„Weinfabrikation 1844 – Pro und Contra“ – Zur Vorgeschichte der Winzervereine
„Weinfabrikation 1844 – Pro und Contra“ –
Zur Vorgeschichte der Winzervereine
Dr. Ernst Burkardt
Nur sehr wenig erfährt man, wenn man nach Einzelheiten fragt, die zur Gründung der Winzervereine führten. Die Ursachen sind klar: Notzeiten in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, Ausbeutung der Kleinen durch die Großen. Endlich erfolgte 1868 der erste Zusammenschluß von kleinen Produzenten in Mayschoß.
Verschiedene Chroniken bieten zu diesem Thema Zahlen und Namen, Angaben über die Ernten, über Traubenpreise und Absatzmöglichkeiten und durch die Not bedingte Auswanderungen nach Amerika. Aber es ist die Art einer Chronik, Fakten und Daten als Ergebnisse einer oft komplizierten Entwicklung trocken aufzuzählen. So werden langfristige Prozesse verkürzt und damit vereinfacht dargestellt. Über-standene Mühen werden mit der Zeit unter besseren Bedingungen verdrängt und vergessen: schwierige Verhandlungen oder Auseinandersetzungen mit denen, die andere Wege für richtiger halten oder sogar jede Veränderung ablehnen.
Etwas Leben und damit auch Licht in diese Verhältnisse bringt die Möglichkeit, ein Jahr genauer zu beleuchten und eine Pressefehde im Jahre 1844 zu verfolgen. Der Kölner Franz Raveaux, späterAbgeordneterim Paulskirchenparlament, wird in Weinbaukreisen hier und da erwähnt. Eine Abhandlung über seine Verdienste, soweit ihm solche überhaupt zugeschrieben werden, ist mir nicht bekannt. Mit Hilfe der von ihm 1844 in Köln als Büchlein herausgegebenen Zeitungsartikel – „pro und contra“, wie es im Vorwort heißt- möchte ich im Rahmen der hier gebotenen Kürze eine kritische Würdigung seines Einsatzes für die Winzer „auf der Ahr“ versuchen.
Am 30. August 1844 erscheint im „Kölnischen Anzeiger“ ein anonymer Artikel, der die Weinhändler beziehungsweise ,,-fabrikanten“ für die Verarmung der von ihnen abhängigen Winzer an der Ahr verantwortlich macht. Anlaß für diesen Artikel ist die Berufung einer Kommission unter dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz, die über geeignete Mittel gegen diese Not beraten soll. In seiner zweiten Zuschrift vom 8. September gibt sich der Schreiber zu erkennen:
Franz Raveaux, Tabak- und Zigarrenhändler aus Köln. Schon nach dem ersten Artikel drohten die getroffenen „Fabrikanten“ in eigenen Inseraten miteinergerichtlichen Untersuchung, zu der es aber nicht kam. Die Zeitungskampagne, an der auch die „Triersche Zeitung“ beteiligt ist, zieht sich hin bis Ende November; mehr als 30 Zuschriften, meist groß mit „Ahr“ überschrieben, werden gedruckt. In zwei abschließenden Artikeln legen die Kontrahenten noch einmal ihren Standpunkt dar. Im ganzen sind die Briefe der Weinhändler gekennzeichnet durch Empörung, was verständlich ist wegen der befürchteten Geschäftsschädigung, während Raveaux aus sicherer Position die „Weinvermehrung und -Verbesserung“ angreift und mit Hohn und Spott immer wieder das Feuer anheizt, „im Interesse der notleidenden Winzer“.
