WAS IST HEIMAT?

Wenn du von deiner Heimat reden oder singen hörst, rührt ein Geheimnis dir ans Herz. Es wird dir zumute, als ob du Gottvater selber wandeln sähest durch den Paradiesgarten deiner Heimat.

Da ist der Wald. Darin wohnt Frau Sage. Da ist ein versunkenes Schloß. Dort um den Berg wittert es gar geheimnisvoll von Helden und Unholden. Da sind Heiligtümer aus christlicher Zeit: der Wallfahrtsort, nach dem schon deine Urahnen pilgerten, der Denkstein, der an ein großes oder schauriges Ereignis erinnert. Da sind die Dörfer ringsum: jedes hat seinen eigenen Kirchturm, jedes seine Eigenheit der Mundart und der Sitte, jedes seinen Patron und seine eigene Kirchweih. Hier ist seit altersher das Fest des Heimatheiligen. Ein Geschlecht nach dem ändern pilgert am Festtag des Heiligen hinaus, die heilige Sitte in Ehren zu halten.

Fühlst du, daß deine Heimat etwas mit Gott zu tun hat?

Wenn deine Religion die christliche, d. h. die Religion der Liebe ist, so fühlst du dich mit den heiligen Banden der Liebe an deine Heimat geknüpft, fühlst aber auch deine heilige Liebesverpflichtung gegen die Heimat. Wer hat dir die Heimat gegeben? Ist es nicht ähnlich dem, was deine Mutter dir gegeben hat? Darum spricht man auch von Mutter Heimat, und man fühlt sich mit der Heimat ähnlich verwachsen wie mit der Mutter. Das Heimweh ist ein Gefühl wie das eines Kindes, das sich nach der Mutter sehnt. Wenn jemand sagt: „Ich habe keine Heimat mehr“, so ist das ähnlich wie: „Ich habe keine Mutter mehr.“ Darin liegt eine Klage und ein Schmerz.

ANTON HEINEN