…war Mitglied der NSDAP“ – Zur politischen Säuberung im Kreis Ahrweiler nach 1945
…war Mitglied der NSDAP“
Zur politischen Säuberung im Kreis Ahrweiler nach 1945
Leonhard Janta
Die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit in den neuen Bundesländern ist begleitet von Enthüllungskampagnen in den Medien, wobei häufig Vergleiche zum Entnazifizierungsverfahren in der Nachkriegszeit gezogen werden. Vor allem wird immer wieder betont, daß sich die Verfahren angeblich darin ähnelten, daß auch heute vielfach die eigentlich Verantwortlichen „ungeschoren“ davon kämen, während die Kleinen „gehängt“ würden.
Das gesamte Kapitel Entnazifizierung wird oft pauschal auf solche Formeln gebracht. Den Nachkriegsgenerationen ist es zudem vielfach nur als historisches Stichwort und in legenden-bildenen Erzählungen bekannt.
In den nachfolgenden Ausführungen zur politischen Säuberung im Kreis Ahrweiler nach 1945 werden diese Aktionen im Kontext der Entnazifizierung im nördlichen Rheinland-Pfalz dargestellt.1) Auszüge aus den im Kreisarchiv überlieferten politischen Fragebögen, Gutachten und Lageberichten sollen dabei Eindrücke von dieser Phase der jüngsten Geschichte vermitteln, in der unsere Demokratie entstand.
Beginn der politischen Säuberung
Unmittelbar vor dem Eintreffen der amerikanischen Truppen im Kreisgebiet entzogen sich Anfang März 1945 eine Reihe NS-Funktionäre und besonders verhaßte Parteimitglieder ihrer Verantwortung durch Flucht. Auch Landrat Dr. Peter Sinnmer verließ den Kreis Ahrweiler. Meh-rere Ortsgruppenleiter sollen erst einmal untergetaucht sein. Mit Amtsenthebungen von Bürgermeistern und einer Verhaftungswelle, die vor allem Ortsgruppenleiter und sonstige Funktionsträger traf, leiteten die Amerikaner die politische Säuberung des Kreises von nationalsozialistischen Einflüssen ein.
Bei der Einsetzung von neuen Bürgermeistern spielten in dieser schwierigen Zeit Pfarrer eine entscheidende Rolle. Sie benannten unbelastete Bürgerfürsolche Posten und wurden von der Militärbehörde auch bei anderen Personalentscheidungen um Rat gefragt.
Da die Mitgliederverzeichnisse der NSDAP und Parteiakten weitgehend vernichtet worden waren, forderte die Militärbehörde im Juli 1945 eine Auflistung aller NSDAP-Parteimitglieder im Kreis. Auf dieser Liste sollte auch angegeben werden, „ob und welche führende Stellung dieselben in der NSDAP bis zum Blockleiter abwärts oder in den NS-Gliederungen, angeschlossenen Verbänden pp. innehatten.“2)
Auf der Meldung war ebenfalls der Tag des Eintritts in die NSDAP, SA, SS etc. aufzuführen. Rund 5000 Parteimitglieder hatte der Kreis Ahrweiler nach der Zusammenstellung für die Militärregierung. Der Anteil der Frauen lag bei etwa 10 Prozent.3)
Diese Erfassung der NSDAP-Mitglieder diente als Grundlage für die systematische „Bereinigung der Verwaltung und Wirtschaft“. Anfangs reichte bloße Parteimitgliedschaft als Grund für Entlassung und Internierung. Zahlreiche kleine Parteimitgliederwurden daraufhin von den Amerikanern aus ihren Ämtern entfernt und inhaftiert. Als die Franzosen am 10. Juli 1945 den Kreis übernahmen, der damit zur französischen Besatzungszone gehörte, führten sie die begonnenen Maßnahmen fort. Ihr Vorgehen war jedoch gemäßigter und hätte vermutlich eine Einschränkung des Entnazifizierungsverfahrens gebracht, denn die bereits durchgeführten Säuberungen der Verwaltung führten schon zu personellen Engpässen. Im Regierungsbezirk Koblenz waren im August 1945 25 Prozent aller öffentlichen Bediensteten entlassen, 1 Prozent hatte man zurückgestuft. Nur noch 58,5 Prozent der Lehrer und 49,9 Prozent der Beschäftigten in der allgemeinen Verwaltung waren im Dienst verblieben.4)
Aufgrund von Vorwürfen – den Franzosen wurde u. a. Begünstigung von Nationalsozialisten unterstellt – intensivierten und verschärften sie
Richtlinien für die Durchführung der Bereinigung
in Verwaltung und Wirtschaft
1. Die Bereinigung ist eine der wichtigsten und ernstesten Aufgaben dar Zeit. Sie kann nur von Persönlichkeiten durchgeführt werden, die sich der Größe der Aufgabe und der Schwere der Verantwortung bewußt sind. Jede persönliche Gehässigkeit oder Radisucht muß dabei völlig ausgeschaltet werden.
