Unwetter im Brohltal
im Bericht der Chronik
VON KARL SCHÄFER
Der Brohlbach, über dessen Verlauf und geologische Eigenart schon manches berichtet worden ist, bietet sich dem Betrachter im allgemeinen als ein unscheinbarer Wasserlauf dar, der zwar das ganze Jahr über Wasser führt, aber von seinen Quellgebieten und Zulaufen her nicht allzu reichlich gespeist wird. Selbst im Frühjahr z. Z. der Schneeschmelze und nach längeren Regenperioden schwillt er keineswegs bedrohlich an, sondern erscheint nach wie vor gebändigt in seinem Bachlauf. Liest man aber in alten Chroniken nach und verfolgt das Bild über einen längeren Zeitraum, so gab es doch Ereignisse, bei denen der Brohlbach ähnlich wie die Ahr Verursacher von verheerenden Naturkatastrophen war. So wird in der Chronik von Burgbrohl von der Mitte des 19. Jahrhunderts an recht aufschlußreich über solche Ereignisse berichtet, die uns heute in ihrem Ausmaß und in ihren schlimmen Folgen kaum glaubhaft erscheinen mögen. So heißt es unter dem 10. Juni 1858:
„In der Gegend von Königsfeld ging ein Wolkenbruch nieder, dessen Wassermassen sich teilweise in das Brohltal ergossen. Durch den hochangeschwollenen Brohlbach wurden fast sämtliche Mühlen beschädigt. (Wobei sicher die damals noch zahlreichen Trassmühlen miteinbezogen waren.) Die Brücke bei Oberweiler wurde fast fortgeschwemmt und die bei Niederweiler stark beschädigt.“ Schrecklicher war die Wasserflut des folgenden Jahres. Am 11. Juni 1859, dem Pfingstsamstag, ging um die Mittagszeit bei Niederzissen ein gewaltiger Wolkenbruch nieder. Der Brohlbach trug die plötzlich auftretenden Wassermassen mit einer verheerenden Sturzwelle talwärts, Bäume, Brücken, ja selbst Gebäude mit fortreißend. Das Wasser kam so plötzlich, daß sich Menschen, die sich im unmittelbaren Bachbereich aufhielten, kaum zu retten vermochten. In Niederzissen ertranken 19 Personen, teils auf der Straße, teils in den betroffenen Gebäuden. Eine Frau, die im Wochenbett lag, ertrank mit ihrem neugeborenen Kinde. In Burgbrohl, wo man die Flut kommen sah, kamen glücklicherweise keine Menschen um, aber die Beschädigungen und Verwüstungen an Gebäuden, Straßen, Brücken und in der gesamten Talaue waren beträchtlich. Die Chronik berichtet, daß ein vierstöckiger Bau der am Bachufer gelegenen Bleiweißfabrik eingestürzt war und nur eine Wand mit dem aufgemalten „alten Fritz“ unversehrt geblieben war. Die Instandsetzung der bei dieser Katastrophe entstandenen Straßenschäden einschließlich der Brückenerneuerungen beliefen sich in den Jahren bis 1864 auf fast 35 000 Reichstaler. Eine ähnliche Wasserflut überschwemmte im Sommer des Jahres 1880 das Brohltal. Wiederum an einem Samstag, dem 23. Juni, als sich mehrere Gewitter im Bereich des Brohltales entluden und dabei unter Blitz und Donner Wassermassen in das Brohltal ausgossen. In kurzer Zeit waren in Burgbrohl der Josefsplatz und die Brohltalstraße überflutet. Menschenleben waren im Brohltal selbst nicht zu beklagen, wohl dagegen in Brohl, wo am nächsten Tage die Kirmes gefeiert werden sollte. Ein Budenbesitzer ertrank mit seiner Frau, als er in einer Scheune, in der er nächtigte, von dem plötzlich hervorbrechenden Wasser überrascht wurde. Das in der Nähe des Baches aufgeschlagene Karussell wurde von der Wassergewalt fortgerissen, trieb dem Rheine zu und blieb schließlich halbversunken im Ufergelände stecken, so daß am anderen Morgen als seltsam-schauerliches Bild Pferde und Löwen die Köpfe aus dem Wasser hervorstreckten.
