„Es war die Hölle“

Die Feuerwehr Altenahr warnte am frühen Nachmittag Campingplätze, Jugendherberge und direkte Ahranlieger

Frank Linnarz

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 wurde das Ahrtal von einer noch nie dagewesenen Flut getroffen. Hunderte Menschen wurden verletzt, 134 Tote sind bis heute zu beklagen (Stand Ende Juli 2022).

Die Feuerwehren wurden, wie auch die Bevölkerung selbst, ab Montag, 12. Juli 2021 über die Wettervorhersagen über ein Starkregenereignis im Westen Deutschlands informiert. Bis zu 120 l/m2, stellenweise bis 200 l/m2 seien zu erwarten. Das Regengebiet sollte am Dienstagabend aus Nordost über unser Gebiet ziehen. Ich selbst bin noch am Dienstagnachmittag mit dem Mountainbike durch die Wälder gefahren.

Dabei bemerkte ich, dass die Böden mit Regen aus den Vorwochen völlig gesättigt waren und vermutlich keine weiteren Regenmengen aufnehmen können. Bis Mittwochmorgen hatten wir weiterhin Westwind und kein Regen war gefallen. Erleichterung machte sich spürbar, in der Hoffnung, dass diese Regenmengen uns nicht treffen werden. Weit gefehlt: Ab 10.00 Uhr drehte der Wind aus Nord-Ost, es begann zu regnen, erst als allgemein bekannter Landregen, später immer intensiver.

Die Feuerwehr beobachtete die Pegelstände sowie die Prognosen. Eine Meldung eines regionalen Meteorologen erreichte uns am späten Vormittag, die aussagte, dass es unter Umständen zu einem vergleichbaren Hochwasserereignis von 2016 kommen könnte (Pegel Altenahr: 3,71 m). Am frühen Nachmittag wurden die Feuerwehren zu einem ersten Einsatz nach Kreuzberg alarmiert. Ein umgestürzter Baum versperrte eine Straße. Eigentlich ein normaler Feuerwehreinsatz. Nach telefonischer Rücksprache mit der Feuerwehreinsatzzentrale Altenahr entschieden wir uns, trotz eines Pegels in Altenahr von 1,40 m jetzt vorsorglich die Campingplätze, die Naturschutz-Jugendherberge Altenahr und die direkten Ahranlieger mit Lautsprecherdurchsagen zu warnen. Die Prognose wurde zu diesem Zeitpunkt zwar nur mit ca. 2,50 m vorhergesagt, der Starkregen prophezeite aber leider etwas anderes.

Fünf Tage nach der Flut: Die Ahr, die eine Schneise der Verwüstung hinterließ, hat sich wieder in ihr Flußbett zurückgezogen. Altenburg am 20. Juli 2021, 10:12 Uhr

Nachdem wir im Internet gesehen hatten, dass die Prognose gegen 15.30 Uhr plötzlich auf 5,20 m angehoben wurde, entschied man sich, jetzt sukzessive alle Feuerwehren der VG Altenahr zu alarmieren und die Warnungen auszudehnen. Für viele der Ahranlieger und auch für die Feuerwehr war aber noch nicht absehbar, welche Katastrophe auf uns zusteuerte.

Wasser stieg stellenweise um 2,50 Meter binnen 4 Minuten

Gegen 18.20 Uhr wurde im Internet über das zuständige Landesamt die Prognose auf 4,10 m reduziert. Sollte das Hochwasser uns doch nicht so stark treffen? Weit gefehlt. Plötzlich stieg das Wasser in einer noch nie dagewesenen Dimension. Konnte man 2016 die höchste Steigerungsrate mit 0,35 m/Stunde beobachten, stieg das Wasser stellenweise um bis zu 2,50 m innerhalb von 4 Minuten.

So wurden nicht nur die Feuerwehren von dieser plötzlichen Flut erwischt, sondern auch alle Anwohner. Viele versuchten vergeblich, ihr Hab und Gut aus dem Keller und dem Erdgeschoss zu retten, zum Teil mit fatalen Folgen: Sie ertranken in ihrem Haus. Vielen blieb nur noch die Flucht in höher gelegene Etagen, zuletzt auf die Dächer. Die Feuerwehren konnten nur noch vereinzelt Menschenrettungen mittels tragbarer Leitern und bereitgestellten Radlager, unter Einsatz ihres Lebens, durchführen. Es wurden Hubschrauber angefordert, um die Menschen aus ihren Zwangslagen zu retten, jetzt muss ten wir auch mit Toten rechnen. Mir war klar, dass die angeforderten Hubschrauber an diesem Abend nicht mehr zur Hilfe eilen konnten, da sie aufgrund des Starkregens, einiger Gewitterzellen, der schlechten Sicht und der beginnenden Dunkelheit vermutlich keine Starterlaubnis er hielten. Dies bewahrheitete sich leider.

Zerstörte Fahrzeuge der Feuerwehr Altenahr auf dem Bahnhofsvorplatz Altenahr. Das Lösch- fahrzeug (Mitte) und das Drehleiter-Fahrzeug (rechts) erlitten Totalschaden.

