Von Frühmessnern und Schulmeistern. Aus der Geschichte der Neuenahrer Volksschule
Zur Entwicklung von 1786 – 1856
Im 17. und 18. Jahrhundert versahen auch im Kirchspiel Wadenheim – heute ein Teil von Bad Neuenahr – Frühmessner oder Vikare neben ihren geistlichen Aufgaben auch den Dienst als „Schulmeister“. Neben der christlichen Unterweisung der Dorfjugend oblag ihnen auch der Unterricht in den elementaren Kulturtechniken Rechnen, Lesen und Schreiben. Im Gemeinderatsprotokoll der Gemeinde Wadenheim vom 30. Juli 1856 ist die Entwicklung der dortigen Schule von 1786 bis 1856 in knappen Zügen dargelegt:
„In früheren Zeiten hielt der zeitliche Vikar zu Wadenheim auch die Schule daselbst und der ehemalige Vikar Iven hat der Gemeinde Wadenheim ein Stück Land geschenkt, auf welches 1786 die Gemeinde Wadenheim noch das vorhandene Schul- und Vikariehaus gebaut hat, und ein Theil dieses Stückes Landes zum Garten angelegt, im Hause wohnte der zeitliche Vikar, und es wurde auch die Schule im selben gehalten. Herr Iven hat zwar den Platz zum damals neuen Schul- und Vikarie Hause geschenkt, hat aber selbst dieses Haus nicht bewohnt, sondern wohnte in Beul bei W.b.. (= Wittib) Stockhausen, Herr Iven war der erste Vikar hier, der die Schule nicht hielt, deshalb kam nun ein Schullehrer Namens Steinborn. Dieser zog als Lehrer in das neue Haus. Das jetzige Gemeinderathsmitglied Johann Joseph Lützig übernahm im Jahre 1804 die Schule; Steinborn blieb noch im Hause wohnen bis 1808. In diesem Jahr 1808 zog der Lehrer Lützig in das Schulhaus ein und bewohnte es bis zum Jahre 1825. Während der Zeit von 1808 bis 1825 hat der Vikar Leyendecker zu Wadenheim mit Lehrer Lützig im Schulhaus gewohnt.“ (Gemeinderatsprotokoll)
Die alte Volksschule zu Wadenheim: Das Foto wurde anlässlich des 25jährigen Dienstjubiläums von Lehrer Weller im Jahre 1865 aufgenommen. Das 1786 erbaute Gebäude wurde 1895 abgerissen. An dieser Stelle steht heute das „Alte Rathaus“ in der Hauptstraße von Bad Neuenahr.
Vikar Iven verdankte Wadenheim somit das Schulgrundstück und die Anstellung eines ersten weltlichen Lehrers. Übrigens hat diese Geschichte auch einen durchaus „pikanten“ Zug, denn der Vikar, der seiner Verpflichtung zum Schuldienst nie nachkam, quittierte auch den geistlichen Dienst und zog bei der jungen Witwe des Hofrates und Vogtes Stockhausen ein. Das wohl eher „triste“ Leben im Schul- und Frühmessnerhaus tauschte er zugunsten der Annehmlichkeiten an der Seite einer Dame von Stand ein.
In Wadenheim wurde bis 1867 in dem Schul- und Vikariegebäude Unterricht gehalten. Danach baute man in der Knielsgasse (heute Telegrafenstraße) ein neues Schulgebäude, das fast 100 Jahre die Neuenahrer Volksschüler beherbergte. Ab 1906 kam das große Schulhaus in der Weststraße als Unterrichtgebäude hinzu. In diesem Haus haben heute örtliche Vereine eine Heimstatt gefunden. 1964 wurde die Volksschule in der Weststraße 27 gebaut, die heute als Grundschule dient, denn ab Klasse 5 besuchen die Neuenahrer Schüler weiterführende Schulen im Stadtgebiet.
„Das arme Dorfschulmeisterlein“
In der langen Schulgeschichte von Wadenheim bzw. Neuenahr haben zahlreiche Lehrer und Lehrerinnen viele Generationen von Schülern unterrichtet. Dabei hat sich bis heute ein großer Wandel bei den Unterrichtsformen und
-inhalten vollzogen.
