Bad Tönisstein, Sitz des Oberpräsidenten des Rheinprovinz-Militärdistrikts

Eine Episode aus dem Jahre 1945 Wolfgang Dietz

Mit diesem Beitrag soll an eine heute weithin vergessene Episode am Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert werden, als das kleine Bad Tönisstein kurzzeitig Sitz des Oberpräsidenten im von den US-Truppen besetzten Militärdistrikt der ehemaligen Rheinprovinz war. Die Vorgeschichte reicht in das Jahr 1944 zurück. Mayen beherbergte im September dieses Jahres das Luftwaffenkommando West in seinen Mauern, das Ende September in den Limburger Raum verlegt wurde“.

Im gleichen Monat hatten sich die Luftangriffe auf das untere Brohltal gehäuft, weil offenbar durchgesickert war, daß in Bad Tönisstein »in fieberhafter Eile ein Hauptquartier der Heeresgruppe B des Generalfeldmarschalls Model eingerichtet worden«2‚ war. Von dieser deutschen Kommandozentrale aus wurde wahrscheinlich noch bis Anfang Januar 1945 die Ardennenoffensive geleitet.

Als Anfang März 1945 die Nachricht vom Rheinübergang der Amerikaner über die noch befahrbare Eisenbahnbrücke Remagen – Erpel eintraf und Gerüchte vom Herannahen amerikanischer Panzer die Runde machten, räumten die dort noch verbliebenen Stabstruppen in großer Hast binnen weniger Stunden Bad Tönisstein, wobei sie eine intakte, wenn auch in Unordnung geratene Kommandozentrale zurückließen.

Wie sich Augenzeugen, die damals noch Kinder waren, heute erinnern, lagen »Telefone, Schreibmaschinen, Akten (…) wahllos herum. In dem kleinen Tälchen zum Tönissteiner Sprudel standen Dutzende von fast nagelneuen Geräte-Lkw, Transportwagen und Kräder aller Art. Die Waffen lagen mit der dazugehörenden Munition griffbereit, Konservendosen verteilten die Jugendlichen unter sich und schleppten sie nach Hause.«3

Abgesehen von den inzwischen weitgehend verschwundenen Lebensmittelvorräten fanden die US-Truppen, als sie am 9. 3. 1945 das untere Brohltal und damit auch Bad Tönisstein besetzten, dort ideale Voraussetzungen für die Errichtung eines eigenen Hauptquartiers vor. Nachdem sich die Kampfhandlungen auf die rechte Rheinseite, den Westerwald und schließlich immer mehr nach Innerdeutschland hinein verlagert hatten, nahm man in den linksrheinischen Gebieten allmählich die Normalisierung des Lebens, die Ausbesserung der Kriegsschäden und die Reorganisierung der Verwaltung in Angriff.

Etwa zeitgleich mit der Einrichtung eines pfälzischen Oberpräsidiums unter Dr. Heimerich in Neustadt/Weinstraße, begann sich in Koblenz »eine neue Entwicklung abzuzeichnen, die für das gesamte Gebiet des XXIII. Korps von Bedeutung war. Wahrscheinlich schon Ende April 1945 wurde der noch mit dem Wiederaufbau der Koblenzer Bezirksregierung beschäftigte Dr. Fuchs mit den Vorbereitungen zur Einrichtung einer deutschen Zivilverwaltung für das gesamte Besatzungsgebiet der 15. Armee beauftragt. In den ersten Maitagen nahm er in Bad Tönisstein in der Nähe des amerikanischen Stabsquartiers seine Tätigkeit auf.«4

Für diese Ortswahl dürften die Eignung der dortigen Einrichtungen sowie die für den damaligen Verwaltungsbezirk zentrale Lage des nur ca. 5 km vom Rhein entfernt gelegenen Heilbades um so mehr ausschlaggebend gewesen sein, als Koblenz und die meisten übrigen rheinischen Städte derart zerstört waren, daß sie kaum mehr in der Lage waren, ihrer dezimierten Bevölkerung Obdach zu gewähren, geschweige denn, eine Verwaltungszentrale für die rheinischen Regierungsbezirke aufzunehmen.

So erfolgte am 24. 5. 1945 in Bad Tönisstein die förmliche Ernennung von Dr. Fuchs »zum Oberpräsidenten für den Rheinprovinz-Militärdistrikt, wie das Besatzungsgebiet der 15. Armee abkürzend bezeichnet wurde.“51 Die offizielle deutsche Übersetzung seiner in englischer Sprache abgefaßten Ernennungsurkunde lautete wie folgt:

»Hauptquartier der XV. US-Armee 24. Mai 1945

Betrifft: Ernennung zum Oberpräsidenten des Rheinprovinz-Militärdistrikts An Herrn Dr. Fuchs c/o E l G 2, APO 658, US-Armee

  1. Hiermit erhalten Sie die Bestätigung, daß Sie zum Oberpräsidenten für die Zivilverwaltung des Rheinprovinz-Militärdistrikts ernannt worden sind. Ihre offizielle Bezeichnung wird sein:

    > 0berpräsident des Rheinprovinz-Militärdistrikts <
  2. Sie werden eine demokratische, gerechte und leistungsfähige Zivilregierung führen, in Übereinstimmung mit den Anweisungen, Richtlinien und Anordnungen, die vom Hauptquartier herausgegeben werden.
  3. Die Funktionen Ihrer Stellung werden diejenigen einschließen, die vorher im Bereich des Oberpräsidenten der Rheinprovinz lagen mit Ausnahme jener, die mit der Basis der alliierten Verlautbarungen unvereinbar sind. Diese Funktionen werden Sie auch über das zusätzliche Gebiet des Saarlandes, der Pfalz, Hessen westlich des Rheins, ausüben.

