Zwei Gespenstergeschichten aus dem Zissener Land
Zwei Gepenstergeschichten aus dem Zissener Land
VON FRIEDHELM SCHNITKER
1. Unheimliche Nacht
Es war einmal, so muß diese Geschichte beginnen, es war einmal vor vielen Jahren im Zissener Land der hochachtbare Gelehrte und Lehrer Johann tätig. Er pflegte gute Kontakte zu seinen Kollegen in den umliegenden Dörfern, und so entwickelte sich mit der Zeit an Sonn-, Fest- und Feiertagen ein richtiger Pendeldienst.
Nun war in W., einem Nachbarort, Kirmes und der dortige Lehrer hatte seinen Freund Johann zu Speis und Trank eingeladen. Man hatte gelacht und gesungen, viele Flaschen Wein waren geleert, der heurige „Appel trank“ war probiert worden, und so war es weit nach Mitternacht, als sich Lehrer Johann auf den Heimweg machte. Es war stockfinstere Nacht, kein Stern wies unserem Zecher den Weg. Sein Heimweg führte ihn durch einen Hohlweg, zu dessen beiden Seiten dichter Tannenwald stand. Ein Steinkreuz in diesem Hohlweg erinnerte an den geheimnisumwitterten. Tod eines Einwohners von W. vor mehr als hundert Jahren. Unser Zecher summte leise vor sich hin, als plötzlich helle Schreie ertönten. Zuerst gellte es wie Hilfe-Schreie in höchster Not, dann tönte es wie das Gewimmer kleiner Kinder, dann rauschte es und schlug es um den Kopf von Lehrer Johann. Ihm wurde es unheimlich und, obwohl er als Lehrer jedem Aberglauben abhold, lief er wie von Teufeln gehetzt, bis er, völlig außer Atem und durchnäßt von Angstschweiß und ausgeschwitzter alkoholischer Flüssigkeit aber ziemlich nüchtern seine Wohnung erreichte. Als Mann der Wissenschaft ging er der Sache auf den Grund. Ein Verdacht kam in ihm auf, er schlug in seinem Lehrbuch für Biologie nach. Am folgenden Abend machte er sich, bewaffnet mit der Jagdbüchse eines Freundes, auf den Weg — zur selben Stund, am selben Ort, der gleiche, schaurige „Gespensterspuk“. Die Lösung des Rätsels, die Lehrer Johann selbst seinen Freunden gab, seinen Schülern aber aus wohlerwogenen, pädagogischen Gründen vorenthielt, war: seine „Gespenster“ — schreiende Eulen zur Paarungszeit.
2. Die Kläfbotze
Es war am Heiligen Abend des Jahres 18 … in einem Ort des Zissener Landes. In der niedrigen kleinen Schänke, die unmittelbar neben der düster aufragenden Pfarrkirche lag, waren Anton, Pitter und Jupp beim Skatspielen. Sie hatten auf den sanften Zuspruch ihrer besseren Ehehälften hin ihr Gewissen beim Herrn Pastor erleichtert. Froh, endlich ihrer nicht geringen Sündenlast ledig zu sein, waren sie in ihrem Stammlokal bei Otto eingekehrt. Otto, der diese Gäste sonst sehr gerne eintreten sah, war heute gar nicht erfreut. Er wußte um die Leidenschaft der drei — das Skatspiel. Kaum hatten sie denn die ersten Schnäpse getrunken, als sie auch schon die Karten verlangten. Der Wirt, um seine Stammzecher nicht zu verlieren, reichte sie ihnen, wenn auch nur mit Widerwillen. Nun ging es los, das Glück im Spiel,
ohne vier und mit vier, Grand und Null, ging ebenso schnell reihum wie die Geldstücke. Der Wirt, mehr um seine Nachtruhe als um die Stille der Weihnacht besorgt, hatte schon mehrmals gebeten, Schluß zu machen, jedoch ohne Ergebnis. Um dem Qualm aus den irdenen Pfeifen der drei Abzug zu verschaffen und wohl auch, um die Spielleidenschaft seiner drei „Kläfbotze“ etwas abzukühlen, hatte er bereits ein Fenster geöffnet. Jupp, der ganz dicht am Ofen hockte und dem es nun doch kühl wurde, da auch der Ofen ohne weiteren Holznachschub geblieben war, bat den Wirt, das Feuer zu schüren. Dieser, im Nebenberuf Jagdpächter und voller Eifler Schalk, ging über den Hof in den Schuppen. Hier lag die alte, wurmstichige Nikolausstatue der Pfarrkirche, die der Kirchenvorstand zum Weihnachtsfest gegen eine neue hatte ersetzen lassen. Von dieser alten Statue holte Otto ein mächtiges Stück, klemmte in einen Spalt eine Patrone und trug das so vorbereitete Scheit ins Schankzimmer zum mächtigen alten Ofen. Er schob das Stück vorsichtig hinein, während Jupp, der das Holzscheit erkannt hatte, sagte: „Hillig Niklösche, wärm noch jet!“ Des Wirtes flehentlicher Wunsch an den Heiligen aber muß gelautet haben: „Heiliger Sankt Nikolaus, hilf und ,feuer‘ die Kläfbotze hinaus!“ Der Wirt wies die drei in wohlgesetzten Worten aus sicherer Entfernung noch einmal auf die Unheiligkeit ihres Tuns hin, aber es schien alles vergebens. Gerade sauste Pitters Faust zum Grand ohne Vier auf die Tischplatte, als — Rumms! Wumms! — die Ofentür aufflog, das Ofenrohr auseinanderrutschte, Ruß schwärzte alles, drei schwarze Teufel Jupp, Pitter und Anton aber sausten durchs offene Fenster ins Freie, In das Lachen des Wirtes mischte sich Pitters lauter Schwur: „Hillig Niklöschen, nie mich!“ Sankt Nikolaus hatte die Stille der Weihnacht und die Nachtruhe des Wirtes gerettet.