» Adjüß, fall net op de Schnüß «

Kinderverse und mundartliche Kindersprache aus der Hocheifel

Peter Richter

Zu allen Zeiten hatten Kinder ihre eigene Sprache. Während aber heute überregionale Ähnlichkeiten und Gleichheiten vorherrschen, war die besondere sprachliche Ausdrucksweise in meiner Jugend weitgehend auf den engen Bereich des Heimatdorfes beschränkt. Eine nennenswerte Kommunikation fand nur mit den unmittelbaren Nachbardörfern statt. Der Einfluß der Schule war auf diesem Gebiet nicht sehr groß, denn das dort gepflegte Hochdeutsch wurde von uns Kindern fast wie eine Fremdsprache empfunden und gesprochen. So darf es nicht verwundern, daß unser Sprachschatz recht begrenzt war und sich weitgehend auf die Erfahrungen aus einer kleinbäuerlich geprägten Umwelt beschränkte.

Industriell gefertigtes Spielzeug gab es für uns kaum. So traten gemeinsam Lauf- und Versteckspiele in den Vordergrund. Dazu brauchte man jemand, der »dran« war, dem wir sagen konnten: »Dau bös«. Die hierfür gebrauchten Abzählreime waren meist nur kurz: »Mir maa-che keene lange Dreß, un dau bes«. »Ipp, dipp, dapp, un dau bös ab«. »Ehne, dehne Hahn, un dau bös drahn«. Ein etwas längerer Reim lautete: »Ech un dau un Müllesch Sau un Deckesch Dier, dat senn erre zesamme vier«.

Waren zwei verschiedene Gruppen von Spielern zu bestimmen, etwa die »Räuber« und die »Schandarme«, so tat das der »Bock«. Das war ein Junge, der sich bückte, während ihm ein anderer die Augen zuhielt. Der Anführer klopfte ihm mit der Hand dreimal auf den Rücken und fragte, während er auf einen der Umstehenden zeigte: »Bock, Bock, Bock, wat soll der senn?« Der »Bock« sagte nun »Räuber« oder „Schandarm«, wie es ihm gerade einfiel. So war die Aufteilung für das Spiel schnell bewerkstelligt.

Ging es darum, welche von zwei Mannschaften zuerst beginnen sollte, so traten die Mannschaftsführer zusammen. »Paar udde unpaar?« fragte der eine. Hatte der andere sich entschieden, so zählte man: »Eins, zwei, drei!« Dabei hoben beide gleichzeitig die rechte Hand hoch, und jeder zeigte beliebig viele Finger. Nun wurde die Summe der Finger gebildet. War es eine gerade Zahl, so hatte »Paar« gewonnen, war es eine ungerade Zahl, so lag der Vortritt bei »Unpaar«.

»Zungenbrecher« kannten wir nicht nur auf Hochdeutsch aus dem Schullesebuch. Es gab sie auch in der Mundart. Ein beliebter Vers lautete: „Et jit keh breet, breet, breedere Blaat wie dat breet, breet, breet Brämeleblat (Brombeerblatt)«. Aber auch kürzere Verschen waren nicht viel leichter. So war man stolz, wenn es einem gelang, zehnmal schnell hintereinander »Kleen Kaplönche« zu sagen.

Auch der Ablauf des Jahres und der Jahreszeiten bot Anlaß zu manchem Kindersprüchlein. »Pros Neujohr, de Kopp vool Hoor, de Schnüß vool Zänn, adjüß Marjänn«, sagten die einen, während die anderen die weniger derbe Version bevorzugten: »Pros Neujohr, de Kopp vool Hoor, de Böggel vool Jeld, wie et alle Lögge jefällt«.

Fastnacht verkleideten sich die erwachsenen Jungen und Mädchen. Sie gingen von Haus zu Haus, wo man sich den Kopf zerbrach, wer denn nun hinter dieser oder jener Maske stekken mochte. Nachdem man von der Hausfrau einige Eier in das mitgebrachte Körbchen bekommen harte, verabschiedete man sich stumm und ging zum nächsten Haus. Auf der Straße aber liefen wir Kinder hinterher und sangen: »Fasdelowendsjeck, mot Strüh bedeckt, mot Dreck beschmärt«. Dabei mußten wir allerdings aufpassen, daß wir den »Jecken« nicht zu nahe kamen, sonst bekam man die Narrenpritsche zu spüren. Oft war es zu »Fas-delowend« bitter kalt. Dann freuten wir uns, denn Schnee und Eis hatten wir gern, und nichts ärgerte uns mehr als ein milder Winter. In solchen Jahren setzten wir unsere Hoffnung auf das Fest des hl. Matthias (24. Februar), denn wir sagten: »Mattheis micht Eis udde bricht Eis«.

