Die Sage vom Nantertshof bei Ahrweiler

Josef Müller

Die alten heimatgebundenen Sagen verändern vielfach im Laufe der Zeit etwas ihre Inhalte und sprachlichen Abfassungen. Durch häufiges Erzählen werden immer wieder textliche Veränderungen vorgenommen.

Dr. Heinrich Stötzel, in den dreißiger Jahren Studienrat am Schülerinternat des Pfarrers Wies in Ahrweiler in der Wilhelmstraße, hat vor fünfzig Jahren die Sagen des Ahrtals mit viel Fleiß und Liebe zur Sache gesammelt, und die damalige Volksschullehrerschaft des Landkreises Ahrweiler unterstützte ihn dabei nach Kräften. 1938 veröffentlichte er als erster die Sagen in einem Büchlein. Es ist daher ein besonderes Anliegen, eine für die mittelalterliche Stadt Ahrweiler bedeutende Sage in die Erinnerung zurückzurufen, damit sie wieder im Unterricht der Schulen den Schülern und Schülerinnen nahe gebracht werden kann:

Im Mittelalter kamen die Leute von weit her in die St. Laurentiuskirche in Ahrweiler, von den Bergen rechts und links der Ahr, so auch die Nanterts. Diese wohnten rechtsseitig der Ahr zwischen dem Steinerberg und dem »Häuschen« (507 m), dem höchsten Berg in der Gemarkung Ahrweiler. Alljährlich ging der Herr von Nantert nach Ahrweiler zur Christmette in der Laurentiuskirche. Er hatte einmal den Pfarrer gebeten, ihm vor Anfang der Mette eine Stunde lang zu läuten, Der Pfarrer hatte eingewilligt, denn der Nantert bezahlte jedesmal einen Reichstaler dafür.

So war wieder einmal Weihnachten gekommen. Die Jungen läuteten eine Stunde und länger – der vom Nantertshof war noch nicht da. Sie läuteten immer noch, so als wollten sie den Nantert wirklich herbeirufen. Aber er kam nicht, und sein Kirchenstuhl blieb leer. Unruhig wurden die Gläubigen, noch unruhiger begann der Pfarrer die Mette. Als sie vorbei war, ritten und gingen bewaffnete Bürger auf die einsame Höhe, um die Nanterts zu suchen. Als sie den Hof erreichten, sahen sie das Haus in Flammen stehen. Am Balken des Hoftores hingen die Nanterts und ihre Knechte und Mägde – ermordet und verbrannt. Einige glauben, der Herr von Nantert sei doch in der Christmette gewesen und als einziger gerettet worden. Andere sagen, eine seiner Töchter sei entkommen, ihr Vermögen habe sie dem Kloster Marienthai vermacht. Doch bis in die Zeit des zweiten Weltkrieges riefen die Glocken von St, Laurentius eine Stunde lang zur Feier der hl. Nacht. Das war die Stiftung des Herrn von Nantert.

Soweit die Sage, aufgeschrieben vor 50 Jahren von Dr. Heinrich Stötzel. Zum Vergleich sei hier die Sage aus dem Kesselinger Wald (Stötzel S. 99) angeführt, in der das Motiv dem der Sage vom Nantertshof ähnelt:

In den einsamen Bergen des Kesselinger Waldes kennt man auch die Sage vom »Nenteder Hof«. Vor langer Zeit stand auf dem Nenterd bei Staffel ein Hof. Manche erzählen, daß er schon zur Römerzeit bestanden habe. Die Leute von Nenterd gingen jedes Jahr zur Christmette nach Kesseling in die Kirche. Der Küster von Kesseling mußte so lange läuten, bis die Leute vom Nenteder Hof in der Kirche waren. Hierfür bekam er jedes Jahr einen dicken Schinken. Einst läutete er auch wieder zur Mette, aber die Leute von Nenterd kamen nicht, obschon er viel länger geläutet hatte als sonst. Nachher ging der Küster mit einigen Leuten zum Nenteder Hof, um nachzusehen, warum die Nenteder nicht zur Kirche gekommen waren. Da fand man alle Bewohner des Hofes ermordet. Nur ein Mädchen, welches auswärts war, lebte noch. Das Mädchen schenkte den Hof dem Kloster Marienthal.

Diese Sage hat Stötzel nach einer Mitteilung des damaligen Lehrers Fuß aufgeschrieben. Er ist sogar der Ansicht, daß nach der Beschreibung und Lage des Ortes zu schließen sei, daß die Kesselinger Sage die ursprünglichere sei. Außerdem sei das Motiv noch in Königsfeld, Lind und an anderen Orten zu finden.

Sachliche Ergänzung: Die Sage vom Nantertshof ist oft abgewandelt worden. Was wirklich in jener Weihnachtsnacht auf dem Nantertshof geschah, wird für immer ein Geheimnis bleiben. Interessant ist allerdings, daß die Läuteordnung der St. Laurentiuskirche Ahrweiler unter Punkt 3a festlegt, daß am Weihnachtsfeiertag morgens eine Stunde vor Beginn der feierlichen Mette geläutet werden muß.

Der Nantertshof hatte in der Talmulde zwischen »Häuschen« und dem Recher Sattel eine größere Ackerflur, einen kleinen Wiesengrund und ausgedehnte Wälder liegen. Zwei Quellen spendeten das Wasser für Mensch und Tier. Im Ahrtal hatte der Hof noch Weinberge und fruchtbare Äcker, die Wein und Weizen lieferten. Bei der Festlegung der kommunalen Grenzen in der Franzosenzeit 1794 – 1814 wurde das Hofgebiet in die drei Gemeinden Ahrweiler, Staffel und Rech verteilt. Dort, wo die drei Gemarkungen zusammenstoßen, lag der Hof.

Zu erwähnen bleibt noch, daß auch die Schreibweise bei Überlieferung der Sage Veränderungen unterworfen war. Statt »Nantertshof« heißt es hin und wieder »Nentertshof« oder auch »Auf Nenntert«.

Quelle
Heinrich Stötzel  „Die Sagen des Ahrtals“, 1938, L. Röhrscheid Vertag Bonn.