Vor 1OO Jahren: Nonnenwerth im Kulturkampf 1876-1878
Nach Aufzeichnungen von Schwester Paula Münster, die von 1877—1879 Inselschülerin war
Schw. Evodia Wolf
Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 war zugunsten Deutschlands bereits durch den Vorfrieden zu Versailles vom 26. 2.1871 entschieden. Am 18. Januar war im Spiegelsaal zu Versailles König Wilhelm von Preußen zum Träger der Kaiserkrone des neu gegründeten Kleindeutschen Reiches proklamiert worden. Wenn auch viele bedauerten, daß das Großdeutsche Reich mit Einschluß Österreichs nicht wieder erstanden war, so war doch die nationale Begeisterung groß und fand in zahlreichen Siegesfeiern ihren Ausdruck. Am 21. März trat der erste Deutsche Reichstag in Berlin zusammen; er konnte am folgenden Tag, dem 22. März, Kaiser Wilhelm l. zum Geburtstag seine Glückwünsche darbieten.
Auch auf der Insel feierte man mit einer Illumination des Hauses, mit Ansprachen und Liedern den Gedenktag. Noch begeisterter waren Schwestern und Kinder, als Papst Pius IX. sein 25jähriges Jubiläum als Oberhirte der gesamten Kirche beging. Zu der Beleuchtung des Klosters kam ein bengalisches Feuer, das die Anlagen abwechselnd in grünes, gelbes und rotes Licht tauchte, ein buntes Feuerwerk sprühte auf und die hochsteigenden Raketen lösten hellen Jubel aus. Dazwischen wurden immer wieder Hochrufe auf Pius IX. ausgebracht, den Mann, der durch die Verkündigung des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem Vatikanischen Konzil 1870 zum Ziel heftigster Angriffe der Kirchenfeinde geworden war.
Gegen die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit wandten sich mehrere katholische Theologen. Sie gewannen vor allem in Deutschland und Österreich eine wachsende Zahl von Anhängern, die sich Altkatholiken nannten. Diese Bewegung fand die Unterstützung der Nationalliberalen, jener Partei, auf die sich der neue Reichskanzler Bismarck in seiner Politik stützte. Sie erhofften sich von den Altkatholiken eine Lockerung der Katholischen Kirche Deutschlands von Rom und einen stärkeren politischen Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten. Diesem Zweck dienten die sogenannten „Kulturkampfgesetze“, wie sie vor allem in Preußen von dem Kultusminister Falk erlassen wurden. Sie schränkten das freie Wirken der Kirche im innerkirchlichen Bereich weitgehend ein: die Ausbildung der Priester und die Ausübung der Seelsorge wurden überwacht, Seminarien geschlossen. Bischofssitze und Pfarrstellen durften nicht ohne Erlaubnis der Behörden besetzt werden. Geistlichen, die es wägten, ungerechte Gesetze zu mißbilligen, wurde der Lebensunterhalt entzogen.
Das katholische Volk und seine Vertreter wehrten sich gegen die als ungerecht empfundenen Maßnahmen. Unter der Führung von Ludwig Windthorst wuchs die Zentrumspartei, die die Anliegen der katholischen Bevölkerung vertrat. Der Staat setzte seine Machtmittel besonders gegen die Bischöfe rücksichtslos ein. Da sie staatlichen Einmischungen passiven Widerstand entgegensetzten, trafen sie hohe Geldstrafen, Zwangsvollstreckungen und Gefängnis. 1878 waren von den 12 preußischen Bischofssitzen nur noch 3 besetzt, 9 hatten keinen Oberhirten mehr. 5 Bischöfe saßen im Gefängnis. Den Erzbischof von Köln führte
man in den Strafakten als „Strohflechter Paul Melchers“, und Bischof Matthias Eberhard von Trier saß 9 Monate. Mehr als 1400 Pfarreien waren schließlich ihrer Seelsorger beraubt.
Seit Inkrafttreten des „Jesuitengesetzes“ 1872, das den Jesuiten und verwandten Lehrorden den Unterricht und die Erziehung verbot und ca. 200 Mitglieder des Jesuitenordens aus Deutschland vertrieb, ahnten die Schwestern der Insel, daß auch sie mit der Ausweisung zu rechnen hatten. Darum traf die damalige Generaloberin, Mutter Aloysia Lenders, Vorsorge, die Insel vor dem Zugriff des Staates zu bewahren. Graf Max von Loe kaufte sie. Unter seinem Schutz konnten die Schwestern zunächst bis 1875 weiterarbeiten. Die Inselschule zählte damals ungefähr 120 Interne und erfreute sich im ganzen Rheinland und in Westfalen großer Wertschätzung. Außerdem waren unsere Schwestern in Kranken- und Waisenhäusern tätig. In den Kriegen 1864, 1866 und 1870/71 hatten sie auf den Schlachtfeldern und in Lazaretten den Verwundeten selbstlose Dienste geleistet.
