1927 – 1987: 60 Jahre Nürburgring
Die Geschichte einer Rennstrecke
Rainer Mertel
Sechs Jahrzehnte gibt es ihn: Den sagenumwobenen Nürburgring. Sein Ruf als anspruchsvollste und schönste Rennstrecke ging um die Welt. Die klassische Nordschleife mit ihren 20,8 km über die Berge und die Täler der Eitel ist untrennbar verbunden mit der Entwicklung des Kraftfahrzeuges und der Geschichte des Rennsports.
Das Automobil steckte noch in den Kinderschuhen, als man es bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts für den Sport entdeckte. Die ersten Rennen erlebte das ungläubig staunende Publikum auf öffentlichen Straßen, die einfach gesperrt wurden. Ein Zustand, der nach dem 1. Weltkrieg immer fragwürdiger wurde. Die Wagen und Motorräder waren schneller und schneller geworden, zu gefährlich für Rennen durch Dörfer und Städte. Außer der 1921 erbauten AVUS, einer reinen Hochgeschwindigkeitsstrecke, gab es in den 20er Jahren kein geeignetes Veranstaltungsgelände in Deutschland.
Aber Ideen und Pläne waren schon da. Erste Initiativen gab es 1923/24 für den Kottenforst bei Meckenheim oder ein Waldgebiet nahe Münstereifel. Ähnliche Überlegungen hegte der Kaufmann Hans Weidenbrück, der später »Vater des Nürburgrings« genannt wurde, für die Umgebung Adenaus. Die sich hieraus ergebende Chance erkannte der zuständige Landrat, Dr. Otto Creutz. Er bewog in pausenlosen Bemühungen das Reich, das Land Preußen und die Rheinprovinz, den Bau einer »Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstraße« im Rahmen der produktiven Erwerbslosenfürsorge finanziell zu unterstützen. Trotz mancherlei Widerstände wurde ihm für dieses Projekt, das von Regierungspräsident Dr. Kruse den Namen »Nürburgring« erhielt, die Schützenhilfe der interessierten Clubs zuteil. Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC), der Automobil-Club von Deutschland (AvD) und der Deutsche Motorsport-Verband (DMV) unterstützen sein Vorhaben.
Dr. Creutz ging es jedoch nicht nur um den Motorsport. Seinen Landkreis Adenau, damals der ärmste und unterentwickelste des Landes Preußen, wollte er durch den Bau dieser Rennstrecke wirtschaftlich beleben. Die Entwicklung des Nürburgrings hat gezeigt, daß der ehrgeizige Plan, ein Zentrum für den Motorsport in Deutschland und gleichzeitig ein Infrastrukturinstrument für die Eifelregion zu schaffen, in Erfüllung ging. 1925 waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Um mehrere Veranstaltungen gleichzeitig stattfinden lassen zu können, sah man weitblickend bereits damals vier Streckenabschnitte vor, und zwar
– den gesamten Ring mit 28,262 km,
– die Nordschleife mit 22,810 km,
– die Südschleife mit 7,747 km,
– die Start- und Zielschleife mit 2,292 km.
Die Bauarbeiten begannen im April 1925 in verschiedenen Abschnitten. Schließlich mußten sie wegen eingegangener sportlicher Verpflichtungen 1927 beendet sein.
Nach knapp 2 Jahren Bauzeit hatten rund 2 000 Arbeiter das Werk vollendet. Am 18. Juni 1927 erlebten mehr als 80 000 Zuschauer mit dem Int. ADAC-Eifelrennen die Eröffnung des Nürburgrings. Der Erfolg dieser Strecke war durchschlagend. Für den Zeitraum eines halben Jahrhunderts galt der Nürburgring als die Herausforderung an Fahrer und Maschine. Namen, die unvergeßlich blieben, bestimmten in nunmehr 60 Jahren das Geschehen:
Caracciola, Stuck, Nuvolari; die Silberpfeile von Daimler-Benz und Auto-Union, die roten AIfa Romeos und die sagenhaften Bugattis vor dem 2. Weltkrieg, Ascari, Fangio, Moss, Graf Trips, Surtees, Stewart und viele andere. Sie alle hatten großen Respekt vor der anspruchsvollsten und schwierigsten aller Rennstrecken. Doch für fast alle war es gleichzeitig auch die meistgeliebte Rennstrecke.
Wie über viele liebgewordenen Dinge unseres Lebens ging auch über den alten Nürburgring die technische Entwicklung hinweg. Den rapide veränderten Bedingungen und Anforderungen des hochtechnisierten Motorsports war die legendäre Nordschleife nicht mehr gewachsen. Trotz der regelmäßigen, kostenintensiven Modernisierung entsprach die Strecke nicht mehr den Sicherheitsanforderungen.
Ein neuer Nürburgring also mußte her. Nach mehrjähriger Planung und Bauzeit wurde am 12. Mai 1984 ein 4,5 Kilometer langer Grand-Prix-Kurs eröffnet, der in seiner Konzeption zukunftsweisend ist. Vor allem die Sicherheit für Fahrer und Zuschauer wurde in den Vordergrund gestellt.
Dazu gehören separate Rettungsstraßen ebenso wie weiträumige Sturzzonen. Um die Rennsportfans dennoch nicht zu weit vom Geschehen fernzuhalten, sind seit Beginn der Saison 1987 im südlichen Teil der Strecke sogenannte Bewegungszonen geschaffen worden. In ungefährlichen Bereichen wurden hierzu Leitplanken und Fangzäune nahe an die Rennstrecke versetzt, so daß dem Zuschauer der direkte Kontakt zum Geschehen bleibt.