2. Es ist ganz selbstverständlich, daß als Mitglieder der politischen Untersuchungsausschüsse und Bereinigungskommissionen nur solche Personen geduldet werden, die nicht Mitglieder der NSDAP, oder ihrer Gliederungen waren und die ganz bestinders unter dem Naziregime gelitten oder es akiv bekämpft haben. Ebenso selbstverständlich ist es, daß sie nicht kriminell belastet sind.
3. Die Bereinigung hat von oben nach unten und nicht vnn unten nach oben zu erfolgen.
4. Grundsatz: Kein Mensch ist unersetzlich. Es geht nicht an, daß jemand, der in der Verwaltung entlassen worden ist, irgendeine leitende Stelle in derWirtschaft einnimmt.
5. Es handelt sich bei -der Bereinigung lediglich um eine politische Überprüfung, Irgendwelche anderen Gesichtspunkte (besonders fachliche Tüchtigkeit) sind nicht zu berücksichtigen.
6. Bei einem Eintritt nach dem l, 4. 33 spielt das Eintrittsdatum in die Partei bei der Beurteilung keine Rolle. Jeder Fall ist individuell zu behandeln, nach strengen, gerechten Maßstäben. Dabei ist festzustellen, ob der Betreffende als belastet gilt oder ob wesentliche Momente, die für seine Entlastung sprechen, beigebracht worden sind.
7. Alte Kämpfer, d. h. alle diejenigen Personen, die vor dem l. 4- 33 der Parte: beigetreten sind, sind zu entlassen ohne Pension.
8. Ein Angehöriger der SS.‘ ist nicht tragbar.‘ Es sei denn, daß. er den Nachweis erbringt, aktiv den Kampf gegen den Nationalsozialismus geführt zu haben. Diejenigen, die freiwillig der Waffen-SS beigetreten sind, sind in der gleichen Weise zu behandeln.
9. Kein Angehöriger der Gestapo oder des SD. ist in der Verwaltung oder Wirtschaft tragbar; ebenso kein nationalsozialistischer Aktivist
10. Die Jugendlichen, die nicht die politische Reife und Einsicrrt besaßen, sind schonender zu behandeln als dielenigen, denen man ein politisches Urteil füglich zubilligen muß. In Ausbildung Stehende, die, um ihre Ausbildung -fortsetzen zu können, der SA. beigetreten und nach beendeter Ausbildung wieder ausgeschieden sind, sind nicht gleichzusetzen denjenigen, die ohne diesen Zwang der SA- beigetreten sind- Zwischen aktiver SA. und SA.-Rsserve ist kein Unterschied zu machen.
Auszug aus den Richtlinien für die Durchführung der Bereinigung in Verwaltung und Wirtschaft.
