Zwentibold
der letzte König von Lothringen, Stifter des „ Ländchens Breisig“
VON LEO S T A U S B E R G
Wenn wir das Gebiet, das heute den Kreis Ahrweiler ausmacht, auf einer Geschichtskarte der vornapoleonischen Zeit betrachten, so bietet sich uns eine bunte Musterkarte vieler kleiner Territorien dar. So zeigt die Geschichtskarte des Kreises Ahrweiler aus dem Jahre 1789, die J. Rausch im Heimatjahrbuch 1937 veröffentlichte, allein im heutigen Kreisgebiet zwölf verschiedene Länder und Ländchen. Eines davon war das „Ländchen Breisig“, ein Außenbesitz des reichsunmittelbaren Fürstentums Essen. Das Ländchen war etwa eine Quadratmeile groß und umfaßte aus unserem Kreise die heutigen Gemeinden Brohl, Gönnersdorf, Nieder- und Oberbreisig und den nördlich des Vinxtbaches gelegenen Teil der Gemeinde Rheineck, deren südlich befindlicher Teil die kurkölnische Burggrafenschaft Rheineck bildete. Außerdem gehörten zum „Ländchen“ die im heutigen Kreis Mayen gelegenen Gemeinden Ober- und Niederlützingen. Gehen wir der Geschichte dieses „Ländchens“ nach, so stoßen wir zu ihrem Beginn auf das Pfingstfest des Jahres 898. Ein im Niederbreisiger Amtsarchiv beruhendes umfangreiches Aktenstück des „Kaiserlich-freiweltlichen Damenstifts Essen“ aus dem Jahre 1659 berichtet ausführlich, daß an jenem Pfingstfeste (4. Juni 898) der König Zwentibold von Lothringen auf „dero Frawen Gemahlin und Königin Otae eiffriches begehren“ das „Ländtlein Breysich“ dem Stift Essen „zu einem ewigen Eigenthumb“ gegeben habe und zwar zu Händen der Äbtissin Wikburg (878—906) und in Anwesenheit des Vaters der Königin, Ottos des Erlauchten von Sachsen.
Von diesem Zwentibold, dem königlichen Stifter des Ländchens, soll hier die Rede sein, da er uns selten in Geschichtsbüchern begegnet. Er war ein echter Karolinger, v/enn auch seine Mutter keine Adelige war. Er war der letzte König von Lothringen, jenes Landes also, dem damals auch unsere Heimat zugehörte. Was wir heute als „Lothringen“ bezeichnen, ist die unglückselige Resiprovinz, die seit tausend Jahren ein Zankapfel zwischen Ost und West war und heute zu Frankreich gehört. Damals jedoch umfaßte das „Lotharreich“ als Herzstück des von Karl dem Großen geschaffenen Frankenreiches die Gebiete um Scheide, Maas und Nordseeküste, die Lande links des Rheines bis hinauf nach Burgund, zeitweilig auch das Arelat um die Rhone, Norditalien und die damit verbundene Kaiserwürde. 870 waren die meisten Gebiete Lothringens im Vertrag zu Meersen zum ostfränkischen Reich gekommen. Jedoch kamen Rhein-, Maas- und Scheidemündung in französischen Besitz.
