Vor 50 Jahren in der Stille geholfen – Staffeler Bürger rettete Luxemburger Widerstandskämpfer

Vor 50 Jahren in der Stille geholfen

Staffeler Bürger rettete Luxemburger Widerstandskämpfer

Mathilde Ley

Im Luftwaffenübungsplatz Ahrbrück, unterhalb des Steinerberges, befanden sich während der Kriegsjahre Gefangenenlagerfür politische Strafgefangene als Außenlager des Zuchthauses Rheinbach. In Baracken und leerstehenden Häusern waren 80 Gefangene verschiedener Nationen, darunter viele aus Luxemburg, untergebracht und zur Zwangsarbeit innerhalb des Luft-waffenübungsplatzes eingesetzt. So auch politische Gefangene aus dem Lager Kesseling, das sich in einem Bruchsteinhaus gleich an der Hauptstraße befand. Heute erinnert nichts mehr an das Gefangenenlager. Das Haus, wo diese Menschen abends nach schwerster Arbeit im Kesselinger Quarzbruch, im Brücker Sägewerk oder im Eisenwerk in Hönningen hinter mit Eisen vergitterten Fenstern und Türen für die Nacht eingeschlossen wurden, ist abgerissen. Alle Gefangenen hatten die Hoffnung, der Krieg und die Zeit der Haft mögen bald zu Ende sein. Sie hofften, gesund aus der Gefangenschaft heim zu ihren Familien zu kommen.

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Dankschreiben der „Letzeburger Freiheitskämpfer“ an Josef H Lipperich, Staffel.

Zwei politische Gefangene, Marcel Wagner und Karl Quintus, beide aus Rümelingen, versuchten im November 1944 die Flucht aus dem Lager Kesseling. Sie versteckten sich im Schuppen der Familie Karl Hupperich in der Nähe des Lagers. Wegen des Schmiedebetriebes konnte er sie aber nicht lange verstecken. Er vertraute sich Pastor Potz aus Kesseling an. Gemeinsam überlegten sie, wie sie den beiden Gefangenen helfen konnten. Ihr erster Gedanke war, Josef Hupperich aus Staffel zu fragen. Sie wußten keinen besseren, hilfsbereiteren und verschwiegeneren Mann, diese politischen Gefangenen, die wegen Hochverrats in Luxemburg zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt worden waren, aufzunehmen und zu verstecken.

Ohne Zögern sagte das Ehepaar Hupperich zu und sorgte für ein sicheres Versteck, indem sie im Kuhstall mit Strohballen eine Wand aufbauten und dahinter ein schmales Versteck schufen. Um die Gefangenen vor Frost und Kälte im Winter 1944/45 zu schützen, wurden sie mit dicken Wolldecken versorgt. Das Ausmaß der Gefahren war Familie Hupperich, die 3 Kinder hatte, wohlbekannt. Aber es ging ihnen darum, die Gefangenen vor der Gestapo und das hieß vor dem sicheren Tode zu bewahren. Mit dem Unterschlupfgewähren war es nicht getan, jetzt hieß es, zwei Menschen zusätzlich von den Lebensmittelkarten zu ernähren und zu kleiden, ohne daß die eigenen Kinder, die Nachbarschaft oder das Dorf etwas davon merkte. Denn Spitzel gab es überall, zumal Hupperich als Antinazi bekannt war.

Ohne Pastor Potz wäre es schwer gewesen. Dieser half so gut er konnte. Er mußte ebenfalls schweigen und bei seiner Schwester, die ihm den Haushalt führte, immer neue Erklärungen erfinden für verschwundene Lebensmittel, besonders Brot. Die Kinder der Familie Hupperich wunderten sich, warum immer so viele Kartoffeln gekocht wurden und sie abends so früh zu Bett mußten. Die entflohenen Gefangenen zu verstecken und zu ernähren, bedeutete viel in solch schlimmer Zeit. Vier Monate über den harten Winter, fast bis zum Kriegsende, versteckten Hupperichs die politischen Gefangenen in der Stallecke. Abends in der Dunkelheit nahm die Familie die Gefangenen ins gut verdunkelte Haus zum Essen, Waschen, Rasieren und Bewegen, vor allem, um den Britischen Sender BBC zu hören. Zu Weihnachten 1944 brachte Pastor Potz den Gefangenen die hl. Kommunion ins Versteck.

