Verhaftet während der letzten Ölung

Der Brohler Pfarrer Josef Leusch geriet als junger Priester in den Kulturkampf

Christian Franzen

Als im Zuge des Ersten Vatikanischen Konzils am 18. Juli 1870 das päpstliche Unfehlbarkeitsdogma verkündet1) und am 13. Dezember 1870 in Preußen die Zentrumspartei als Vertretung des politischen Katholizismus gegründet wurde2), mögen das vielleicht die berühmten Tropfen gewesen sein, die für Reichskanzler Otto von Bismarck das Fass zum Überlaufen brachten. Der „Eiserne Kanzler“ sah den Einfluss der katholischen Kirche als staatsgefährdend an und versuchte daher ihre politische und gesellschaftliche Rolle in Preußen zu verringern3).

Höhepunkt dieses „Kulturkampfes“ waren die preußischen Maigesetze, vier Gesetze, die an vier aufeinanderfolgenden Tagen im Mai 1873 erlassen wurden4). Den Anfang machte das Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 11. Mai 1873, nach dem Geistliche vor der Übernahme eines kirchlichen Amtes bei den Oberpräsidien, die Einspruch erheben konnten, angemeldet werden mussten5). Priestern, die gegen die Maigesetze verstießen, konnte durch das sogenannte „Expatriierungsgesetz“ vom 4. Mai 1874 ein Aufenthaltsort zugewiesen werden6). Sogar die Ausweisung konnte angeordnet werden, wie es im Fall des späteren Brohler Pfarrers Josef Leusch geschah, der damals als „Privatgeistlicher“ in der Moselgemeinde Kinheim tätig war.

Biographisches zu Josef Leusch

Josef Leusch wurde am 8. Mai 1850 als Sohn von Jakob Leusch und Katharina Klein im Hunsrückort Mastershausen geboren7). Gemeinsam mit 30 jungen Männern empfing er am 30. August 1873 durch den Trierer Bischof Matthias Eberhard die Priesterweihe. Während eine ganze Reihe der Neupriester von der kirchlichen Behörde – trotz fehlender staatlicher Genehmigung – als Kapläne in die Pfarreien des Bistums geschickt wurde8), hielt sich Leusch zunächst ohne Stelle in seinem Heimatort auf, bis ihn Anfang November 18739) der Kinheimer Pfarrer Michael Boelinger, der seit August 1873 schwer erkrankt war10), bat, als Aushilfe in den Moselort zu kommen, um stellvertretend für ihn die Gottesdienste zu feiern11).

Hausgeistlicher in Kinheim

Der junge Priester machte sich umgehend auf den Weg nach Kinheim, wo er am 12. November 1873 eintraf12). Seine Unterkunft bezog er bei der Witwe Katharina Keucker, bei der er sich offiziell „besuchsweise“ als Privat- oder Hausgeistlicher aufhielt13).

Pfarrer Josef Leusch

Als rund drei Monate später der Pfarrer am 21. Mai 1874 starb14), wurde gegen Leusch am 22. Juni 1874 eine „gerichtliche Untersuchung“ eingeleitet „wegen der Beschuldigung […] geistliche Amtshandlungen vorgenommen zu haben, ohne daß er zu einem hierzu ermächtigenden Amte oder zur Stellvertretung in einem solchen […] berufen worden sei“. Infolgedessen wurde ihm als erstem Geistlichen im Landkreis Wittlich am 30. Juni 1874 „der Aufenthalt in den Kreisen Wittlich und Berncastel untersagt.“ Nachdem ihm die entsprechende Verfügung am 8. Juli 1874 durch den Kröver Amtsbürgermeister Nikolaus Ernst übergeben worden war, reiste der junge Geistliche notgedrungen am Folgetag aus Kinheim in seinen Heimatort Mastershausen ab.15)

Es dauert aber nicht lange, bis er in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1874 wieder zurückkehrte16) und am Morgen Gottesdienst in Kinheim feierte17). Als der Amtsbürgermeister dies abends erfuhr, schickte er umgehend am nächsten Morgen „den Polizeidiener Ahnen nach Kinheim in die Wohnung der Wtb. Keucker […]. Derselbe constatierte, daß er wirklich in der Wohnung der Wtb. Keucker sich aufhalte und letztere ihn grob beschied, darnach hätte er nicht zu fragen, das ginge ihn nichts an, er möge sich zur Thüre hinausmachen.“ Die königliche Regierung in Trier ordnete daraufhin am 24. Juli 1874 an, den Priester „zwangsweise über die Grenze des Kreises Wittlich in der Richtung nach Daun transportieren zu lassen“.18)

Festnahme und zwangsweise Abschiebung

Alle Versuche, den Geistlichen aufspüren zu lassen, blieben vorerst erfolglos. So mussten die beauftragten Gendarmen etwa am 31. Juli 1874 feststellen, Leusch sei am 29. Juli 1874 „nach seiner Heimath im Kreise Zell abgereist; in der von ihm bis dahin in dem Hause der Wittwe Keucker in Kinheim bewohnten Stube werden jedoch noch Kleidungsstücke und Bücher von ihm vorgefunden“19).

