Die Allehellije-Zijar

Rosemarie Bongart

Die Allerheiligentage meiner Kindheit waren Gedenktage, denen wir Kinder mit Erwartung und auch etwas Freude entgegensahen. Kamen doch an diesem Tag die Verwandten aus nah und fern, um die Gräber ihrer Verstorbenen zu besuchen. Wir wußten aber auch, daß es an diesem Tag Geschenke für uns gab. Denn die Ankömmlinge ließen sich nicht lumpen und besonders die »Kölsche Tant Ziss« hatte in ihrer großen Handtasche allerhand Schätze, die ein Kinderherz erfreuten, so zum Beispiel einen »Dopp« aus dem »EAPe« und eine Menge Süßigkeiten. Sehnlichst wurde sie von uns erwartet. Oft war meine Mutter erbost, hatte bemerkt, daß nicht nur verwandtschaftliche Bande Anlaß unserer Ungeduld war.

Wahre Gaumenfreuden kamen auf den Tisch, um die »Sippe« auf das Beste zu bewirten. Es war in der Tat eine herzliche Gemeinschaft, die die Familie miteinander verband. Meist vormittags versammelte sich der Besuch im Elternhaus und nach einer guten Mahlzeit ging es nachmittags zu einer Gedenkandacht auf den Friedhof hinaus. Man traf auch alte Bekannte, die man das Jahr über nicht gesehen hatte, und manches Schwätzchen wurde gehalten. Beim Nachmittagskaffee wurden dann Erinnerungen ausgetauscht, man erzählte von früher. Alle Neuigkeiten aus den einzelnen Familien kamen auf den Tisch, mal gute, mal weniger angenehme. Dann allerdings wurden wir zum Spielen draußen an der frischen Luft aufgefordert. Unsere ältere Schwester hatte das aber schnell bemerkt und horchte bisweilen an der Zimmertüre, so waren wir auch immer auf dem laufenden, bis schallende Ohrfeigen der Lauschaktion ein Ende machten.

Vater »stronzte« mit seiner letzten Ernte im Gemüsegarten, die Früchte wurden immer größer, die Menge immer reichlicher, bis Mutter ihn strafend ansah. Etwas kleinlaut füllte er abends die Taschen der Heimkehrer mit wesentlich minder geratenen Erzeugnissen, konnte sich aber auch dann noch nicht verkneifen, auf Schwund durch Lagerung, die Qualität und Güte des Selbstgezogenen hinzuweisen.

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Unvergessen bleibt jedoch für mich ein Allerheiligentag. Mutter hatte mit uns die Messe besucht und sich gerade umgezogen, als es an der Haustür ziemlich heftig und ungestüm klingelte. Meine Schwester eilte zur Tür und öffnete, an ihr vorbei rannte meine Tante, hochroten Kopfes und erklärte außer Atem: »Ann, Ann, dat Res hält doch wahrhaftesch sengem Vatte en Zijar op et Graaw jeläch, en Zijar! De Juhann hätt et ooch jesehn!«

Bei uns Stille – das war noch nie dagewesen -, meine Eltern schauten sich an. Man wußte, daß der besagte Vater zu Lebzeiten oft und gern eine gute Zigarre geraucht hatte. Es wäre also nicht verwunderlich gewesen, hätte die Tochter ihm nun diese Liebesgabe auf das Grab gelegt. Dann ging alles ganz schnell, behende eilte meine Mutter aus dem Zimmer, zog sich eiligst um und rannte mit ihrer Schwester zur Haustüre hinaus. Schwach rief Vater noch hinter ihr her: »Onn et Esse?« Dies wurde aber nicht mehr gehört, und weg waren die beiden.

Was sich dann auf dem Friedhof zutrug, kam ganz allmählich heraus. Ein schöner Tannenzapfen, Dekoration eines Blumenbuketts, wurde von meiner Tante, die kurzsichtig war, mit einer Zigarre verwechselt. Der »Juhann« hatte aber richtig gesehen und aus Fopperei meiner Tante das Märchen von der edlen Spenderin aufgetischt. Fluchtartig haben dann beide Schwestern den Friedhof verlassen in Sorge, der »Juhann« könnte sie gesehen haben. Schnell hätte sich dieses Episödchen herumgesprochen. Spott und Gelächter wären ihnen sicher gewesen.

Etwas betreten kam meine Mutter zurück. »Onn, wor et en Allehellije-Zijar?«, fragte mein Vater, der der Sache nicht getraut hatte und den »Juhann« als Mätzchenmacher kannte. »Nä, nur en Tannezappe«, sagte meine Mutter etwas enttäuscht. »Onn dofür rennst dou su eilesch op de Kerschhoff?« – Eisiges Schweigen.

Am Nachmittag, als der Besuch gemütlich beisammensaß, erzählte meine Schwester unbedacht von Mutters morgendlichem Ausflug zum Friedhof. Vater wußte das Geschehen bestens vorzutragen. Herzliches Gelächter im Familienkreis, auch die beiden Genasführten stimmten mit ein. Bis die »Tante Ziss aus Kölle« ganz erschrocken meinte: »He setzen mir an enem su änste Daach onn laachen, äwwe oos Ver-storwene nenn oos dat bestemp net üwwel.« Noch Jahre später, wenn die Rede auf die »Allehellije-Zijar« kam, sahen sich beide Schwestern mit einem verlegenen Lächeln an, froh darüber, daß die Sache nicht publik geworden war, vor allem aber, daß der »Juhann« nicht erfahren hatte, wie sie ihm auf den »Leim« gegangen waren.