das Entnazifizierungsverfahren ab September 1945. Vom französischen Oberbefehlshaber ergingen dazu Richtlinien. Die Entnazifizierung erfolgte danach durch Gremien, die von Deutschen besetzt werden mußten. Diese sollten sich zu 2/3 aus Vertretern der politischen, konfessionellen und gewerkschaftlichen Kreise zu-sammensetzen. Ein Drittel waren nicht belastete Vertreter der vom Verfahren betroffenen Ver- waltung. Den so gebildeten Ausschüssen oblag die Prüfung der Fragebögen, eine Stellungnah-me und Einstufung. „Die übergeordnete, zentrale Säuberungskommission (ZSK) traf daraufhin die Entscheidung über Belassen im Dienst, Versetzung, Zurückstufung, Pensionierung und d Entlassung ohne Pension.“5) Dem Ausschuß in Ahrweiler gehörten an: Karl Exius als Vertreter der SPD, Dr. med. Georg Habighorst als Vertreter der CDP, Eduard Mar tini als Vertreter der KPD, Ludwig Windheuser und Ernst Jung als Beamtenvertreter. Anfang Januar 1946 nahm dieser Untersuchungsausschuß seine Arbeit auf.6)
Die Berufung in solche Gremien wurde häufig abgelehnt, so daß sogar Dienstverpflichtungen dafür notwendig wurden. Ein Ahrweiler Bürger schrieb am 16.7.1946 an Landrat Dr. Hermann Schüling: „…ich teile Ihnen hierdurch mit, daß ich die Berufung in den Ausschuß zur Entnazifizierung ablehnen muß. Meine christlich-katholische Lebensauffassung versagt es mir, über Leute ein Urteil zu fällen, in deren Inneres ich trotz des politischen Fragebogens nicht hineinschauen kann.“
Das Entnazifizierungsverfahren erfuhr im Laufe der Zeit verschiedene Änderungen. Am 21. 5. 1947 trat die „Landesverordnung zur politischen Säuberung“ in Kraft, durch die auch in Rheinland-Pfalz die 5 Belastungskategorien eingeführt wurden:
1. Hauptschuldige,
2. Belastete: Aktives Mitglied der nationalsozialistischen Vereinigungen, Militaristen und Nutznießer der NS-Herrschaft,
3. Minderbelastete,
4. Mitläufer,
5. aufgrund beigebrachter Beweise als nicht schuldig einzustufen.7)
In der Landesverordnung wurde zusätzlich eine Berufungsregelung verankert, was sofort zahlreiche Widersprüche nach sich zog. Durch Amnestieverordnung wurde das Säuberungsverfahren entlastet. Für die nach dem 1. 1. 1919 Geborenen entfiel die politische Säuberung, sofern es sich nicht um NSDAP-Amtsträger, SS- oder Gestapo-Mitglieder handelte. Nach der Amnestieverordnung Nr. 133 vom 17. 11. 1947 wurden vorrangig alle wichtigen, aktiven Parteimitglieder der Entnazifizierung unterzogen, während nominelle NSDAP-Mitglieder in alle Rechte eingesetzt werden konnten. Eine allgemeine Säuberung war damit eigentlich beendet. Mit einem ungeheuren Verwaltungsaufwand wurden bis zum 28. 2. 1950 allein in Rheinland-Pfalz 299 562 Entnazifizierungsfälle bearbeitet. „Davon entfielen auf die Kategorien:
Hauptschuldige: 5 Belastete: 440 Minderbelastete: 4 840
Mitläufer, gegen die Sühnemaßnahmen verhängt worden waren: 139 478 Entlastete: 711
An Verfahren waren eingestellt worden: 42 309 Wegen Nicht-Belastetheit: 89 476 Aus anderen Gründen: 3 829.“8) Die in Rheinland-Pfalz ergangenen Urfeile der Spruchkammern und die Revisionen von Urteilen füllen allein in 51 Sondernummern des „Gesetz- und Verordnungsblattes der Landesregierung Rheinland-Pfalz“ vom 23. 7. 1948 – 27. 8. 1952 1122 Seiten.
Im Kreis Ahrweiler wurden die meisten Entnazifizierungen in die Kategorie der Mitläufer und in tiefere Kategorien eingestuft. Die Sanktionen erstreckten sich in der Hauptsache auf Kürzungen der Bezüge um 10, 20 und 25 Prozent, Zurücknahme von Beförderungen, Entlassungen, Versetzung in den Ruhestand und generelle Versetzung an einen anderen Dienstort.9) Statistische Angaben über die Einstufung im Kreis Ahrweiler liegen nicht vor.
Politische Fragebögen
In den Fragebögen zur Bereinigung der Verwaltung und Wirtschaft10) mußten neben Fragen zur Person genaue Angaben zum Werdegang in der NSDAP gemacht werden. Die Betroffenen hatten zusätzlich Gelegenheit zu persönlichen Stellungnahmen. Häufig nutzten sie diese Möglichkeit, um ihre Parteizugehörigkeit zu rechtfertigen und Entschuldigungen vorzubringen, teilweise stuften sie sich selbst als Opfer ein. Den Fragebögen beigefügt sind vielfach Bescheinigungen, Entlastungszeugnisse. Leumundszeugnisse von unbelasteten Mitbürgern, die sogenannten „Persilscheine“.
Aus den überlieferten Selbstzeugnissen der Funktionsträger und Mitläufer können trotz Verstellungen Rückschlüsse auf die Situation in der frühen Nachkriegszeit, die Befindlichkeit der Betroffenen, aber auch auf den Alltag im Nationalsozialismus gezogen werden.
