Von Volkstum und Volksgemeinschaft!
Diese Blätter wollen der Heimat und dem Heimatgedanken dienen. Was aber ist „Heimat“?
Die meisten Leser dieser Zeilen werden geneigt sein, treuherzig zu versichern, Heimat sei der geographische Punkt, also das Land oder der Gau, das Tal, der Berg oder die Ebene,. die Stadt oder das Dorf, so einer auf die Welt gekommen ist — also kurz die Geburtsstätte. Nicht wahr, das ist doch „einfach“? So? Mit dieser ganz äußerlichen Bestimmung will man die Frage abgetan sein lassen? Bedenkt man nicht, daß der Ort, wo einer geboren wurde, von ganz zufälligen Umständen abhängen kann? Und die Heimat, das Höchste und Heiligste, was der Mensch — nach seinem Gott und seiner Religion — auf dieser Erde hat, sollte der Bestimmung des Zufalls anheimgegeben sein? Nimmermehr! Hier walten höhere Geschicke ob. Ich kenne einen Herrn, der einen klangvollen literarischen Namen hat und uns eine Reihe guter Romane geschenkt hat, der heute als Gymnasialdirektor in Magdeburg wohnt. Dieser Mann, dessen Vater ein Deutschschweizer und dessen Mutter eine Reichsdeutsche war, wurde als Sohn eines evangelischen Missionars in irgend einem weltfernen Negerdorfe in Innerafrika geboren. In diesem Negerdorf, wo man ihm sogar einen Negernamen beilegte, verlebte er, betreut von einer Negeramme, seine ersten Kinderjahre. Dann wurde er von seinen Eltern, die in Afrika blieben, nach Europa geschickt, damit er europäische Kultur und Bildung lerne, und zwar zu Tanten nach Süddeutschland. Von dort kam er dann längere Zeit zum Gymnasialstudium nach der Schweiz, besuchte danach deutsche Universitäten, nachdem sein Vater nach Rheinhessen in der Nähe meiner Heimatstadt Kreuznach übergesiedelte Stätte fand, als er infolge seiner Philologenlaufbahn in die verschiedensten Gedelt war, wo der Sohn immer wieder seigenden Deutschlands, für eine Reihe von Jahren sogar nach Rom verschlagen wurde, um schließlich in Sachsen, in Magdeburg hängen zu bleiben. — Was, meint man wohl, ist die Heimat dieses Mannes? Oder was wird er als seine Heimat betrachten? Sicherlich nicht dieses Negerdorf in Afrika. Aber vielleicht die Schweiz, aus der sein Vater stammt? Nein? Auch nicht Magdeburg, wo er nun schon seit vielen Jahren mit seiner Familie wohnt und wo er amtlich wirkt — er fühlt sich in der sächsischen Umgebung gar nicht „heimisch“. Er erklärt vielmehr ohne jedes Schwanken als seine Heimat den rheinhessischen Winkel, wo er im Hause seiner Eltern die bestimmenden volksmäßigen Eindrücke erhielt. Dort ist seine Heimat, Weil er daselbst mit seinem innersten Wesen hineingewachsen war in eine — Gemeinschaft.
Hier stoßen wir auf den Kern unserer Frage: die Heimat wird bestimmt durch geistige Momente, nicht durch mehr oder minder zufällige Äußerlichkeiten. Nicht die topographische Lage des Geburtsortes, auch nicht das kürzere oder längere Weilen und Wohnen an einem Platze oder in einer Gegend macht die Heimat aus, sondern das geistige Einwurzeln in einem Volkstum, weiter gesagt einem bestimmten Menschentum, kurz einer seelischen Gemeinschaft. Die Heimat eines Menschen ist da, wo er geistig und seelisch hingehört; und diese Zugehörigkeit, die nicht durch räumliche, materielle, ökonomische Faktoren bedingt werden kann, ist nur möglich in einer Gemeinschaft — einer kleineren oder größeren. Und hier liegen auch die wesentlichen Grundlagen des Volkstums, das nur aus dem Begriff und dem Bewußtsein der Heimat erwachsen kann.
Von der Gemeinschaft ist wohl zu unterscheiden die Gesellschaft. Die beiden werden oft gedankenlos verwechselt, gehören aber ganz getrennten Gebieten des Seins an. Gesellschaft ist etwas Materielles, Gemeinschaft etwas Seelisches; Gesellschaft ist zufällig, Gemeinschaft notwendig; Gesellschaft ist zeitlich bedingt und auflösbar, Gemeinschaft ewig und unauflöslich; Gesellschaft wird von Menschen gemacht, Gemeinschaft ist gottgewollt. Wahre Gemeinschaft ist Schicksal, das man nicht herbeiführen und wählen kann, während man eine Gesellschaft nach Belieben gründen und ihr beitreten kann. In der Gemeinschaft verbindet ein geistiges Band, in einer Gesellschaft die egoistischen Zwecke und Interessen.
