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Moritz-August von Bethmann-Hollweg, ein Preuße am Rhein

Lothar Alter

Als Napoleon den kleinen und kleinsten Herrschaften in Deutschland ein Ende bereitete, kam manche Burg unter den Hammer. Eine Zierde unter diesen Burgen war die Burg Rheineck zu dieser Zeit nicht. Sie war ziemlich heruntergekommen und darüber hinaus durch mehrere Brände fast unbewohnbar geworden. Der ehemals in den Diensten des Grafen von Sin-zendorf stehende Wenzeslaus Schurp kaufte die Burg. Sein Sohn verkaufte diese dann 1832 an Moritz-August von Bethmann-Hollweg.

Mit dem Käufer der Burg kam nun ein „Preuße“ an den Rhein, einer der hervorragendsten evangelischen Kirchenmänner seiner Zeit in unserem Raum. Ohne ihn wäre die Entwicklung der Evangelischen Gemeinde Andernach (und damit der Evangelischen Gemeinde Bad Breisig), die Entwicklung der Diakonie im südlichen Teil der Rheinprovinz und auch die politische Entwicklung Deutschlands anders verlaufen.

Moritz-August Bethmann-Hollweg wurde als Sohn einer Frankfurter Bankiersfamilie 1795 geboren. Den Adelstitel „von“ bekam er erst später. Bereits mit 28 Jahren wurde er Professor der Rechte in Berlin. 1829 kam er dann als Professor nach Bonn. Auf der Suche nach einem Wohnsitz stieß er auf die halb verfallene Burg Rheineck. Er kaufte die Burg für 20 000 Taler und ließ sie durch den berühmten Baumeister Johann Claudius Lassaulx neu aufbauen.

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Schloß Rheineck Anfang des 19. Jahrhunderts. Stahlstich von Grünewald nach C. Hohe.

Die Schloßkapelle

Als „Patriarch“ legte er großen Wert auf den Wiederaufbau der Kapelle, die er am 7. Oktober 1837 durch den Bonner Pfarrer Wichelhaus einweihen ließ. Wieviel wert ihm die Kapelle war, zeigt die Tatsache, daß er sie bis 1840 durch den Maler Edward Steinle aus der Schule der „Nazarener“ mit biblischen Motiven ausmalen ließ. Auch die Fenster zeigen biblische Motive. In der Woche fanden täglich Andachten im Kreis der Familie statt und an den Sonntagen kam ein Pfarrer aus Bonn, um Gottesdienst zu halten, zu denen auch die Evangelischen aus der Umgebung eingeladen waren. Die Evangelischen aus dem ehemaligen Ländchen Breisig gehörten zur Evangelischen Gemeinde Remagen. Die Zeit. in der Bonner Pfarrer den Gottesdienst auf Rheineck hielten, war allerdings nur kurz. Als sich nämlich zahlreiche Pfarrer im Freiheitskampf der Deutsch-Schleswiger gegen die Dänische Herrschaft auflehnten, wurden viele Pfarrer entlassen und mußten Schleswig-Holstein verlassen. Unter diesen waren mehrere, die im Bereich der rheinischen Kirche Aufnahme fanden. Zu ihnen gehörte auch ein Pfarrer Heinrich Rendtorf, der noch 1837 als Schloßprediger auf die Burg Rheineck kam. Hier wird er mit Sicherheit nicht nur Gottesdienste gehalten haben, sondern auch als Hauslehrer auf Rheineck und als Seelsorger für die wenigen Evangelischen füngiert haben, die es in der Umgebung damals wieder gab.

Bonner Pfarrkonferenz

Als 1840 der preußische König Friedrich Wilhelm III. starb und sein Sohn Friedrich-Wilhelm IV. König wurde, trat mit ihm auch Bethmann-Hollweg ins Rampenlicht der Politik. Er wurde Vertrauter und Berater des Königs, der ihn 1844 für seine Verdienste adelte. Bereits 1842 war er Kurator (Vertreter des Staates bei der Universitätsverwaltung) an der Bonner Universität geworden. Aus seiner tiefen Gläubigkeit heraus hielt er besonders engen Kontakt zur theologischen Fakultät der Universität. Als der führende Kopf dieser theologischen Fakultät, Karl Immanuel Nitzsch – zugleich zweiter Pfarrer der Evangelischen Gemeinde Bonn – im Jahre 1847 an die Nikolaikirche in Berlin berufen wurde, war Bethmann-Hollweg selbstverständlich dabei. Aus dieser Abschiedsfeier heraus entwickelte sich die Bonner Pfarrkonferenz, die jährlich Pfarrer aus der ganzen Landeskirche zusammenfinden ließ im theologischen Gespräch. Bethmann-Hollweg wurde Vorsitzender dieser Konferenz, der sich in der Folge mehrere Bezirkskonferenzen nachordneten. Die Entstehung dieser Konferenzen ist wohl ein Zeichen für einen allgemeinen Aufbruch zu mehr Einheit und Gemeinschaft, die sich in Deutschland breit machte und in deren Folge Bethmann-Hollweg immer mehr zum Koordi-nator und Motor für diese Einigkeitsbestrebungen wurde.

