Auf einem Feldstein

VON TONI EICH

So ein Feldstein ist fürwahr ein König! Er hat nichts gemein mit dem Königtum hienieden, das Macht und Krone nachstrebt und gar so oft hinsinken mußte ins Namenlose der Vergessenheit. Ihn kümmert’s wenig, wer der Mächtigste seinesgleichen ist und welcher Titan ihn ins Dasein rief, ob in gütiger Langmut oder in feurigem Rausch. Des Feldsteins Reich ist die ewige Welt der Wiesen, der Felder und der Wälder, die nie aufhören, einfach so zu sein. Ihnen gibt er Maß und Ordnung. Sie vermählen sich zum Bilde der Landschaft, die keines Frevlers Sinnen zu scheiden vermag. Der Heimat sind sie zugewachsen. — Drum hat er sie alle überdauert, die Reiche und die Könige. Selbst Hader und Zwist der Geschlechter, die um seinen Stand rechteten, fochten ihn nicht an. Er blieb, was er immer war: ein Feldstein, ein treuer Wächter des rechten Maßes und der Vernunft im Widerstreit irdisch-menschlicher Größe und Schwäche.

Ach, ich liebe die Feldsteine, diese graubärtigen Recken aus alter Zeit. Ihr stummes Dasein zieht mich an, wenn ich das heimatliche Land durchziehe. Ich sinne schweigend um sie, ergründe listig ihre Herkunft, lausche mit Ohr und Sinn in sie hinein; allein, ihr wahres Wesen vermochte ich bislang in Worten nicht zu deuten. So suche ich mit ihren Augen zu schauen, ganz eins zu sein mit ihnen, indem ich einfach Besitz von ihnen ergreife. Kurzum Häuptlings, reichlich unwürdig, so will mir scheinen . . .

Nun, da weiß ich um so einen prächtigen Feldstein, irgendwo im Eifelland, Den hab‘ ich ins Herz geschlossen. Er ist mir vertraut seit vielen Jahren. Ein altersschwerer Gesell ist er, zerfurcht von Zeichen, die ungelenke Hände in ihn gruben. Er trägt den frischgrünen Mantel samtigen Mooses, der aber nicht hinreicht, seine fetzigen Narben zu verdecken. Vor Jahrtausenden ward er geboren; aus der vulkanischen Glut fand er zu seiner Gestalt. Sein Äußeres ist nicht schmeichelhaft, rauh und narbig fühlt er sich an, dieser basaltene Feldstein. Trutzig, wie ein Bergfried, ragt er aus dem blumenbunten Traum der Wiese und bietet zu Häupten einen bequemen Sitz. Auf diesem Feldstein zu sitzen, Freunde, das ist eine Wonne! Da liegt zu Füßen die Wiese, die duftende Wiese, umschmiegt vom goldnen Feldrain und umbauscht vom wolkigen Band der Sträucher und Stauden. Ein immerfort summendes und singendes Leben vernehme ich. Hundertfältig ist dieses Leben. Darüber schwelgt jubilierend die Lerche, geschwätzig-froh verraten sich Ammer, Gimpel und Fink im schützenden Gesträuch — und alles besänftigt der Wald mit seiner wehenden Ruhe. Von diesem Feldstein schwebt der Blick flügelleicht ins Tal und schwingt zur Höhe hinan, die vom zartblauen Schleier der Ferne umwoben ist. Brüderlich neigen die Berge einander zu, und gleich einer Königin überragt die fürstliche Frau unseres Eifellandes die ehrsamen Häupter – — die „Hohe Acht“. Es ist eine Zeit der Besinnung, hier zu sitzen, Dinge und alles Leben der geliebten Heimat zu erfühlen und mit all dem eins zu sein. Ja, ich saß da, just wenn der lichte Tag das herb-schöne Bild überflimmerte, oder sturmeilige Wolkenschiffe das Land gespenstig überhuschten — bis hin zu den Stunden der Dämmerung, da das samtene Blau vom Himmel wallte. Und immer wieder wurden mir dann die Gedanken des heiter-ernsten Dichters K. H, Waggerl gegenwärtig, die dieser Grübler vom Feldstein in die gültigen Worte setzte: „ . . . Geriete ich, was Gott verhüten wird, in den Geruch der Weisheit, und es käme der König zu mir, oder sonst einer, der vom Giftbecher der Macht oder des Ruhmes getrunken hat, und er fragte mich, was er tun müßte, um gesund zu werden, ich hätte ihm nichts zu raten, als daß er dann und wann einmal von seinem Thronsessel heruntersteigen und auf einem Feldstein sitzen möge, um an den Dingen, die da sind, wieder abzulesen, was er selber ist.“