Die Brohltalbrücken hatten diesmal zwar der Wasserflut widerstanden, aber trotzdem waren die entstandenen Verwüstungen unbeschreiblich. Baumstämme, Ackergeräte, Steingeröll waren mit dem hohen Schlamm talabwärts getrieben, und es bedurfte umfangreicher Aufräumungsarbeiten, die sich über Monate hinzogen, um die Schäden wieder zu beheben. Erfreulicherweise ist zu vermerken, daß Aufrufe in den Tagesblättern eine rege Resonanz in der Bevölkerung fanden und dem gebildeten Hilfskomitee reiche Spenden zuflössen, die den betroffenen Gemeinden und Anwohnern zur Verfügung gestellt werden konnten. Nicht von einer Wasserflut, wohl aber von einem fürchterlichen Orkan, der am 12. März 1876 das ganze Rheinland, insbesondere das ganze Brohltal heimsuchte, ist im folgenden in der Chronik vermerkt. Fast der gesamte Obstbaumbestand, ja ganze Waldreviere lagen nach dieser Katastrophe entwurzelt am Boden, viele Schornsteine waren umgerissen und ganze Dächer vom Sturm abgehoben worden. Heiter und makaber zugleich mutet die Aufzeichnung des Chronisten an, daß in diesen entfesselten Naturgewalten ein alter Invalide von Burgbrohl, genannt „Das alte Mortche“ sich seinen täglichen Gang zur „Krone“ zum gewohnten Feierabendschoppen nicht verkneifen konnte und dabei, um vor den wie Weizenspreu umherfliegenden Dachziegeln geschützt zu sein, einen großen Futterkorb über den Kopf stülpte und in diesem Auf zug das Gasthaus betrat. Auch der Sommer des Jahres 1903 brachte dem Brohltal ein fürchterliches Unwetter, als am Sonntag, dem 12. Juli, über der Höhe von Buchholz, dem Gleestal, bis zur Keller Höhe, aber auch auf der jenseitigen Brohltalhöhe von Ober- und Niederlützingen ein Hagelschlag niederging, wie er in einer solchen Stärke seit dem Jahre 1822 nicht mehr verzeichnet wurde. Der Chronist berichtet, daß in kaum einer halben Stunde die Ernte auf den Äckern, in den Weinbergen und an den Obstbäumen vollständig vernichtet war. Hunderte von Fensterscheiben wurden zertrümmert, zahlreiche Vögel in der Luft von den Hagelkörnern erschlagen. Noch am anderen Morgen lag an einzelnen Stellen der Hagel einen halben Meter hoch, und es wurden Schlösser von der Größe eines Hühnereis festgestellt. Sechs Jahre später war es wiederum ein starker Hagelschlag, der in Verbindung mit mehreren Gewittern die Wassenacher Gemarkung in Richtung Burgbrohl heimsuchte. Erheiternd wird auch diesmal eine Episode vermerkt, die noch bei allem entstandenen Schaden auf den Fluren belacht wurde: In Wassenach hatte nämlich ein Kriegerfest stattgefunden, das auch von zahlreichen Burgbrohler Bürgern besucht worden war und die auf dem Heimweg an der Abzweigung nach Burgbrohl eine unübersehbare Wasserfläche vorfanden, die zu durchwaten war. Für die Herren der Schöpfung gab es da nun ein kurzes Besinnen, geriet doch die holde Weiblichkeit in große Not. Schließlich fand sich ein starker Arbeiter – leider wird sein Name nicht erwähnt -, der sich anbot, im Pendelverkehr die Damen durch den so plötzlich entstandenen See ans trockene Ufer zu tragen, was auch in die Tat umgesetzt wurde. Allerdings war dieser muntere „Christophorus“ nicht so uneigennützig wie sein heidnisches Vorbild, sondern er ließ sich seine Menschenfreundlichkeit in klingender Münze bezahlen. Während bisher von Überschwemmungen und Überflutungen die Rede war, wird das Jahr 1911 mit einem außergewöhnlichen heißen und trockenen Sommer in Verbindung gebracht, der die Ernte weitgehend beeinträchtigte. Besonders die Kartoffeln in den leichten vulkanischen Sandböden des Brohltales wurden in der Erde welk und weich, als seien sie gebraten. Scherzweise hörte man daher die Leute sagen: „Wenn man sich einen Hering mit ins Feld nimmt, dann hat man das feinste Frühstück, Pellkartoffeln mit Hering.“ Weil das darauffolgende Jahr 1912 wiederum durch große Niederschläge mit zahlreichen Überschwemmungen gekennzeichnet wurde, sprach der Volksmund von einem „Flutjahr“, das auf ein „Glutjahr“ folgte, Befürchtungen wegen der damaligen politischen Krisen in der Weltpolitik, besonders auf dem Balkan, ließen die Prophezeiung von einem baldigen „Blutjahr“ aufkommen, eine Prophezeiung, die sich in schrecklichster Form 1914 bewahrheiten solle.
Lange Jahre scheint das Brohltal von solchen Wasser- und Flutkatastrophe verschont geblieben zu sein, oder die politischen Ereignisse – Kriegs- und Nachkriegszeit – ließen die Schilderung solcher Naturereignisse in den Hintergrund treten, jedenfalls erscheinen erst im Jahre 1931 wieder Aufzeichnungen über starke Gewittergüsse und Hagelschläge, die im Wehrer Kessel und im unteren Brohltal erhebliches Unheil verursachten. Unterhalb der Schweppenburg bedeckte eine Schlammschicht von einem halben Meter die Landstraße, eine Lokomotive der Brohltaleisenbahn blieb während der Fahrt in den Schlammassen, die auch die Schienenstränge bedeckten, stecken und mußte mühsam herausgeschaufelt werden.
Letztmalig – hoffentlich auch für die fernere Zukunft – findet das Jahr 1959 in der Chronik Erwähnung, als am 20. Mai ein schweres Unwetter im Brohltal niederging und besonders die Gemarkung der damaligen Gemeinde Niederoberweiler, heute Burgbrohl-Weiler, in Mitleidenschaft zog. Der unscheinbare Almersbach, der aus den Wiesen- und Forstbereichen der Buchholzer und Niederzissener Fluren seinen Weg zum Brohlbach sucht, trat innerhalb kürzester Frist übers Ufer, nahm eine Breite von fast 15 m ein und stürzte vom Kirchberg der Gemeinde ins Brohltal hinunter. Sämtliche Straßen wurden aufgerissen, die Pflastersteine weggeschwemmt, die Gärten verwüstet, Stege weggerissen, besonders hart wurde die Klöppels-Mühle betroffen. Auch auf der gegenüberliegenden Talseite, im Nückental und in der Gemarkung Oberlützingen, gingen gewaltige Wassermassen nieder, die das Brohltal überschwemmten, Straßen und Bahn unterspülten.