Wirtschaftsfaktor Nürburgring
„Neue Rekordrunde auf dem Nürburgring!“ So lauteten die Schlagzeilen oftmals nach den Rennen auf dem Eifelkurs. Diese Höchstleistungen zeugen von der Qualität der Spitzenfahrer, der stetig fortschreitenden Verbesserung der Motoren, der Fahrgestelle, der Reifen – schlechthin der Wettbewerbsfahrzeuge. Besonders trug aber zu dieser Entwicklung der Umbau der Nordschleife des Nürburgrings bei, der seit 1971 programmgemäß verläuft. Doch stehen hier nicht die sportlichen Erfolge im Vordergrund. Vielmehr sollen einmal Zahlen verdeutlichen, welche wirtschaftliche Bedeutung dem Nürburgring im Rahmen der Strukturverbesserung, der Freizeitgestaltung und schließlich auch der Verkehrserziehung zukommt.
Die Rennen
Die Motorsportsaison liegt in der Eifel zur Hauptsache während der Zeit von Anfang März bis einschließlich Oktober. In diesem Zeitraum finden jährlich 7 bis 9 internationale Großveranstaltungen statt. Die traditionellen Rennen, wie das Eifelrennen oder der Große Preis von Deutschland, sind heute noch so bedeutungsvoll wie vor 40 Jahren. Andere Veranstaltungen sind in den 50er und 60er Jahren hinzugekommen: das 1000-km-Rennen, der Große Preis der Tourenwagen oder das 300-km-Rennen. Wie kaum eine andere Rennstrecke der Welt, vereinigt der Nürburgring praktisch alle Fahrzeugkategorien vom Motorrad der 50-ccm-Schnapsglas-Klasse bis zum 1000-PS-Interserie-Boliden. Er kann sich also mit recht eine universelle Rennstrecke nennen. Die Vielzahl und die Verschiedenartigkeit der Rennen locken Hunderttausende von Zuschauern an die Rennstrecke. Mehr als eine halbe Million sind es allein in einem Jahr.
Jeweils drei Tage benötigt ein großes internationales Rennen für Training und Wertungsläufe. Ein Teil der Besucher hält sich dann zwei Tage am Nürburgring oder in seiner Umgebung auf. Unterbringung und Verpflegung müssen gewährleistet sein. Allein das Dorf Nürburg zählt jährlich rund 12 000 Übernachtungen, die überwiegend durch die Veranstaltungen auf dem Nürburgring zustande kommen. Neben dem Sporthotel „Tribüne“ stehen um die Nordschleife rund 50 Imbiß- und Getränkestände, deren Belieferung auch während der Veranstaltungen sicherzustellen ist. Schätzungsweise 250 000 Würstchen und mehr als 500 000 Flaschen Bier dürften im Jahr an der Rennstrecke konsumiert werden.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Veranstaltung sind im Umkreis von etwa 50 km um den Nürburgring spürbar. Die Befragung eines repräsentativen Querschnitts der Besucher hat kürzlich ergeben, das etwa 45% rund 50,- DM und 30% bis zu 100,- DM je Rennen aufwenden. Allein unter Berücksichtigung dieser Werte ergibt sich bei einem Rennen mit 100 000 Zuschauern, daß 45000 rund 2,25 Millionen DM und 30000 (bei durchschnittlich 75,- DM) annähernd 2,25 Millionen DM – aufwenden. Diese Summe beinhaltet alle Ausgaben, die im ursächlichen Zusammenhang mit dem Rennen gemacht werden, so die Kosten für die An- und Abreise, die Verpflegung, die Unterbringung und die Eintrittskarte. Jedoch fließen diese Gelder nur in geringem Maße der Nürburgring GmbH selbst zu. Vielmehr kommen sie, wie bereits dargestellt wurde, vorab neben Einzelpersonen dem Handel und der Industrie sowie über die Steuern und Abgaben natürlich den Gemeinden, dem Land und dem Bund zugute. Ferner erhält der Veranstalter einen Teil der Renneinnahmen. Aus den restlichen Mitteln muß die Gesellschaft die bei ihr anfallenden Kosten der Veranstaltung bestreiten, aber auch die Ausgaben für den laufenden Geschäftsbetrieb und möglichst die zukunftssichernden Investitionen. Denn nur dann, wenn sie auf die Dauer rentabel arbeitet, kann sie ihren Beitrag zur Strukturverbesserung und zum Motorsport gewährleisten.
