Urlaute
Urlaute durchwirken das heilige Spiel
der Sprache mit Blut und mit Farben.
Von allem entkleidet, vorm letzten Ziel,
entblößen sie — Worte starben —
das tiefste Gefühl.
A
Am Anfang war das A. Der Vatermacht
entsprang das All, der Ball, der Strahl,
das Maß, die Zahl, der Pflanzen Pracht,
des Mannes Adel und der Eva zarte Wange,
Gedanke, Name, Sprache und die Zange
kraftvoller Hand,
das Alpenband, das sanfte Tal,
das Land.
Was immer auch geschah:
Am Anfang war das A.
O
Das O ist hoch. Vom gold’nen Thron
hob sich des Vaters hochgelobter Sohn.
So, wie das Ei oben im Horste wohnt,
ruht O in Gott, in Sonne, Wolke, Mond,
In höchster Wonne ist’s zerronnen,
in Wort und Ton ist’s eingesponnen.
Das Auge ist oval, oval das Angesicht.
Das O ist Kosmos, hoch und licht,
ist lichterloh:
Wohllaut der Sprache: O.
I
Id vivit: l.
Ich hör‘ dich aus der Minne singen
im Frühling und aus Liedern klingen:
Lirili, lirili!
Das I ist immer, liebt und wirbt und ist:
O, der du in den Himmeln bist.
O tiefer Sinn:
Ich bin.
I gibt der Sippe und der Sitte
die Linie, die gold’ne Mitte,
ist springender Punkt, ausgleichend
Gewicht: Kind, Vater und Mutter verlassen dich nicht,
E
E ist der Mensch, ist Menschenwert,
lebendiger Kreis, von Erde beschwert.
Und strebt es noch hehr aus menschlicher
Kehle
und funkelt in Seele, im Schnee, im Juwele,
bleicht schon sein Schmelz im Gefecht um
das Recht.
Es blendet die Welt, es werket der Knecht.
Und wie in der Ebbe die Wellen vergehn
fühlst du am Ende das E schon verwehn.
U
U ruht im Dunkel. Aus Schlucht und aus Kluft
hörst du zur Nacht, wie der Uhu ruft?
Hast du nicht Furcht vor dem Unglücksrufer ?
Faßt dich ein Grusel vorm anderen Ufer,
vor Wurm, Wurzel und Gruft? Ach, alles Getue
sucht in der Truhe die ewige Ruhe.
Ursprung und Schluß: Uterus, Uterus,
Uranisches U:
Der Letzte schließt die Urne zu,
JOS. KREUTZBERG