Als Ludwig der Deutsche starb, versuchte Karl der Kahle von Westfranken seinen jugendlichen Neffen Ludwig III., dem Erben des Ostreiches, in einer Zusammenkunft in Sinzig zu überreden, den Rhein als Grenze zwischen Deutschland und Frankreich anzuerkennen. Dem entschiedenen „Nein“ des jungen deutschen Königs folgte die für die Deutschen siegreiche erste Schlacht von Andernach (876). Im Vertrage von Ribemont kam fast ganz Lothringen zu Deutschland. Rhein-, Maas- und Scheidemündung gehörten zu Deutschland. Straßburg, Metz, Toul, Ver-dun, Sedan, Cambrai, Antwerpen waren deutsche Städte. Vergessen wir auch nicht, daß sein erster König, Lothar l. (+ 856), in der Salvatorkirche zu Prüm im Herzen der Eifel begraben liegt. Nur einmal noch hatte ein Karls-Enkel, Kaiser Karl II. der Dicke, das dreigeteilte Frankenreich ganz besessen. Indessen hatten ihn die Großen des Reiches im Jahre 887 zur Abdankung gezwungen, weil er sich der Invasion durch die Normannen nicht gewachsen gezeigt hatte. Zu seinem Nachfolger wurde im Ostreich der Herzog von Kärnten, Arnulf, gewählt. Er war ein Neffe Karls des Dicken. Diesem tatkräftigen Herrscher gelang es, die Normannennot endgültig zu bannen. Entscheidend war die Schlacht bei Löwen an der Dyle im Jahre 891. Dankbar sah man in ihm den Retter des Reiches. Als tapferer Waffengefährte erwies sich sein um 871 geborener ältester Sohn Zwentibold. Arnulf wagte es, seinen Sohn, obwohl die Mutter Swantana keine Adelige war, am 25. 5. 895 zum König von Lothringen einzusetzen. Offenbar wollte er dadurch den Bestrebungen entgegenwirken, die Lothringen zum Westreich hinüberzuziehen trachteten. 897 gab er Zwentibold in Ota, der Tochter des schon eingangs genannten Sachsenherzogs Otto, die fürstliche Gemahlin. Indessen weigerten angesehene lothringische Grafen dem neuen König die Gefolgschaft. Drei derselben sind uns mit Namen bekannt: Stephan, Gerhard und Matfried. Auf einem Fürstentag zu Worms im Jahre 987 gelang es Arnulf, der inzwischen vom Papste zum römischen Kaiser gekrönt worden war, die Streitenden vorerst zu einer Verständigung mit dem Sohn zu bewegen. Es heißt da: „Anno 987, Arnolphus Wormatlam venit, ibi-que Placitum tenuit, ubi ad ejus colloqui-um Zundibolch occurit et interventu Impe-ratoris, Stephanus, Gerhardus, Matfridus cum filio reconciliatur . . .“ (Pfeffinger 1712). Diese Versöhnung sollte nicht von Dauer sein. Stolz bezeichnete Zwentibold sich zwar in Dekreten: „Divina Providentia Rex“ und „Misericordia Dei Rex“ (= durch göttliche Vorsehung bezw. durch Gottes Barmherzigkeit König“. Kaiser Arnulf durfte indes nicht hoffen, seinem Sohne Zwentibold, dessen Tüchtigkeit er erprobt hatte, auch die Nachfolge als Herrscher des Gesamtreiches zusamt der Kaiserwürde zu sichern. So hatte er sich schon früh entschlossen, in Uta aus dem mächtigen Geschlecht der fränkischen Konradiner, die im Lahngau herrschten, die edelgeborene Gemahlin zu wählen. 893 gebar sie ihm den königlichen Erben Ludwig, der unter dem Namen „Ludwig das Kind“ in die Geschichte einging (f 911). (Vgl. hierzu die Novelle „Das Reich des Kindes“ von Gertrud von le Fort.) König Zwentibold erbaute sich nahe bei Elsloo an der Maas, dort, wo er einst ein großes normannisches Beutelager erobert hatte, seine Residenz, das noch bestehende Schloß Graesbroek bei Born (im heutigen holländischen Limburg). Dort wird heute noch sein „zetel“ (Thronsessel) gezeigt. Nahe bei Schloß Graes-boek liegt die von seinem Ahnherrn Pip-pin und dessen frommer Gemahlin Plek-trudis gegründete Abtei S ü s t e r n. Diese begabte er mit Schenkungen und bestimmte sie zu seiner Grabstätte. Vielleicht ahnte er sein nahes Ende. Als sein kaiserlicher Vater im Jahre 899 starb, krönten die Großen des Reiches den königlichen Sproß Ludwig zum Herrscher des Reiches. Zwentibold mußte nun, auf sich allein gestellt, sein Königreich gegen die unbotmäßigen Vasallen verteidigen. Am 1. Aug. 900 überfielen ihn seine schon genannten Gegner Stephan, Gerhard und Matfried im Walde zwischen Elsloo und Süstern. Trotz tapferer Gegenwehr ward er erschlagen. Unter dem Chor der Abteikirche zu Süstern fand er seine letzte Ruhestätte, wie er es gewünscht hatte. Ein gewaltiger Steinblock in der dortigen Krypta deckt sein Grab. Zwentibolds Töchter, drei an der Zahl: Benedicta, Cäcilia und Relindis, traten später als Nonnen in das Kloster zu Süstern ein und hüteten die Gruft des unglücklichen Vaters. Zwei von ihnen trugen den Stab der Äbtissin. — Es gehört zum Bilde jener harten Zeit, wenn wir hören, daß Zwentibolds Gemahlin schon ein Jahr nach seinem Tode einen der Mörder ihres Mannes, Gerhard, heiratete.