Ich selbst befand mich in Altenahr, obwohl ich für den kompletten Bereich der Verbandsgemeinde zuständig bin. Eine Anfahrt in die übrigen Orte blieb mir aber leider verwehrt, weil alle Zufahrtstraßen nach Altenahr überflutet waren. Anfänglich konnten wir uns noch zeitweilig über Mobiltelefon und Digitalfunk verständigen. Im späteren Verlauf waren diese zwei Kommunikationsmöglichkeiten überlastet, bis sie letztendlich am späten Abend stellenweise völlig versagten. Somit konnten wir nun weder Kräfte anfordern noch Lagemeldungen an andere Gebiete und übergeordnete Bereiche weitergeben. In letzter Sekunde konnten wir noch zwei Hotelbetriebe mit bis zu 200 Gästen retten und in der benachbarten Pfarrkirche Altenahr in Sicherheit bringen.

In letzter Sekunde zwei Einsatzfahrzeuge gerettet

Es war die Hölle zu wissen, dass „draußen“ unzählige Menschen in und auf ihren Häusern um ihr Leben bangten – und wir mussten hilflos zusehen und konnten nicht helfen. Das Wasser stieg immer rasanter an, in letzter Sekunde konnten wir noch zwei Einsatzfahrzeuge neben der Pfarrkirche Altenahr retten. Die Atmosphäre war gespenstisch, viele Betroffene schauten schockiert auf die Fluten, Fahrzeuge trieben durch die Straßen, aber die Stimmungslage war irgendwie ruhig, vermutlich, weil alle unter Schock standen. Ich selbst kann mich kaum an Gespräche, Funksprüche und Telefonate erinnern, anderen ging es aber genauso.

Wenn Rettungskräfte selbst Hilfe brauchen: Aufräumen im Feuerwehrhaus Altenahr nach der Flut

Etwas aufatmen konnte man, als der Wasserstand in der Ortsmitte von Altenahr gegen 22.45 Uhr stagnierte. Es war ein Pegel von gut 10,00 m erreicht. „Hoffentlich war es das jetzt“, äußerten viele Personen im direkten Umfeld. Leider hatten wir kein Zugriff auf Internet und ähnliches, um zu recherchieren. Und tatsächlich, der Wasserstand fiel gegen 23 Uhr leicht. Hoffnung machte sich breit. Keiner von uns wusste ansatzweise, welche Dramen sich im Ahrtal abspielten.

Am frühen Morgen des Folgetages gegen 5 Uhr entschied ich mich, mit der Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, Cornelia Weigand, zur Burgruine Are aufzusteigen, um sich von oben ein Bild über die Lage zu machen, da wir mit einem Fahrzeug noch nicht außerhalb der Ortslage Altenahr fahren konnten, weil alle Straßen noch überschwemmt waren. Das Bild, das wir von dort oben sahen, war unvorstellbar. Ein Bus lag auf den Gleisen am Bahnhof Altenahr, die Eisenbahn- und Fahrradwegbrücken am Winzerverein waren vollkommen zerstört, ein tiefes Loch klaffte unterhalb des Straßentunnels. Uns war schnell bewusst, dass unsere geliebte Heimat durch diese Flut vollkommen zerstört wurde, über die zahlreichen Betroffenen, Verletzten und Toten hatten wir noch überhaupt keine Vorstellungen.

Viele Feuerwehrangehörige selbst stark betroffen – aber sie funktionierten weiter

Die örtlichen Feuerwehren waren mit der vorhandenen Lage nachvollziehbar völlig überfordert. Viele Feuerwehrangehörige waren selbst stark betroffen, hatten Freunde, Bekannte, Verwandte oder gar ihr eigenes Hab und Gut verloren. Aber sie funktionierten weiter, standen der Feuerwehr und den Menschen weiter zur Verfügung. Als die ersten Katastrophenschutzeinheiten am Morgen des 15. Juli 2021 eintrafen, um uns zu unterstützen und die ersten Hubschrauber die Menschen von den Dächern retteten, war uns die Lage immer noch nicht vollumfänglich bewusst. Erst in den Folgetagen kristallisierten sich die katastrophalen Verhältnisse immer mehr heraus. Die Versorgung der Bevölkerung hatte oberste Priorität, ankommende Kräfte mussten in die Lage eingewiesen, Aufgaben zugewiesen werden.

Dringend benötigte Kräfte kamen nicht an. Ohne die vielen freiwilligen Helfer aus dem gesamten Bundesgebiet hätten wir die Situation bei Weitem nicht so zügig abgearbeitet werden können. Diesen zahlreichen Helfern zolle ich heute noch meinen höchsten Respekt. Aus Tagen der Hilfe wurden Wochen, Monate. Mittlerweile ist eine Art Normalität eingekehrt, obwohl die Situation alles andere als normal ist. Jetzt gilt es darum, unsere geliebte Heimat wieder aufzubauen, das Erlebte zu verarbeiten und in die Zukunft zu schauen, obwohl dies vielen schwerfällt. Aus Sicht der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes müssen wir auch viele Maßnahmen überarbeiten, insbesondere hat hier die frühzeitige Warnung der Bevölkerung oberste Priorität.

Frank Linnarz ist Wehrleiter der Verbandsgemeinde Altenahr und Stellvertretender Brand- und Katastrophenschutzinspekteur des Kreises Ahrweiler