Vergangene Berufe:

Der letzte Bergmann des Ahrgebirges

Heinrich Schäfer

Über den Bergbau im mittleren und oberen Ahrtal ist schon wiederholt geschrieben worden.1) Geschichtliche Quellen2) und Bodenfunde3) geben uns Kunde davon.

Wenn in der kulturellen Entwicklung der Menschheit eine Phase endgültig zu Ende gegangen ist, dann entwickelt sich in nostalgischer Rückschau eine Besinnung auf das Vergangene. Man sammelt die Relikte und stellt sie museal zusammen. So wird in Antweiler ein ehemaliger Stollen als Zeuge der Vergangenheit wieder aufbereitet. Bergbauliche Anlagen und Materialien werden bereitgestellt.

Besonders in der 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts suchte man in der Eifel eifrig nach Erzen. Aber auch Kohlen meinte man finden zu können; denn es stellte sich heraus, daß die Holzkohle nicht mehr ausreichen würde, um alle Erze verhütten zu können.4)

Der aufmerksame Wanderer findet auch heute noch im Gelände manche Erinnerungen an ehemalige Stollen und Schächte. (Allein in der näheren Umgebung von Plittersdorf mögen es ein Dutzend sein.) Dagegen gibt es nur noch wenige Menschen als Zeugen aus der Zeit des Bergbaus. Maternus Paffenholz aus Plittersdorf, ein ehemaliger Bergmann, erzählt nach seinen Erinnerungen:

Das Jahr 1936 war für mich ein glückliches Jahr. Nie bin ich so froh gewesen, vielleicht ausgenommen damals, als ich aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehren konnte. 1936 bekam ich zum ersten Male eine feste Arbeitsstelle. Ich war 25 Jahre alt. Es war eine schwere Arbeit in dem Blei- und Zinkbergwerk Klappertzhard. Aber was mehr zählt: Ich konnte mir zum ersten Mal im Leben die Butter nach Belieben aufs Brot schmieren.

Bis dahin hatte es für mich nur ab und zu Gelegenheitsarbeit gegeben. Das heißt, daß es für jemand, der nicht Landwirt war, nur eine einzige Verdienstmöglichkeit gab, nämlich im Wald »Eisenbahnschänzchen« zu binden. So nannten wir die Reisigbündel, die dazu dienten, die Lokomotiven unter Dampf zu setzen. Sie hatten eine bestimmte Länge (90 cm) und das Gewicht durfte bei dürrem Holz 7 Kilo und bei grünem Holz 9 Kilo nicht unterschreiten. Ein Unternehmer kaufte eine Fläche von diesem Buchen-Abfallholz auf. Wir Schänzchen-Binder arbeiteten im Akkord und bekamen pro Stück bis zu 4 1/2 Pfennige. Bei allergünstigsten Bedingungen habe ich es auf 1 000 Schanzen in der Woche gebracht. Das war aber die Ausnahme. Die Handgriffe, die nötig waren, um das Reisig in die geforderte Länge zu zerhakken, in dem durch Holzstäbe markierten Bett aufzuschichten, die richtige Menge abzuschätzen und dann an den beiden Enden mit Draht zuzuschnüren, die sind mir heute noch so geläufig, daß ich sie im Schlaf durchführen könnte. – Aber diese Arbeit zu bekommen, war ein Glücksfall und nur möglich im Frühjahr und im Sommer.

Daß ich die Stelle im Bergwerk bekam, verdanke ich meinem Bruder Scheng. Er war mit Hein Hürth, dem aus Antweiler stammenden stellvertretenden Betriebsleiter befreundet gewesen. Durch einen tragischen Unfall in der Grube war er zu Tode gekommen. So sah die Bergwerksleitung meine Einstellung als eine Art Wiedergutmachung an meiner Familie an. Unfälle waren im Bergwerk immer möglich. Auch bedeutete die Staublunge eine böse Gefahr. Aber daran dachte damals niemand. Erst heute, wenn ich sehe, wie meine Kameraden von damals alle gestorben sind, wird mir das bewußt.

Diesen Arbeitsplatz auf der Grube Klappertzhard gefunden zu haben, das machte mich froh und glücklich. Bald kam ich nach unter Tage und arbeitete vor Ort mit drei Kumpels zusammen. Wir trieben die Strecke voran, indem wir Sprenglöcher bohrten, das gesprengte Gestein wegräumten und den Stollen verbauten, je nach dem es nötig war. Trafen wir auf Erzgänge, die auf dieser Grube wenig mächtig waren, dann mußte das Erz sorgfältig getrennt werden.

