Wir wandern mit Leopold Kaufmann
von Ahrweiler zum Pastor Fey nach Bodendorf
Leopold Kaufmann, der spätere Oberbürgermeister von Bonn, besuchte in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts während seiner Bonner Gymnasialzeit in den Ferien seine Verwandten Müller in Ahrweiler. Die berühmte Malerfamilie Müller bewohnte mit ihrem Vetter, Vikar Fecherner, gemeinsam das jetzt Heinrichssche Haus in der Nähe des Niedertores. In seinen „Jugenderinnerungen an Ahrweiler“ berichtet Leopold Kaufmann: „Fesselte das Kelterhaus der Familie Fechemer mich die ersten Tage fast ausschließlich an Ahrweiler, so reizte später die herrliche Umgebung zu manchen Ausflügen, die meistens unter der Führung des landeskundigen Vetters Hubert gemacht wurden. Er hatte noch einen alten Freund und Landsmann in der Nähe, den Pastor Fey von Bodendorf, der auch über das Ahrtal hinaus in rühmlichster Weise bekannt war, weil er in seinem Pfarrdorfe den Weinbau durch musterhaften Fleiß und die gründlichsten Kenntnisse zu einer ungekannten Höhe gebracht hatte. Nicht minder berühmt war er durch seine außergewöhnliche Gastfreiheit; ein großes Nebengebäude, welches besonders zu diesem Zwecke gebaut worden war, enthielt eine ganze Reihe von Fremdenzimmern. Bartholomäus Fey war der Sohn eines kurkölnischen Hofkochs zu Bonn; nach dem frühen Tode seines Vaters erwarb er sich als Chorknabe in dem Stifte St. Cassius zu Bonn das Wohlwollen der reichen Canonici, die ihm die Mittel gewährten, sich dem geistlichen Stande zu widmen. 1802 erhielt er die damals noch unbedeutende Pfarrei zu Bodendorf.
Um die Gegend kennenzulernen, gingen wir nicht auf dem nächsten Wege nach Bodendorf. Wir bestiegen den waldigen Neuenahr und machten Halt in dem Dorfe Heimersheim. Dieser Ort war früher bedeutender als jetzt; man erkennt noch aus den vorhandenen Resten, daß ihn, gleich einer kleinen Stadt, ein Mauerring mit festem Schütze einschloß. Mit großer Aufmerksamkeit besahen wir die Pfarrkirche, die Kinkel „ein wahres Muster zierlichen und sparsamen Stils für ein kleines Gebäude“ nennt. Sie gehört der Übergangszeit an und enthält noch im Chore schöne alte Glasfenster und auf dem rechten Seiten=Altare ein interessantes Hoch=Relief in Marmor, die Kreuzschleppung darstellend, welches der Erzbischof Lothar von Trier seinen Eltern, Johann von Metternich, Herrn von Vettelhoven, und Katharina von der Leyen, am Ausgange des 16. Jahrhunderts widmete.
Unmittelbar im Angesichte der Landskrone, die sich von dieser Seite aus am mächtigsten präsentiert, gingen wir über die Ahr: weil wir aber viel Zeit auf die Besichtigung der Kirche verwendet hatten, mußten wir auf die Besteigung der Landskrone verzichten.
