Auf dem Kanonenturm in Ahrweiler

Ich grüße dich, du liebe, alte Stadt!
Vom hohen Turm! Wie wogst du mir zu Füßen!
O wohl dem Aug, das dies zu schauen hat, –
Ich hör‘ dich froh zu meiner Höhe grüßen!

Der stolze Zinnenkranz ist längst zerfallen,
Es schweigen drauf die dräuenden Kanonen;
Statt Kriegsgeschrei hörst du die Becher schallen,
Siehst Winzerfleiß und Weinlust bei dir wohnen!

Gelassen hebst du dich und mich hinauf
Zur Turmeshöhe, wo sich alles weitet:
Wie glänzt die Ahr im froh gewund’nen Lauf!
Wie sich das Tal zur schönen Schale breitet!

Wie weit, wie schön! Hier grüßt der Neuenahr,
Der starke Wächter an der heil’gen Quelle,
Die Landskron dort, ein stolzes Bruderpaar,
Zwei Ahrgau-Ritter kühner Waffenhelle!

Denn über Winzerfleiß und Kaufmannssegen
Hör‘ ich vom Turm des Krieges Schreckenston:
Es blitzen Schwerter und es zuckt der Degen,
Arwilre brennt! Der Vater fällt, der Sohn! . . .

Der Fluch der dreißig Jahre ist vergrollt,
Des Wahnsinns andere Wetter sind vorbei.
Und wieder glüht am Berg das Purpurgold, –
Wie atmet sich’s im Frieden tief und frei!

Wie winken Bachem, Walporzheim zum Turme,
Die trauten Dörfer in Arwilres Kreis!
Wie glänzt das Land auch nach dem letzten Sturme, –
Die Glocken rufen es: „Dem Ewigen Preis!“

Noch ragt der alte Kirchenbau zum Himmel,
Der „Weiße Turm“ schmückt königlich das Bild,
Noch vor dem froh-geschäftigen Gewimmel
Hebt Tor und Mauer den uralten Schildl

Weitum der Wingerte Terrassen-Bau,
Bastionen gleich zum höchsten Felsengrat!
O Trauben-Blütenduft! O Doldenblau!
Der alte Bacchus zog in diese Stadt!

Da orgelt es im roten Wein-Choral:
Brochberger, Rosenthaler, Walporzheimer . .
Und vieles mehr. Es braust das ganze Tal
Und sammelt zwischen Felsen gold’ne Eimer!

Das Bild zerrinnt, wie fern die rasche Welle.
Ich sehe große Männer auferstehen:
Joffried von Prüm, in mystisch ernster Helle1),
Erzbischof Konrad durch die Tore gehen . . .*)

Und fern, ganz fern, durch silbergraue Wände,
Fast schon in die Vergessenheit gestoßen, —
Er sammelt, schreibt viel handgeschriebne Bände:
Der große Schreiber Kaiser Karls des Großen . . .3)

O viele sah dies stolze Mauerrund,
Die längst die sturmumbrauste Erde ließen.
Vergangenheit, wie laut spricht hier dein Mund!
Ich hör‘ dein Wort den alten Turm umfließen . . .

Ein Knabe tritt durchs Tor mit edlem Schritte,
Die Stirn umstrahlt von künffgem Ruhmeslicht,
Erklingt sein Spiel in edler Bürger Mitte,
Wo er auch hier sich frühen Lorbeer bricht:

Ludwig van Beethoven! Es schweigt das Land.
Mir ist, noch zittert unter mir der Turm;
Denn eine Welt beschwört einst diese Hand
In ihrem göttlichen Sonatensturm . . .

Mit einemmal, da ich die Schönheit denke,
Den Eifer und des Fleißes Hochgewinn,
Mich tiefst in alles um midi her versenke,
Durchbraust mit Freude, Freude Herz und Sinn!

Ja, Freude braust aus Stadt und Fluß und Landen!
Die Berge, Felder, Dörfer stimmen ein,
Und über Krieg und Nacht und Elendsbanden
Ertönt der Freudensang von Ahr und Rhein!

Der reinen Freude hat auch er gesungen,
Ludwig van Beethoven, der hier geweilt,
Dem herben Leid hat er es abgezwungen,
Was als sein Freude-Lied die Welt durcheilt!

Der edlen Freude laßt auch uns hier singen,
Denn reine Schönheit wohnt in diesem Land!
Ich hör‘ es aus den Wellen, Quellen klingen, —
Das Schönste ist’s, was ich hier oben fand!

So grüß‘ ich dich, du liebe, alte Stadt,
Vom hohen Turm! Wie glänzt du mir zu Füßen!
O wohl dem Äug, das dies zu schauen hat  —:
Ich hör‘ das ganze Land zum alten Turm hin grüßen!

(Aus „HEIMATERDE“ von E. K. PLACHNER)

1) Abt Joffried (Godefried) von Prüm, im 13. Jahrhundert Erbauer der in der rheinischen Kirchenbaugeschickte berühmten Ahrweiler Pfarrkirche.

2)Konrad von Are-Hochstaden erhob als Erzbischof von Köln im 13. Jahrh. Ahrweiler zur festen Stadt.

3) Einhard (etwa 770—840), Biograph und Vertrauter Karls des Großen, ist im Dorf Wilere, woraus die Stadt Ahrweiler entstanden ist, gewesen.