Vom Bauernjungen zum Klosterherren
Gabriel Hilger, ein Steinfelder Abt aus Hannebach
Dr. Wolfgang Bender
Johannes Hilger ist der wohl bedeutendste Sohn des kleinen Eifeldortes Hannebach bei Kempenich. Ihm gelang im 18. Jahrhundert ein au ßergewöhnlicher Aufstieg, der zu dieser Zeit für Menschen seiner sozialen Herkunft zumeist nur im kirchlich-klösterlichen Bereich möglich war.
Johannes Hilger wurde am 14. März 1704 als ältester von drei Söhnen der Eheleute Georg Hilger und Magdalena Fischer geboren. Sein Vater trat nach dem Tode des Schwagers Veit Fischer aus Wehr in den Besitz des Hofes der Prämonstratenserabtei Steinfeld/Eifel zu Hannebach. Veit hatte das Gut in den Jahren 1703 und 1714 für insgesamt 13 Malter Hafer Jahresernte jeweils auf zwölf Jahre mit der Option von den Steinfelder Kanonikern gepachtet, daß sein Schwager Georg Hilger und dessen Frau bei seinem vorzeitigen Ableben den Hof zu diesen Konditionen übernehmen durften. Das seit um 1130 von Prämonstratensern besiedelte Kloster war spätestens seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert Eigentümer des Hannebacher Hofes, der anläßlich einer Verpachtung 1492 erstmals genannt wurde, und der der Steinfelder Kellnerei zu Wehr zugeordnet war, wo Steinfeld bereits seit 1136 Pfarr-, Grund- und Gerichtsherr war.
Ausbildung und erste Klosterjahre
Über die Schulzeit des Johannes Hilger sind keine Nachrichten auf uns gekommen. Seine Eltern scheinen als Steinfelder Klosterpächter des Hannebacher Hofes recht wohlhabend gewesen zu sein, denn sie konnten Johannes eine universitäre Ausbildung finanzieren. In Trier absolvierte er das für einen damaligen angehenden Kleriker übliche Grundstudium an der Philosophischen Fakultät. Im Alter von 20 Jahren bat Johannes Hilger im Frühjahr 1724 um Aufnahme in den Steinfelder Konvent, der im Gegensatz zu einigen anderen deutschen Prämonstratensergemeinschaften rein bürgerlich zusammengesetzt war. Johannes wurde am 10. April 1724 eingekleidet und erhielt den Ordensnamen Gabriel. Um als Novize in einen Prämonstratenserkonvent aufgenommen zu werden, bedurfte es ehelicher Geburt und freier Herkunft. Der Postulant mußte mindestens 18 Jahre, ledig und schuldenfrei sein, durfte keinem anderen Orden angehören und an keiner verborgenen Krankheit leiden. Er mußte die lateinische Sprache beherrschen und für das Noviziat ein „Kostgeld“ entrichten.
Nach seinem zweijährigen Noviziat, in dem er mit dem Ordensleben vertraut gemacht und in die Grundlagen der Seelsorge eingeführt wurde, legte Gabriel Hilger am 7. April 1726 seine Gelübde ab und wurde zwei Monate später zum Subdiakon geweiht. Im Anschluß an seine Profeß erhielt Gabriel in Steinfeld Unterricht in Philosophie und Katechismus. Am 7. März 1727 wurde der junge Subdiakon zum Studium der Theologie und des Kirchenrechts in das Seminarum Norbertinum, dem 1614 für den Ordensnachwuchs eingerichteten Kölner Studienhaus, geschickt und erhielt dort drei Monate später seine Weihe zum Diakon. Zum Abschluß seiner zweijährigen Kölner Studienzeit empfing Gabriel die Priesterweihe am 12. März 1729. Tags darauf hielt er an der Kölner Universität seine öffentliche Disputation über die Moral (de moralitate) und feierte zwei Wochen später in Steinfeld seine Primiz. Exakt ein Jahr nach dieser Feier wurde der junge Geistliche am 27. März 1730 bereits mit den verantwortungsvollen Positionen des Novizenmeisters und Circators in Steinfeld betraut. In der erstgenannten Funktion oblag es ihm, die jungen Postulanten in die Ordensregeln einzuführen und auf ihre Aufgaben als Seelsorger vorzubereiten. Über die monastische Ordnung in der Abtei durch gelegentliche Rundgänge (= circam facere) zu wachen und Mißstände dem Hauskapitel anzuzeigen, waren seine Aufgaben als Circator.