Diese Artikel gäben die Vorlage für eine Komödie, wäre nicht der reale Hintergrund einer heute kaum vorstellbaren Not unter den kleinen Winzern. Wie reagieren diese Opfer? 33 Winzer aus Dernau, Rech und Altenahr unterschreiben am 20. September eine Danksagung an Herrn Raveaux, bestätigen seine Behauptung von der Schuld der Weinhändler mit ihren „künstlich zubereiteten Weinen“ und ermuntern ihn: „Möge er darin so lange fortfahren, bis es gelungen, die hohe Staatsregierung darauf aufmerksam zu machen.“ Am 4. Oktober unterschreiben 45 Bürger aus Ahrweiler eine ähnliche Erklärung und hoffen, die „weise Staatsregierung“ möge bald ein „beschützendes spezielles Gesetz hinsichtlich der Weinbereitung erlassen“. Es folgen bis zum 14. Oktober die Winzer von Bachern, Walporzheim, Heimersheim – Heppingen – Ehiin-gen, Mayschoß. Aber am 7. November – inzwischen war die Weinlese! – bringt die „Kölnische Zeitung“ eine Anzeige, in der sich über zweihundert Ahrwinzer aus allen Orten von Franz Raveaux und seinen „Redensarten“ distanzieren:
„Wir täuschten uns sehr; wir haben uns von neuem überzeugt, daß jene Leute, die uns seitner Trauben und Wein abkauften, auch heute diejenigen waren, welche unsere Ware bezahlten.“ Die Winzer bedauern das „unselige Treiben“, das „der Ahr offenbar mehr schadet als nutzt“, und „wollen lieber auf den lieben Gott vertrauen, er möge uns gesegnetere Ernten schenken, und die hohe Staatsregierung bitten, daß sie die wahren Ursachen der allgemeinen Not der Winzer ermitteln und die geeigneten Maßregeln zu deren Hebung anwenden möge.“ Raveaux, der in derselben Zeitungsausgabe schon auf eine solche Aktion von „erkauften Dankadressen“ hingewiesen hatte, ist natürlich verbittert; diese Undankbarkeit kann er nicht begreifen, abgesehen von der Unterstellung, er wolle neben Tabak und Zigarren „auch noch ein Speculatiönchen in Trauben und Ahrbleichart machen“. Einen großen Erfolg aber kann er für sich buchen: den Winzern wird trotz des schlechten Jahrgangs 1844 für ihre Trauben fast 100 Prozent mehr als früher bezahlt. Das ist die positive Seite dieser Kampagne. Auf eine negative wird von den Weinhändlern hingewiesen: in den Dörfern an der Ahr sei Unfriede entstanden, der bis in die einzelnen Familien reiche. – Soweit in großen Zügen der Tatbestand. Daraus ergeben sich einige Fragen:
Franz Raveaux
Ist die Argumentation des Franz Raveaux klar durchdacht, geschickt und damit wirkungsvoll?
– Welche Motive trieben ihn zu seinem Eintreten für Leute, denen er weder persönlich noch geschäftlich verbunden war? Stimmt der Vorwurf, er sei von einer Interessengruppe vorgeschickt?
– War dieser öffentliche Streit eine lokale Episode ohne Bedeutung, oder wirkt er sich aus auf die wirtschaftliche Entwicklung des Weinbaus an der Ahr? – Für die Beantwortung sind neben den von Raveaux gesammelten Zeitungsinseraten auch seine anschließenden Bemerkungen unter den Überschriften „Beleuchtungen“ und „Der Notstand der Winzer in der Rheinprovinz“ von Bedeutung. Vorweg sei gesagt: Die Argumentation beider Seiten ist emotional und mißverständlich. Raveaux läßt sich von dem wichtigeren wirtschaftlichen Thema des An- und Verkaufs ablenken auf ein spezielles der Weinzubereitung.
