Vom Kaiserreich zur Republik
Das Heimat-Jahrbuch 1975 brachte auszugsweise eine Darstellung über den Verlauf der revolutionären Ereignisse 1848 unter besonderer Berücksichtigung der Vorgänge im Heimatgebiet, die im Rahmen eines Wettbewerbs der Gustav-Heinemann-Stiftung entstanden war.
In diesem Jahr war die Aufgabe gestellt, das Verhältnis einer einheimischen Bevölkerung zur Revolution 1918/19 zu untersuchen. Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus der gemeinsamen Arbeit der Schülerinnen Hildegard Ginzier, Heike Junqbluth, Marie-Luise Kratz und Gabi Weber, die mit einem 5. Preis ausgezeichnet wurde.
Das Verhältnis der Bevölkerung des Kreises Ahrweiler zur Revolution 1918/19
Die Landbevölkerung in den damaligen Kreisen Ahrweiler und Adenau wurde nach zeitgenössischen Berichten vom eigentlichen revolutionären Geschehen der Jahre 1918/19 nicht oder kaum beeinflußt. Dazu war, entgegen den Aktivitäten in den großen Städten, so gut wie kein politisches Bedürfnis vorhanden, und der Wunsch nach Beendigung des Krieges und nach Frieden, Ruhe und Ordnung beherrschte alles.
Die auf den Dörfern vorübergehend in Erscheinung getretenen Bauernräte, Bürgerräte, Bürgerwehren und Soldatenräte hatten hier keinerlei politische Funktion, sondern waren vornehmlich aus dem Bedürfnis der Bürger nach Ruhe und Ordnung, sowie nach Schutz vor den zurückflutenden deutschen Truppen entstanden. Bei der Einrichtung von Räten waren zwar die Städte das Vorbild. Doch darf diese rein äußerliche Obereinstimmung nicht zum falschen Schluß führen, daß die Bildung von Räten aus dem Bestreben oder den revolutionären Forderungen einzelner Gruppen erfolgte.
So berichtet die Schulchronik von Niederheckenbach, wie wenig Eigeninitiative hinter dem „Bauernrat“ stand. Man gründete ihn, weil man „überall“ Räte einrichtete:
„Zu Anfang November brach In Deutschland die Revolution aus. Selbst in den entlegensten Dörfchen war sie bemerkbar. Überall
gründete man Arbeiter- und Soldatenräte, die die Ordnung der öffentlichen Angelegenheiten in die Hand nahmen. Auch hier gründete man einen Rat, genannt Bauernrat. Ihm wurde die Gemeinde anvertraut. Sie sollten für Ruhe und Ordnung, die hier allerdings nicht gefährdet waren, sorgen. Es war eine Zeit der allgemeinen Unsicherheit. Deshalb sollten die Mitglieder des Bauernrates, um Plünderungen vorzubeugen, nachts abwechselnd Wache halten.
Mitte November mußte die Schule abermals geschlossen werden, da bei dem Rückmarsch der deutschen Truppen auch unser Dörfchen belegt wurde. Vielen Leuten war es lieb, bekamen sie auf diese Weise doch noch etwas zu sehen, z. B. Kanonen, Feldküchen, Bagagewagen …“.
In der Schulchronik von Denn (heute Ahrbrück) heißt es:
„Unerwartet kam am 9. November die Nachricht, unsere Soldaten hätten die Waffen niedergelegt; die Revolution sei ausgebrochen. In den ersten Tagen wußten die Leute gar nicht, welche Bewandnis es damit hatte; bis einige Leute aus größeren Städten wie Köln, Bonn nach hier kamen und erzählten, was dort vor sich gegangen sei. Alles atmete auf und war froh, daß dem Morden ein Ende gemacht wurde. Die Leute sagten: „Es ist gut, daß es Schluß Ist.“
Einige Tage später kamen auch schon die ersten zurückmarschierenden Truppen hier vorbei; es waren meistens Last- und Personenautos; ebenso brachten die Transportzüge auf der Ahrstrecke die heimkehrenden Krieger nach dem Rheine. Alles lief an die Transportzüge, sogar von Kesseling kamen, die Leute an die Züge, um den Soldaten, die Heereseigentum aller Art für weniges Geld feilboten, dasselbe abzukaufen … Nun kamen die Fußtruppen. In den Orten nahe der Marschstraße bezogen sie Quartier. Die Schule mußte geräumt werden. Die Wohnungen der Leute waren auch alle überfüllt … Fast jede Nacht waren in Denn 1000—1200 Soldaten einquartiert. So ging es drei Wochen lang…“
In den größeren Städten standen die Arbeiter- und Soldatenräte im Brennpunkt des Zeitgeschehens. Ihren Forderungen verliehen sie in zahlreichen Aktivitäten Ausdruck. Auf den Dörfern aber schienen sich die Räte über den eigentlichen Zweck ihrer Existenz oft im Unklaren zu sein. Lediglich die Bürgerwehr, hervorgegangen aus Bedürfnis und Wunsch des Bürgers, erfüllte ihren Zweck. Dazu folgendes Schreiben des „provisorischen Bürgerrates der Gemeinde Oberwinter“ an das stellvertretende Generalkommando des VIII. Armeekorps in .Koblenz vom 19. 11. 1918 :
„… Der Bürgerrat bittet das Generalkommando
1. der Bürgerwehr die Erlaubnis zum Tragen von Waffen während der Ausübung ihres Dienstes zu erteilen …,
2. der Bürgerwehr die Berechtigung zu geben, im äußersten Notfall von der Waffe Gebrauch zu machen,
3. den gewählten Bürgerrat als zu Recht bestehend, eventuell als zuständige Gemeindebehörde anzuerkennen und die Pflichten und Rechte des Bürgerrates genauer umgrenzen zu wollen.“ Aus den Akten des damaligen Landrates von Ahrweiler geht die Existenz eines „Volksrates“ in Ahrweiler selbst hervor. Worin seine Tätigkeit genau bestand, ist nicht ersichtlich. Jedoch können seine Aktivitäten nicht von großer Bedeutung gewesen sein, da dies unbedingt dem Generalkommando des Bezirks Koblenz hätte gemeldet werden
müssen, dem der Kreis Ahrweiler damals unterstand.