Deutsche Evangelische Kirchenkonferenz

1843 hatte der, ansonsten unkirchliche, württembergische König Wilhelm l. in einer Denkschrift an den preußischen König angeregt. daß sich die evangelischen Fürsten im Reich. parallel zu den katholischen Fürsten, zusammenschließen sollten. Ein erstes, vorsichtiges. vom Taktieren des preußischen Königs bestimmtes Ergebnis war eine Deutsche Evangelische Kirchenkonferenz, an der 1846 nur 26 Regierungsvertreter unter Vorsitz von Bethmann-Hollweg zusammentrafen, um über einen Zusammenschluß der evangelischen Kirchen in Deutschland zu beraten. Bethmann-Hollweg bezeichnete klar die Ziele, „die bei einer Konföderatin der evangelischen Kirchen angestrebt werden müßten: Die Fragen der Verfassung, des Bekenntnisses und des Kultus. Was die Verfassung anbetraf, so schwebte ihm eine in sich selbständig, presbyterial geordnete Kirche vor, die ihre Angelegenheiten unter starker Beteiligung des Laienelementes selbst verwaltete. Was die Einheit der Kirchen anbelangt, so dachte Bethmann-Hollweg an eine föderative Vereinigung, ohne näher zu bezeichnen, wie eine solche Föderation sich zu den vorhandenen Bekenntniskirchen verhalten sollte“ (Peter Meinhold, in: Jahrbuch Diakonie 1973). Mit diesen Vorschlägen war er den Kirchenvertretern um 100 Jahre voraus. Beraten wurden im Endeffekt nur Fragen des landesherrlichen Kirchenregiments.

Revolutionsjahr 1848

„In dieser für sie keineswegs klaren Situation wurden die evangelischen Kirchen in Deutschland durch die Revolution vom März 1848 überrascht. Mit einem Mal forderten jetzt die Ereignisse die entschiedene und einheitliche Haltung der Kirchen zu den neu aufgeworfenen sozialen, gesellschaftlichen und menschlichen Problemen“ (Peter Meinhold. Jahrbuch Diakonie 1973). Da die Kirchen keine gemeinsame Stellungnahme zu den Fragen der Arbeiter fanden, blieben die Aktionen einzelner Männer innerhalb der katholischen und evangelischen Kircheneben nur Einzelaktionen und nicht Tun der Kirchen als Ganze. Doch „das Ideal der deutschen Einheit fand in der in unzählige Landeskirchentümer zerspaltenen evangelischen Christenheit ein Echo. Im Überschwang der Begeisterung dachte man an eine ‚Deutsche Nationalkirche‘ “ (Erich Beyreuther, Geschichte der Diakonie und Inneren Mission, S. 106). „Nach der Verständigung mit einzelnen Männern und Freunden in allen Landeskirchen ließ er (Bethmann-Hollweg) die Einladung zu einer Allgemeinen Kirchenversammlung für den 21. September 1848 nach Wittenberg ergehen, um, wie er sagte, ‚in einer vorläufigen freien Versammlung die Verhältnisse der evangelischen Kirchen in der gegenwärtigen Zeitlage brüderlich zu beraten‘. In der Einladung war nun auch der entscheidende Gedanke ausgesprochen, daß die evangelischen Konfessionen zu einem Kirchenbunde zusammentreten sollten, der allerdings keine Union der evangelischen Konfessionen, sondern eine zeitgemäße Erneuerung des ehemaligen Zusammenschlusses der evangelischen Fürstentümer sein sollte.

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Mit biblischen Motiven durch den „Nazarener“ Edward Steinte ausgemalt- Kapelle auf Büro Rheineck.