Rallye- und Teststrecke
Das öffentliche Straßennetz läßt es bei seiner heutigen Belastung kaum noch zu, darauf Rallyes durchzuführen. Seit einigen Jahren weichen deshalb immer mehr Veranstalter auf den Nürburgring aus. Seine 22,835 km lange Nordschleife mit ihren 73 Kurven sowie dem ständigen Wechsel zwischen Steigung und Gefalle kann als geradezu ideal für diese Sportart bezeichnet werden. Hinzu kommt, daß die Strecke Sicherheitseinrichtungen bietet, wie sie selbst bei großen internationalen Rallyes, beispielsweise der Rallye Monte Carlo, nicht zu finden sind: Kontrollposten und Sanitäter stehen im Abstand von 100 Metern, ein Funk- und ein Fernsprechnetz ermöglichen die schnelle und lückenlose Information. Trotz der durch die Bauarbeiten auf sieben Monate beschränkten Veranstaltungen fanden 1974 noch 38 Rallyes statt, die mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad über 400 km bis 3 000 km Länge oder von 5 bis 36 Stunden liefen. Derartige Rallyes sind die Domäne des Privatfahrers, der ohne große Werksunterstützung seinem Hobby nachgehen will. Wie beliebt sie sind, zeigen die Teilnehmerzahlen: Im Durchschnitt sieht man 100 Fahrzeuge am Start.
Foto: Kreisbildstelle
An Start und Ziel des Nürburgrings
Nicht minder bedeutend ist der Nürburgring für die Automobil- und Motorradhersteller sowie deren Zubehörbranchen als Teststrecke. Er bietet sich besonders für Dauerfahrten und die Prüfung der Fahrgestelle, der Reifen, der Bremsen oder der Stoßdämpfer an. Für ihn spricht, daß die Strecke in ihrer Anlage den öffentlichen Straßen gleichkommt – eine Voraussetzung, die ein Versuchsgelände der Industrie nur teilweise simulieren kann. Von Jahr zu Jahr wird der Nürburgring aber auch mehr zum Verkehrübungsgelände. Automobil- und Motorradklubs oder Firmen wählen ihn für ein- oder mehrtägige Fahrerlehrgänge.
Erholungsgebiet und Freizeitzentrum
In den Ballungsgebieten an Ruhr, Rhein und Main, aber auch in Ostfrankreich sowie den Benelux-Ländern gewinnt die Eif el als Erholungsgebiet und Ausflugsziel ständig mehr an Bedeutung. Dabei spielen der Nürburgring und seine Umgebung in der fremdenverkehrspolitischen Planung eine erhebliche Rolle und tragen zweifellos zur Attraktivität dieses Gebiets bei. Touristen aus aller Welt besuchen die Rennstrecke. Von der Öffnung der Bahn im Frühjahr bis Ende September befahren jährlich rund 70000 Personenwagen, annähernd 10000 Motorräder und 1000 Omnibusse die Rennstrecke.
Ziel kürzeren Wochenendurlaubs ist die Hocheifel auch sonst: Zu den Rallyes und den Sonderveranstaltungen, etwa dem Elefantentreffen sowie der Nürburgring-Show (dem derzeitig einzigen Rennen für historische Renn- und Sportfahrzeuge in Deutschland) oder gesellschaftlichen Ereignissen im Sporthotel „Tribüne“ kommen jährlich tausende Besucher.
Die neue Nordschleife
Die Bedeutung des Nürburgrings als wirtschaftlicher Faktor für das strukturschwache Gebiet der Hocheifel ist unumstritten.