Zwei weitere, umfangreiche Projekte sind zwischenzeitlich verwirklicht worden, die eine Attraktivitätssteigerung für den Besucher bedeuten: Zum einen wurde eine Tribüne entlang der Start- und Zielgeraden überdacht, zum zweiten wurden zwei Fußgängerbrücken erstellt, die vom Außenbereich zum Fahrerlager führen. Die Veranstalter binden die neuen Überwege bereits verstärkt in ihr Programm ein. Es bietet sich nämlich jetzt die ideale Möglichkeit, die Boxenstraße beziehungsweise die Rennstrecke vor einem Rennen dem breiten Publikum zugänglich zu machen und damit den direkten Kontakt mit den Rennfahrern und ihren Fahrzeugen herzustellen.
Damit ein Rennwochenende nicht nur ein Erlebnis für den Vater, sondern für die gesamte Familie werden kann, wird das alte Fahrerlager bei internationalen Rennveranstaltungen mittlerweile als »Basar der guten Laune« genutzt. So wurde eine ideale Begegnungsstätte für Jung und Alt geschaffen. Die 50 Boxen dienen als Verkaufsraum, in denen der Fan vom T-Shirt bis zum Modellauto alles bekommen kann, was sein Herz begehrt. Nachwuchsfahrer von morgen können sich auf Mini-Motorrädern ebenso üben wie beim Geschicklichkeitswettbewerb mit dem Kettcar. Und abends wird das ganze Areal zur Disco für Jugendliche und Erwachsene mit Live-Bands umfunktioniert.
Traditionelle Rennveranstaltungen sind naturgemäß der Schwerpunkt der Aktivitäten auf dem »Ring«, der sich aber auch dem Breitensport verpflichtet fühlt.
Fast an jedem Wochenende der Saison finden Veranstaltungen statt, seien es nun Wettbewerbe mit Serienautos oder Straßenmotorräder, seien es Fahrerlehrgänge oder auch Sicherheitstrainings sowohl für Zwei- wie auch für Vierradfahrzeuge. Selbst auf dem musischen Sektor hat sich der Nürburgring zwischenzeitlich einen Namen gemacht. »Rock am Ring« – eine mehrtägige Open-air-Veranstaltung mit Weltstars aus der Pop- und Rock-Szene – ist länger ein fester Begriff für die Fans von David Bowle bis Joe Cocker geworden. Daß zu solch einem kompletten Angebot, wie es das »Freizeitzentrum Nürburgring« bietet, auch ein entsprechender gastronomischer Betrieb gehört, versteht sich von selbst. Da das Nürburgring-Hotel, in dem die Asse des Rennsports – von Caracciola bis Niki Lauda – wohnten, nicht mehr den gestiegenen Anforderungen entsprach, hat man sich dazu entschlossen, das traditionsreiche Gebäude der Spitzhacke zum Opfer fallen zu lassen. Ende Oktober rollten bereits die Baumaschinen an und rissen das Hotel ab. Bis zum Frühjahr 1989 wird ein neuer, 140-Zimmer-Komplex erstellt, der höchsten Komfort bietet. Vorgesehen ist unter anderem eine Präsidenten-Suite mit den entsprechenden Sicherheitseinrichtungen. Geräumige Balkons werden den Gästen als Logenplätze bei Rennveranstaltungen dienen. Hallenbad, Sauna, Solarien und Fitneßraum gehören ebenso zum Standard wie eine Tiefgarage. Betreiber des neuen Hotels, das rund 25 Millionen Mark kosten wird, ist die Dorint-Hotelgesellschaft, eine von Deutschlands großen Hotel-Gruppen.
Zukunftsweisend wird auch das Pressezentrum sein, das bereits im Frühjahr 1988 seiner Bestimmung übergeben wird. Mit Hilfe modernster Kommunikationseinrichtungen können hier bis zu 200 Journalisten sowie Fernseh- und Rundfunkreporter von 30 separaten Übertragungskabinen aus arbeiten.
So gerüstet geht der Nürburgring in das siebte Jahrzehnt seines Bestehens. Gewiß, es muß noch manches getan werden, um im harten Konkurrenzkampf der Rennstrecken weltweit die Nase vorn zu behalten. Insbesondere müssen Einrichtungen angeboten werden, die dem Charakter des »Freizeitzentrums« Rechnung tragen. Das Rennsportmuseum ist ein Anfang, weitere Angebote dieser Art sollten folgen, um unabhängig von der Witterung familiengerechte Unterhaltung zu bieten. Wenn diese Voraussetzungen geschaffen werden, wird der Nürburgring auch in Zukunft seine eigentliche Aufgabe wahrnehmen können, nämlich wirtschaftliche Impulse in der Hohen Eifel zu setzen.
Ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm erlebten die Freunde des Nürburgrings und des Motorsports
anläßlich des 60. Geburtstages der Rennstrecke: Von der „längsten Golfschlange der Welt“ auf der
Nordschleife …
… bis hin zu einem Korso interessanter Automobile von gestern und vorgestern, die im Rahmen
einer Oldtimer-Rallye den Nürburgring anfuhren …
… und ein Unterhaltungsprogramm mit Sensationen und Rekorden, „Motorrad-Weitsprung“ von Lothar Schauer
Eine von Otto Kley geschaffene Gedenktafel erinnert
nun am Eingang zum alten Fahrerlager des Nürburgrings an den in
Remagen geborenen Rennfahrer Rudolf Caracciola