Von Genoveva zu Arielle. Schuld: Ein kleines Dorf mit einem großen Theaterherz
Theatertradition in Schuld
Da gibt es ein kleines Dorf, tief im Tal der Oberahr in der Verbandsgemeinde Adenau gelegen. Rund 900 Seelen sind hier zu Hause. Doch dieser Flecken hat nicht nur eine lange und bewegte Geschichte: 975 erfolgte die erste urkundliche Erwähnung, doch „Scolta“, wie der Ortsname im Keltischen heißt, ist älter, Ausgrabungen beweisen es. Das Besondere an Schuld ist, dass es sich einer Kunst verschrieben hat, die man nicht überall antrifft. Nein, kein Zaubertrank wird hier gebraut, hier wird Theater gespielt!
Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges versammelte sich um Konrektor Walter Pfahl ein Häuflein Theaterbegeisterter. Anfangs spielte man noch im Saal, doch nur wenig später fand man den Platz, der Schuld bis zum heutigen Tag seinen einmaligen Reiz gibt. Mitten im Wald, auf einem sanft abfallenden Talkessel, ein laubgrünes Amphitheater, wie manche es schon episch beschrieben haben. Die katholische Pfarrgemeinde stellte das Gelände zur Verfügung, auf einem kleinen Wall wurde ein Torbogen in Bruchstein gemauert, fertig war die Naturbühne. Im kommenden Jahr (2007) feiert man das sechzigjährige Bestehen. Was mit Freilichtspielen begann, die man von 1948 bis 1958 im Anschluss an die Marienwallfahrten zur Schornkapelle im Mai aufführte, entwickelte sich nach einer Unterbrechung von 1958-1965 im Laufe der Jahrzehnte zu einer Theaterinstitution von Rang, die man im Amateurbereich lange suchen muss.
Märchenaufführungim Jahr 1973; vorne, im gläsernen Sarg, das „Schneewittchen“, hinten die sieben Zwerge
„Das Wirtshaus im Spessart“, nach einer Erzählung vonWilhelm Hauff, stand1983 auf dem Programm.
Die Legende der Genoveva war das erste Stück, das auf den Brettern, Verzeihung, auf dem Waldboden, der hier die Welt bedeutet, gezeigt wurde. Vorsitzender Hans-Willi Bläser, dessen Großvater einer der Mitbegründer der Spielschar war, erinnert sich noch gut an seinen ersten eigenen Auftritt. Im Mysterienspiel vom„Geiger unserer lieben Frau“ bekam er seine erste Kinderrolle, im zarten Alter von sieben Jahren. Spätestens da hatte ihn der Theaterbazillus befallen, den er auch heute noch, vierzig Jahre später, in sich trägt.
Zu den Veränderungen auf der Naturbühne
Natürlich hat sich vieles verändert auf der Naturbühne: Es wurden Mauern gesetzt, Turm und Zinnen als ständige Kulissen, Bänke, ein Zeltdach für die Zuschauer kam hinzu, zuletzt baute man ein Haus, um Raum für die Akteure und die Kulissen zu haben. Drei Regisseure haben – jeder auf seine Art –die Theatervorstellungen und das Profil der Truppe geprägt. Auf Walter Pfahl folgte eine 30Jahre dauernde Ära mit Dieter Gerlach, unter dem sich die Spielschar kontinuierlich weiterentwickelte. Seit 2004 hat man mit dem jungen, 1972 geborenen Ralf Budde einen Profi aus der Opernwelt engagiert und einen Generationswechsel vollzogen. Und natürlich erfolgte auch bei den Stücken ein Wandel: Anfangs zeigte man Legenden und Dramen, später leichtere Unterhaltung wie das„Weiße Rössl“. Seit vielen Jahren bestimmen Märchen für Groß und Klein den Spielplan. In diesem Jahr (Spielzeit 2006) hat man mit „Arielle, die Meerjungfrau“ eine Erzählung von Hans Christian Andersen für die Bühne bearbeitet. Vieles ist allerdings auch gleich geblieben. Die rund 50-köpfige Truppe macht alles selbst, vom Ton bis zum Licht, von der Maske bis zu den Kostümen, vom Bühnenbau bis zur Dekoration. Wie geht das, personell und finanziell? Ein Stammpublikum sorgt dafür, dass die 600Sitzplätze regelmäßig gefüllt sind, zudem unterstützt ein Häuflein Sponsoren die Kulturschaffenden. Man kommt gerade so hin mit dem Geld. Und bleibt etwas übrig, wird es in den Verein gesteckt. Das Theaterhaus bräuchte einen Außenputz, die Zeltüberdachung kommt langsam in die Jahre…
Das Erfolgsgeheimnis
Das Geheimnis des Erfolges sind aber letztlich die vielen Menschen mit großem Theaterherz.
Hans-Willi Bläser als Meerkönig Triton in deraktuellen Inszenierung von „Arielle, die Meer-jungfrau“ (2006)
Ganze Familien sind aktiv, von Großeltern über Eltern bis hin zu Kindern und Kindeskindern. Nachwuchssorgen kennt man nicht. Wer einst als Zwerg begann, wird später zum Prinzen befördert und endet als König. Selbst Auszeitenwegen Berufsausbildung oder Studium sind meist kein Problem. „Sie kommen fast alle wieder“, so Hans Willi Bläser. Ist es die Mentalität der Landbewohner, die funktionierende Dorfgemeinschaft, die alles zusammen hält? Ja, wobei man Wert darauf legt, dass eben nicht nur Bewohner aus Schuld dabei sind, sondern auch viele Familien aus umliegenden Ortschaften wie beispielsweise Dümpelfeld und Insul. Das gemeinsame Hobby und der gemeinsame Erfolgschweißen zusammen. Da werden selbst Schicksalsschläge wie zwei tödliche Verkehrsunfälle, denen im Frühjahr 2004 kurz hintereinander zwei Mitglieder zum Opfer fielen, in der Gemeinschaft überwunden. Gut, dass das Leben immer weiter geht. Begeisterte Besucher, deren Zahl mittlerweile die Grenze von 100.000 weit überschritten hat, danken es den engagierten Laiendarstellern bei jeder Vorstellung mit ihrem Applaus. Denn seit vielen Jahren hat sich auch über die Landesgrenze nach Nordrhein-Westfalen herum gesprochen, dass in Schuld an der Ahr in jeder Theatersaison, die hier von Juni bis August dauert, mit viel Liebe und Hingabe großes Theater gespielt wird.