Im Mai 1875 wurden in Berlin neue Gesetze erlassen, die das Wirken der Orden weiter einschränkten. Nur einzelne konnten im besten Fall damit rechnen, bis 1879 bestehen zu dürfen. Inzwischen hatte Mutter Camills Schweden auf holländischem Boden, in der Nähe von Maastricht, ein Anwesen „Grande Suisse“ genannt, erworben. Mehrere Lehrschwestern unterzogen sich einem holländischen Examen und erhielten damit die Erlaubnis, in dem gastlichen Nachbarland ihre Lehrtätigkeit fortzusetzen. Die Schwestern beteten viel und hofften auf eine Verlängerung der Gnadenfrist.
Mutter Camilla wandte sich mit einem Bittgesuch an die Kaiserin Augusta. Diese antwortete ihr eigenhändig und versprach, ihr Anliegen persönlich beim Kaiser zu befürworten; denn auch sie mißbilligte die Kulturkampfgesetze, die wegen ihrer Ungerechtigkeit das Vertrauen in die Autorität des Staates untergruben. Die Eingabe hatte einen vorläufigen Erfolg. Im Juli 1878 überbrachte Landrat v. Groote aus Ahrweiler die ministerielle Verfügung des Kultusministers Falk, Nonnenwerth könne vorläufig bestehen bleiben, da weltliche Anstalten, die jenen auf der Rheininsel entsprächen, noch nicht gegründet werden könnten.
Insel Nonnenwerth. Klosterkirche und Liszt-Platane
Foto: Kreisbildstelle
„Doch schon am 19. November, dem Fest der hl. Elisabeth, erhielten die Schwestern den Befehl, bis zum 1. Mai 1879, also innerhalb eines halben Jahres, das Institut und die klösterliche Niederlassung aufzulösen. Nonnenwerth war die letzte Schule im Königreich Preußen, die der Ausweisungsbefehl traf. Doch die vielen Freunde des Hauses gaben die Hoffnung noch nicht auf. Sie sammelten in Listen Tausende von Unterschriften, die Kaiser Wilhelm l. überreicht wurden. Die Regierung war schließlich unter gewissen Bedingungen bereit, die Schule bestehen zu lassen. Die Schwestern sollten ihr klösterliches Leben aufgeben, das Ordenskleid ablegen, die Schule durch Laienkräfte führen lassen. Mutter Camilla verzichtete auf dieses Angebot.
Sie bat nur um die Erlaubnis, Nonnenwerth als Krankenhaus zu führen. Das Gesuch wurde abgelehnt. Von vielen Seiten ermutigt, erneuerte sie die Bitte. Wieder wurden Unterschriften gesammelt. Unerwartet groß war das Echo. Diesmal war es der General Herwarth v. Bittenfeld, der die Überreichung des Gesuches in Berlin vermittelte. Man erreichte, daß die Auflösung bis zum 1. Juni aufgeschoben wurde. Als General von Bittenfeld dieses Ergebnis erfuhr, schrieb er aus Bonn unter dem 28.4.1879 an Mutter Camilla:
„Euer Hochwürden Schreiben vom 26. d. M. hat mich sehr erfreut, weil ich daraus ersehe, daß Ihr Wunsch in Erfüllung gegangen und die vortrefflichen Krankenpflegerinnen auf Nonnenwerth verbleiben dürfen. Wenn die Unterstützung Ihres Gesuchs durch mich bei unserem Kaiserlich Königlichen Herren etwas zu dem günstigen Resultat beigetragen haben sollte, so würde mir das zur größten Befriedigung gereichen.
Die hochschätzbaren barmherzigen Schwestern, welche meine Truppen nach Schleswig-Holstein 1864 und nach Österreich begleitet haben, sind mir als wahre helfende Engel erschienen, sowohl in ihrer so überaus säubern äußeren Erscheinung als wegen ihrer unverdrossenen, stets bereitwilligen christlichen Tätigkeit, die so viel Trost und Linderung gebracht hat bei meinen kranken und verwundeten Kameraden, an die ich mit Rührung und inniger Dankbarkeit zurückdenke. Gott segne die teuren frommen Schwestern…“
So war denn über .das Geschick der Insel entschieden. Die Jugend mußte scheiden und mit ihr alle Schwestern, die in Unterricht und Erziehung tätig waren.