GEMÄLDE VON EWALD ERNENIVISCH
Am Pfingstfeste d. J. 898: König Zwentibold übergibt der Äbtissin zu Essen die Schenkungsurkunde über das „Ländchen Breisig“
Das Bild befindet sidi im Rathaussaal zu Niederbreisig
Vor einigen Jahren fand man bei Rodungsarbeiten im Sumpfwald zwischen Süstern und Born eine fränkische Streitaxt. Auf dem bronzenen Schaftring liest man die Buchstaben S. R. (Swentibaldus Rex). Vielleicht war es die Waffe, mit welcher der letzte König von Lothringen seinen letzten Kampf gekämpft. Nach Zwentibolds Tode geriet Lothringen wieder unter den Einfluß des Westens, dem es nach Ludwig des Kindes frühem Tode (911) botmäßig wurde unter Reginar von Hennegau. Erst Heinrich dem Vogler gelang es 925, den lothringischen Herzog Giesebrecht wieder zum Ostreich zurückzuführen. Um die Bande zu festigen, gab König Heinrich dem Herzog Giesebrecht seine Tochter Gerberga zur Gemahlin. Erinnert sei an die große Jahrtausendfeier 1925 in dem besetzten Rheinland, besonders die eindrucksvolle Ausstellung in Köln.
Als leider unser Herzog Giesebrecht in der „Herzogsrevolution“ gegen den Kaiser Otto L, seinen Schwager, auftrat, verlor er in der zweiten Schlacht bei Andernach 939 Sieg und Leben. Der kaisertreue Konrad der Rote wurde unser Herzog. Jedoch auch er empörte sich später mit seinem Schwager Ludolf, dem Kaiserssohn, gegen Kaiser Otto L, der sein Schwiegervater war. So verlor er das Herzogtum Lothringen. Jedoch in der Schlacht auf dem Lechfelde 955 kämpfe er ruhmreich auf Ottos Seite und erkaufte den herrlichen Sieg mit seinem Heldentode. Konrad der Rote, der Stammvater des salischen Kaisergeschlechtes, liegt im Dom zu Worms begraben.
Otto I. gab das Herzogtum Lothringen seinem Bruder Bruno, der Erzbischof von Köln war. Dieser teilte 959 das Herzogtum in Ober- und Niederlothringen. Wieder war der Vinxtbach die Grenze, so daß der größte Teil des Breisiger Ländchens und des heutigen Kreises Ahrweiler zu Niederlothringen gehörte, das aber keine eigenen Herzöge mehr erhielt. Das Andenken an Zwentibold lebt weiter in Sagen und Legenden am Niederrhein und in Holland. Hier führt er den Namen Sauderbaud oder Sanderbout (s. Dr. Paul Therstappen: Legenden und Mären zwischen Rhein und Maas). Die zeitgenössischen Chronisten haben König Zwentibold sehr verschieden beurteilt, und es trifft auf ihn das Schillerwort aus „Wallenstein“ zu: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ — Regino von Prüm, der bedeutendste unter ihnen, ein Parteigänger Ludwig des Kindes, hat ihn am ausführlichsten und recht ungünstig charakterisiert. Auf seinen Angaben fußt Th. Seidenfaden, der ihn in seinem „Deutschen Schicksalsbuch“ wenig glimpflich beurteilt.
Ihrem harten, offenbar einseitigen Urteil über König Zwentlbold können wir uns, wenn wir sein Leben überschauen, nicht anschließen und dürfen ihm, als dem tapferen Normannenbesieger, dem großherzigen Stifter des „Ländchens Brei-sig“ und dem letzten König von Lothringen, ein ehrendes Gedenken zollen.