„Und ist allen Menschen ein Wunder gewesen“. Vom Alltag der Menschen im Land um Adenau vor 200 Jahren

Rinderwahnsinn, Klimakatastrophen, Kriege und Verbrechen bestimmen häufig die Nachrichten unserer Tage. Mit ähnlichen Schlagwörtern könnte man eine Chronik versehen, die der Landwirt und Winterschullehrer Nicolaus Conrats (1728 – 1803) aus Trierscheid gegen Ende des 18. Jahrhunderts verfasst hat.

Conrats, Untertan des letzten Trierer Kurfürsten

Zu Lebzeiten unseres Chronis­ten gehören die Orte Dankerath, Senscheid und Trierscheid zur kurtrierischen Zentenei Nohn, einem der sechs Gerichtsbezirke im Amte Daun.1) Die Steuerlisten weisen Nohn als eines der größten Dörfer dieses Amtes aus. Nach den Schrecken des Dreißig-jährigen Krieges werden jedoch nurmehr 25 bewohnte Häuser angegeben, der Amtssitz Daun ist gar auf 20 zurückgesunken (1654). Die vier Orte zusammen zählen, wenige Jahre vor Conrats Geburt, 108 Familien und 403 Kommunikanten.2) Leider sind seit der Gebietsreform von 1970 drei Filialorte vom Pfarr-ort Nohn durch die Kreisgrenze Ahrweiler/Daun getrennt. Die Bindungen sind dennoch weiterhin eng. Conrats tagebuchartige Berichte beschränken sich nicht auf Geschehnisse diesseits oder jenseits heutiger, bzw. damaliger Grenzen. Von 1771 bis 1798 sind uns seine Aufzeichnungen überliefert, handeln also zur Zeit der Regentschaft des letzten „aufgeklärten“ Trierer Landesherrn Clemens Wenzeslaus (1768-1803). Sie geben uns ein recht anschauliches Bild vom Alltag jener Zeit. Conrats ist in den Wintermonaten Wanderlehrer in den Filialorten. Sein „Lehramt“ ist kein Vollzeitjob, daher führt er Buch über Schulgelder. Pro Kind und Monat werden 6 Albus angerechnet. Wird ein Vater säumig, ist er nicht penibel: „Weil sie noch so klein sind, 2 Albus nachgelassen“. Sein Nohner Kollege ist als Schulmeister und Küster mit einem phänomenalen Jahresgehalt von 71 Talern ausgestattet.3) Er kann zudem in einem bereits 1675 eigens erbauten Schulhaus unterrichten.4)

Der Adenauer Marktplatzes vor dem Ersten Weltkrieg

Vom Dasein am „Vorabend“ der französischen Revolution

Conrats Annalen sind häufig mit kassenbuchartigen Eintragungen angefüllt. Er notierte Teuerungen von Lebensmittel- und Futterpreisen, verzeichnet Mühlenpacht sowie Fracht- und Fuhrlöhne. Beispielsweise werden zur Verpflegung kaiserlicher Truppen pro Pferd und Tag 3 Taler, manchem Bürger sogar 2 Crontaler ausgezahlt. Dem Dorseler Gerichtsschöffen borgt er zwei Fass Korn für 2 Taler, 12 Albus.- Nach Senscheid verkauft er ein Fass Erbsen: „1 Taler 6 Albus. Zu S. Martini selbigen Jahrs zu zahlen.“ 1776 läßt die Gemeinde Kohlen brennen; 73 Wagenladungen ergeben einen Erlös von 591 Talern. Als einfluss-reicher Bürger verordnet er gar Frondienst für Pferde.