Schwester Paula Münster, die mit ihrer Zwillingsschwester Anna als 12jährige Schülerin 1877 auf die Insel kam und den Abschied sowie die Übersiedlung nach Marienwerth 1879 miterlebte, schreibt in ihren Kindheitserinnerungen:
„Es war der 19. November 1878. Viele Kinder hatten Namenstag, und wir bekamen, wie immer an Sonntagen, das so beliebte „Korinthenbrot“ … Es war natürlich freier Tag, und wir konnten das Morgenfrühstück weit ausdehnen. Schließlich klingelte Soeur Amelie und sagts, nicht sehr froh: ,,Mes enfants, Mere Camilla vous artend ä la salle d’etudes.“ Bald standen wir erwartungsvoll im Studiensaal. M. Camilla erschien sofort und sagte freundlich: „Ob ihr denn gar nicht ahnt, was ich euch zu sagen habe?“ Eine schaute die andere an; nein, wir ahnten nichts, hatten wir doch an den Schwestern keine Spur von Traurigkeit bemerkt. M. Camilla fuhr dann fort: „Wir müssen unsere Insel verlassen und ins Ausland gehen, nach Holland, die Schwestern und unsere Kinder mit uns.“ Einige weinten; alle waren schmerzlich überrascht. Wir drängten uns an die liebe Mutter heran: „Wir gehen alle, alle mit!“ Das haben auch alle so gehalten, außer denen, deren Abgang zu Ostern sowieso schon feststand. Jetzt konnten die guten, bisher so verschwiegenen Schwestern uns frei von Marienwerth (Holland) erzählen. Wir hörten auch, daß bis zum 1. Mai 1879, also innerhalb eines halben Jahres, Kloster und Schule aufgelöst werden sollten. Es tat M. Camilla und den Schwestern sichtlich wohl, daß wir ihnen „unbedingt“ ins Exil folgen wollten. Aber natürlich bedurfte es dazu noch der Einwilligung der Eltern … Und eines Tages, Anfang Dezember, kam M.
Camilla ins Klavierzimmer, wo Schwester Columbana ihre Stunden gab. Sie schaute so froh drein und fragte: „Wo ist Anna (meine Zwillingsschwester)? Aber höre nur, was euer Vater mir schreibt: Und wenn Sie bis ans Ende der Welt zögen, meine Kinder ziehen mit Ihnen.“ Ähnlich werden sich andere Eltern geäußert haben; denn alle kamen im Mai zu unsern lieben Erzieherinnen zurück.‘..“
Der Termin wurde bis zum 1. Juni 1879 verlängert. Auf der Insel ging der Schulbetrieb noch ruhig weiter.
In Holland war man schon seit März 1878 eifrig an der Arbeit, und im Mai 1879 stand in der „Grande Suisse“ ein schöner Neubau fertig zur Aufnahme der Schülerinnen von Nonnenwerth und des Lehrerinnenkurses von der Karthause bei Trier, den man ebenfalls ausgewiesen hatte.
„. . . Die Fastnachtstage wurden durch das 40stündige Gebet besonders feierlich gestaltet, — wir hatten aber gewünscht, von den Reigen, die den Schwestern durch die Herrichtung der Kostüme so viel Arbeit machten, abzusehen; stattdessen durften wir auf dem großen Saal länger tanzen und singen, und mit Fastnachtsgebäck wurden wir reichlich bedacht.
… In den letzten Tagen hatten wir sehr viel Freizeit, die wir benutzten, einzeln, zu zweien oder in Trüppchen all die lieben, vertrauten Plätzchen auf der Insel aufzusuchen: das Wäldchen mit seiner Lourdesgrotte, das Aloysiusläubchen; bis auf die Spitze wagten wir uns nach Norden und Süden. Besonders lieb war uns die an der Ostseite gelegene „Schweiz“; so hatte eine romantische Schülerin die Allee getauft, in der heute die Statue des hl. Franziskus steht. Im Haus war uns die Marienkapelle besonders vertraut. Die Marienkinder, zu denen ich nun seit dem 8. Dezember auch gehörte, nahmen von ihr unter Tränen Abschied. Als ich am letzten Tage noch mal schnell hinlaufen wollte, war sie schon geräumt; auch manches Zimmer stand bereits leer. Die Schwestern konnten kaum den zahlreichen Besuchern, die ihre Teilnahme ausdrücken wollten, genügen; dazu mußten eine Unmenge von Hausratsgegenständen und die Schuleinrichtung verpackt und zur Bahn gescharrt werden. Die Behörde hatte zwar gebeten, den Umzug möglichst unauffällig vorzunehmen. Doch wie war das möglich! Am Bahnhof Rolandseck wurden 23 Eisenbahnwaggons verladen; jeden Tag gingen 2 auf die Reise. Die Mädchen fuhren in Gruppen mit ihren Klassenschwestern ab. Unterwegs brachten viele Mütter ihre Kinder an die Bahnhöfe. Auch zahlreiche frühere Schülerinnen kamen, mit Blumen beladen, und verabschiedeten sich unter Tränen. An der Landestelle des Bötchens standen immer Dorfleute, die jede Schwesterngruppe erschüttert zum Bahnhof begleiteten und für alle Hilfeleistungen und Dienste dankten…“
Erst im Jahre 1889 konnte das „Pensionat“ — nach 10jähriger Verbannung — auf die Insel zurückkehren.