Zum Standort der Ahrweiler Synagoge
Hans Warnecke
Im Jahre 1894 ist die Ahrweiler Synagoge von der damaligen jüdischen Gemeinde errichtet worden.
Es ist heute weitgehend unbekannt, daß vor dem Bau in mehreren Gemeindeversammlungen der Jahre 1892/93 diese Frage nach dem Standort innerhalb der jüdischen Gemeinde leidenschaftlich diskutiert worden ist. Es war allen klar, daß eine Synagoge gebaut werden sollte. Wo aber sollte sie stehen? Auf dem von der Gemeinde vorsorglich vor dem Niederthor angekauften Grundstück?
Die erste Gemeindeversammlung spricht sich mit großer Mehrheit für diesen Standort aus. Damit schien der Weg zum Synagogenbau offen, zumal das der Gemeinde gehörende, an der Ecke Wilhelmstraße – Friedrichstraße auf dem Gelände der heutigen Kreissparkasse gelegene Gartengrundstück bestens dafür geeignet schien. Da bringt die 2. Gemeindeversammlung, die eigentlich die näheren Einzelheiten zum Synagogenbau regeln sollte, einen völlig neuen Vorschlag: Johann Schäfer, Bäcker und Wirt in Ahrweiler, habe der Gemeinde ein geeignetes Grundstück »Auf der Wehrscheid« angeboten. Eine Mehrheit spricht sich dafür aus, daß Joseph Heymann in nähere Verhandlungen mit dem Eigentümer eintrete. Die 3. Versammlung wirft alle gefaßten Beschlüsse wieder um und wählt als neuen Standort für die Synagoge das den Erben Valder gehörende Haus. Der Vorstand wird ermächtigt, dieses Gebäude nach seinem Ermessen für die Gemeinde anzukaufen. Doch die Gespräche über den geeigneten Bauplatz für die Synagoge gehen außerhalb der Versammlungen in der Gesamtgemeinde weiter. Ein viertes Grundstück kommt jetzt ins Gespräch, und zwar der in der Altenbaustraße in Ahrweiler gelegene Garten des jüdischen Gemeindegliedes Leopold Heymann. Alle anderen Liegenschaften werden fallengelassen, und es heißt prägnant in der Tagesordnung der vierten Gemeindeversammlung: »Es soll heute und zwar endgültig darüber Beschluß gefaßt werden, ob die Synagoge auf dem der israel. Gemeinde zugehörigen Platz vor dem Niederthor gebaut werden soll oder ob ein Bauplatz von Leopold Heymann zu dem Zwecke soll angekauft werden«. Das Abstimmungsergebnis ist eindeutig: 9 Stimmen für das Grundstück Heymann, 6 Stimmen für den Platz vor dem Niederthor. Aber damit ist die Standortfrage der Synagoge immer noch nicht geklärt. Denn in der Vorstandssitzung vom 22. März 1893 versagt das Vorstandsmitglied Abraham Gottschalk seine Genehmigung zum Beschluß der Gemeindeversammlung und kündigt eine schriftliche Erklärung an. Leider ist dieses Schriftstück nicht mehr erhalten, wohl aber ein Ergänzungsbericht vom Vorsitzenden des Vorstandes, Herrn Friedrich Wilhelm Heymann, und vom Vorstandsmitglied Abraham Bär an den Regierungspräsidenten, die ausdrücklich auf den Einspruch von Abraham Gottschalk eingehen. Dieser sogenannte »Ergänzungsbericht« vom 24. April 1893 enthält so viele Interna und Hintergrundinformationen zum Grundstückserwerb, daß er hier ausführlicher zitiert werden soll. Er beginnt folgendermaßen 1: »Die ergebenst unterzeichneten Vorstandsmitglieder der hiesigen Synagogengemeinde erlauben sich auf die von dem Vorstandsmitgliede A. Gottschalk und Konsorten gegen den Gemeindeversammlungsbeschluß vom 19. März des Jahres eingereichte Beschwerde Ew. Hochwohlgeboren folgendes zu berichten: Vor ungefähr 6 Jahren wurde der fragliche, vor dem Niederthor gelegene Garten von einigen Mitgliedern unserer Gemeinde in der Absicht, dort eine Synagoge zu bauen, angekauft, und in Ermangelung der Corporationsrechte auf vier Mitglieder bei Thä-tigung des Kaufactes eingeschrieben. Der Ankauf des Grundstückes zu diesem Zwecke war jedoch gleich einem anderen Theile nicht genehm. Es wurde deshalb das Augenmerk auf den jetzt zum Bauen bestimmten Platz von Leopold Heymann gerichtet und in darauf stattgehabter Versammlung der damaligen Gesellschafts-Mitglieder beschlossen, diesen Platz zu dem offerierten Preise von 120 Mark pro Ruthe anzukaufen. Für diesen Beschluß gaben auch die heutigen Opponenten ihre zustimmende Erklärung. Der Mangel der Corporationsrechte wurde uns jedoch hier fühlbar, indem eine Gemeinde (als juristische Person) als solche nicht existierte und Niemand den Kauf rectificierte«.