Abwechslung bringen die Markttage. Conrats lässt uns auf verschiedenen heimischen Märkten über die Schulter schauen. Wir sehen ihn in Hillesheim einen sechszähnigen Ochsen verkaufen (7 Tlr. 38 Alb.), in Uess auf dem Luzienmarkt frieren, oder an einem verregneten Märztag anno 1791 über den „sehr dreckigen“ Adenauer Markt stapfen. Im Gemeindewald, der erst 1777 endgültig unter den vier Orten aufgeteilt wird, gehts drunter und drüber. 1784, so hat es der Nohner Schultheiß Joes Schmitz im „geding protocoll“ festgehalten, erhält unser Wanderlehrer ein „Knöllchen“ über 6 Albus, wegen unerlaubtem Holzeinschlag im Distrikt „Ameisen“.5) Ob er dies absichtlich seiner Chronik nicht anvertraute, oder sein Widerspruch Erfolg hatte? 1789 beklagt er sich über ein Haushaltsloch in der Trierscheider Gemeindekasse wegen unordentlicher Forstwirtschaft. Die Gemeinde ist „aufrührisch“. Gelder, etwa für den Verkauf einer 15 Taler teuren Eiche, fehlen. Der Schultheiß muss eine Untersuchung durchführen und für Trierscheid „ein neues Register zur Erhebung der Gemeindegelder“ anlegen. Überhaupt gestaltet sich die Teilung des Waldes recht schwierig. Es kommt zum Streit zwischen Trierscheid und den Dörfern Dankerath und Senscheid.

In diesem Zusammenhang erscheint Conrats am 11. März 1777 und am 7. Juli 1778 auf dem Amt in Daun. Er gehört zu den „Trierscheider gemeinds Deputierten“, die dem Amtskellner erklären, „daß es ihnen nicht länger dienlich sey in der gemeinschaft mit den beklagten (Dankerath u. Senscheid) zu bestehen, als baten den Wald dann (…) abzutheilen: der Waidstrich müßte aber in der gemeinschaft verbleiben, darzuweilen die gemeinde Nohn ebenwohl darzu berechtigt, desgleichen die Nohner in ihrem gemeindswald befugt seyen.“ Interessant ist auch die Schreibweise seines Namens: Amtskellner Bolen hält, in seiner schönen Handschrift, Nicolas Conrads fest, der Nohner Schultheisen Kiel kratzt Nicolas Conraths aufs Papier, im Nohner Taufbuch6) tritt er als Vater Nicolaus Conraths auf. Er selbst notiert Conrats, und die Hand des ersten Pfarrers Hahn protokolliert schließlich „Nicolaus Conrath“ im Sterberegister7). Eine Reform der Rechtschreibung war damals wohl nötiger als „justament“.

Selbst die Herkunft seines Federkiels hat unser Chronist überliefert: „Dieses Jahr 1783 haben wir Vögel auf der A(h)rbach geschossen (!), sind schwer gewesen 18 Pfund. Dieses ist mit selbigem Vogels Feder geschrieben. Und es gab mächtig schöne Schreibfedern davon.“ Neben diesen spätbarocken Alltagsszenen, weiß er aber auch Schauriges zu berichten: am 4. Januar 1788 wird ein Mann zwischen Walsdorf und Rockeskyll erschlagen. Unter dem 12. Juli Anno 1789 erzählt er detailliert von einem Mord an einer alten Frau auf Schmitt bei Lutzerath. Beunruhigt und entsetzt ist er auch durch die Meldungen von der französischen Revolution und den anschließenden Kriegsereignissen. Nicolaus Conrats ist noch ganz „Barockmensch“, er hält wenig vom Sturz der gottgewollen Obrigkeit, er steht fest zu den letzten Herrschern des untergehenden „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ und zur römisch-katholischen Kirche.8)

