Vor über 60 Jahren … – Erinnerungen an den Aufenthalt in der Herberge der ev. Karlschule Bonn in Oberzissen
Vor über sechzig Jahren habe ich nicht im entferntesten daran gedacht, daß das Brohltal für mich noch einmal wieder eine solch wichtige Rolle spielen würde.
Es war im Juli 1936, kurz vor den Sommerferien; ich besuchte das 3. Schuljahr der ev. Karlschule für Jungen in Bonn. Am Montag dem 6. d. M. fuhr die Klasse mit Lehrer Langhans zum ersten Mal ins Landheim. „Herberge der Karlschule, Oberzissen“ steht als Bezeichnung auf einer alten Postkarte mit der Bemerkung: „Der Erlös aus dem Kartenverkauf dient zur Verpflegung armer Kinder in der Herberge“. Immerhin mußten die Eltern bei der Anmeldung zu diesem Ausflug für eine Woche 5 Reichsmark einzahlen, daran erinnert sich mein Schulfreund (vom ersten Schuljahr an) Günter Rau; wirtreffen uns heute noch oft und „schwelgen“ in den Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit. An diesem Montagvormittag trafen wir uns also und zwar schon zeitig an der Anlegestelle der Per-sonenbötchen am Bonner Rheinufer. Sack, Pack und Marschverpflegung waren in Rucksack, Brotbeutel und Feldflasche (alles von den älteren Brüdern ausgeliehen) verstaut. Mein Vater hatte mir sogar noch 50 Pfennige als Taschengeld mitgegeben und in seinem – heute noch nachzulesenden – Notizbuch angeschrieben:“50 Pf. Ortwin Landheim“.
Per Schiff schipperten wir gemütlich rheinauf-wärts bis Breisig; voll Erwartung, was uns dieser – für mich erste große Ausflug von zu Hause wohl bringen würde. Die „Jugend-Wehr-Ertüchtigung für Unter-Zehn-Jährige zeigte damals schon Ansätze, jedenfalls war der Fußmarsch von Breisig nach Brohl am Rhein entlang in das Gesamtkonzept des Unternehmens eingeplant. Wenn ich dagegen den Ablauf der heutigen Landheimbesuchsfahrten in komfortablen Reisebussen von Tür zu Tür vergleiche, muß ich sagen, das war schon ein völlig andere Zeit.
Karte der Herberge der ev. Karlschule in Oberzissen
Die Mittagsrast am Brohler Rheinhafen brachte die ersehnte Verschnaufpause und diente natürlich dem Verzehr der von zu Hause reichlich bemessenen Marschverpflegung; letztere war auf dem Schiff – zugegeben – schon ab Godes-berg angebrochen worden. Außerdem war noch genügend Zeit bis zur Abfahrt des Triebwagen-Zuges der Brohltalbahn. Er brachte uns anschließend in wiederum gemächlicher Fahrt durch das stille Tal mit Halt an jeder Milchkanne“ NUR bis Niederzissen. Mittagspause und Zugsfahrt mußten eben genügen zum Ausruhen; die Ertüchtigung forderte ihren weiteren Tribut: der Aufstieg von Niederzissen bis zur Herberge hoch oben am Hang über Oberzissen war wieder als Fußmarsch vorgesehen.
Für uns Stöpsel war es sehr anstrengend über die – damals noch mit Schotter notdürftig geflickten – Feldwege zu marschieren. Es war schwühl-heiß, die Sonne brannte vom Himmel herab, der Rucksack war schwer; immer höher führte der Weg vom Tal hinauf. Wohl wurde schnell die Aus- und Fernsicht weiter, die romantische Ruine Olbrück grüßte herüber, aberwas half das schon. Die Hoffnung auf baldiges Erreichen des Marschzieles und damit auf ein erfrischendes Getränk, auf Abendessen und Erholung wuchs mit jedem Schritt. Erst nach sechs Uhr erreichten wir die Hütte – eine grün-weiß-gestreift gestrichene Holzbaracke – und wurden vom „Herbergsvater“ -Herrn Hengst – (seines Zeichens Hausmeister der Karlschule, er war schon vorgefahren und hatte alles eingerichtet) begrüßt. Stuben und Betten wurden eingeteilt, danach durften wir uns bis zum Abendessen ausruhen. Vor dem 9-Uhr-Zapfenstreich haben wir noch ausgiebig die nähere Umgebung erkundet. Mein Schulfreund hatte eine sehr unruhige, schmerzhafte Nacht; er hatte unterwegs stark geschwitzt, deshalb das Hemd ausgezogen und sich dadurch einen ganz üblen Sonnenbrand auf Schultern und Rücken zugezogen. Der Herbergsvater verordnete am nächsten Tag strikten Heimaufenthalt.
Auch ich hatte großes Pech: schon am nächsten Nachmittag trat ich auf einen rostigen Nagel, der die dünne Sohle der Sandale sofort durchbohrte; die Folge war, daß ich – statt der gemeinsamen Ausflüge in die Umgebung und zur Olbrück-Ruine – zum Küchendienst und Ruhighalten des Fußes verdonnert wurde. So kann ich von den eigentlichen Unternehmungen nichts berichten. An eines jedoch erinnern wir uns beide noch genau. Und zwar an den Sauerbrunnen direkt unten in Oberzissen. Hier haben wir das frische Quellwasser getrunken und in den Feldflaschen mit nach oben genommen; er besteht übrigens heute noch und spendet nach wie vor das köstliche Naß vulkanischen Ursprungs. An den letzten Tag in der Herberge erinnert sich mein Freund noch heute: zum Essen gab es „gedrängte Wochenübersicht“ und vor dem Rückmarsch wurden die Getränke-Reste – aus Kaffee und Kakao zusammengeschüttet – aufgetischt, es durfte eben nichts verkommen. Die Rückkehr nach Bonn entsprach dem Hinweg, nur ab Brohl fuhren wir mit der Reichsbahn. Die Eltern holten uns am Bahnhof ab.
Heute – sechs Decennien sind seither ins Land gegangen – wohne ich immer noch in Bonn und kümmere mich von hier aus als Mitglied der „Interessengemeinschaft Brohltal Schmalspureisenbahn e.V.“ ehrenamtlich um den – immer wieder gefährdeten – Erhalt der Brohltal-Eisen-bahn; – übrigens zusammen mit meinem Sohn. Er hat das uns gemeinsame Hobby „Eisenbahn“ zu seinem Beruf gemacht und sogar bereits Wohnung im Brohltal bezogen.
Jedesmal, wenn ich im Zug durch Oberzissen fahre und die interessierten Fahrgäste mit der wunderschönen Landschaft und all den Sehenswürdigkeiten rechts und links der Strecke vertraut mache, denke ich an – und erzähle ich von dieser Begebenheit aus meiner Jugendzeit; nur kann ich leider den direkten „Beweis“ nicht mehr antreten, weil die „Herberge der Karlschule“ von einst nicht mehr besteht.
Schön war es damals als 1-Dötzchen im Brohltal und schön ist es heute wieder mit in und aus der Brohltal Schmalspureisenbahn zum Beispiel zum „Marienköpfchen“ über Oberzissen mit Picknick oder bis nach Engeln mit einer geführten Wanderung zur Burgruine Olbrück; ganz besonders eben, wenn damit so viele, bleibende Erinnerungen verbunden sind.