Bald kam die Zeit, wo man wieder bei Tageslicht zu Abend essen konnte. Dann erinnerten wir uns, was die Mutter immer sagte: »Aachde (nach dem ) Mäez spart de Koch de Käez«. Regen war nicht unbedingt ein Grund, im Haus zu bleiben, selbst wenn die Erwachsenen sagten: »Et ränt, dat et tratsch«, oder: »Et ränt Heujaffele«. Draußen reckten wir die Köpfe hoch und sangen: »Räne- Ränedröppche, fall net op mei Köppche, fall net op mei Bottefaaß, dann wied et klatschenaaß«. Dabei achteten wir nicht auf die Tageszeit, wie das manche Erwachsenen taten. Sie sagten nämlich: »Ränt et vür aach, jitt et en schöne Daach, ränt et noo aach, ränt et de janzen Daach«. Uns Kindern war das ziemlich gleichgültig. »Besse Ran wie ja keh Wedde«, pflegten uns die etwas älteren scherzhaft zu belehren.

Gekauftes Obst gab es damals für uns nicht. Deshalb waren wir mit Heißhunger hinter den ersten Früchten her, mußten uns aber immer Verbote und Warnungen vor unreifem Obst anhören. Aus diesem Grund waren wir froh, wenn das Fest des hl. Jakobus (25. Juli) nahte, denn es hieß: »Jockemsdaach kütt et Salz onn de Äppel«. Der Juli war überhaupt die Zeit der Namenstage. Wir gingen dann gern zur Tante oder Nachbarin, um ihr Glück zu wünschen:

»Ech senn e kleen Stömpje, ech ääße jär e Klömpje, ech gradelieren dech op de Namensdaach«. Das „Klömpje« in Form eines Stückchens Würfelzucker oder gar einer »Kamell« war uns dann sicher.

Mehr als heute war die Pflege der Kleinkinder innerhalb der damals üblichen Großfamilie eine bevorzugte Sache der Großmütter. Wir hörten oft zu, wie unsere jüngeren Geschwister in den Schlaf gesungen wurden:

»Eiekranz, wat jilt de Danz? Ene decke Dale. Wer well en bezahle? Glöckelche op de Maue schleht zwöllef Aue. Löß dat Pöpp-che danze! Kickeriki!« Ein anderes Schlaflied lautete:

»Heia popäche! Koche me demm Kennche e Äche. Dohn me em och Jet Zückereche drop, dat et demm Kennche och jot schmeck.“

Heute kommt uns die Vorstellung, ein Ei mit Zucker zu essen, wohl etwas befremdlich vor. In früheren Zeiten waren Eier und Zucker der Inbegriff für etwas Gutes. Eier legten zwar auch die eigenen Hühner, aber mit dem Eigenverbrauch war man sehr sparsam, da die Hausfrau dringend auf das Geld angewiesen war, das der Verkauf der Eier erbrachte.

Hinsichtlich der Bedeutung des Zuckers ist mir noch in Erinnerung, daß meine Großmutter mir »e jood Stock« schmierte, wenn sie mir etwas besonderes Gutes tun wollte. Das war dann ein Butterbrot, bei dem über die Butter etwas Zukker gestreut wurde.

Ein Lied, das die kleinen Kinder sich gern vorsingen ließen, war das folgende:

»Pompelsnickelsklöößje sooß am Feue un schleef. Vebrannt sei leddere Bötzje, ech meene, wanns de leefs. Jing e op de Speiche, hollt e sech en Sack vool Peife. Jing e owenop (treppauf), hollt e sech en Popp. Jing e on de Kelle, hollt e sech en Teile. Jing e on de Kamme, hollt e sech en Hamme. Jing e on Pasduesch Haus, streck de Kopp zum Fensde eraus.«

Gern hörten wir auch zu, wenn die Großmutter aus ihrer Kinderzeit erzählte. Oft war die Rede von »Schrankesch«. Das waren Nachbarn, die nach Amerika ausgewandert waren. Sie hatten auch einen Brief geschrieben, dessen Text Großmutter im hohen Alter noch auswendig wußte. Manchmal sang sie uns auch ein Lied vor, das aber wohl nicht aus der Eitel stammte, da sie es auf Hochdeutsch sang. Vielleicht hatte sie es in ihrer Jugend einmal in der Schule gelernt.

Wir fahren nach Amerika, o valladriala. Die Zeit und Stund, die ist schon da, o valladriala. Wir fahren nach Amerika, die Zeit und Stund, die ist schon da, valladri, valladra, valladriala.