Vom (Un-) Wetter

Für die damaligen Menschen unserer Dörfer hing das Überleben von guten Ernten ab. So ist es nicht verwunderlich, dass der Landwirt akribisch alle Wetterveränderungen festhält. Wie ein roter Faden ziehen sich seine Wetterberichte durch alle Jahre. Eine frühe Notiz von 1771: „den 3. bis 6. August ist es also kalt gewesen, daß man hat die Hände zusammengeschlagen, um sich zu erwärmen. Und ist allen Menschen ein Wunder gewesen.“ Hochwasser meldet er 1775, 1783 und 1795. Das „Land unter“ am 22. u. 23.6.1788 scheint besonders verheerend gewesen zu sein: „Auf Nohner Bach, an der Schafbrücke, ist ein Fuhrmann von Bodenbach verunglückt. Das Wasser hat ihm die Karre umgeschlagen, und das Pferd ist ersoffen auf der Stelle. Zu Müllenbach ist selbig Dato eine Magd im Wasser ertrunken.“ Auch verzeichnet der kalte oder schneereiche Winter: am 19. und 20. April 1772 liegt der Schnee so hoch, „daß ein herzhafter Mann sich gefürchtet hat, denselben zu überreisen.“ Ende März 1782 ist es noch so kalt, dass „viele junge Kälber und Lämmer wie auch Schafe darniedergerissen“ wurden. Durch den lang-anhaltenden Winter ziehen 1782 auch die Futterpreise an. 1788 erfrieren ihm die „Grundbirnen“ (Kartoffeln) im Keller. Keine Mühle konnte gehen und „auf dem Ößer Markt (in Uess wurde bis 1912 Luzienmarkt gehalten) sind ein Pferd und zwei Schweine vor Kälte krepiert, was ich selbst gesehen habe.“ Aber auch Angenehmes weiß er zu berichten, so sei der Mai 1791 sehr warm gewesen, dass die Alten sich gewundert hätten, und 1796 stellt er zufrieden fest: „Man kann wahrlig sagen, daß es die 1748er Jahre übertraft. Denn dieses Jahr ist sehr reich an Körnern, und der Hafer mit aller Sommerluft ist vollkommen geraten.“

Die Pestillenz

Machtlos standen unsere Vorfahren den Seuchen gegenüber. Von Oktober bis Dezember 1777 wütete eine Seuche in Trierscheid und hat 250 Stück Hornvieh (!) an die Erde gerissen: „… ist so stark, daß kein natürlich Mittel zu Hilfe dienen kann. Und sie wird von allen, die Verstand haben, als eine Pestilenz gehalten. (…) und es kann nicht anders gesagt werden, das Nachlassen sei geschehen durch Anrufen des Heiligen Gottes.“ Aus Dankbarkeit geloben die Trierscheider „11 Jahre nacheinander mit der Prozession nach Eberhard-Klausen zu gehen.“ 1796 ängstigt er sich wieder: „den 20. Juni hat sich eine Seuche oder Krankheit an dem Hornvieh gefunden in allen Gegenden. In vielen Orten sind ganze Herden krepiert. In unserer Gegend ist gottlob an obigem Datum keine Krankheit einkommen. Viele Bittgänge und viele hl. Messen sind gelesen worden, um Gott zu besänftigen und dieses Übel von uns abzunehmen und von aller Gegend.“

Noch heute erinnert die schöne barocke Darstellung des hl. Rochus (des Pestheiligen) in der Nohner Pfarrkirche an die häufig grassierende Seuche und die Angst vor der Pest.

Die Revolution bricht aus

Nicht genug mit Tierseuchen und Unwettern, nun brechen auch noch unruhige Zeiten an. Rebellen nennt Conrats die Revolutionäre in Frankreich. Er sympathisiert nicht mit ihnen, vielmehr hält er es mit der alten Ordnung. Man gewinnt den Eindruck, dass die hiesige Bevölkerung mit der Regentschaft der letzten Trierer Kurfürsten recht zufrieden war. Es galt die „Polizey ordnung der Zenteney Nohn“9) von 1753 des Franz Georg von Schönborn, und obwohl sich darin „Ihro Churfürstenlichen Gnaden“ ausdrücklich vorbehielt, diese nach „gnädigstem gutbefinden zu mehren und zu mindern, darin nach Wohlgefallen (heute würde man wohl Willkür sagen) zu dis-pensieren, oder Sie gar aufheben…“, machte man keine Anstalten diesem „Gottesgnadentum“ der letzten absoluten Fürsten, den Garaus zu machen. Hören wir, welche Nachrichten des Weltgeschehens in unsere Heimat drangen: „Im Jahre 1789 sind viele Unstimmigkeiten entstanden zwischen den Fürsten und Aufständigen wie folgt: Der König von Frankreich (Ludwig XVI.) mit der Stadt Paris. Daselbst sind viele Mordtaten geschehen, die ich nicht alle beschreiben kann. Der Herzog von Aremberg ist mit dem Kaiser und seiner Schwester sehr zerfallen (gemeint sind die Truppen), welche in Brabant sind, daß der Herzog sich geflüchtet hat, und ganz Brabant ist aufrührisch geworden. (…) Der König von Preußen sollte die Brabanter züchtigen. Und viele sind abgezogen im September. Der Kurfürst (Clemens Wenzeslaus) von Trier ist mit der Stadt Trier in Streit, der Fürst von Köln mit der Stadt Bonn und Köln, und er hat die Pforten besetzt mit den Husaren und hat nichts in die Stadt gehen lassen von Lebensmitteln.“ Die Nachricht vom Tod des „römischen“ Kaisers Josef II., Sohn Maria Theresias, datiert auf den 15. Februar 1790. Damit ist Conrats seiner Zeit voraus, da der Habsburger Monarch erst 5 Tage später stirbt. Wien ist weit entfernt und die Nachrichtenübermittlung vage. „1790 hat man die Nachricht, daß die Pater Got- tes (?) oder Rebellen unter sich gemordet und der Vater den Sohn und der Sohn den Vater gemordet, weiter, der Führer gegen den Gemeinen, der Gemeine gegen den Führer.“ Hier spricht er mit den Worten des Evangeliums. In der Revolution sieht er also eine Auflehnung gegen Gottes Gebote.