Auch auf die Verwaltung der Stadt war der Einfluß gering. Das bestätigt ein Schreiben des stellvertretenden Bürgermeisters von Ahrweiler, Justizrat Dr. Bremen „an den Herrn Bürgermeister“ vom 20. Oktober 1919: „… Ich habe, solange ich als Bürgermeister Dienst tat, dem Befehl gemäß (gemeint ist der Befehl des Vorgesetzten der Besatzungstruppen, Major Arnold, der Volksrat sei aufzulösen) den Volksrat als nicht vorhanden betrachtet. Auch hat sich der Volksrat in keiner Weise um meine Geschäftsführung gekümmert …“
Endgültig aufgelöst wurde der Volksrat am 1. 11. 1912. Dieses besagt folgendes Schreiben des Landrates von Ahrweiler an die stellvertretende Intendantur des VIII. Armeekorps in Koblenz: „Der Volksrat in Ahrweiler bestand hier nur dem Namen nach. Irgendeine Tätigkeit hat derselbe schon seit langer Zeit nicht mehr ausgeübt. In derselben Zeit trat derselbe nochmals öffentlich auf. Zugleich gab der Vorsitzende Hörsch in dieser Versammlung bekannt, daß der Volksrat sich nunmehr offiziell auflöse und damit seine Tätigkeit niederlege. Der in Abschrift beigelegte Bericht des stellvertretenden Bürgermeisters von Ahrweiler behandelt die Auflösung des Volksrates durch die amerikanische Behörde.“
Die Erwähnung der amerikanischen Besatzungsbehörde im Zusammenhang mit der Bildung bzw. Auflösung von Räten ist bei der Untersuchung über das Verhältnis der einheimischen Bevölkerung zu den revolutionären Ereignissen von großer Bedeutung. Die damaligen Kreise Ahrweiler und Adenau lagen im linksrheinischen besetzten Gebiet, in dem die Einrichtung von politisch aktiven Bürger- oder Soldatenräten nicht erlaubt war. Im übrigen scheint die Verwendung des Begriffs Soldatenräte nicht immer einheitlich. So wurde der Soldatenrat in Heimersheim nicht von demokratisch gesinnten Soldaten gegründet, sondern bei Kriegsende von der Heeresleitung selbst eingesetzt. Er bestand aus drei Personen und seine Aufgabe war nur die Feststellung von Deserteuren. Die revolutionären Ereignisse in den Städten waren Teile einer sich fortpflanzenden Bewegung. Sie waren eine unvermeidliche Folge des militärischen Zusammenbruchs und spiegelten die Stimmung der über die materielle Not erbitterten Bevölkerung wider.
Ganz anders war die Lage auf dem Lande. Zwar wußte man von der Revolution, von deren Auswirkungen aber war wenig zu spüren. Weder betraf sie die Bevölkerung hier direkt, noch wäre sie hier notwendig gewesen: Die Bauern hatten keine politischen Gefangenen zu befreien, und die Versorgung war, da ein Drittel der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebte, relativ gut.
Während der Jahre 1918/19 kam es in den Kreisen Ahrweiler und Adenau zu keinerlei Arbeitsniederlegungen. Die einzigen, von denen die Akten des Regierungspräsidiums in Koblenz berichten, fanden 1920 statt. Sie hatten aber, wie aus den beigelegten Anlagen hervorgeht, keine politischen Ziele. Es ging nur um innerbetriebliche bzw. finanzielle Probleme. Daher verhielten sich die Arbeiter sehr diszipliniert. Immer wieder heißt es: „Ausschreitungen sind nicht vorgekommen“.
Während der Umbruch in den Städten die Notwendigkeit einer Republik und einer neuen Verfassung herbeigeführt hatte, war auf dem Lande kaum eine Änderung der politischen Verhältnisse, noch des politischen Bewußtseins der Bevölkerung eingetreten, wie auch ein Bericht des Landrats von Ahrweiler aussagt:
„Ein großer Teil der Kreisbevölkerung weiß im allgemeinen nur, daß das Deutsche Reich eine neue Verfassung erhalten hat. Der Bauer hat infolge seiner vielen Arbeit gar keine Zeit, sich näher damit zu befassen, was in der Verfassung steht. Er legt diesem Staatsgrundgesetz bis heute noch nicht den Wert bei, der ihm zukommt. An seine politischen Rechte erinnert er sich in der Regel nur gelegentlich der Wahlen.“
Quellen:
Rudolf Morsey, Die Rheinlande, Preußen und das Reich, Rh. Vjbl. 1965, S. 180
Helmut Metzmacher, Der Novemberumsturz 1918 in der Rheinprovinz. Ann. d. h ist. Vereins f. d. Ndrrh.
Kreisarchiv Ahrweiler, Akte „Revolution und Soldatenräte“ sowie „Waffenstillstand und Demobilisierung“, Schulchronik Niederheckenbach und Denn.