Noch eine Stunde wanderten wir die Ahr entlang, ehe wir das gastliche Pfarrhaus zu Bodendorf erreichten. Der Pastor Fey sah älter aus, als er wirklich war; er klagte auch dem Freunde und Landsmann Müller über seine geschwächte Gesundheit, die ihn wohl nötigen werde, bald seine Stelle niederzulegen. Zu unserem Erstaunen tat unser liebenswürdiger Wirt seinem ausgezeichneten Weine fast gar keine Ehre an, während uns der Bodendorfer nach dem langen Spaziergange doppelt gut mundete. Als Vetter Hubert das Gespräch auf Jugenderinnerungen brachte, wurde der Pastor lebhafter und ließ sich nicht lange bitten, zu erzählen, auf welche Weise es ihm gelungen sei, nach Bodendorf zu kommen. Als junger, eben geweihter Priester, so berichtete et, habe er wegen vollständiger Mittellosigkeit eine Stelle als Hauslehrer bei einem Gutsbesitzer in der Nähe von Köln angenommen; da sei die freudige Kunde ins Land gegangen, daß Napoleon die katholische Kirche wieder anerkenne, und daß ein neuer Bischof, ein frommer und würdiger Priester, Marc Antoine Verdollet, zum Bischof von Aachen ernannt worden sei und seinen neuen Sprengel bereise. Der junge Informator erfuhr gleichzeitig von seinen Bonner Freunden, daß die Pfarrei Bodendorf an der Ahr, welche noch in der neuen Diözese begriffen wäre, vakant geworden. An einem bestimmten Tage sollte der Bischof Verdollet in Köln eintreffen, wo er zu einem festlichen Mahle in den Räumen der ehemaligen Abtei St. Pantaleon eingeladen war. Darauf baute der unternehmende junge Geistliche seinen Plan. Er zog sich festlich an und begab sich zu Fuß nach Köln, ging um die Mittagszeit nach der Abtei und trat kühn ein, als ob er ein geladener Gast wäre. Obgleich man ihn nicht kannte, so ließ man ihn seiner priesterlichen „Kleidung wegen ruhig weitergehen. Da ihm an der Festtafel kein Platz angewiesen wurde, so setzte er sich ohne weiteres dem Bischof gerade gegenüber. Bei Tisch kam er bald mit Verdollet in ein sehr lebhaftes Gespräch und, da er der französischen Sprache vollkommen mächtig war, wurde es ihm leicht, seinen angeborenen Witz und den ihm eigenen Humor glänzend zu entwickeln. Nach aufgehobener Tafel nahm Fey die Gelegenheit war und trug dem Bischof die Bitte vor, ihm die eben erledigte Stelle in Bodendorf zu übertragen. Nicht viele Tage nachher kam die gewünschte Ernennung. Die Stelle war nur schwach dotiert und der Bau der dazu gehörigen Weinberge vollständig vernachlässigt. Nun warf sich Fey mit jugendlichem Eifer auf den Weinbau; bald hob sich der Ruf der Bodendorf Credenz immer mehr, und damit wuchsen auch die Mittel des mit Einsicht und Ausdauer weinbauenden geistlichen Herrn. Mit freudigem Stolz hatte uns der Pastor auf ein Ölbild aufmerksam gemacht, das, prachtvoll eingerahmt, einen Ehrenplatz in dem geräumigen Gastzimmer einnahm; es war das Porträt des Ministers vom Stein, das dieser dem Pastor geschenkt hatte. Seiner werktätigen Pietät verdankte die Pfarrei Bodendorf einen glänzenden Zuwachs ihrer Einkünfte. „Als Erbe der alten ausgestorbenen Freiherren von Landskron“ stiftete Stein, obgleich er nicht katholisch war, im Jahre 1826, um die Herren von Landskron jetzt und künftig in frommem Andenken zu erhalten, und einem zeitigen Pfarrer zu Bodendorf, als dem Hauptort der ehemaligen Herrschaft Landskron, ein der Würde seines Amtes angemessenes Einkommen zu sichern, 26 3/4 Morgen Land, 3 Morgen Wiesen, 2 1/4 Morgen Weinberge und 28 Morgen Rahmhecken, deren Nutznießung dem zeitigen Pfarrer Fey zu Bodendorf und dessen Amtsnachfolgern gegen die Verpflichtung überwiesen wird, jeden Sonnabend für die verstorbenen Herren von Landskron eine Messe zu lesen oder lesen zu lassen, während der Sommermonate in der ehemaligen Schloßkapelle zu Landskron, in den übrigen Monaten in der Pfarrkirche zu Bodendorf.“ Mit dem bedeutend vermehrten Einkommen wuchs auch in gleichem Maße die Wohltätigkeit des Pfarrers. Er baute zum Vorteil der Gemeinde ein schönes und geräumiges Schulhaus, schenkte der Kirche neue Glocken und gab zur Einrichtung des Friedhofes das nötige Grundstück unentgeltlich her. Als ehemaliger Chorknabe hielt Fey viel auf schönen Kirchengesang und ließ auf seine Kosten einen tüchtigen Gesanglehrer von Bonn nach Bodendorf kommen, der dort ein halbes Jahr unterrichtete. Auch die Hebung der Schule lag ihm sehr am Herzen. Als der alte Schulmeister, der noch den Titel Magister führte, abständig wurde, ließ Fey einen jungen, tüchtigen Lehrer kommen, den er besoldete und in sein Haus aufnahm, bis der alte Magister gestorben und dessen Stelle vakant geworden war. In jedem Jahr wurden die reif gewordenen Stachelbeeren und Aprikosen des schönen Pfarrgartens von den festlich versammelten Dorfkindern verzehrt; am Tage des hl. Bartholomäus saß die gesamte Schuljugend an dem Kaffeetische des Pfarrers.
