Wein probieren — Wein genießen

Vortrag bei der Weinprobe zum Ahrweiler Winzerfest 1977

Johannes Roth

Menschen nur trinken den Wein,
den ändern Geschöpfen ziemt Wasser.
Achte die Scheidung, o Mann,
halt‘ möglichst vom Wasser Dich fern!
(Altrömischer Weinspruch)

Wie kein anderes Geschenk der Natur — und mehr noch als sein Gegenstück: das Brot’— steht der Wein tief und vielfältig in der mythologischen und religiösen Gefühlsund Anschauungswelt der Menschen und Völker. Hier wie anderswo sind die Griechen und die Römer unsere Lehrmeister. Die religiöse Auffassung und Vorstellungswelt vor allem der Griechen ging dahin, der Wein, der Saft der Rebe, habe -> seiner Herkunft und seiner Wirkung nach — göttliche Bezüge, und dieser Glaube ging als wesentliches Element ein in ihre Weltschau und Gesamthaltung zum Leben. Dionysos, der Sohn des Zeus und der thebanischen Königstochter Semele, war für sie der Gott der Fruchtbarkeit und vor allem der Rebe und des Weines; sein rauschhafter Kult vollzog sich oft in Ausgelassenheit, ja lärmender Zügellosigkeit. Auf der anderen Seite lassen die großen Epen des Homer, die 11 las und die Odyssee, und viele andere Dichtungen eine Genußkul-

tur des Weines von hoher Art verspüren. Unter seinem zweiten Namen „Bakchos“ wurde Dionysos und sein Kult von den Römern übernommen und von ihnen mit dem Anbau und der Kultur der Rebe weitergegeben an die Völker des römischen Weltreiches bis hinauf an die Ufer von Rhone, Mosel, Rhein und Ahr. So fehlt denn noch heute — auch in unseren Gefilden — in kaum einem Winzerfestzug ein Wagen mit dem griechisch-römischen Weingott Bacchus.

Nicht weniger eindrucksvoll und unmittelbar sind Reben und Wein lebendig in der Gedankenwelt des Christentums: in den Gleichnisreden Christi, bei der Hochzeit zu Kanaa, vor allem aber im Glaubensgeheimnis der Verwandlung von Brot und Wein in der hl. Eucharistie! Ebenso weist das Alte Testament eine Fülle von Vergleichen und Symbolen auf, die der Bildwelt von Rebe und Wein entnommen sind, angefangen von Noe oder Noah, dem Gott der Herr selber nach der großen Flut, der Sintflut, die Rebe als Trostgabe schenkte. Und schier unübersehbar ist die Schar der sogenannten Weinheiligen, der besonderen Schutzpatrone für Reben und Wein, die das christliche Winzervolk allüberall in den Weinbaulandschaften des Abendlandes sich erwählt hat.

Wenden wir uns dem Anlaß unseres Zusammenseins hier und heute zu, dem Thema: Wein-probieren, Wein-verkosten, stilgerechtes Wein-genießen! Wiederum ist ein Römer auch hier Vorbild und Lehrmeister, der Dichter Horaz, der 65-8 vor Christus lebte und Weinkenner und Weingenießer von hohen Graden . war. Er hat das harmonische Zusammenwirken der beim Wein entscheidend wichtigen Sinnesorgane Auge, Nase, Mund und Zunge, auf die denkbar kürzeste Formel gebracht, eine wahre Zauberformel von nur drei Buchstaben; sie mutet geradezu chemisch an, wie H2O, die Formel für Wasser; es sind die Anfangsbuchstaben der drei lateinischen Worte

COLORE, ODORE, SAPORE
COS

Nach Farbe, Duft oder Blume und nach Geschmack wird der Wein verkostet und geprüft, und von den fünf Hauptsinnesorganen des Menschen sind dazu Auge, Nase, Mund und Zunge aufgerufen. Zu solcher Augenprobe ist ein Trinkgefäß aus Glas vonnöten, nicht eins aus Metall oder Holz, und nicht eins aus Keramik oder Porzellan. In maßvollem Abstand hält die Wand das nur zu einem Drittel oder knapp bis zur Hälfte gefüllte Glas gegen das Licht — im Weinkeller gegen den Schein der Kellerkerze — damit das Auge am Farbenspiel im Glase seine Freude haben kann. Ein leichtes Schütteln des Glases in rhythmisch kreisender Bewegung löst die feinen ätherischen Düfte, die uns als Blume den ersten Genuß gewähren. Für diese leichte Bewegung des Weines im Glase haben unsere Nachbarn im Westen, die Franzosen, sprachlich ein treffend reizvolles Bild: Faire valser le vin, den Wein Walzer tanzen lassen, nicht wild und stürmisch, sondern verhalten und in liebender Hingabe.

 Nachdem die Nase den Duft des Weines, die Blume oder das Bukett — dieses Wort ist wiederum dem Französischen entlehnt — einatmend verspürt und verkostet hat, erreicht die Probe ihren Höhepunkt. Behutsam wird der erste Schluck — nicht zu groß und nicht zu klein — von Mund und Zunge aufgenommen, und diese lassen genüßlich das köstliche Naß ihre Geschmacksnerven umspielen und umspülen; Kehle und Schlund vollenden den Trunk und setzen der Probe den bestimmenden Schlußpunkt.