Dies war letztlich auch einer der entscheidensten Faktoren, die nach dem Fahrerboykott 1970 zum Umbau der Strecke und damit zur Erhaltung des Nürburgrings als Austragungsort weltbekannter Motorsportveranstaltungen wurde. Der Ausbau der Nordschleife erfolgt nach einem Stufenplan über einen Zeitraum von 5 Jahren. Er macht den Nürburgring zu einer der sichersten Rennstrecken der Welt für Fahrer und Zuschauer.
Naturgemäß unterliegen Sicherheitseinrichtungen oder -maßnahmen an einem Höchstgeschwindigkeitskurs anderen Anforderungen als die an der relativ langsamen Nordschleife des Nürburgrings. 33 Linksund 40 Rechtskurven bremsen das Tempo, geben so aber den Piloten in kritischen Situationen die Möglichkeit, ausbrechende Fahrzeuge eventuell durch die Beschleunigungsreserve noch zu stabilisieren oder aufzufangen. Die Länge von 22,835 km sorgt schließlich dafür, daß ein Wagen im Verlaufe eines Rennens weit weniger Überholvorgänge vollziehen muß. Fahrer-, Veranstalter- und Rennstreckenerfahrungen berücksichtigt der gegenwärtige Umbau. Seine Grundkonzeption sieht rechts und links der Bahn drei bis vier Meter breite Randstreifen mit dichtem, flach gehaltenem Gras vor. Hund 10000 Bäume mußten deshalb fallen, annähernd 20000 Lkw-Ladungen Erdreich transportierte man. Eingefaßt sind die Randstreifen mit doppelstöckigen Leitplanken, die einen Bodenabstand von drei bis vier Zentimetern haben, damit kein Formelwagen oder Motorrad darunter rutschen kann. Direkt hinter den Leitplanken stehen zwei Meter hohe Zäune, die das Überspringen nach dem Aufprall eines Fahrzeugs verhindern sollen. Fahrbahn und Randstreifen erhielten eine verbesserte Kanalisation, um das gefährliche Aquaplaning, das bei den modernen glatten Straßenoberflächen nicht immer vermeidbar ist, auszuschalten oder zu vermindern. Rund neun Kilometer neuen Teerbelag trug man auf, Sprunghügel verschwanden. In der Innenkurve stehen neuartige Flachbordsteine (insgesamt etwa 6 km), die überfahren werden können, aber wegen der Fahrgestell- und Reifenbelastung natürlich gemieden werden. Doch schützen diese Steine die Fahrbahnränder vor dem Abbrechen und verhindern, daß rücksichtslose Fahrer beim „Räubern“ ihren Konkurrenten Sand und Steine entgegenschleudern. Mehr Schutz und bessere Sicht für die Besucher waren der Leitgedanke bei der Umgestaltung der Zuschauerplätze, die nun grundsätzlich mindestens 2,50 Meter über der Fahrbahn liegen. Leitplanken, Fangzäune, Erdwälle oder Sperrzonen trennen die Zuschauerbereiche von der Strecke und sorgen für die nach menschlichem Ermessen bestmögliche Absicherung. Die Fakten und Zahlen dieses Berichts haben dem Leser vor Augen geführt, weiche Bedeutung der Nürburgring für den immer
noch strukturschwachen oberen Teil des Kreises Ahrweiler hat. Ohne die ständige Weiterentwicklung der Rennstrecke und damit die Erhaltung der großen internationalen Sportveranstaltungen, ginge diesem Raum ein strukturpolitisches Instrument verloren, das in absehbarer Zeit kaum zu ersetzen wäre. Darüber hinaus hat der Nürburgring als Sportstätte für einen viel größeren Raum gesellschaftspolitische Funktionen.
Das immer größer werdende Freizeitangebot verlangt Orte, an denen Menschen ihrem Hobby nachgehen können. Die Freizeitbeschäftigung „Motorsport“ nimmt ständig zu. Über 20000 aktive Fahrer brauchen ihnen angepaßte Sportstätten, denn Motorsport auf öffentlichen Straßen ist heute kaum möglich. Deshalb ist der weitere Ausbau des Nürburgrings Struktur- wie gesellschaftspolitisch eine Notwendigkeit.