Damit ergibt sich die Antwort auf die erste Frage: Diese Art der Argumentation kann nicht wirkungsvoll sein. Schon in dem ersten Inserat vom 30.8.1844 werden die beiden Themen „Weinverkauf“ und „Weinzubereitung“ nicht klar getrennt. Die Weinzubereitung ist für Raveaux weitgehend eine „Verfälschung des Ahrweines“, „der vor zwanzig Jahren einen so großen Ruf hatte, daß er sogar Kranken als Medizin verordnet wurde“. Diese „Verfälschung durch Zusatz von Färb- und Zuckerstoffen, so wie spirituöse Beimischungen“ wird nur den Weinhändlern beziehungsweise „-Fabrikanten“ angelastet, obwohl sich auch kleine Winzer getroffen fühlen müssen. Schließlich ist das Hin und Her um Verfälschung beziehungsweise Veredlung durch Zucker, das in Frankreichschon länger übliche Chaptalisieren, eine Geschmacksfrage, über die man kaum diskutieren, viel weniger ein gültiges Urteil fällen kann. Das ergiebigere Thema der kaufmännischen Praktiken der Händler, das heißt der Ausnutzung einer Monopolstellung – der wahre Grund für die Verarmung der Winzer – wird am Anfang des Streites zu wenig präzisiert. Das geschieht erst an dessen Ende. Hätte Raveaux wenigstens im Verlauf der Pressefehde diese Zusammenhänge klarer formuliert, wäre es für seine Gegner nicht so einfach gewesen, den Punkt der Verfälschung und da besonders das Chaptalisieren zur Hauptsache zu machen. Und die 200 Unterschriften gegen Raveaux wären nicht so leicht zusammengekommen. So wurde die Diskussion auf eine zweitrangige Frage eingeengt; und das bloße Reagieren auf die Argumente der Gegner brachte den gutgemeinten Vorstoß um seine Wirkung, abgesehen von der kurzfristigen Erhöhung derTraubenpreise, ein deutliches Schuldeingeständnis der Händler.
Titelseite: Sammlung der Artikel von Raveaux,1844.
Aus dem bisher Gesagten gehen die Antworten auf die zweite Frage schon weitgehend hervor. Raveaux war nicht von einer Interessengruppe vorgeschickt, und seine Motive waren nicht eigennütziger oder geschäftlicher Art. Gegen eine Interessengruppe spricht die anfängliche Anonymität, die nicht konsequent durchdachte Argumentation und besonders die Unkenntnis von Fakten, die nur auf ein dilettantisches Interesse am Wein und allem, was damit zusammenhängt, hinweist. Raveaux muß sich zum Beispiel darüber belehren lassen, daß an der Ahr dieselben Weingesetze gelten wie in Frankreich; ebenso, daß das Zuckern des Weines in bestimmten Grenzen erlaubt, ja sogar von der Regierung empfohlen ist und nicht nur von den großen Weinhändlern praktiziert wird. Gegen eine Interessengruppe spricht ferner, daß Raveaux gegen Ende des Streites überempfindlich sogar wohlmeinende Personen vor den Kopf stößt statt ihre Argumente zu nutzen und die eigene Position zu stärken. Für ihn sind die Weinhändler die Hauptschuldigen, und während der Debatte übersieht er wie der Stier vor dem roten Tuch alles, was rechts und links ist. Das läßt nur den Schluß zu, daß das hauptsächliche Motiv für Raveaux persönlicher Art ist: Ein Liebhaber des alten Ahrbleichart fühlt sich betrogen; er glaubt, statt des Naturweines werde ihm ein synthetisches Produkt angeboten; und er hat noch nicht einmal die Möglichkeit, eine Verfälschung exakt nachzuweisen. Er macht seinem Ärger Luft durch ein Zeitungsinserat und wird gleichzeitig zum Anwalt der Winzer, die ebenfalls ohne eine Möglichkeit zur Gegenwehr betrogen werden. Etwas naiv sieht Raveaux in einer speziellen „Weinpolizei“, die sich aus „gutgesinnten Winzern“ zusammensetzen soll, eine Möglichkeit, der Weinverfälschung zu begegnen.