Das Lied vom „armen Dorfschulmeisterlein“, das in zahlreichen Textvarianten bis heute überliefert ist, erscheint uns heute als reine Karikatur der Lehrerrolle und der Aufgaben eines Lehrers. Da wird vom „Mist fahren, Schwein hüten, Orgel spielen“, dem Dienst in der Kirche und der unermüdlichen Arbeit außerhalb des Schulhauses gesprochen. Dabei wird Spott und Hohn über ihn ausgegossen und seine Armut bespöttelt. Als Pädagoge wird er als komische Figur dargestellt, deren Hauptqualifikation das Schlagen zu sein scheint.
In dieser Karikatur steckt auch ein Stück Wirklichkeit der Lehrerrolle im 19. Jahrhundert. Da war zum einen die Aufgabenfülle auch neben dem Schulunterricht, die Abhängigkeit von der kirchlichen Schulaufsicht sowie der Gemeinde, in der er Sonderaufgaben übernehmen musste. Im Gegensatz zu Taglöhnern, Handwerkern und Gewerbetreibenden verfügte er aber über ein regelmäßiges und festes Einkommen, das in der Relation zu anderen Berufen betrachtet gar nicht so gering war.
So erhielt Lehrer Johann Sebastian Weller, der von 1841 bis kurz vor seinem Tode 1870 seinen Dienst ausübte, zunächst 140 Taler Jahresgehalt, dazu freie Wohnung, Brennholz, Nutzungsrechte an zwei Stücken Gemeindeland und einen Zuschlag für die Reinigung des Schulsaales und das Ofenanzünden. Dazu wurde seine Tätigkeit als Chorführer und Organist in der Willibrorduskirche besoldet, sodass er 1868 über 180 Taler jährlich verfügte. Ein Maurermeister verdiente zu dieser Zeit bei Vollbeschäftigung etwa einen Taler in zwei Tagen. Das waren im Jahr etwa 150 Taler. Gesellen, Handlanger, Tagelöhner verdienten viel weniger. So kam eine Magd bei freier Kost und Logis zu dieser Zeit auf einen Jahreslohn von 22 bis 30 Talern jährlich. Ein Knecht erhielt in der Landwirtschaft 36 – 60 Taler jährlich. Als Lehrer Weller 1869 den Dienst aufgeben musste, erhielt er von der Gemeinde jährlich 120 Taler.
Revisionsbericht 1867
Über den Unterricht von Lehrer Weller haben wir auch einen Revisionsbericht eines Schulrates vom 9. Juli 1867. Darin heißt es u. a.: „In der Knabenklasse sind 90 Kinder, 14 haben gefehlt; der Schulbesuch ist überhaupt nicht regelmäßig, die Kinder helfen den Eltern in ihren Haus- und Feldarbeiten oder sie dienen um Lohn. Zwei Fenstervorhänge sind zerrissen, der Lehrer hat davon nach seinem eigenen Geständniße keine Anzeige gemacht. Die Fenster waren unrein, eine Schulbank steht nicht fest. Die Anfänger schrieben lo, la, lau, ein Knabe befriedigend, die Uebrigen ohne auf das Vorgeschriebene zu achten, vieles war unklar; sie machten das Kreuzzeichen und hantirten ziemlich genügend. Das Lesen war auch auf den folgenden Stufen nur theilweise genügend und in Bezug auf die Wahl der Stücke ein allmähliges Fortschreiten vom Leichten zum Schweren vermisst; es fehlte auch an Lesebüchern … Das Schlussgebet wurde ohne inneren Antheil und undeutlich gesprochen. Die Schulzucht ist mangelhaft, die Kinder sind sehr unruhig und zerstreut, sie sehen auch äußerlich verwahrlost aus.
Man kann mit dem Zustande der Schule nicht zufrieden sein, dem Lehrer sind hierüber wiederholt Vorhaltungen gemacht worden, es hat aber wenig Erfolg gehabt.