Bald kommt die Nachricht vom Ausbruch des Krieges. In Conrats Zeilen wird gar die Erwartung des Weltendes deutlich.

Die Wallfahrtskirche in Barweiler um 1900

Von den Schrecken des Krieges

1792 erklärt der französische König Österreich den Krieg und unser Chronist meldet Truppenbewegungen der kaiserlichen Einheiten unter Generalfeldmarschall Bruder (?), von Brüssel nach „Lützenburg“. Im Sommer lagern die Preußen auf der Hatzenporter Heide und ziehen weiter nach Paris. „Der Preuße ist mit seiner Armee in Frankreich eingezogen bis auf acht Stunden nächst Paris. Da ist er aber zurückgeschlagen worden, und die Kaiserlichen sind ihm zu Hilfe gekommen, sonst hätte er keinen Mann mehr. Und er ist damals abgezogen mit aller Eile bis Koblenz und dieselbige Gegend. Den Winter hat er wieder in Frankreich gelegen, und er hat seine Völker, die nicht gut marschieren konnten, auf den Straßen liegen lassen wie das Vieh. Und die meisten hatten keine Schuhe und Strümpfe an und waren erbärmlich anzusehen.“ Die Ereignisse überschlagen sich: „Anno 1793, den 20. Januar ist der König von Frankreich geköpft worden, so ist die Nachricht.“ Tatsächlich durfte Ludwig XVI. seinen Kopf noch einen Tag länger behalten, das Fallbeil fiel am 21., um 10 Uhr früh. Die kaiserlichen Soldaten ziehen am 12. u. 13. März in die span. Niederlande (das heutige Belgien). „Es ist eine große Blutvergießung entstanden zwischen den Kaiserlichen und den Franzosen.“ Hoffnung scheint er in den Pronzen von „Kuhburg (Coburg!) zu setzen: „Der Kaiser hat ihm alle Gewalt erteilt, zu schlagen, wenns gefällt, und er hat viele Manntaten ausgeübt. Die Franzosen haben mit 1000 Mann Toten auf der Erde gelegen. Im April hatten wir Zeitung (Nachricht), daß das spanische Niederland und ganz Flandern von Franzosen gereinigt sind. Und die zwei Armeen, die Franzosen und die Kaiserlichen, zögen der Maas entlang.“ Es folgt ein Gerücht: „Den 19. April haben wir wieder Zeitung erhalten, daß die königliche Familie, alle sollen umgebracht worden sein.“ Die tapfere Königin Marie Antoinette starb „erst“ am Morgen des 19. Oktobers unter der Guillotine. – Bald kommt der Krieg in die Heimat: „Peter Ratemacher von Barweiler hat sich geirrt und ist von seiner T(o)ur gekommen und hat sich geschützt des Nachts hinter einer Gartenmauer. Als der Tag ist angebrochen, da hat er zu Trillingen gestanden und hat nichts gesehen als tote Franzosen, auch viele Kaiserliche, doch aber viel mehr Franzosen. Und er sagte; er hätte nicht gewußt wie er aus den Toten kommen sollte und den Kugeln. 3/4 über eine Stunde dauerte es bis er aus den Gewehr und Toten war. Ein Soldat hat ihm weitergeholfen, daß er wieder auf den rechten Weg gekommen ist. Und 1 1/2 Tag nach der To(u)r ist er wieder heimgekommen.“