Leichter als diese Arbeit vor Ort war die Tätigkeit, die ich später meist ausübte, nämlich die Arbeit am Anschlag. Dies war die Stelle, wo der Stollen in den Hauptschacht mündete und wo die ankommenden Loren in den Förderaufzug umgeladen wurden.

Ich arbeitete längere Zeit auf der Sohle in 200 m Tiefe. Hier ging die sogenannte Willerscheider Strecke ab. Sie sollte unseren Schacht mit der ehemaligen Grube in Willerscheid verbinden, um dort noch vorhandenes Erz zu fördern. Nach 1 000 Metern erreichten wir unser Ziel. In dem alten Schacht erlebten wir einen rauschenden Wassersturz und mußten uns zunächst wegen des schauerlichen Gestanks zurückziehen. Viel Erz haben wir dort nicht gefunden.

Die Loren auf einer Strecke von 1 km mit der Hand zu schieben, überstieg unsere Kräfte. So hatten wir ein Pferd hinuntergebracht. Das arme Tier! Es bekam zwar gute Pflege, aber der dauernde Aufenthalt in der feuchten Dunkelheit brachte ihm schnelle Erblindung. Später bekamen wir für die Wagen Batterie-Antrieb, und die Tierquälerei hatte ein Ende. Hatte ich den Förderkorb beladen, gab ich durch drei Schläge das Zeichen, daß der Maschinist hochziehen konnte.

Ich muß sagen, daß dies eine wunderbare Zeit war, ich habe es jedenfalls so empfunden. Als ich später als Kriegsgefangener in einem russischen Kohlebergwerk arbeiten mußte, erlebte ich viel schlechtere Bedingungen: niedrige Stollen (manchmal nur 60 cm), schlechte Luft, schlechtes Gerät….

Mein Bruder hatte noch auf der Grube Hürnigs-kopf gearbeitet. Diese war 1927 eröffnet worden, sie wurde aber, als ich eintrat, allmählich stillgelegt. Lag diese Grube ganz nahe bei meinem Heimatort Plittersdorf, so befand sich Klappertzhard jenseits des Lierstales bei Hum-merzheim. Und bis dahin war ein weiter Weg. Durch das obere Lierstal führte keine Straße, es gab nicht einmal einen unbefestigten Weg. Hätten wir auf dem Weg zur Arbeit eine Straße benutzen wollen, wäre daß ein gewaltiger Umweg gewesen. Wozu auch eine Straße? Besaßen wir doch kein Auto, kein Motorrad und kaum jemand ein Fahrrad. Wer ein Fahrrad besaß, konnte auf dem Weg nach Effelsberg fahren, dann hinunter ins Tal zur oberen Lier-ser Mühle. Dort wurde das Rad abgestellt und es ging zu Fuß weiter. Wir aber gingen den ganzen Weg zu Fuß, für den guten Marschierer eine gute Stunde Wegs.

Es war ein seltsamer Weg, den wir uns selber durch die Berge hatten bahnen müssen. Auf dem »Kasten« unterhalb Hürnig angekommen, stiegen wir auf dem Waldwege abwärts, den -weil er so steil war – die Heufuhrwerke als Hinweg benutzten hinab ins Liersertal. Aber schon nach 200 m bogen wir rechts ab. Auf einem wenig benutzten Holzabfuhrweg ging es durch Tiesgesdall bis Bierendall. Hier hörte der alte Weg an einem Kohlenmeiler auf. Von dort an ist der Berghang ziemlich steil. Der von uns angelegte Pfad versuchte, in gleichmäßigem Gefälle möglichst bequem ins Tal zu gelangen. Unterhalb der Bühlerlochmühle erreichten wir den Liersbach und an der oberen Lierser Mühle stiegen wir auf die Höhe von Hummerzheim.

Dieser unser Weg zur Arbeit besteht heute nicht mehr und seine Spuren sind wohl kaum noch auszumachen.

Anmerkungen:

  1. vgl. Jahrbuch des Kreises Ahrweiler 1971 S. 126, 1979, S. 105 und 1984 S. 159
  2. s. das Jahrbuch der Franzosenherrschaft und Schannat-Bärsch an vielen Stellen
  3. vgl. die röm. Eisenverhüttung im Ahrweiler Wald
  4. über die Suche nach Kohle s. die Zeitschrift ..Eifelbote“ 1838 S. 24. 27. 95 und 232