VERGOLDETE REBENHÄNGE
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Von Peter Herber
Nicht dem Gold der Reben, das als köstliche Lese hängt an Malinger-, Müller-Thurgauer-, Ortslieber- oder Rieslingstöcken, seien zunächst diese Zeilen gewidmet. Allmutter Natur hat unserer heimischen Flora eine stattliche Zahl goldgelber Blumenkinder beschert, viele in verschwenderischer Fülle, andere weniger häufig, einige vereinzelt oder gar selten sich zeigend. Alle aber sind es wert, ihnen einmal eine bescheidene Betrachtung zu gönnen.
Noch hat die Märzsonne keine durchdringende Kraft. Doch die zu ihren Strahlen steil geneigten Verwerfungsschichten der Sonnenseite erwärmen sich rasch, und aus Ritzen, Spalten und schütterem Boden erwacht der Frühling. Zaghaft zunächst, gesättigt von vorjährig gehamsterten Nährstoffen im dicken, unterirdischen Stengel, erschließen sich die Kelche des Frühlingsfingerkrautes (Potentilla verna). Sattgelbe Blütchen vereinigen sich dann bald zu weitleuchtenden Polstern, dicht auf dem Felsen liegend. Später blühende Arten seiner Sippe heben sich vom kargen Boden ab. Noch feiner gefiederte Blättchen und ein silberfilziger Haarpelz (P. argentea) geben Schutz vor zu starker Verdunstung. P. recta, das Hohe Fingerkraut, siedelt auf einem kleinen Raum im Westen des Schloßberges Kreuzberg. Vermutlich ehedem eine Zierde des Schloßalpinums, flüchtete diese wahrhaft schöne Blume auf einen zusagenden Standort in unmittelbarer Nähe.
Zwei allerliebste Kreuzblütler stellen sich bald zum Reigen der gelben Frühlingsblumen ein. Es sind die beiden, die der Bergflora der mittleren Ahr ihr ganz besonderes Gepräge verleihen. Als erster von ihnen blüht das Bergsteinkraut (Alyssum montanum), auch Bergschildkraut genannt. Auf zum Teil holzigen, niederliegenden Stengelchen, die mit fast silberschimmernden Lanzettblättchen besetzt sind, gleißen tiefgoldene Blüten. Im ..Räume um das vorspringende Massiv der Saffenburg sind dann die Felsen übersät mit ihren Kißchen. Kaum ein Eckchen, auf dem das anspruchslose Pflänzchen auch nur allerdürftigsten Boden findet, bleibt unbesetzt. Seine Vegetationsgrenze endet nach Osten wie abgeschnitten auf dem nach Rech ziehenden sanften Sattel der Saffenburg und dem ihm links der Ahr gegenüberliegenden Felsengrat, zu dessen Füßen sich der Bergische Hof anschmiegt. Letzter westlicher Standort sind die schroffen Klippen der Raveriley bei Reimerzhoven. Da die zackigen Hänge der Saffenburg den dichtesten Bestand aufweisen, ist die Annahme, das Bergsteinkraut ebenfalls als Gartenflüchter des Burggartens ansprechen zu dürfen, berechtigt, bekräftigt durch die Tatsache, daß zwei seiner Artgenossen, nämlich A saxatile und A. argentum, das Silberblättrige Steinkraut, als Zierpflanze für Einfassungen, Gruppenpflanzungen und im Alpinum heute überaus gern kultiviert werden. Wenige Tage später, aber noch dann, wenn das Bergsteinkraut in voller Blüte steht, erscheint die Brillenschote (Biscutella laevigata). Brillenschote! Wie treffend trägt sie ihren Namen nach den brillenförmigen, flachen Schötchen! Ihre Blüten sind heller gelb, geordnet zu sparrigen Trauben an fußhohen Stengeln mit gesägten Blättchen.
Als einzige Art ihrer Gattung in Deutschland steht sie überaus häufig auf den Devonfaltungen in der näheren Umgebung von Altenahr, aber nur zwischen der Ravenley bei Reimerzhoven und Altenburg, also in verhältnismäßig eng begrenztem Raum. Es ist durchaus möglich, daß blumenliebende Burgherren der Are dieses sonderbare Pflänzchen in ihrem Garten pflegen ließen, von dem aus es dann verwilderte, zu jedermanns Freude.
In weniger höheren Lagen, meist am Fuße der Weinberge, erscheint ebenfalls im zeitigen Frühjahr eine kniehohe Staude, deren Rispen voll überschüttet sind mit kleinen, dottergelben Kreuzchen. Es ist der Färberwald (Isatis tinctora). Während der Waid an Rein- und Moselbergen sich förmlich verschwendet in gelber Farbe, kommt er im Ahrtal nicht in solcher Masse vor. Nach rascher Blüte hängen bald an zarten, haarfeinen Stielchen bläulich glänzende Schötchen mit nur je einem Samen. Seinen Namen hat der Färberwaid zu Recht. Bereits im Altertum war dieser ‚Kreuzblütler als Farbstofflieferant geschätzt. Bis zum Aufkommen fremder Blaufarbe wurde er auch in Deutschland feldmäßig angebaut. Die thüringischen Städte Erfurt, Gotha, Langensalza, Tennstädt und Arnstadt trugen wegen ihres blühenden Waidbaues und -handels den Namen „die fünf Waidstätte“. Die Blätter lieferten, nach-, dem sie getrocknet, gemahlen, mit Wasser zu einem Brei angesetzt und dann vergoren waren, einen blauen Farbstoff, mit dem vorwiegend die „blauleinenen“ Kittel des Landvolkes gefärbt werden. Erst die Einführung des Indigoblau aus Indien, mehr noch die Erfindung des chemischen Indigos, brachte im vorigen Jahrhundert den Waidbau zum Erliegen. Heute verwildert, zeugt Isatis tinctora nur kümmerlich von seiner vordem wichtigen Bedeutung.