Als Kriegsinvalide ging Josef Hupperich noch seiner Arbeit im Lager auf dem Luftwaffen-Übungsplatz in Ahrbrück nach, wo ihm politische Strafgefangene zur Beaufsichtigung und zum Arbeiten zugeteilt waren. So wurde ihm auch am 21. Februar 1943, als er im Sägewerk Tankholz schnitt, ein neuer Gefangener überstellt: Josef Zeimes, Pfarrer aus Olingen in Luxemburg, der wegen Hochverrats verhaftet und zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt worden war.

Beide Männer überlegten, wie sie den übrigen Gefangenen helfen könnten, Nachrichten von ihren Angehörigen zu erhalten und diesen Nachricht zu geben. Josef Hupperich war bereit, die Post des Priesters heimlich, nach einem gut durchdachten Plan im Umkreis von 25 – 30 km auf verschiedenen Postämtern zu verschicken und bei anderen Postämtern auf seinen Namen entgegen zu nehmen.

Die Fahrten zu den Postämtern wurden auf dem Fahrrad oder zu Fuß über die Berge auf verschiedenen Wegen gemacht.

Familie Hupperich beherbergte außerdem öfter Angehörige der Gefangenen als „Verwandte“, sehr oft die Angehörigen des verhafteten und gefangenen Bürgermeisters aus Rümelingen in Luxemburg, Heinrich Luck. Die Päckchen von den „Verwandten“ und die Butterbrote, die er für sie mit zur Arbeit nahm, wurden für die hungrigen Gefangenen zusammen mit Radio-Meldungen an immer neuen Verstecke deponiert.

Aber unter den Gefangenen gab es auch Neider und Hasser, die Gerüchte verbreiteten. Deshalb wurde die Familie von der Gestapo überwacht. Zwei Tage bevor die Gestapo zuschlug, hatte Hupperich noch 5 Briefe für den Priester von verschiedenen Postämtern abgeholt, der sie sofort nach dem Lesen in der Latrine verschwinden ließ. Eine Woche lang pendelte zweimal am Tag die Gestapo vom Postamt Brück nach Kesseling und Staffel. Ohne Ergebnis. Hupperich war von gut gesinntem Postpersonal in Kenntnis gesetzt worden. Von der Gestapo kam die allerletzte Verwarnung. Trotzdem versorgte Josef Hupperich die Gefangenen auf seiner Arbeitsstelle weiter mit Butterbroten.

Doch die Ereignisse überstürzten sich. Der Priester mit der Häftlingsnummer 74 779 wurde ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Aber am 29. April 1945 wurde das Konzentrationslager Dachau von den Amerikanern befreit. Am 19. Februar 1992 ist der Priester, der unter den Befreiten war, in Luxemburg gestorben.

Die beiden bei Hupperich versteckten Gefangenen wollten während der letzten Kriegstage während eines Fliegeralarms über den Berg in Richtung Heimat die Flucht wagen. Dabei wurden sie von zwei übereifrigen Soldaten im Urlaub, die von versteckten Gefangenen gehört hatten, gestellt und der Polizei übergeben. Sie wurden in Altenahr eingesperrt. Dennoch hatten sie großes Glück, weil die Firma Jüssen sich für sie verbürgte, daß keine Fluchtgefahr bestehe. Am 7. März 1945 wurden sie den Amerikanern übergeben. Mit neuen Ausweispapieren versehen konnten sie bald zu ihren Familien nach Rümelingen zurückkehren.

In Dankbarkeit erinnerten sich die ehemaligen politischen Gefangenen, wie ein Schreiben der Widerstandsorganisation „LetzeburgerFreiheitskämpfer“ belegt, an Familie Hupperich, die für sie Ängste und Sorgen durchgestanden hatte, um sie unter Geringschätzung der eigenen Gefahr mit großem Mut zu retten. Den Überlebenden bleibt diese Familie als Vorbild unvergessen. Josef Hupperich ist am 14. April 1959 verstorben.

Anmerkung:
Die Ausführungen basieren auf Angaben von Margarete Winkler geb Hupperich, die auch freundlicherweise das Manuskript des Priesters über die Verurteilung eines Luxemburgers Priesters durch das Sondergericht am 3. November 1942 zur Verfügung gestellt hat.