In seiner späteren Ausführung wird deutlich, daß sich Raveaux im Laufe der Auseinandersetzung genauere Kenntnisse erworben hat. Zur Behebung der Notlage macht er Vorschläge, die über das Ahrgebiet hinausgreifen und auch heute noch nicht ausdiskutiert sind. Unter anderem fordert er ein Verbot von Rebenanpflanzungen in schlechten Lagen. Mit diesen Problemen kommen wir zur nächsten Frage. Hatte der von Raveaux entfachte Streit eine weiterreichende Bedeutung? Es wäre sinnlos, diese Diskussion wieder auszugraben, wenn sie nicht irgendeine Wirkung auf die Entwicklung des Weinbaus gehabt hätte. Ein Ergebnis liegt, wie schon erwähnt, ganz klar auf der Hand. Die Erhöhung des Traubenpreises um fast 100 Prozent. Das allein hätte schon den ganzen Aufwand gerechtfertigt. Aber ein Dauererfolg ist es nicht, und man mußsich wundern, daß über 200 Winzer mit Raveaux brechen und sich von ihm distanzieren. Lassen sie sich in ihrer Kurzsichtigkeit blenden, oder sind sie in ihrer Abhängigkeit dazu gezwungen? Für einen Dauererfolg müssen die Ursachen erkannt und beseitigt werden. Sehr klar sind diese von einem anonymen Schreiber in der Kölnischen Zeitung vom 4. November 1844 dargelegt worden: „Zu hohe Besteuerung der Weingüter besonders im Verhältnis zu den Ackerländereien,…die stets wachsende Zunahme der Bevölkerung und dadurch notwendig desto größere Zersplitterung des Grundeigentums; der im Jahre 1828 ins Leben getretene Zollverband mit den süddeutschen, ebenfalls weinproduzierenden Staaten, wodurch unsere Weine, besonders die roten, immer mehr vom Markt verdrängt wurden, …steuerliche Begünstigungen des Eingangs größerer Quantitäten ausländischer Weine und Verschließung derjenigen Nachbarstaaten, welche selbst keinen Wein bauen, wohin aber in früheren Zeiten unsere meisten Weine den besten Absatz fanden, durch zu hohe Zölle…; unbarmherzige Schuldeneintreibungen und Zwangsverkäufe Einzelner ohne Rücksicht darauf, daß ganze Familien dadurch an den Bettelstab gebracht werden.“ – Alle diese Gründe werden von Ra-veaux anerkannt, und trotzdem versteift er sich nur auf die Attacke gegen die Händler. Daß er damit ins Schwarze getroffen hat, zeigt deren Reaktion. So ist es seltsam, daß er bei dieser Haltung nicht direkt und intensiver einen Vorschlag propagiert und sich zu eigen macht, der gerade seinen Intentionen, das Monopol der Händler zu brechen, entgegenkommt. Er selbst zitiert in der Kölnischen Zeitung vom 14. September 1844 einen Artikel aus Nummer 102, 1842, des Allgemeinen Organs für Handel und Gewerbe, in dem gefordert wird, „die der Weinindustrie im ganzen ersprießliche Konkurrenz wieder ins Leben zu rufen … etwa durch Errichtung einer Weinbörse in Köln“.
Lochmühle mit Weingärten und steilen Rebhängen, Stahlstich Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die Beschreibung einer solchen Weinbörse zeigt, daß die Struktur der späteren Winzergenossenschaften hier im wesentlichen vorweggenommen ist. Außer der Bearbeitung der Trauben werden alle Geschäfte von der Börse übernommen. Nur Produzenten, nicht die Händler, haben das Recht, dieses Lager zu benutzen. Die Winzer erhalten einen Vorschuß auf ihre
eingelieferte Ware etwa in der Hälfte des Wertes; nach dem späteren Verkauf wird der volle Wert bei Anrechnung der Unkosten ausgezahlt. Der Artikel schließt: „Vielleicht wäre es möglich, auf solche Weise am nachhaltigsten die Lage der ärmeren Weinbauern zu verbessern und sowohl dem Druck der Kreditoren und Aufkäufer als auch der für das ganze Geschäft wahrhaft verderblichen Weinfabrikation entgegenzuwirken.“ Also auch eine Garantie für Qualität könnte von einer solchen Börse übernommen werden. – Es vergingen aber noch 24 Jahre, bis die Winzer zur Selbsthilfe griffen und in ihren Winzervereinen nicht nur den Verkauf des Weines, sondern auch die Herstellung übernahmen.
Es ist das Verdienst von Franz Raveaux, beharrlich, wenn auch in einzelnen Fällen ungeschickt, auf die Punkte gezeigt zu haben, an denen später tatsächlich mit großem Erfolg angesetzt wurde: Die Brechung einer Monopolstellung und die Verbesserung der Qualität des Weines. Ob er mit seiner Pressekampagne einen beschleunigenden Einfluß auf die Selbsthilfe der Winzer ausgeübt hat, ist nicht direkt nachzuweisen. Zur Verbreitung solcher Gedanken hat er gewiß beigetragen, Grund genug, ihn nicht zu vergessen.