Auf Befehl des Generalleutnant Gerow R.P. Patterson Oberst AGD Generaladjutant«61 Mit Dr. Fuchs, der sich der Aufgaben und Schwierigkeiten seines verantwortungsvollen Amtes wohl bewußt war7‚, hatten die Amerikaner in Bad Tönisstein einen Verwaltungsfachmann an die Spitze der neugebildeten Zivilverwaltung berufen, der sich bereits 1920 – 192; als Regierungspräsident in Trier, 1922/23 um von 1923 – März 1933 als Oberpräsident bewährt, sowie – während seiner Ausweisung in folge des Ruhrkampfes – vom 13. 8. bis 30.11 1923 die Aufgaben des Reichsministers für die besetzten Gebiete wahrgenommen hatte, ehe er 1933 von den Nationalsozialisten politisch kaltgestellt wurde8).

Am 31. 3. 19459) von den Amerikanern wieder in die politische Pflicht genommen und seit dem 24. 5. 1945 erneut in seiner alten Funktion tätig, wandte er sich – versehen mit dem »Bericht der Militärregierung über die Versorgungs- und Vorratslage in der Rheinprovinz vom 10. 5.1945«10) der Reorganisierung der Verwaltung dieses Militärdistrikts, der »das gesamte Besatzungsgebiet der 15. Armee mit dem XXII. und XXIII. Korps«11) umfaßte, zu12) und leitete die 2 diesem Zeitpunkt fast bis zur Provinzialeben neugeordnete deutsche Zivilverwaltung im Rheinland.

»Nach den Vorstellungen der Amerikaner sollt dem Oberpräsidenten, der Ende Mai seine Sitz nach Bonn verlegte, für jeden der beide Korpsbereiche ein >0berregierungspräsident< unterstellt werden.«13)

So sollte die Amtstätigkeit von Dr. Fuchs in Bad Tönisstein rasch ihr Ende finden, nachdem Bonn entsprechende Räumlichkeiten beschafft und hergerichtet werden konnten. »Am 10. Juli 1945 wurden das Oberregierungspräsidium Mittelrhein-Saar sowie die vier zur ehemaligen preußischen Provinz Hessen-Nassau gehörenden Landkreise Loreley (St. Goarshausen)14), Oberwesterwald, Unterlahn und Unterwesterwald von den amerikanische Truppen geräumt und von französischen Truppen besetzt.“15)

Wegen der Bildung der französischen Bessatzungszone im deutschen Südwesten und der damit verbundenen territorialen Veränderungen, wurde der inzwischen nach Bonn übergesiedelte Dr. Fuchs von den Briten übernommen und war bis zum Oktober 1945 als Oberpräsident von Nordrhein für die drei in der britischen Besatzungszone verbliebenen Regierungsbezirke Aachen, Köln und Düsseldorf zuständig.

Bad Tönisstein aber hatte in dieser Zeit des Zusammenbruchs und Wiederbeginns, im Frühjahr 1945, eine überregionale Bedeutung, zunächst als Kommandostelle der deutschen Wehrmacht, dann als Hauptquartier der amerikanischen Besatzungstruppen und schließlich als provisorischer Sitz des Oberpräsidiums des Rheinprovinz-Militärdistrikts erlangt.

Anmerkungen:

  1. Vgl.: Michels, Willi K.. Die Heimat In Scherben – Kriegsende an Rhein und Mosel 1945, Koblenz 1985, S. 54
  2. Michels, Heimat in Scherben, S. 35
  3. Michels, Heimat in Scherben, S. 35/36
  4. Bonn, Georg Friedrich. Wiederaufbau der Verwaltung, In: Hey-on, Franz-Josef (Hg.), Rheinland-Pfalz entsteht – Beiträge zu den Anfangen des Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz 1945 – 51 – eine Veröffentlichung aus Anlaß des Rheinland-Pfalz-Tages 1984, Boppard 1984. S.8
  5. Böhn, Wiederaufbau, a.a.O., S. 8
  6. Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK) 700, 40 – 79, Bl. 2
  7. Vgl.: LHAK 700, 40 – 76, Bl. 8 – 12, 17, 18, 25, 26
  8. Vgl.: LHAK – Findbuch zum Bestand 700,40: Lebenslauf Oberpräsident Fuchs
  9. Vgl.: Lendeszentrale für politische Bildung, Rheinland-Pfalz (Hg.), 1945-1947 – Zwischen Trümmern und Aufbruch – Zur Entstehung von Rheinland-Pfalz, Mainz 1987, S. 36
  10. Vgl.: LHAK 700, 40 – 77, Bl. 1 – 9
  11. Landeszentrale, 1945 -1947, S. 43
  12. Vgl.: LHAK 700, 40-78, Bl. 2 – 9
  13. Böhn, Wiederaufbau, a.a.O.. S. 8
  14. Vgl.: Landeszentrale, 1945 • 1947, S, 46
  15. Bezirksregierung Koblenz (Hg.), Der Regierungsbezirk Koblenz -Ein gesunder Lebens- und Wirtschaftsraum im Lande Rheinland-Pfalz, Berlin 1978,8.200
  16. Vgl.: Forst, Walter, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, hg. von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1986, S. 18/19