Mit dem Waid gleichzeitig wagen einige Gelbblüher, zwar durch selteneres Vorkommen, ihren Beitrag zum Gold der Rebenhänge zu steuern. Goldlack (Cheirantus cheiri), auch Gelbveiglein geheißen, hat sich eigenartigerweise in den Felsen des Riegels unterhalb Mayschoß heimisch gemacht. Recht bescheiden tritt er in Farbe und veilchenähnlichem Duft hinter kultivierte sammetbraune oder gar purpurrote Formen seiner Art zurück.
Hinzu gesellt sich der Sauerdorn (Berberis vulgaris), mancherorts auch Berberitze genannt. Tiefgebogen neigen sich die Schwüngen Ruten von der Last ungezählter Blüten. Seine Staubblätter reagieren auf Reize von außen. Im gleichen Moment, da die Zunge eines lüsternen Insektes die Honiggruben abtastet, klappen die fünf Staubblätter ruckartig zusammen, umklammern die Zunge, öffnen ihre Staubbeutelchen, und der klebrige Blutenstaub bleibt an ihr haften. Beim Besuch der nächsten Blüte wird die Narbe, die in gleicher Höhe mit den Staubbeutelchen steht, bestäubt. Gut ist, daß der Sauerdorn nicht allzu häufig wächst. Auf seinen Blüten und roten Früchten schmarotzen die Azidien (ein Zwischenwachstumsstadion) des Schwarzen Rostes, einer gefürchteten Pilzkrankheit unseres Getreides.
„Der Ginster blüht,
Er blüht so voll und reich,
Daß — glanzberauscht —
sich meine Augen schließen.
Du armes Land,
welch and’res ist dir gleich?
Von reinem Gold
die Täler überfließen.“
(Heinrich Ruland in: Land der Maare)
Dann umsäumen einige Wochen lang weitleuchtende, breite Goldborten die Rebenberge und künden von der Überfülle blühenden Ginsters auf dürftigen Eifelhöhen. Es ist die Zeit, da Wanderer und fremde Gäste sich und ihre Fahrzeuge zieren mit Ginstersträußen. Doch allzu rasch verwelken sie durch Hitze und zugige Luft. Und Fr. Peter Kürten klagt dann in seinen Versen vom Eifelgold:
Gensterblöte — Eefelgold —
Nie han ich die heemgehollt.
Eh se nauch em Wasser ston
Es et öm et Schöns gedon.
War et sieht, demm deht et leed,
Wie om Wäg der Glanz vergeht.
Der Behaarte Ginster (Genista pilosa), der Deutsche Ginster (G. germanica) mit den scharfen Dornen, und der Geflügelte Ginster (G. sagittalis) blühen weit unscheinbarer. Ihre Büschel und Kissen haben deshalb auch nicht eine solche Beliebtheit erreicht wie ihr großer Vetter Sarothamnus scoparius.
Allerorts liegen zwischen üppigen Weinstöcken kahle „Stühle“, ausgeschlagen wegen Riesigkeit oder sich erholend für neuen Besatz. Solche Stellen bevorzugt der Kriechende Hahnenfuß (Ranunculus repens). Bald stellt er sich dort ein und überzieht jedes Plätzchen mit seinen weitrankenden Ausläufern. Ein Meer von goldgelben Blüten bildet gleichsam riesengroße Flicklappen im zerrissenen Kleid der Rebenhänge.
Sedum acre, der Mauerpfeffer, und Sedum mite, die Spornfetthenne, mit einer Unzahl gelber Sternchen dichte Polster bildend, das Sichelhasenohr (Buplerum falcatum) mit winzigen Körbchen, der Rautensenf (Sisymbrium Losselii), ein prächtiger Kreuzblütler, Turmkraut (Turritis glabra) und Turmkresse (Arabis turrita), beide weniger auffalend wegen der blaßgelben Blüten, einige Arten von Johanniskraut (Hypericaceaen), Hartheu oder gar Unserer Lieben Frauen Bettstroh genannt, das Mauerhabichtskraut (Archieracium murorum), das Ferkelkraut (Hypochoeris maculata), das Jakobskreuzkraut (Senecio Jacobaea), der Schotendotter (Erisium), der Gelbe Fingerhut (Digitalis lutea) und der Rainfarn (Ta-nacetum) mit seinen sattgelben Blüten gesellen sich hinzu; fürwahr ein Heer von gelben Blumen blüht vom Frühling bis zürn Herbst.
Doch während all die Pracht, Art nach Art sich ablösend, mählich verblaßt, reifen die köstlichen Trauben, Gold im wahrsten Sinne! Sie lohnen des Ahrwinzers unendliche Mühe im Ablauf des Jahres. Ihr perlender Wein aber, einmal gekostet, wird Labetrunk der Zecher, vergoldet das Gemüt.
WANDERER, SCHAU UND KOSTE DAS GOLD DER REBENHÄNGE!