Viele Betroffene lehnten in ihren Stellungnahmen jede Verantwortung für die Mitgliedschart in der NSDAP ab. Ausreden, Unaufrichtigkeit, Unredlichkeit, Denunziationen, aber auch verständliche Entschuldigungen sprechen für sich selbst. Gerade bei den durchweg „harmlosen Fällen“ tritt die Fragwürdigkeit des ganzen Verfahrens deutlich zu Tage. Aus der Fülle des vorliegenden Materials können zur Illustrierung nur einige authentische Stellungnahmen herausgegriffen werden.
Nach 1945 betonten NSDAP-Mitglieder oft, daß ihre Mitgliedschaft rein formaler Art war. Der Parteieintritt erfolgte bei vielen angeblich nur aus Rücksicht auf die Familie, aus Zwang, aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. So führt ein NSDAP-Mitglied folgendes an: „Zugehörigkeit zur NSDAP erfolgte unter Zwang und war rein formaler Natur. Ein innerer Gleichklang war nie vorhanden. Beweise hierfür: In Partei und Gliederungen habe ich keinerlei Funktionen ausgeübt. Ferner habe ich trotz oftmaliger Aufforderung keine Uniform der Partei oder Braunhemd getragen oder besessen. An Besprechungen, Umzügen und Parteiversammlungen nahm ich nurteil, wennTeilnahme ,Zwang war‘; dabei habe ich stets die größte Zurückhaltung bewiesen. Das Mitgliedsbuch der NSDAP habe ich trotz Aufforderung nicht beantragt.“ Ähnliche Aussagen gibt es in großer Zahl. Zusätzlich wird hervorgehoben, daß es im Haushalt keine Hakenkreuzfahne gab. Ein Austritt aus der Partei wurde zwar verschiedentlich erwogen, jedoch aus Angst vor Konsequenzen nicht gewagt. Wiederholtfindet sich der Hinweis auf eine zwangsweise Überführung in die NSDAP ohne das Wissen des Betroffenen. An Mitgliedsbeiträgen wurde der Mindestbeitrag entrichtet und das Koblenzer Nationalblatt nicht abonniert.
Beispiel eines politischen Gutachtens
Berufliche Gründe stehen häufig im Vordergrund. So auch bei einer Lehrerin, die 1937 der NSDAP beitrat und 1945 erklärte: „Der Eintritt in die Partei war nicht zu vermeiden, da ich fest angestellt werden wollte.“
Von den vielen ähnlich lautenden Ausführungen hebt sich die Rechtfertigung eines Lehrers ab, der 1932 der NSDAP beitrat und damit zu den „alten Kämpfern“ zählte. Seine Stellungnahme lautete: „Mein Eintritt in die Partei erfolgte am 1. 12. 1932 (in die HJ am 1.11. 31, in die SA im Juni 32) lediglich aus ideellen, nationalen und sozialen Gründen. Niemals wollte ich damit eine Sache unterstützen, die sich gegen die Gesetze der Menschlichkeit und den Frieden der Welt richtete. Persönlich habe ich mich nie gegen irgend eine Gruppe oder gegen Einzelpersonen vergangen oder andere zu Ausschreitungen veranlaßt. Von den unmenschlichen Zuständen und Verbrechen, wie sie nach dem Zusammenbruch veröffentlicht wurden, habe ich zuvor nichts gewußt. Finanzielle und berufliche Vorteile habe ich nicht durch die Partei gehabt. Es wurde mir seitens der Partei oder einer der Gliederungen keinerlei Anerkennung zuteil, auch nicht in der Form einer Ordens- und Ehrenzeichenverleihung. Was ich erstrebte und wollte, war der Allgemeinheit zu dienen und zu nützen. Heute kann ich die eidesstattliche Versicherung abgeben, daß ich bereit bin, mit ehrlichem Gewissen in dem werdenden Staate im demokratischen Sinne zu sein. Somit kann ich auch keine Gefahr im Erziehungswesen der Demokratie sein. Nach meinen Wiedereintritt in die kath. Kirche im November 1945 bat ich in einem Schreiben an das Bischöfliche Generalvikariat in Trier, mir die 1939 entzogene Missio canonica erneut zu verleihen…. Da mir persönlich niemand ein Verbrechen zu Last legen kann, gibt es auch kein deutsches Gesetz, das meine Entlassung aus dem Schuldienst rechtfertigt. Ich bitte deshalb höflichst, mir Vertrauen schenken zu wollen und mich wieder in den Schuldienst zu nehmen.“