Der Wagen steht schon vor der Tür, o valladriala. Mit Weib und Kindern ziehen wir, o valladriala. Der Wagen steht schon vor der Tür, mit Weib und Kindern ziehen wir, valladri, valladra, valladriala. Nun kommen wir in »Brämien« (Bremen) an, o valladriala. Da singen wir: Alleluja, o valladriala. Nun kommen wir in Brämien an, da singen wir: Alleluja, valladri, valladra, valladriala.

Nun kommen wir ans große Meer, o valladriala. Das Schiff, das schwenkt uns hin und her, o valladriala. Nun kommen wir ans große Meer, das Schiff, das schwenkt uns hin und her, valladri, valladra, valladriala. Nun sind wir in Amerika, o valladriala. Da singen wir: Victoria, o valladriala. Nun sind wir in Amerika, da singen wir: Victoria, valladri, valladra, valladriala. Als wir etwas größer geworden waren und allein auf die Straße gehen durften, waren wir den älteren Kindern gegenüber zunächst noch sehr vertrauensselig und leichtgläubig. Dadurch wurden wir anfangs zur Zielscheibe spöttischer Bemerkungen und Fragen:

»Weeß de watt? Koh scheiß platt. Schoof scheiß rond. Dat jitt en jode Bond (Napfkuchen, Gugelhupf).« Ein andermal hieß es bedeutungsvoll:

»Ech weeß Jet: Dat de Schnegge en Jeeß hat. Die Jeeß, die lööf de Berrech erop. De Schnegge raaf de Köttele op. Ech weeß noch Jet mieh: De Schneege hat e Rieh. Ech weeß noch je debei: De Schnegge hat e Ei.

Ech weeiß noch Jet honne drop: De Schneg-ge os en watzije (eigensinniger) Bock“. Manchmal wurde man gefragt:

»Jong, häs de en Zong? Schneck se aaf, dann jis de se em Honn. Wenn de Hond se net maach, werf se onn de Baach«.

Bald stellte uns ein größerer Junge die Frage:

»Soll ech de enns de Hunnede Köh weise?« »Hunned«, also Honerath, lag zwar nicht weit entfernt, aber da sich dazwischen ein Bergrükken befand, konnten wir weder das Dorf noch seine Kühe sehen. Als kleiner Knirps war man nun sehr gespannt, wie der große Junge, zu dessen Fähigkeiten man ein fast unbegrenztes Vertrauen hatte, uns die Honerather Kühe zeigen wollte. Dieser nahm unseren Kopf zwischen die flachen Hände und hob uns auf diese Weise in die Höhe. Es knackte in den Halswirbeln, und wir strampelten mit den Beinen, weil wir keinen festen Boden mehr unter den Füßen hatten. Auf die Frage, ob wir die »Hunnede Köh« auch sehen könnten, antworteten wir eifrig mit ja, damit wir möglichst bald wieder auf die Erde gestellt würden.

Irgendwann wurde jedem »kleen Ditzje“ (Säugling/Püppchen), wie die jüngeren Kinder mit großzügigem Spott genannt wurden, auch folgende Frage gestellt: »Haumech un Pet-schmech sooßen om Boom. Haumech feel er-raaf. Wer sooß noch drop?« Oft kam die arglose Antwort: »Petschmech«. Daraufhin wurde man natürlich unbarmherzig in den Arm »je-petsch« (gekniffen) mit der Bemerkung, man habe es ja so gewünscht.

Gelegentlich wurden kleine Kinder aufgefordert, auf jeden vorgesprochenen Satz mit »ech och« zu antworten. Dann entspann sich folgendes Zwiegespräch:

»Ech jing enns onn de Scheue«. »Ech och«. »Du jing ech op de Heustall«. „Ech och«. »Du feel ech erraaf«. »Ech och«. »Du feel ech op de Köh«. »Ech och«. »Die Köh, die hart e Kallef onn«.

Wenn man die Falle nicht merkte und auch hier mit »Ech och« antwortete, erntete man ein schallendes Gelächter bei den Umstehenden, weil man sich mit einer trächtigen Kuh verglichen hatte.

Sehr unbeliebt waren natürlich die Kinder, die bei Streitigkeiten gleich drohten: »Ech troon dech aan«. Sie wollten also petzen, es den Eltern oder dem Lehrer sagen. Sie konnten dann erleben, daß eine ganze Schar hinter ihnen hersang: »Aanträje, Botzefäje, häs jo en ruude Rock vedeent!« Der so Geschmähte rächte sich dann gern mit dem Hinweis, daß das Ausschimpfen, das »Keiwe«, im Gegensatz zu einer Tracht Prügel nicht weh tue:

»Schänne, schänne deht net wieh. Wer schännt hat Laus un Fluh!«

Bei den Jungen des Dorfes gab es eine festgefügte Hierarchie, die sich auf Größe und körperliche Stärke, vor allem aber auf das Alter gründete. Man erhielt leicht eine Abfuhr, wenn man als Jüngerer den gebotenen Altersunterschied nicht beachtete. Wurde man selbst nach dem Alter gefragt und verwies dann nicht ohne Stolz auf seine 7 oder 8 Jahre, erhielt man spöttisch zur Antwort: »Esu alt wied bei oos keen Sau«. Stellte man einem älteren Jungen eine Frage, die dieser als seiner Würde nicht angemessen empfand, so hieß es: »Fürwitznas un Reppestiizje«. Fragte man, was er gerade tue, dann bekam man zur Antwort: »Mäusköt-tele spotz maache.«

Säuglinge können ihren Speichelfluß noch nicht recht kontrollieren. Dieser Vorgang heißt in der Eitel »seile«. »Du Seilet«, war eine Apostrophierung, die man sich als kleiner Kerl häufig anhören mußte. Das gleiche war gemeint, wenn es hieß: »Me mennt, et Kennwasse leef de«. Hatte man nach Meinung eines größeren Jungen etwas sehr Kindisches gesagt, so hieß es auch: »Me mennt, de Zänn wüüßen de«. Auch das Schimpfwort: »Du Schnüddele« (Schnuddel = Nasenschleim) bekam man als Jüngerer häufig zu hören. Deshalb überprüfte man von Zeit zu Zeit, ob man nicht wieder etwas gewachsen sei, und war nicht gerade froh, wenn man von den Größeren spöttisch zu hören bekam: »Dau wieß, wie en Erepeleboom (Erdbeerbaum)«.

Spottverse sind bei Kindern sehr beliebt. Das war bei uns natürlich nicht anders. Oft reizte schon der Name, oder das Aussehen spielte eine Rolle: »Matthes, koch Kappes, koch Kallewebeen (Kalbsknochen) debei. Doon och jet Salz dronn, dann jit et en jode Brei«.

»Liß, Liß, jaach de Hohne van de Wiß. Löß de Hann stoon, der hat de neuß jedoon«. »Wees de net, wo Moses os? Moses setz om Kelleloch, hat sech Schromperezopp (Kartoffelsuppe) jekoch«. »Antünche, Kaffi-bünnche!« »Pete heesch net jede, äwwe Mein un Matthes heesch jede Flabbes«. »Die Eisestang, die kraach, die deck Madam, die laach«. »Lo kütt der Leis, der kütt jebeis“.

Von »beise« spricht man, wenn das Vieh bei schwülem Wetter so von Stechmücken geplagt wird, daß es panikartig davonrennt.

Wenn wir uns von unseren Spielkameraden verabschiedeten, gaben wir ihnen manchmal die scherzhafte Mahnung mit auf den Weg:

»Adjüß, fall net op de Schnüß!« Das eigene Dorf mit seiner Lebensweise war der Maßstab, an dem alles gemessen wurde. So konnten wir uns köstlich amüsieren, wenn die Mundart der Nachbardörfer in einigen Besonderheiten von der unseren abwich. Waren Jungen und Mädchen aus Barweiler in Adenau gewesen und schoben auf dem Heimweg ihr Rad mühsam unsere steile und steinige Dorfstraße hinauf, so riefen wir spöttisch hinter ihnen her: »Döht, Barreweile So“! Damit ahmten wir ihre Mundart nach und fühlten uns sehr überlegen, denn wir wußten ja, daß es »richtig« heißen mußte: »Deut, Barreweile Sau!« Den Müllenbachern hielten wir in gutmütigem Spott den Satz vor: »Mir stäche, dat die Knache kache«. Auch hier wußten wir ja besser, daß dieser Satz in Wirklichkeit lautete: »Mir stoche, dat die Knoche koche«.

So lebten wir in unserer abgeschlossenen und abgeschirmten kleinen Welt. Heute hat sich alles geändert. Die Häuser sind vielfach neu. Sie sind größer und gepflegter. Die Straßen sind asphaltiert, die Höfe gepflastert. Die Landschaft wirkt durch die Flurbereinigung großflächiger, weniger gegliedert und weniger anheimelnd. Hohlwege und Bacheinschnitte, in denen man so schön spielen konnte, sind verschwunden. Auch die soziologische Struktur und die Lebensweise der Dorfbewohner haben sich sehr verändert. Und die Kinder? Materiell geht es ihnen fraglos besser als uns vor 60 Jahren. Aber sind wir vielleicht glücklicher aufgewachsen als unsere Enkel? Eine müßige Frage. Jeder lebt in seiner Zeit und muß auch mit seiner Zeit leben. Trotzdem sollten die Alten sich manchmal erinnern und ihre Erinnerungen auch mitteilen, damit wir alle erkennen und nicht vergessen, woher wir kommen und wo unsere Wurzeln liegen.