Der Lehrer Joh. Seb. Weller, auch Organist und Chorführer, ist seit 1841 an der Schule, er sieht etwas verkommen aus und ist, wie mir von mehreren Seiten versichert worden ist, in der Gemeinde wenig geachtet. Seine häuslichen und ökonomischen Verhältnisse sollen nicht geordnet sein. In seinem Verhalten gegen die Vorgesetzten läßt er es an Bescheidenheit fehlen, er verräth wenig Bildung. Ich würde ihn viel lieber an einem Orte mit ländlichen Verhältnißen als an einem im Aufschwung begriffenen Badeorte sehen, wo überdies vielfache Veranlassung zur Zerstreuung sich findet.“
Das ist als Beurteilung schon harter „Tobak“. Es spiegelt sicherlich auch ein Stück Unterrichtswirklichkeit des im Dienst stark geforderten Lehrers, der aufgrund einer ernsthaften Erkrankung zwei Jahre später, also 1869 pensioniert wurde. Am 7.3.1870 verstarb Johann Sebastian Weller im Alter von 54 Jahren. Aber der Revisionsbericht wird dem langgedienten Lehrer und der Person Wellers letztlich nicht gerecht. So findet sich in der Ahrweiler Zeitung vom 14. November 1867 anlässlich der Einweihung der neuen Schule in der Telegrafenstraße folgende Passage, in der äußerst positiv über Weller berichtet wird, „dass der Herr Lehrer der Mann sei, der so Vieles an seinen Schülern gethan, der keine Mühe gescheut, dieselben zu ihrem späteren Berufe tüchtig zu machen, welches sich auch dadurch beweise, dass schon mehrere Schüler durch den Unterricht, so sie in der hiesigen Schule genossen, eine sichere Existenz in der Welt gefunden hätten.“
Zugang zur Schulgeschichte aus heutiger Sicht
Die Volksschulbildung, die bis ins 20. Jahrhundert hinein von über 90 % der Bevölkerung die Grundlage der schulischen Bildung war, stellte für viele Berufe eine solide Basis für ihren weiteren beruflichen Werdegang dar.
Das Gebäude der Volksschule von Bad Neuenahr aus dem Jahre 1906/07 (l.): Der mehrfach erweitere Bau dient heute als Heimstätte für einige Vereine Bad Neuenahrs.
Die Volksschule war bis Ende der 1960er Jahre Regelschule. Damals fand eine Trennung in Grund- und Hauptschule statt. Schule hat sich durch organisatorische und inhaltliche Reformen grundlegend gewandelt. Das gilt auch für alle Schularten unserer Region.
Die Bad Neuenahrer Grundschule versucht heute ihren Schülerinnen und Schülern durch Projekte, praktische Unterrichtsarbeit und eine kleine Dauerausstellung im Schulgebäude die Entwicklung der Volksschule am Ort nahe zu bringen.
Dadurch erhalten die Schüler Einblicke in die Schulwirklichkeit ihrer Vorfahren im 19. und 20. Jahrhundert. Ferner gewinnen die Kinder Informationen über Veränderungsprozesse unserer Gesellschaft. Es wird ihnen aber auch durch alte Fotos, Gegenstände und informative Texte ein Zugang zu ihrer Heimat vermittelt. Des weiteren erwerben die Kinder methodische Kompetenzen bei der Informationsbeschaffung, der Auswertung von Texten und Fotos sowie der Be- und Verarbeitung der Sachmaterialien. Zudem erarbeiten sich die Kinder einen „Zeitbegriff“, indem sie Zeitleisten entwickeln und geschichtliche Ereignisse einordnen können.
Alte Schulbücher, Klappbänke, Griffel, Tafel, Rutenstock und Rechenmaschine sind Anschauungsmittel, mit denen die Grundschüler in Bad Neuenahr spielerisch Zugang zu einer ihnen fremden Zeit gewinnen. In Form eines szenischen Spiels erfahren die Schüler den früheren Unterricht hautnah.
Quellen und Literatur:
- Gemeinderatsprotokolle von Wadenheim 1856; Unterlagen im Archiv der Pfarrei Bad Neuenahr; Hans Frick: Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr. Bad Neuenahr 1933.
- Arbeitskreis Eifeler Museen (Hrsg.): Tafel, Griffel, Rutenstock. 150 Jahre Eifeler Volksschulen. Meckenheim 1989.
- Dr. Michael Klöcker: Schule und Bildung: In: Im Wandel der Zeit. 2000 Jahre an Rhein und Mosel. Koblenz 2000.