Ein seltener Fall von Reue, kombiniert mit einer geschickten Argumentation, zeigt sich bei einem anderen Pädagogen, der seinen Parteieintritt als „bedauerlichen Mangel an Charakterstärke“ einstuft: „Ich weiß, daß ein Zwangseintritt bei einem Lehrer vielleicht entschuldigt, aber niemals gebilligt werden kann. Ich hätte damals richtiger und ehrlicher gehandelt, hätte ich einen Existenzkampf für meine Familie gegen die Nazis aufgenommen. Um endlich Ruhe zu haben, bin ich der Vorstellung der Partei, die u. a. von einer Anstandspflicht des Beamten gegenüber dem Staat sprach, zum Opfer gefallen – habe mich allerdings weder in der Schule, noch in der Öffentlichkeit im Sinne der Nazis betätigt, war auch der einzige von 6 Lehrkräften meiner Schule, der es gewagt hat, 1939 bei der öffentlichen Volksbefragung in der Kirche durch Handaufhebung für die Beibehaltung der konfessionellen Schule zu stimmen.“
Leumundszeugnisse und politische Gutachten
Ihre Ausführungen versuchten die Betroffenen mit Leumundszeugnissen, Bescheinigungen von Pfarrern und Solidaritätsbekundungen zu untermauern. Verschiedentlich finden sich in den Unterlagen Unterschriftenlisten. Vor allem mit pfarramtlichen Zeugnissen sollte „Unschuld“ nachgewiesen, Entlassungen aus der Internierung beschleunigt und im Entnazifizierungsverfahren vor der Spruchkammer eine Einstufung zumindest als Mitläufer bewirkt werden. Ein evangelischer Pfarrer verfaßte folgendes Leumundszeugnis: „Ich bezeuge, daß sich … in Sinzig stets eines guten Rufs erfreute. Er war immer ein stiller, fleißiger Mann, der ganz seiner Familie und seinem Geschäft lebte. Alle hatten den ruhigen friedlichen Mann gerne.
Er ist niemals im öffentlichen, politischen Leben hervorgetreten, wozu ihm auch die Fähigkeiten fehlten. Nach der Festnahme des . . . habe ich seine Frau öfter besucht. Aus den Unterhaltungen mit ihr habe ich den Eindruck, daß die Eheleute sich schon lange von den nationalsozialistischen Irrtümern abgewendet haben und sich als Betrogene betrachten. Im Interesse der schwer betroffenen Familie . . . und des wichtigen .. .-betriebes und menschlichen Erwägungen würde ich es freudig begrüßen, wenn Herr . . . frei gelassen würde.“
Die Freilassung des in einem Internierungslager Inhaftierten wurde abgelehnt. In der Begründung heißt es über das NSDAP-Mitglied mit dem Eintrittsdatum 1. 5. 1933: „Innerhalb der Partei bekleidete er das Amt des Schulungsleiters, er war einer der aktivsten, welcher in der Naziherrschaft für den Nazismus geworben hat. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit glänzte er in der Uniform der politischen Leiter. .. Bei… handelte es sich um einen Menschen, welcher durch seine Parteizugehörigkeit Vorteile durch den Nazismus gehabt hat. . . . war es möglich, durch seine Parteizugehörigkeit . . . Geschäftsverbindungen anzutreten, die nicht Pg.’s versagt blieben. Die Ehefrau des Vorgenannten war ebenfalls Mitglied der NSDAP.“ Das Leumundszeugnis des evangelischen Pfarrers hielt der Verfasser des Gutachtens nicht für glaubhaft und sagte dem Pfarrer gute Beziehungen zu Parteikreisen nach.
Die Bescheinigung eines katholischen Pfarrers für einen inhaftierten Lehrer lautete: „Herr… ist mir seit Juli 1936 bekannt. Wenn er auch Mitglied der NSDAP war, so habe ich ihn doch als einen recht katholischen Mann kennengelernt, und da er gerne im Pfarrhaus verkehrte, kann ich sagen, daß er seiner Gesinnung nach ein Gegner des Nationalsozialismus war. Auch die Kinder in der Schule hat er im katholischen Sinne beeinflußt und erzogen.“
Eine Unterschriftenliste ist diesem Zeugnis angehängt. Sie ist überschrieben: „Wir schenken Herrn Lehrer . . . nach wie vor unser volles Vertrauen. Als Parteimann hat er niemand geschädigt.“
Vergleichbare Bescheinigungen ließen sich viele NSDAP-Mitglieder von Freunden und Bekannten ausstellen und legten diese ihrem persönlichen Fragebogen bei.