Nach zweijähriger Tätigkeit in diesen beiden Klosterämtern wurde Gabriel Hilger in das Steinfeld unterstellte Priorat Niederehe/Eifel entsandt, wo er ebenfalls zwei Jahre wirkte. Als Subprior war er seit dem 14. April 1732 stellvertretender Vorsteher der dortigen kleinen Prä-monstratensergemeinschaft. Daneben bekleidete er in Niederehe auch das Amt eines Lektors der Moraltheologie und war Vizekurat der Pfarrkirche. Im Oktober 1734 wurde er für ein Jahr in das Prämonstratenserkloster Arnstein/ Lahn entsandt. Gabriel war dort als Lektor und Novizenmeister tätig und diente seinem Orden somit wie zuvor in Steinfeld und Niederehe im Bereich der Ausbildung und Erziehung.
Im Spätherbst 1735 kehrte Gabriel Hilger nach Steinfeld zurück und übernahm dort für zweieinhalb Jahre ein völlig andersgeartetes Arbeitsfeld. Als Subcellerar stand er dem Cellerar (= Kellner), der für die Wirtschaftsführung der Abtei verantwortlich war, zur Seite.
Vom 25. März 1738 bis zum 20. April 1741 hatte Gabriel Hilger nebeneinander mehrere recht unterschiedliche Klosterämter inne, was Rückschlüsse auf seine vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten und seine persönlichen Fähigkeiten erlaubt. Als „inspector librorum cen-sualium“ zeichnete er sich auf finanziellem Gebiet für die ordnungsgemäße Führung der Zinsbücher verantwortlich. In seiner Eigenschaft als Subprior unterschrieb Gabriel den Pachtvertrag vom 26. März 1738, den sein Bruder Matthias Hilger und dessen Ehefrau Maria Gros bezüglich des Hannebacher Hofes mit Steinfeld abschlössen. Für die Ausbildung der Novizen und Professen wurde er als Lektor der Kasuistik (lector casuum) eingesetzt. Hilger war Beichtiger der Mitbrüder und hatte auch die Vollmacht, von solchen Sünden zu absolvieren, deren Lossprechung dem Bischof vorbehalten war. Schließlich wirkte er in dieser Zeit auch als Subprior, der den Prior bei Abwesenheit und Krankheit zu vertreten hatte. Dieser war vornehmlich für die Ausgestaltung des umfangreichen Chordienstes, der den Tagesablauf der im Kloster lebenden Kanoniker rund um die Uhr bestimmte, verantwortlich.
Die nächste Station seines „cursus honorum“ führte Gabriel nach Wildenburg bei Steinfeld. Die Unterherrschaft Wildenburg hatte die Abtei 1715 für die enorme Summe von 40 000 Reichstalern vom Reichsgrafen Johann Friedrich von Schaesberg erworben. Gabriel Hilger war dort seitdem 21 .April 1741 Kellermeister der Abtei. Er verpachtete die klösterlichen Liegenschaften, überwachte deren Bebauung, verwaltete die Finanzen und nahm die Lehnshuldigungen der Bauern entgegen. Kurzum, ihm oblag die gesamte Leitung der klösterlichen Liegenschaften vor Ort. Dieses verantwortungsvolle und wichtige Amt bekleidete er über neun Jahre hinweg.
Gabriel Hilger als Steinfelder Abt (1750 bis 1766)
Seine in vielen verschiedenen Klosterämtern gewonnene Erfahrung, seine Bildung, seine persönlichen Verdienste um das Kloster und sein untadeliger Lebenswandel waren wohl dafür ausschlaggebend, daß er von einem Teil seiner Steinfelder Mitkanoniker nach dem Tode des Abtes Johannes Lohelius Begasse (1744 bis 1750) zu dessen Nachfolge im Amt gedrängt wurde, obschon Gabriel dies aus Bescheidenheit eigentlich gar nicht wollte. Gabriel Hilger konnte jedoch erst im zweiten Wahlgang mit 53 von 98 Stimmen die absolute Mehrheit auf sich vereinen. Bei der ersten Abstimmung erhielt der Hannebacher Pächtersohn wie sein Gegenkandidat, der acht Jahre ältere Kölner Universitätsprofessor und Steinfelder Kanoniker. Joseph Prickartz. 43 von 98 Stimmen. während für vier weitere Mitbrüder insgesamt nur zwölf Kanoniker votierten. Bereits zwölf Tage nach seiner Wahl zum Steinfelder Abt, die am 15. Juni 1750 unter der Leitung des Sayner Prämonstratenserabtes Isfried Ohm stattfand, ging aus dem fernen Premontre die Bestätigung der Wahl ein.
