Die Schloßjungfrau zu Sinzig

VON JOHANN CLASSEN

Im schönsten Tal des Rheines das Städtchen Sinzig liegt,
Die Ahr im Duft des Weines durch seine Gauen fliegt.
Dort stand vor alten Zeiten ein prächtig Fürstenschloß,
Sah große Festlichkeiten von Kaiser, Fürst und Troß.
Doch trotz der stolzen Türme, trotz Mauern felsenfest,
Erlag’s den Kriegesstürmen — kaum blieb der Trümmer Rest,
Da ging bei Nacht und Tage oft eine Jungfrau her,
Die trug zu harter Plage ein Schlüsselbund gar schwer.
Warum ging sie mit Zagen in der Ruine rund“!
Warum macht sie wohl tragen das schwere Schlüsselbund?
Als einst in Kriegesjahren die Feinde rückten vor.

Das wiedererbaute „Barbarossaschloß“ in Sinzig
Foto Stang

Gab sie den fremden Scharen den Schlüssel zu dem Tor.
Das Schloß ward drauf zerstöret mit roher Freveltat;
Die Jungfrau, so betöret, mußt büßen den Verrat,
Als sie im Tod verschieden, fand sie im Grab nicht Ruh,
fand nicht den ew’gen Frieden — mußt wandern immerzu.
Wenn d’rauf im Lauf der Zeiten Kriegsunglück hat gedroht,
Sucht‘ sie es vorzudeuten, zu warnen vor der Not;
Und die auf Bosheit brüten, sie zu sich kommen hieß,
Um frevel zu verhüten, ins dunkle Burgverlies.
Drei Kinder draußen froren in kalter Winternacht,
Der Riegel an den Toren der Stadt war zugekracht.
Die trug in Frostesschauer die zarten Kindelein,
Sie über die Stadtmauer besorgt zum Ort hinein.
D’rauf ist die Maid erschienen in Kleidern weiß wie Schnee,
Nicht mehr durch die Ruinen ging nun die Wunderfee.
Hernach ist sie verschwunden — ihr Richter war versöhnt,
Und auf dem Platz im Schlosse aus morschem Trümmerstaub
Hob segnend seine Zweige das grüne Rebenlaub.—————————–7d43782170522 Content-Disposition: form-data; name=“hjb1959.11.htm“; filename=““ Content-Type: application/octet-stream