Zuweilen werden die NSDAP-Mitglieder in solchen Erklärungen geradezu als „Widerstandskämpfer“ dargestellt. Eigentlich waren sie von Anfang dagegen. „Ihre Äußerungen waren immer nur eine einzige Ablehnung der nationalsozialistischen Ideologie“, heißt es in einer Bescheinigung.
Da die Praxis solcher Gefälligkeitsgutachten hinreichend bekannt war und somit der Wahrheitsgehalt vielfach in Zweifel gezogen werden mußte, erhielten die Bereinigungskommissionen ebenfalls Briefe von Denunzianten, aber auch Bürgern, die verhindern wollten, daß ehemalige Beamte und Funktionsträger, unter denen die Bevölkerung gelitten hatte, wieder in Amt und Würden kamen. Ein Brief mit Ausführungen über ein NSDAP-Mitglied schließt: „Ich habe es als Deutscher nicht über mich bringen können, den … der Militär-Regierung anzuzeigen. Nachdem aber nun der Bereinigungsausschuß eingerichtet ist, halte ich es für meine Pflicht, diesem Vorstehendes zur Kenntnis zu bringen, um zu verhüten, daß ein solcher Erzhalunke wieder in’s Amt kommt oder evtl. pensioniert wird, was ihm wahrscheinlich das liebste sein würde. . . .“
„Politische und charakterliche Beurteilungen“
Die Untersuchungsausschüsse schenkten auch solchen Anschuldigungen nur begrenzt Glauben. Sie verließen sich zusätzlich auf politische und charakterliche Beurteilungen von amtlicher Seite. Diese Gutachten wurden u. a. vom Landrat, von Gendarmerie-Inspektoren, dem Kreiskommissar und Vertretern der Parteien, besonders von SPD- und KPD-Mitgliedern ausgestellt.
Eine solche Beurteilung erfolgte nicht nur beim Entnazifizierungsverfahren, sondern auch bei der Bewerbung um politische Mandate, bei der Überprüfung von Anzeigen, Aufträgen, Bewerbungen und diente ebenfalls der Rehabilitierung von Bürgern.
Bei der Erstellung der Gutachten recherchierten Beamte vor Ort und fragten bei sogenannten einwandfreien Antinazis nach. Die Betroffenen selbst wurden wohl nicht gehört.
Erhalten sind im Kreisarchiv über 1 000 solcher politischer Gutachten, die größtenteils nach einem Schema abgefaßt sind und Angaben über die betreffende Person, deren Parteieintritt bzw. Nichtmitgliedschaft und Verhalten während der NS-Zeit enthalten. Häufig wird zugleich die gesamte Familie beurteilt und als „nazistisch verseucht“, „vom Nationalsozialismus durchdrungen“ oder als „einwandfrei“ eingestuft, falls sie „im Sinne des Nationalsozialismus nicht in Erscheinung getreten“ war. Einer Gegnerin des Nationalsozialismus wird bescheinigt: „. . . Der Bevölkerung ist die Frau … als Gegnerin des Nationalsozialismus bekannt. Nach einwandfreien Angaben (von) Antinazis machte sie (…) aus ihrer Abneigung gegen den Nationalsozialismus keinen Hehl. Ihr Mann war ebenfalls nicht Mitglied der NSDAP und den Antinazis als Gegner des Nationalsozialismus bekannt. Frau … sowie ihre Familie genießen bei der Behörde sowie bei der Bevölkerung einen guten Leumund.“
Dagegen lautet das Gutachten für eine aktive Nationalsozialistin: „. . . war Mitglied der NSDAP. Innerhalb der Partei war sie eine der eifrigsten Verfechter der Nazi-Idee. In der Stadt Ahrweiler war sie gehaßt wegen ihrem brutalen Vorgehen gegen Andersdenkende, welche sie schikanierte und terrorisierte, wo sie nur konnte. Nach Angaben einwandfreier Antinazis ging sie rücksichtslos und skrupellos gegen Antinazis vor.“
Ein Propagandaleiter galt dem politischen Gutachten zufolge als einer der „gefährlichsten Nazis in Niederzissen. … Die Familie war vollständig nazistisch verseucht.“
Das Entnazifizierungsverfahren zog Bespitzelungen und Denunziationen nach sich und forderte scheinheiliges Verhalten geradezu heraus. Die Unzufriedenheit mit dem ganzen Verfahren wuchs. Aufgrund der Ungerechtigkeiten kam es teilweise auch zur ungewollten Solidarisierung mit führenden Nationalsozialisten, da ja alle NSDAP-Mitglieder gleichermaßen dem Verfahren unterworten waren. Bei der Beurteilung unterschied die Bevölkerung von Anfang an zwischen „anständigen“ und „unanständigen“ Nazis, was sich auch bei den Gutachten zeigt. Hierauf lief bei allen Abstufungen letztlich auch die Einstufung bei den Spruchkammern hinaus.
