“: Hier konnten sich betroffene Familien mit Hilfsgütern versorgen.

Eine Mammutaufgabe gab es zu bewältigen: Für Tausende von Schülerinnen und Schülern musste ein alternativer Schulstandort gefunden sowie eine Vielzahl an zusätzlichen Buslinien für den Schülertransport eingesetzt werden.

Für unsere Dernauer Schule zeichnete sich schon Anfang August eine Lösung ab: Die drei Grundschulen auf der Grafschaft in Gelsdorf, Ringen und Leimersdorf rückten zusammen und ermöglichten somit die Unterbringung von jeweils zwei Schulklassen. Auch die Arbeiten an unserem Schulgebäude machten langsam Fortschritte: Nach dem Abpumpen des Kellers konnte sie geräumt und in den betroffenen Bereichen in den Rohbauzustand versetzt werden. Dies geschah vor allem Dank einer großen Anzahl freiwilliger Helfer – an manchen Wochenenden stemmten bis zu 200 Freiwillige in den unteren Etagen des Schulgebäudes!

Die noch nutzbaren Räumlichkeiten standen recht früh der Dernauer Bevölkerung als Hilfs- und Dienstleistungszentrum zur Verfügung: Auf dem Schulhof gab es eine Essensausgabe, mobile Duschen und Toiletten, im Verwaltungstrakt war das Bürgerbüro ein wichtiger Ansprechpartner, und in der oberen Etage befand sich das „Kaufhaus Sankt Martin“ mit einer Vielzahl an Sachspenden. Nach der Katastrophe rollte eine Hilfswelle durch das Tal: eine beeindruckende Vielzahl von Spendenangeboten erreichte auch unsere Schule.

Lernen an drei Standorten

Rückblickend auf das vergangene Schuljahr (Stand Ende Juli 2022) lässt sich sagen, dass unseren Schülerinnen und Schülern an den drei Ersatzstandorten ein schulisches Lernumfeld geboten wurde, welches die Sorgen des Tals für diese Zeit vergessen ließ. Selbstverständlich gab es weiterhin Probleme: Manche Kinder benötigten mehr Aufmerksamkeit und Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten.

Die Busfahrt war für viele Kinder eine Herausforderung – manche mussten 45 Minuten pro Fahrstrecke im Bus sitzen. Als Schulgemeinschaft existierten wir nur auf dem Papier – die Trennung sorgte für organisatorische (nur Klassenlehrerunterricht) und soziale Nachteile. Die Nachmittagsbetreuung fand anfangs unter schwierigen Bedingungen in der auch in Mitleidenschaft gezogenen Turnhalle in Dernau statt. Aber für die meisten Probleme gab es Lösungen: In Zusammenarbeit mit der Polizei wurde eine Unterrichtseinheit „Sicher fahren im Bus“ durchgeführt, gemeinsame Veranstaltungen wie unser Olympia-Sportfest und verschiedene Ausflüge sorgten für ein regelmäßiges Wiedersehen, und durch die hervorragende Unterstützung der Johanniter-Unfallhilfe wurde in Dernau ein Zirkuszelt aufgebaut, in dem auch unsere Betreuungskinder unterkamen.

Das „JUHte-Laune“-Zirkuszelt der Johanniter-Unfallhilfe stand unseren Schulkindern für die Betreuung zur Verfügung.

Wieder vereint in Marienthal

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe ist die Zukunft unseres Schulgebäudes weiterhin ungewiss. Es stehen ein Abriss mit anschließendem Neubau oder ein Wiederaufbau im vorhandenen Bestand zur Disposition. Fest steht jedoch, dass unsere Schule eine „Wiedervereinigung“ an unserem neuen Container-Standort in Marienthal feiern kann: Seit September 2022 lernen wieder alle Grundschulkinder aus Dernau, Mayschoß und Rech gemeinsam. Einige Herausforderungen werden uns noch beschäftigen, aber das bisher Bewältigte lässt uns Kraft und Mut schöpfen. Unser ganz herzlicher Dank gilt allen, die uns bis jetzt (und in Zukunft) auf unterschiedlichste Art und Weise auf unserem Weg begleitet und unterstützt haben!

Ralph Stollorz ist Schulleiter der St. Martin-Schule in Dernau.