Auf diese Weise war es natürlich, daß der Pastor von Bodendorf eine sehr bekannte Person wurde, bei jung und alt, bei vornehm und gering geehrt und beliebt. Selbst mit den höchsten weltlichen und geistlichen Würdenträgern der Provinz stand Fey auf einem freundschaftlichen Fuße; viele von ihnen waren Gäste des liebenswürdigen geistlichen Herrn. Auch der edele Freiherr vom Stein trat zu Fey in ein sehr nahes Verhältnis; weil er selbst wiederholt das gastliche Haus des Pfarrers besucht hatte, lud er ihn auch auf sein Schloß Nassau zu Gast und ehrte ihn durch seine Freundschaft. Zum Staunen des Herrn von Borstell, des damaligen kommandierenden Generals der Rheinprovinz, der sich gerade nicht durch christliche Demut auszeichnete, wies Stein dem schlichten Landpfarrer neben sich bei der Tafel den Ehrenplatz an. „Erst gegen Ende des Mahles“, erzählte Fey mit besonderem Vergnügen, „wurde der General auch mir gegenüber freundlich und bestellte sogar in herablassender Weise ein Viertel Ohm Wein bei mir. Ich ging nicht darauf ein, sondern antwortete scherzend, der Herr General müsse doch erst bei mir den Wein probieren, ehe er ihn kaufe. In demselben Sommer erschien denn auch Borstell bei mir und verfehlte ich nicht, ihn ausgezeichnet zu empfangen und zu bewirten.“ In Nassau lernte Fey auch den alten Arndt kennen, der in seinen Wanderungen aus und um Godesberg von dem Pastor Fey berichtet: „In seinem freundlichen geistlichen Hause habe ich oft des bestens Ahrwein getrunken und dort über Land, Volk und Art und Sitte des Volkes manche liebe Kunde gelernt.“ Ein näherer Weg im Rücken der Landskrone brachte uns bald in der Abenddämmerung nach Ahrweiler zurück, wo der Vikar Fechemer beim Abendessen noch schöne Züge aus dem Leben des auch von ihm hochverehrten Pastors Fey zu erzählen wußte.
Rasch flogen in angenehmer Abwechslung die Tage und Wochen vorüber; das gefürchtete Ende der Ferien rückte immer näher heran. Da empfand ich zuerst in meinem Leben die Bitterkeit des Scheidens. Mit lebhaftem Dank gegen den Vetter Hubert und den guten ehrwürdigen alten Vikar zog ich unter dem Schütze der beiden jungen Maler, die nach Düsseldorf zur Akademie zurückkehren wollten, den Hohlweg beim Ellig hinaus, dann durch die Grafschaft und den Kottenforst zurück nach meiner lieben Vaterstadt Bonn. Mein Herz schlug höher, als wir beim Ausgange aus dem Walde in der Ferne die Kreuzberger Kirche erblickten; vor Freude warf ich meine Mütze hoch in die Luft. Eine Stunde darauf befand ich mich mit meinen Begleitern wieder im Elternhause.“ — Das geschah im Jahre 1834.