Evangelischer Kirchentag 1848

Die Fragen der Erneuerung des Kirchenbundes wurden nach den Beratungen der Kirchenkonferenz 1846 tatsächlich auf der 1848 nach Wittenberg einberufenen „Versammlung für Gründung eines Deutschen Evangelischen Kirchenbundes“ besprochen. Zu einem konkreten Ergebnis kam man in dieser Frage nicht. Lediglich ein neuer Termin im Jahre 1849 zu einem zweiten Treffen zu dieser Frage war das Ergebnis. Eine ganz andere, zunächst überhaupt nicht geplante Frage sollte dann aber auf dem Wittenberger Kirchentag 1848 erörtert und zu einem konkreten Ergebnis geführt werden. Auch hier hatte Bethmann-Hollweg entscheidenden Anteil am Erfolg. Einer der Eingeladenen war „der ewige Theologie-Kandidat“ Johann Hin-rich Wichern, der 1833 aus der „Sonntagsschularbeit“ in Hamburg kommend im „Rauhen Haus“ in Hamburg das erste Waisenhaus gegründet hatte. Wichern war unter der Voraussetzung gekommen, daß er über eine „Innere Mission“ sprechen dürfe. Er durfte und hielt eine Stegreifrede, die die Versammlung aufhorchen ließ und tief beeindruckte. Wichern forderte darin, daß sich die Kirche dem leidenden Menschen zuwenden müsse. Bethmann-Hollweg unterstützte diesen Aufruf nach Kräften. Daß die Gründung des „Central-Ausschuß der Inneren Mission“ bereits am 11. November 1848 erfolgte, ist zum großen Teil das Verdienst Bethmann-Hollwegs. Es mag sein, daß die Einigungsbestrebungen der Kirchen noch zu früh gestellt auf die Tagesordnung gebracht wurden und die Abgeordneten in einer die Landeskirchen übergreifenden „Inneren Mission“ eine Möglichkeit sahen, eine Einheit anzustreben, ohne die Eigenständigkeit der einzelnen Kirchen aufzugeben. Wichtig ist, daß die Idee begeistert aufgegriffen und in die Tat umgesetzt wurde. Dieser „Central-Ausschuß für Innere Mission“ der evangelischen Kirche war und blieb der einzige Zusammenschluß der evangelischen Kirche in dieser Zeit. Denn der zweite Kirchentag 1849 in Wittenberg stellte zum Ende nur die Fakten fest, die bereits vor dem ersten Kirchentag feststanden: drei Typen evangelischen Bekenntnisses (lutherisch, reformiert und uniert) als gleichberechtigte Gruppen nebeneinander. Auf einen Kirchenbund konnte man sich nicht einigen, weil nun Lutheraner und Reformierte in gleicher Weise Bedenken hatten. Um so wichtiger wurde nun die Zusammenarbeit im Central-Ausschuß.

Provinzial-Ausschuß für Innere Mission

Bereits ein halbes Jahr später gründeten die Professoren Bethmann-Hollweg, Krafft und Dorner den „Provinzial-Ausschuß für Innere Mission im Rheinland“ in Bonn. Eine Zeit der Gründungen von Einrichtungen der Inneren Mission (heute: Diakonisches Werk) war eingeläutet. Mit Sicherheit sind die ersten Einrichtungen dieser Art im südlichen Rheinland, die bereits 1844 (Martinsstift Koblenz) und 1845 (Heim Niederwörresbach) durch den preußischen König ermöglicht worden sind, auf die Fürsprache von Bethmann-Hollweg zurückzuführen. Weitere Einrichtungen im Süden des Rheinlandes folgten. Zur Förderung dieser Inneren Mission waren Reise-Agenten angestellt, wie etwa Pfarrer Heinrich Rendtorf, dem wir bereits als Schloßprediger begegnet sind.

Evangelische Gemeinde Andernach-Rheineck

Pfarrer Sinemus schreibt zur Entstehung der Gemeinde in seinem Buch über Reformation und Gegenreformation im Ländchen Breisig:

„Als im Jahre 1850 der erste Schritt zur Gründung einer selbständigen evangelischen Gemeinde Andernach unternommen und zu dem Zwecke Vikar Ilse dahin berufen wurde. schloß sich Herr von Bethmann-Hollweg mit seiner Familie und den Evangelischen der Umgebung, die bis dahin zur evangelischen Gemeinde Remagen eingepfarrt waren, aus eigenem Antriebe an und spendete einen ansehnlichen Beitrag zum Pfarrgehalt unter der Bedingung, daß“ auch in der Kapelle auf Burg Rheineck sonntäglich ein Frühgottesdienst um 7 1/2 bis 9 Uhr gehalten würde. ‚Gern kam ich diesem Verlangen nach‘, schreibt der noch im Amte stehende Oberpfarrer Ilse zu St. Johann-Saarbrücken in den Erinnerungen an seine Andernach Vikariatszeit, ‚und nachdem ich am 15. Mai 1850 zu Neuwied ordiniert war, hielt ich an dem darauffolgenden Sonntage schon meine erste Abendmahlsfeier in der Kapelle zu Schloß Rheineck. Die Beziehung, welche von jenem Tage an in geregelter amtlicher Wirksamkeit und jahrelangem persönlichen Verkehr mit dieser durch edle Gesinnung und tiefe christliche Bildung so ausgezeichneten Familie sich gestaltet und befestigte, gehört zu den schönsten und wertvollsten Erinnerungen meines Lebens‘. . . . .“