Die kleinste, aber ursprünglichste, wichtigste und notwendigste Gemeinschaft ist die Familie, der von Gott selber gestiftete und gewollte Bund, die man mit Recht „die Zelle“ aller menschlichen Gemeinschaftsbildung genannt hat — was freilich die heutige Menschheit vielfach zu verkennen scheint; der Verfall der menschlichen Gemeinschaft rührt her vom Verfall der Familie. Urheimat eines jeden Menschen, der ins Gemeinschaftsleben einbezogen wird, ist die Familie. Sie entsteht ja nicht aus selbstsüchtigen Zweckinteressen (ein Vater z. B., der seine Kinder zu seinem persönlichen Vorteil mißbraucht, wäre ein entarteter Vater), sondern wird durch sittliche, geistige, seelische Bande zusammengeschweißt nach dem Willen des Schöpfers. Wer in seine Familie hineingeboren ist, gehört untrennbar zu ihr; denn er hat sich diese Gemeinschaft nicht gewählt, sondern er wurde für sie und in sie bestimmt von höherer Macht. Ein Vater kann sich nicht lossagen von seinen Kindern, und die Kinder können sich nicht lossagen von ihren Eltern: mag auch ein entarteter Sohn gegen den Willen der Eltern das Vaterhaus verlassen, er gehört trotzdem noch zur Familie; denn aus einer gottgewollten Gemeinschaft kann man nicht austreten wie aus einer Skatgesellschaft. O selige Heimat der Familie! Und selig, wer noch die Familie zur Heimat hat! Er kann seelisch nie arm werden. Ähnlich wie mit der Familie verhält es sich mit den übrigen Gemeinschaften, die zur Heimat werden können. Der Kreis des Gemeinschaftslebens weitet sich mit der Gemeinde, der Stadt= oder Dorfgemeinde, zu der der Einzelne durch Geburt oder Wahl in jedem Falle schicksalsgemäß gehört; denn auch diese Gemeinde ist ein für sich bestehendes überindividuelles Wesen, für das entsprechend alles gilt, was von der Gemeinschaftsverpflichtung und dem seelischen Segen der Familie gesagt wurde. Jene „Zelle“ entwickelt sich dann weiter zu immer größeren Gemeinschaften, die alle in ihrer Art notwendig, weil gottgewollt sind. Wir kommen da in konzentrischem, organischem Wachstum zu Stamm (Volksstamm, wie z. B. Franken, Pfälzer, Allemannen, Bayern, Sachsen usw., auch kleine Gruppen, wie z. B. Ahrbewohner, Eifler, Moselaner, Westerwälder, Hunsrücker U. dgl. kommen in Betracht), und im Zusammenschluß der verschiedenen Stämme zum Volk, der größten Gemeinschaft unter der Menschheit. Das Volk ist nun heute zumeist zusammengeschlossen im Staatenvolk; aber der Staat ist an sich nicht gleichbedeutend mit Volk und Volkstum. Das geht schon daraus hervor, daß es Staaten mit mehreren Völkern gibt (wofür die Neuverteilung der Territorien nach dem Weltkrieg eklatante und seltsame Beispiele bietet), so dann aber und vor allem aus der Erkenntnis, daß der Staat seinem Wesen nach keine Gemeinschaft, sondern eine Gesellschaft im oben festgelegten Sinne ist und sein kann. Heimat können nur Familie, Gemeinde, Stamm und Volk werden, weil und insofern sie wahre Gemeinschaften sind, und zwar in dem Maße, wie der einzelne innerlich mit ihnen verbunden ist. Diese innerliche Verbundenheit vollzieht sich vor allem durch und in dem Komplex jener Gegebenheiten, die wir Kultur zu nennen pflegen. Wenn hier von Kultur die Rede ist, so meinen wir das im umfassendsten Sinne geistiger Bildung — Bildung natürlich nicht als Summe verstandesmäßiger Kenntnisse, sondern als innerer Besitz aller derjenigen Kräfte, Strebungen und Güter, die den Menschen aus dem Naturhaften, Triebhaften, Ungeistigen emporheben zum Geistigen; und wieder nicht unterschiedsloser, gleichmachender Besitz, sondern abgestuft nach Berufs= und Lebenskreisen, so daß die Eigenständigkeit der Bauernkultur neben der Stadt= (Großund Kleinstadt) Kultur, der Industriearbeiterkultur neben der der sog. Intellektuellen selbstverständliche Voraussetzung ist. Da, wo nun dieser Kulturbesitz, sei es in Familie, in Gemeinde, in Stamm, in Volk, innerlich angeeignet, wo das ganze Wesen und dessen Ausdruck von ihm geprägt wird, da ist eines jeglichen Heimat. Heimat ist der besondere Typus der Landschaft, in