Weistümliches um den Gertrudentag

Toni Eich +

Eigentlich hätte der lenzende Gertrudentag einen freundlichen Empfang verdient gehabt, nachdem die wachsende Märzsonne schon Tage zuvor mit ihrem wohligen Schein des Winters schneeiges Wams mächtig durchlöchert hatte. An diesem Morgen war sie hingegen machtlos gegen den rauhen Gesellen; ihr glutiger Aufgang wurde verleidet durch ein mißfarbiges Gewölk, das sich giftig aufblähte und mit stürmischen Würfen blaukörnigen Schnee über das Land warf, schauerlich klang das. Gegen Mittag aber trat sie hinter dem Wolkenberg hervor und fegte mit breiten Strahlenbündeln das ganze Ungemach vom Himmel. Ihr Antlitz lachte der Erde freundlich zu, dem Gertrudentag zur Ehre. Der Schnee schmolz und wurde faul, überall tauchte faltig-braunes Land, die gute Erde, heraus.

Es ist immer eine ahnungsvolle Lust, um die kommende Frühlingszeit an der Ahrmündung zu verweilen. Noch einmal, nach langer Winterzeit, entflieht die Ahr der steinigen Enge ihres Bettes, bevor sie sich dem Rhein ergibt. So war’s auch heuer wieder, sie tauchte Wiesen und Baumgärten in spiegelige Lachen. Ach, es ist wunderbar ruhig um die Mittagsstunde. Als einziges Wesen schaufelt ein Schwan über das stille Wasser, offenbar sucht er schon sein Brautgemach, die nahende Balzzeit macht ihn keck. Da, war’s ein Eisvogel, der pfeilgeschwind übers Wasser huschte, ins schwankende Gezweig einer Weide? Es ängstigt einen, denn bald wird es sie am Mündungslauf der Ahr nicht mehr geben, weil der Mensch ihren Biotop zerstörte. Wie traurig!

Mit dem Gertrudentag beginnt die Arbeit des Gärtners. Welche Bedeutung dieser Tag für unsere Altvordern hatte, beweisen die Bauernweistümer, wie sie sich in den Monats- und Lostagssprüchen um den Gertrudentag äußern: »Gertraud mit dem frommen Sinn ist die erste Gärtnerin«, »Gertraud den Garten baut«, »Gertraud ist die erste Magd im Kraut«. Lyrisch heißt es: »Gertraud nützt dem Garten fein, wenn sie sich zeigt im Sonnenschein« und »Ist Gertrud sonnig, wird’s dem Gärtner wonnig«. Umfassend lautet es schließlich: »Es führt Gertraud die Kuh zum Kraut, die Bien‘ zum Flug, das Pferd zum Zug.« Man könnte die Reihe der Sprüche weiterführen. Es ist erfreulich, daß sie im Volke noch lebendig sind. In den meisten Sprüchen verbirgt sich etwas von der bäuerlichen Philosophie, von Lebens- und Weltsicht unserer Ahnen, wie wir sie heute nicht mehr kennen. Der Gertrudentag war somit für die Vorfahren ein ganz besonderer Tag im Ablauf des Jahres. Übrigens gilt St. Gertrud als »Nationalheilige« unserer fränkischen Ahnherrn, so wie St. Martin als Schutzpatron für die Frankenlande.

Vorstehende Beiträge von Toni Eich sind die letzten im Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler. Während der Drucklegung dieses Jahresbandes ereilte den langjährigen Mitarbeiter der Tod. Toni Eich liebte die Landschaften zwischen Rhein und Hocheifelhöhen mit ihrem historischen und kulturellem Reichtum, und er verstand es, sie mit tiefem Empfinden im Bild und Wort, zarttönend, lebendig werden zu lassen.