Am 12. August 1874 wurde nun Amtsbürgermeister Ernst angewiesen, „die Gendarmen [zu] begleiten und deren Recherchen [zu] leiten“. Tatsächlich gelang es den preußischen Behördenvertretern morgens früh um 7 Uhr den jungen Geistlichen zu erwischen, „nachdem er eine Messe gehalten“ hatte20) und zu einem Kranken aufbrechen wollte, der um das Sakrament der Krankensalbung gebeten hatte. Obwohl Leusch wusste, „daß die Gensdarmen […] sämmtliche Aus- und Eingänge der Kirche besetzt hielten, ließ er sich dadurch doch nicht abhalten. Den Heiland vor sich tragend, war er glücklich bis in den […] Vorhof der Kirche gekommen, als ihm der dort am Haupteingange postirte Gensdarm mit einem kräftigen ‚Halt‘ den Weg versperrte: ‚Herr Kaplan, im Namen des Gesetzes sind Sie verhaftet.‘ […] Ganz ruhig erwiderte Herr Leusch, man möge erlauben, vorerst noch einen Kranken mit den Tröstungen der hl. Religion zu versehen.“ Die preußischen Beamten gestatteten dem Priester den Besuch unter der Bedingung, ihn dabei zu begleiten. Leusch ging darauf ein, versah seinen Dienst an dem Kranken und ließ sich anschließend durch die Staatsgewalt festnehmen21), die ihn „bis zur Kreisgrenze bei Strotzbüsch transportiert[e]“.22 )

Das Haus der Witwe Keucker in Kinheim, in dem der Privatgeistliche Josef Leusch wohnte und sich versteckte

Verurteilung wegen Vornahme unerlaubter Amtshandlungen

Vier Monate später wurde Josef Leusch am

19. Dezember 1874 durch die Zuchtpolizeikammer am Landgericht in Trier „in eine Geldstrafe von einhundert Thalern, im Nichtzahlungsfalle in eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten nebst Kosten verurtheilt“23). Das Urteil wurde „in contumaciam“, also in Abwesenheit des Angeklagten, verhängt, denn dieser hatte sich nach kurzem Aufenthalt in seinem Geburtsort Mastershausen im Herbst 1874 vom preußischen Moseltal ins bayerische Exil nach Würzburg geflüchtet24), wo er bis zum Spätherbst des Jahres 1875 blieb25). Anschließend wirkte er als Kaplan in Dirlewang, Grönenbach und Sonthofen in der Diözese Augsburg26).

Pfarrer in Brohl

Erst neun Jahre später konnte der Priester wieder ins Bistum Trier zurückkehren, nachdem auf eine Anfrage kirchlicher Behörden im Januar 1884 hin mitgeteilt wurde, dass seine Gerichtsstrafe zwar nicht verbüßt, aber inzwischen verjährt sei27). Ab dem 8. März 1884 wurde Leusch daraufhin als Hilfsgeistlicher in Brohl am Rhein eingesetzt. Dort trat er vier Jahre später auch seine erste und einzige Pfarrstelle an, als er am 2. August 1888 zum Pfarrer von Brohl ernannt28) und am 5. August 1888 ins Pfarramt eingeführt wurde29).

Schon bald nach seiner Ankunft forcierte Leusch in der Gemeinde am Rhein den bereits länger betriebenen Bau einer neuen Kirche, denn die damalige Kapelle bot „seit langem für die inzwischen bedeutend gestiegene Seelenzahl der Gemeinde nicht nur keinen halbwegs ausreichenden Raum mehr, vielmehr auch in ihrem nach innen und außen vollständig zerfallendem Zustand einen so trostlosen Anblick dar, daß es jedem denkenden und fühlenden christlichen Gemüth tief in die Seele schneidet, den göttlichen Heiland in einem solchen Heim zu finden. […] So ist denn der Bau einer neuen Pfarrkirche für uns unabweisbares Bedürfnis geworden.“ Auf Antrag Leuschs vom 24. April 1885 wurde daraufhin am 13. März 1887 in allen Kirchen des Bistums Trier eine Kollekte für den Kirchenbau abgehalten. Darüber hinaus wurde nach einem Antrag vom 1. Juli 1885 auch eine Hauskollekte in der gesamten Rheinprovinz gestattet, zu der am 15. Januar 1886 in den Zeitungen aufgerufen wurde. Nachdem im Januar 1886 auch der Vorsitzende des Kirchenvorstands, der „sich dem Bau der Kirche am meisten abhold erwies“, schließlich „wie umgewandelt und Feuer und Flamme für den sofortigen Beginn des Baues“ war, nachdem seine „Frau und Kinder sagen, daß sie ihre schönen Kleider nicht mehr anziehen können, weil sie zu sehr verdorben, verdrückt und durch den Dreck gezogen werden in dieser Kirche“, waren alle Hindernisse für den Bau beseitigt, so dass im Frühjahr durch den Architekten Caspar Clemens Pickel aus Düsseldorf der Bauplan erstellt werden konnte, der im September 1887 genehmigt wurde. Daraufhin erfolgte am 16. April 1888 „unter ziemlich zahlreicher Beteiligung der Gemeinde bei eisigkaltem Wetter der erste Spatenstich zur Kirche“. Schon zwei Jahre später konnte der Remagener Dechant Franz Carl Müller am 19. März 1890 die neue Kirche einsegnen und Pfarrer Leusch den ersten Gottesdienst dort feiern, bevor schließlich der Trierer Bischof Michael Felix Korum am 6. Mai 1891 die Kirche konsekrierte und dem hl. Johannes dem Täufer weihte.30)