der wir eingewurzelt sind; Heimat ist die Sprache, man pflegt zu sagen der Dialekt, der betreffenden Gegend; Heimat ist die Religion und die Kirche, in der wir aufgewachsen sind, ihre Liturgie, ihre Riten, ihr Frömmigkeitsausdruck; Heimat sind das Recht und die Rechtsanschauung eines Stammes samt ihrer Ausprägung in den ökonomischen und sozialen Verhältnissen; Heimat sind die eigentümlichen Bauten und die Bauweise einer Gegend einschließlich der Siedlungsart; Heimat ist die volkstümliche, stammesgemäße Kunst eines Gaues, die sich (man nennt das heute „Kunstgewerbe“) bis auf die kleinsten Gegenstände des täglichen Gebrauchs erstrecken kann; Heimat sind die Volksbräuche, die Feste, Gewohnheiten eines bestimmten Umkreises, sofern sie wirklich auf volksmäßiger Tradition beruhen und nicht, wie das heute törichterweise vielfach versucht wird, künstlich hineingetragen sind. Man könnte diese Aufzählung leicht fortsetzen; das Angeführte dürfte aber genügen zur Bezeichnung dessen, was gemeint ist. Alles, was das Hineinwachsen in solche kon= krete „Kultur“ fördert, ist heimisch, ist heimatlich. Alles aber, was dem analysierenden Nivellierungsprozeß einer angeblichen, tatsächlich nicht vorhandenen, weil unmöglich sog. „allgemeinen Kultur“ Vorschub leistet, ist unheimisch und heimatwidrig. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß es auch ein gesamtvölkisches Heimatgefühl, eine große deutsche Heimat, ein deutsches Volkstum über den Umfang der einzelnen Stämme und Gemeinden hinaus gibt; vielmehr ist dieses die notwendige Folgerung, jenes aber die Voraussetzung. Das gesamtdeutsche Heimatbewußtsein als das Gemeinschaftsgefühl eines innerlich verbundenen Volkes kann nur entstehen auf der Grundlage jener angedeuteten Heimatswerte in den kleineren Gemeinschaftsbildungen, innerhalb deren die seelische Anlage zum Heimatlichen an ganz konkrete Dinge und Kräfte anknüpfen kann. So erwächst aus dem rechten Familiensinn, aus der Anhänglichkeit an die Dorf* oder Stadtgemeinde, aus dem echten Stammesbewußtsein das wahre Volkstum, die Liebe und Treue zur großen Volksgemeinschaft, von der man nicht einseitig nur. persönliche Vorteile erwarten darf, sondern der man auch im Bewußtsein einer höheren Berufung zu dienen, und, wenn nötig, unter Opfern zu dienen bereit sein muß — nur so kann die Gemeinschaft in ihren einzelnen Stufen gedeihen. „Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie Du.“
Wir sprechen hier vom Kreise Ahrweiler aus. Wessen Heimat ist dieses schöne Land? Nur derjenigen, die in ihm geboren sind? Oder derjenigen, die seit Jahrzehnten in ihm ansässig sind und in ihm ihre Geschäfte treiben? Nach allem hier Gesagten: nein! Heimisch bei uns sind alle, deren Seelen in die Seele dieser gesegneten Gaue an der Ahr, am Rhein, in der Eifel tief hineingetaucht und mit der Art und der Kultur dieses Landstriches lebendig verwachsen sind. Das gilt aber nicht nur von den Eingeborenen, die — auch das muß einmal gesagt werden — in gar nicht so‘ seltenen Fällen jenen unheimatlichen Nivellierungs= und Angleichungstendenzen einer undeutschen Talmikultur recht bedenkliche Konzessionen gemacht haben und ihrer heimischen Sonderart zu entsagen bereit waren, sondern es gilt auch und mit gleichem Recht von denjenigen Eingewanderten, die sich in den Geist dieses Landes und dieses Volkes wesenhaft eingelebt haben und selbstlos diesem Volkstum dienen. Durch diesen Dienst haben sie sich hier das Heimatrecht erwerben. Möge nur ein edler Wettstreit entbrennen: wer dem heimischen Wesen am treuesten ist, der ist ein wahrer Heimatmensch.
Wer aber kann nun mit kurzem, knappem Wort sagen, was Heimat ist? Vielleicht hat es der Dichter Wilhelm von Scholz in ahnungsvollen Versen am tiefsten so ausgesprochen:
Eine Heimat hat der Mensch,
Doch er wird nicht drin geboren. —
Muß sie suchen traumverloren.
Wenn das Heimweh ihn ergreift.
Aber geht er nicht in Träumen,
Geht er achtlos ihr vorüber,
Und es wird das Herz ihm plötzlich
Schwer bei ihren letzten Bäumen.