Gemeinsam mit Ambrosius Specht, dem gewählten Gladbacher Benediktinerabt, wurde er durch den Kölner Weihbischof Franz Caspar von Francken-Sierstorff am 2. August 1750 in dessen Hauskapelle, unter der Mitwirkung der Äbte von Groß-St. Martin/Köln (O.S.B.) und Knechtsteden (O.Praem.). konsekriert. Als Mann in den besten Jahren trat der ehemalige Bauernsohn im Alter von 46 Jahren an die Spitze jenes geistlichen Instituts, in das er ein Vierteljahrhundert zuvor als Novize aufgenommen wurde. Doch diese hohe Prälatenwürde war noch nicht der Endpunkt seiner Karriere. Auf den 24. September 1750 datiert die Urkunde, in der Gabriel Hilger von Bruno Becourt, dem Generalabt von Premontre, zum Generalvikar (= Provinzialabt) mit Generalvollmacht in den Zirkarien (=0rdensprovinzen) Westfalen, llfeld und Wadgassen unbefristet ernannt wurde. Ihm wurde damit unter anderem die Aufgabe übertragen, die mehrais 30 Ordenshäuser, die zwischen Elbe und Elsaß verstreut lagen, zu visitieren, deren innere und wirtschaftliche Angelegenheiten zu observieren und zu reformieren sowie gegebenenfalls mit geistlichen Strafen gegen rebellische Kanoniker und Kanonissen sowie allgemeine Mißstände vorzugehen. Darüber hinaus war Gabriel Hilger kraft seines Amtes als Steinfelder Abt auch Archidiakon des Archidiakonats Steinfeld, verantwortlich für mehrere Prämonstratenserinnenkonvente sowie Vaterabt einer Reihe von dem Eifelkloster aus besiedelten Tochterklöster wie Strahow in Prag, die teilweise außerhalb der genannten Zirkarien lagen, und in denen er ebenfalls umfangreiche Rechte besaß. Des weiteren war er als Steinfelder Abt auch Pfarrherr in einem runden Dutzend, dem Kloster inkorporierter Kirchspiele, darunter die im Ahrkreis gelegenen Pfarreien Bengen und Wehr.
Unterschrift und Siegel des Abtes Gabriel Hilger (HStA Düsseldorf. Steinfeld Akten 49 S. 26).
Aus:J. Siebemachers großes und allgemeines Wappenbuch. 1. Bd., 5. Abteilung, 2. Reihe. Klöster, bearb. v. G. A. Seyler. Nürnberg 1882, Tafel 144.
Aus seiner Regierungszeit (1750 bis 1766) als Steinfelder Abt sind keine nennenswerten größeren Käufe, Verkäufe oder Baumaßnahmen überliefert. Gleiches gilt auch für Stiftungen frommer Schenker. Auch scheinen die Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763) auf die prosperierende Klosterökonomie gering gewesen zu sein. Es gelang dem Abt, sein Gotteshaus, dem 1750 98 und 1767 88 Kanoniker angehörten, die allerdings nur zum Teil in Steinfeld lebten, in ruhigem Fahrwasser zu halten.
Letztmalig wird Abt Gabriel Hilger in zwei Aktenstücken. die auf den 22. Dezember 1766 datieren und die den heutigen Ahrkreis betreffen, erwähnt. In Steinfeld verpachtete er auf zwölf Jahre der Catharina Conrads aus Beller. Witwe des Johannes Koulhaas, Haus und Hof sowie agrarische Liegenschaften zu Beller für 26 Malter Roggen und 14 Malter Hafer Grafschafter Maß. Die Getreideernte mußte in den Ahrweiler Stadthof der Abtei – einen solchen besaß Steinfeld dort seit spätestens 1194 – an Martini abgeliefert werden. Weiterhin mußte die Pächterin dorthin jährlich einen wohlgemästeten Hammel oder ein fettes Kalb bringen und in Steinfeld einen Reichstaler entrichten. Darüber hinaus war sie zu Hilfeleistungen für die Ahrweiler Wingertpächter der Abtei und zu einer jährlichen Weinfahrt verpflichtet. Für eine Kornernte von insgesamt 24 Malter pachteten auf zwölf Jahre Ferdinand Winter, Stephan Rieck, Theoderich Mertens und Stephan Kramp mit ihren Ehefrauen abteiliche Güter zu Bengen, wo Steinfeld bereits seit 1289 umfangreiche Liegenschaften und das Präsentationsrecht besaß.
Am vorletzten Tag des Jahres 1766 erlag der vormalige Hannebacher Bauernjunge und spätere Provinzialabt gegen 15 Uhr im 63. Lebensjahr den Folgen eines Schlaganfalls, der ihn am 27. Dezember getroffen hatte.
Quellen und Literatur:
Ingrid Joester, Urkundenbuch der Abtei Steinfeld (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichte LX). Köln Bonn 1976.
Theodor Pass. Die Prämonstratenserabtei Steinfeld vom Beginn des 15. Jahrhunderts bis zu ihrer Aufhebung, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 99 (1916) S. 98 bis 202.
Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Steinfeld Akten 49. 87 f, 206, 236, 252, 257, 279.
Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 11 Akten lla 1
Landeshauptarchiv Koblenz Abt. 172 Nr. 401
Bistumsarchiv Trier Niederzissen Kb 1 und Fb 3.