„So ist denn der Bau einer neuen Pfarrkirche für uns unabweisbares Bedürfnis geworden“: die Kirche in Brohl

Zum frommen Andenken: Totenzettel für Josef Leusch

Nachdem Josef Leusch über dreißig Jahre in Brohl „trotz eines unheilbaren Leidens unermüdlich in der Seelsorge tätig war zum geistlichen und zeitlichen Wohle seiner Pfarrkinder“, teilte er am 21. Juli 1919 dem Bischöflichen Generalvikariat in Trier mit, dass er „seit ungefähr ½ J. so schwer erkrankt [sei], daß ich meine Pflichten als Seelsorger einer Gemeinde nicht mehr erfüllen kann. Da bei meinem Lebensalter von 69 J. eine wesentliche Besserung kaum zu erwarten steht, die Pfarrgemeinde aber einer gesunden nachhaltigen Einwirkung und Leitung, zumal in der gegenwärtigen schweren Zeit bedarf“, bat er um die Versetzung in den Ruhestand31), den er daraufhin zum 1. Oktober 1919 antrat. „Die wohlverdiente Ruhe lange zu genießen war ihm nach dem Willen Gottes nicht beschieden“, denn nur rund sieben Wochen später starb Pfarrer Josef Leusch am 10. November 1919 in Brohl.32) Zum Andenken an sein Wirken in dem Ort wurde eine zentrale Straße in Brohl, an der auch die Pfarrkirche liegt, „Josef-Leusch-Straße“ genannt33).

Anmerkungen:

  1. http://www.rechtslexikon.net/d/unfehlbarkeitsdogma/unfehlbarkeits-dogma.htm (14.04.2020)
  1. https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/zentrumspartei-
  2. bis-1933- (01.05.2021)
  3. Schommers, Reinhold: Vor 125 Jahren begann der „Kulturkampf“. Die Bevölkerung unseres Kreises im Widerstand zwischen Staatsgehorsam und Kirchentreue. In: Landkreis Bernkastel-Wittlich (Hg.): Jahrbuch 1996. Monschau 1995, S. 240
  4. Schommers (wie Anm. 3), S. 241
  5. Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 11. Mai 1873, vgl. https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/que/normal/que898.pdf (14.04.2020)
  6. Gesetz betreffend die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1874, vgl. https://www.lwl.org/westfaelische- geschichte/que/normal/que896.pdf (14.04.2020)
  7. Bistumsarchiv Trier (BATr) Kb3 Mastershausen, S. 231
  8. Schommers (wie Anm. 3), S. 242
  9. Landeshauptarchiv Koblenz (LHAKo) Best. 442 Nr. 1983
  10. Totenzettel Pfarrer Michael Boelinger (in Privatbesitz)
  11. LHAKo Best. 442 Nr. 1983
  12. ebda.
  13. Mosel-Zeitung vom 21.02.1874
  14. BATr Abt. 70 Nr. 2681, S. 166
  15. LHAKo Best. 442 Nr. 1983
  16. ebda.
  17. LHAKo Best. 655,148 Nr. 100
  18. LHAKo Best. 442 Nr. 1983
  19. LHAKo Best. 655,148 Nr. 100
  20. ebda.
  21. Beilage zur Mosel-Zeitung vom 15.08.1875
  22. LHAKo Best. 442 Nr. 1983
  23. BATr Abt. 85 Nr. 1025
  24. LHAKo Best. 442 Nr. 1983
  25. BATr Abt. 85 Nr. 1025
  26. Bistumsarchiv Trier (Hg.): Der Weltklerus der Diözese Trier seit 1800. Trier 1941, S. 208
  27. HAKo Best. 442 Nr. 1983
  28. Weltklerus (wie Anm. 26), S. 208
  29. BATr Abt. 85 Nr. 1025
  30. Nonn, Richard: Einhundert Jahre Pfarrkirche St. Johannes der Täufer, Brohl am Rhein. Brohl 1991, S. 14-16
  31. BATr Abt. 85 Nr. 1025
  32. Totenzettel Pfarrer Josef Leusch (in Privatbesitz)
  33. https://www.google.de/maps/place/Josef-Leusch-Stra%C3%9Fe,+56656+Brohl-L%C3%BCtzing/ (13.04.2020)