Den Abschluß des Bereinigungsverfahrens brachte der Säuberungsbescheid
Politische Lageberichte11)
In seinem Bericht vom 27. März 1946 bemerkte der Sinziger Bürgermeister, daß bei der „Ausrottung des Nazitums als Weltanschauung“ die gewünschten Erfolge ausblieben. Sorgenvoll meldete Landrat Dr. Hermann Schüling am 6. September 1946 der Militärregierung: „Über die Mehrzahl der Beamten und Angestellten ist noch keine Entscheidung ergangen. Es hat sich im Laufe der Wahlprüfung gezeigt, daß es wie anderenorts auch hier keine Nazis gab. Genau wie in Nürnberg sind auch hier alle Naziaktivisten nur verkannte politische Verfolgte. Dieser Umstand erschwert die Entscheidung der Bereinigungskommission in besonderem Maße.“ Daran änderte sich wohl im Laufe des Verfahrens wenig. Die Stimmung in der Bevölkerung brachte der Bericht des Amtsbürgermeisters von Ringen am 23. März 1948 zum Ausdruck: „Der allgemeine Wunsch der Bevölkerung ist der, daß die Frage der Entnazifizierung endlich einmal zum Abschluß gebracht wird. Diese Frage wirkt sich immer mehr zum Schaden der allgemeinen Wirtschaft und des Wiederaufbaus aus, da viele Kräfte nicht da eingesetzt werden können, wo sie ihren Kenntnissen und Vorbildungen entsprechend hingehören.“ Das Ende der Entnazifizierung kam in Rheinland-Pfalz mit dem 3. Landesgesetz über den Abschluß der politischen Säuberung vom 31. Mai 1952. Zu diesem Zeitpunkt waren das Interesse und das Verständnis für die politischen Säuberungen angesichts der allgemeinen gesellschaftlichen Situation, dem Wiederaufbau und beginnendem Wirtschaftsaufschwung, dem Kalten Krieg und der Aussöhnung mit den westlichen Siegermächten schon weitgehend erloschen.Anmerkungen
- Vgl. Rödel, Volker; Die Entnazifizierung im Nordteil der französischen Zone, In: Rheinland-Pfalz entsteht Beiträge zu den Anfängen des Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz 1945-1951. Hrsg. von Franz-Josef Heyen. Boppard 1984. S. 261 – 282 Siehe auch Henke, Klaus-Dietmar / Wolter Hans (Hrsg.): Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991.
- Kreisarchiv Ahrweiler 03-151
- Kreisarchiv Ahrweiler 03-164 (gesperrt); It. Ahrweiler Zeitung vom 31, Mai/1 Juni 1941 gab es im Kreis 5 136 NSDAP-Mitglieder.
- Rödel 266
- Rödel 271
- Vgl. Rieck. Hubert: Zeitaufnahme: Aus den politischen Lageberichten des Ahrweiler Landrats von 1945 – 1948. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1987. S. 136 – 143.
- Rödel 275f.
- Rödel 279f.
- Vgl. Verordnungsblatt der Landesregierung Rheinland-Pfalz Amtlicher Anzeiger der Landesbehörde. 1. Jg. 1947. Siehe auch Rieck 141.
- Für die folgenden Ausführungen: Kreisarchiv Ahrweiler 03-151, 163, Alle Zitate stammen aus diesen Unterlagen, die gesperrt sind.
- Kreisarchiv Ahrweiler 03-173: Siehe auch Rieck