Es wird dann dankbar auf das inzwischen erteilte Corporationsrecht hingewiesen und das Schreiben fortgesetzt: »Inzwischen war jedoch der hiesige katholische Gesellenverein mit Leopold Heymann in Verhandlung getreten behufs Ankauf seines Hauses einschließlich des fraglichen Gartens, um auf Letzterem ein Vereinslo-cal zu bauen. In Folge dessen hielt sich Leopold Heymann der Gemeinde gegenüber nicht mehr an seine frühere Offerte gebunden und verlangte nun 150 Mark pro Ruthe, mit der Bedingung, zu diesem Preise nur den ganzen Garten, zusammen circa 25 – 26 Ruthen, abzugeben. Dies war für unsere Verhältnisse zu viel und die Stimmung gegen Leopold Heymann — nicht gegen den Platz — wurde in folge dessen eine erregte«. Es wird dann darauf hingewiesen, daß aus dieser Verärgerung heraus der Beschluß der ersten Gemeindeversammlung am 12.6.1892 für den Bau vor dem Niederthor zustandegekommen sei. Auch die anschließenden Versammlungen mit ihren zwei neuen Objekten werden kurz als ungeeignet kommentiert. Im Hinblick auf die Opponenten heißt es dann weiter: »Sie haben erklärt, daß sie den Platz von Leopold Heymann wohl für geeigneter hielten als den vor dem Niederthor, und seien sie überhaupt nicht gegen den ersteren Platz, sondern nur dagegen, daß Heymann heute den erhöhten Preis von MK 2 700, statt den früher geforderten MK 2 400 erhalten solle. Der Verkäufer war jedoch trotz aller Bemühung nicht zu bewegen, den Platz billiger herzugeben. Die von den Opponenten angeführten Gründe gegen den von der Majorität gewünschten Bauplatz sind nur angebliche, denn das Grundstück liegt nicht in einer abgelegenen Straße, sondern mitten in einem schönen Theile der Stadt gegenüber dem Königlichen Amtsgerichte und den Schulen. Bei Ankauf von 20 Quadrat-Ruthen haben wir genügend Platz zum Bau einer Synagoge nebst Religionsschule und Spielplatz für die Kinder«. Die im folgenden aufgeführten Gründe gegen den Platz vor dem Niederthor lassen erkennen, wie die damalige Argumentation noch ganz stark zwischen der Innenstadt, d. h. innerhalb der Stadtmauer, und »draußen« unterschieden hat. Es heißt dort: »Gegen den Platz vor dem Niederthor spricht:
- daß er außerhalb der Stadt liegt und der Besuch des Gottesdienstes in Folge dessen ein viel beschwerlicherer ist, namentlich würde er dies aber für die zu unserer Gemeinde gehörigen israelitischen Einwohner von Der-nau, deren Seelenzahl fünfzehn beträgt, sein, da dann die Synagoge, und für die von dort kommenden Kinder die Religionsschule an entgegengesetzten Ende der Stadt sich befinden würde.
- ist ein Hauptgrund gegen diesen Platz die unmittelbare Nähe des Mühlenteiches, welcher fast an dem Grundstücke der ganzen Länge nach vorbeifließt (gemeint ist ein Mühlgraben, den es bis heute gibt, nicht ein stehender Teich). Es würde also bei dem Besuche einer dort errichteten Religionsschule für die Kinder die höchste Gefahr erwachsen, umsomehr da die Stunden des Unterrichts in der Regel nachmittags nach Schluß der Elementarschule gelegt sind, im Winter es also dann schon dunkel geworden ist. Eben die Nähe des Teiches würde auch in sanitärer Beziehung wohl mindestens ebenso sehr in Betracht zu ziehen sein, als bei dem Grundstück von Heymann das Schlachthaus, denn bekanntermaßen entsteigen namentlich im Sommer dem Teiche höchst unangenehme Dünste.
- würde eine Synagoge an ziemlich isolierter Stelle außerhalb der Stadt viel eher Rohheiten der Straßenjungen ausgesetzt sein als eine im Innern der Stadt.
- würde es viel schwerer fallen und mit bedeutend mehr Kosten verknüpft sein, eine geeignete Persönlichkeit zur Bedienung respective Reinigung der Synagoge und des Schulzimmers zu bekommen als in der Stadt.
- betragen die Baukosten der nöthigen Gebäulichkeiten nach Aussage jedes Fachmannes vor dem Niederthor bedeutend mehr als die auf dem Platze in der Altenbaustraße. da sowohl wegen der unmittelbaren Nähe des Teiches die Fundamentarbeiten um Vieles kostspieliger werden als auch die Nähe der schonen Gebäude der Außenstadt es erheischt, daß den dort aufzuführenden Gebäulichkeiten eine reichere Ausstattung gegeben wird als einem Gebäude in der Altenbaustraße«.
Das Synagogengebäude in der Altenbaustraße
Foto: Kreisbildstelle
Der Vorsitzende verwahrt sich dann noch mit aller Entschiedenheit dagegen, daß er aus verwandtschaftlichen Rücksichten für den Standort Altenbaustraße gestimmt habe, da seinem Bruder Leopold dieses Grundstück gehöre. Das Grundbuch weist aus. daß Leopold Heymann als Handelsmann in Bad Neuenahr wohnte — also nicht zur Ahrweiler jüdischen Gemeinde gehörte — und im Jahre 1893 das Flurstück Nr. 1618.181 Flur 36 in der Gemarkung Ahrweiler, Altenbaustraße mit einer Fläche von 285 qm an die jüdische Gemeinde zu Ahrweiler verkauft hat. Damit war, wenn auch mit erheblichen Aufregungen verbunden, endlich die Standortfrage für den Synagogenbau geklärt.
- Archiv Koblenz Bestand 441/Nr. 25266, Seite 167 – 173