C, 0, S – Farbe, Geruch, Geschmack waren zu proben, und das besorgten die drei Sinnes-Organe Auge, Nase, Mund und Zunge. Im Tal der Rotweinahr wird noch ein weiterer Sinn samt seinem Organ oder Träger bewegt, der Tast- und Temperatursinn, als sein Instrument unsere Hände. Prüfend umschließen wir mit beiden Händen unser Weinglas, um ihm und dem Roten im Glase von unserer eigenen Körperwärme mitzugeben, falls er nicht richtig temperiert erscheint. Wiederum sagen es treffend die Franzosen: Chambrer le vin, den Wein zimmerwarm machen, ihn der gegebenen Durchschnittstemperatur des Raumes anpassen. Und hier erinnern wir uns dankbar der verständnisfrohen Verse, die in den 50er Jahren unser verstorbener Mitbürger Franz Schmilz, als Kreisbaumeister lange Jahre Leiter des Kreisbauamtes, unter der Überschrift „Rotweinprobe“ uns schenkte und mit seinem Kneipnamen Schmitz-Cubik veröffentlichte:

Man trinkt den Rotwein nicht zu kalt.
Am besten prüft man den Gehalt,
ndem stets wieder man probiert,
ob er nun richtig temperiert.

Wenn man am Schluß dann nicht mehr weiß,
ob er nun kalt war oder heiß,
dann sagt man an der Rotweinahr,
daß so die Probe richtig war.

Jede Prüfung, jeder Test, schließt ab mit einer Beurteilung und Wertung, also auch eine Weinprobe. Reich ist der Wortschatz an schmückenden Beiwörtern, die dem Prüfer und Weinkenner bei der sprachlichen Formulierung zur Verfügung stehen. Will er den geprobten Tropfen loben, so sagt er etwa, der Wein sei „harmonisch, lieblich, zart, samtig, elegant, duftig, spritzig, rassig, rund, saftig, fruchtig, weinig, stahlig, erdig, feingärig, — ein Wein mit Körper, Nerv, Kern und Muskel, er habe einen feinen Göhr, eine Weste, einen Schwanz, kurz: es sei alles dran“.

Für den Tadel stehen Noten bereit wie: „flüchtig, klein, dick, plump, ölig, trocken, herb, hart, scharf, stumpf, heftig, überreif, firn, rauchig, brandig, grasig, unharmonisch, ohne Musik, er sei ein Surius, ein Rachenputzer, ein Böckser, eine Bowle“.

Gesteigert und fast dichterisch erhöht sprechen Weinwerbung und Preislisten von feiner und feinster Auslese, hochedler Süße, fruchtiger Fülle, vollmundig würziger Art, bukettreicher Natursüße; bestechend eleganter Blume, harmonischem Spiel, großer Finesse. Nun, der Wortschwall soll uns nicht schrecken und nicht bluffen. Ein guter Wein kann und wird sich selber loben. Weinkenner zu sein und als solcher zu gelten, ist wohl der Wunschtraum mancher Weinfreunde und Weinliebhaber. So .ist denn auch hohe Weinkönnerschaft ein sehr beliebtes Motiv alter Sagen und vieler Anekdoten.

Ein Gedicht von einer wahrhaft einmaligen Weinkennerschaft mag drum unsern Exkurs beschließen:

Die Weinprobe von Himmerod von Karl Christoffel

Es hat im Kloster Himmerod
der Kellermeister große Not. —
Im Spitzenwein vom besten Jahr
Ein Beigeschmack ward offenbar;
Das Hochgewächs, so voll und zart,
So blumig, von der feinsten Art,
Befiel etwas, das tief ihn schmerzt,
Ein Ton, vom Teufel eingeschwärzt.
Dem Rätsel auf den Grund zu schaun,
Zieht er den Prior ins Vertraun;
Versinte Kunst vielleicht entdeckt,
Worin des Übels Wurzel steckt.
So proben sie nur immerzu
und raten her und raten hin,
Bis daß mit hohem Kennersinn
Der Prior fällt den Urteilsspruch:
 „Deut Ich mir richtig den Geruch,
Sag ich und geh nicht ab davon,
Der Wein hat einen Lederton!“
Der Kellermeister spricht: „Gemach!
Ich spüre andrer Fährte nach;

Probiere immer ich aufs neu
Und bleibe meiner Zunge treu,
Behaupt ich, wie ich gleich geahnt,
An Eisen mich der Ton gemahnt.
Doch, was dem Weine widerfuhr,
Der Abstich bring uns auf die Spur!“
Als man das Fuder umgefüllt,
Hat es erstaunlich sich enthüllt:
Ein Schlüßlein blieb im Faß zurück
An einem kleinen Lederstück.

Wir wünschen den Herren unseres Probeteams die feine, den Lederton witternde Nase des Priors und die subtile, das eiserne Schlüsselein schmeckende Zunge des Kellermeisters von Himmerod.

*) Anmerkung

Die Anekdote von der wunderbaren Weinprobe ist ein Wandermotiv, das bereits der spanische Dichter Cervantes (1547-1616) in seinem Roman „Don Quijote“ verwendet (II. Teil, 13. Kapital) Paul Zauner verlegt sie in seinen „Rheinlandsagen“. II. Band (bei Eugen Diederichs. Jena), in das Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau.

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