Nachdem Vikar Ilse zum Pfarrer der evangelischen Gemeinde St. Johann bei Saarbrücken ernannt und gegen Ende des Jahres 1853 dorthin übergesiedelt war, wurden die Gottesdienste auf Rheineck durch Albrecht Julius Schöler fortgesetzt, der am 14. Mai 1854 vorläufig als Pfarrverweser eingeführt und bei der einige Monate darauf erfolgten Gründung der evangelischen Gemeinde Andernach zu deren Pfarrer ernannt wurde. Der am Fuße des Rheinecker Berges in der Flur „am Siegesborn“ gelegene Friedhof wurde auf Bitten des Pfarrers Schöler von Herrn von Bethmann-Hollweg angelegt und der Gemeinde geschenkt. Am 30. November 1859 wurde er eingeweiht.

Leitung des Central-Ausschusses für Innere Mission

1855 wurde Bethmann-Hollweg dann zum preus-sischen Kultusminister berufen. Als der König Friedrich-Wilhelm IV. im Jahre 1861 starb, war das wohl für den 66jährigen Bethmann-Hollweg ein Signal, sich in den Ruhestand versetzen zu lassen. Aber für ihn gab es noch keinen Ruhestand. Im Gegenteil: Als Johann-Hinrich Wichern 1866 aus Gesundheitsgründen die Leitung des Central-Ausschusses abgeben mußte, bat man den greisen Herrn von Bethmann-Hollweg, diese doch zu übernehmen. Bis zu seinem Tode 1877 hatte er dann neben dem Vorsitz auch die Leitung des Central-Ausschusses, dessen Beginn und weitere Arbeit er in wesentlichen Zügen mitbestimmt hatte.

Lebensende

„Am 14. Juli 1877 endete auf Burg Rheineck das reich gesegnete Erdenleben des edlen frommen Herrn Ministers. Über 82 Jahre warer alt geworden und war bis zum Ende geistesfrisch geblieben. In seiner letzten Krankheit behandelte ihn der Geheime Medizinialrat Herr Dr. Nasse, der damals Direktor der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Andernach und von Bonn her mit der von Bethmann-Hollweg’schen Familie befreundet war. Am 16. Juli fand die Trauerteier in der Kapelle und die Beisetzung in der Gruft statt. Herr Pastor Dryander aus Bonn. der jetzige Oberhofprediger in Berlin, und der Verfasser (Sinemus) wirkten bei der Feier mit. Es ist dem Verfasser eine zwar wehmütige aber teure Lebenserinnerung, daß er diesem geistvollen Herrn und dabei doch demütig frommen Christen die Gedächtnisrede halten durfte“ (Sinemus, Reformation und Gegenreformation im Ländchen Breisig).

Für die Evangelischen in der Umgebung aber blieb die Burgkapelle die geistliche Heimat noch bis 1902, als die jetzige Christuskirche in Bad Breisig eingeweiht wurde. Ein Enkel Bethmann-Hollwegs, Theobald von Bethmann-Hollweg, übertraf seinen Großvater noch an Bekanntheitsgrad. Er wurde 1901 preußischer Innenminister und war von 1909 bis 1917 Reichskanzler.

Quellen:

Diakonie 73. Jahrbuch des Diakonischen Werkes – innere Mission und Hilfswerk – der Evangelischen Kirche in Deutschland: 1973.
Beyreuther. Erich: Geschichte der Diakohle und Inneren Mission in der Neuzeit; Berlin. 1962.
Rosenkranz, Albert: Abriß einer Geschichte der Evangelischen Kirche m Rheinland, Presseverband der Ev. Kirche im Rhid, Düsseldorf 1960
Der Weg, Evangelisches Sonntagsblatt für das Rheinland, Düsseldorf. Nr.29/1984
Sinemus, Karl: Reformation und Gegenreformation im Ländchen Breisig: Barmen, 1883.