Am 3. August 1794 befiehlt der Zehntherr, daß jeden Tag 4 Mann (aus Trierscheid) auf Frohnarbeit in den Senscheider Wald zu schicken seien. „Da haben die Preußen eine Schanze gemacht und zu Senscheid im Gange. Haben Bäume umgehauen und viel Schaden gemacht.“ Diese Verteidigungsanlage soll auf dem „alten Burg Berg“ gewesen sein. Vielleicht nutzten die Preußen Reste einer alten Wehranlage auf diesem Berg zwischen Nohn und Senscheid.

Die Franzosen rücken näher, Conrats meldet eine Schlacht bei Trier, bei der die Preußen „viel Volck verloren.“ – Jetzt geht auch hier die Angst um. Die arme Landmiliz steht auf verlorenem Posten und ist nicht zu beneiden: „Unsere Landmiliz ist am 14. August desertiert von seinem Posten. Dann sind sie nach Daun gegangen und haben ihre Gewehre in das Pfarrhaus gesetzt und (sind) nach Haus gegangen. Obige Miliz hat den 19. wieder, unter Verfall ihres Vermögens, ins Hauptquartier zu Kaisersesch erscheinen müssen…“. Doch alle Schanzarbeit war vergebens, lakonisch und resigniert muss er feststellen: „die Franzosen haben die Kaiserlichen doch daraus vertrieben.“ Conrats Angaben decken sich mit einem Bericht aus Kelberg, wonach im Oktober 1794 ein französisches Corps hier lagert und „manche Plünderungen und Räubereyen ausführte.“

Von Repressalien und Tumulten

Als die Kämpfe vorüber sind, beginnen weitere Leiden der Bevölkerung. Im März 1795 „haben alle Ämter den Franzosen müssen Pferde liefern. Unser Amt hat 2 1/2 (!?) Pferde geliefert.“ Die Untertanen der Grafschaft Kerpen (Conrats schreibt Kerben) „haben allen Hausrat nach Kerben liefern müssen: Töpfe, Kesseln, Kupfer, Zinn und Bettlaken.“ Am 3. April „haben die Franzosen angefangen, selbst zu fordern, haben an keine Obrigkeit mehr geschrieben (für den Barockmensch muss auch eine Requirierung, von oben’ angeordnet werden). Dann sind sie selbst auf die Ortschaften geritten. (…) Was selbige gefordert haben, das hat müssen gegeben werden. So aber nicht, dann haben sie Gewalt gebraucht. (…) Sie haben mir selbst 10 Faß Hafer geholt.“ Einen Monat später hält er fest: „Anno 1795, d. 11. Mai sind die Franzosen in das Dorf Pomster gekommen. 6 Dragoner und haben eine Lieferung von Hafer, Heu und Stroh gefordert. Die Pomsterer sagten, sie hätten selbst nichts mehr. Da sagten die Franzosen, sie sollten suchen, sie fänden noch etwas. Da sagten die schlechten (=armen) Leute hart aus, sie hätten nichts mehr, sie sollten selbst suchen. Da (waren) die Franzosen nicht faul, abgesessen und gesucht. Und da haben sie 40 Malter Hafer gesackt und 6 Karren Heu.“ Es verwundert nicht, dass Empörung und Wut der geschröpften Menschen eskalieren. Auf dem Kerpener Markt kommt es am 17. Mai 1795 zum Eklat. Unser fast siebzigjähriger Chronist wird Zeuge, als es zum Tumult kommt. Als ein Franzose seidene Halstücher mit wertlosem Papiergeld, den sog. Assignaten10), bezahlen will, entlädt sich die aufgestaute Wut: „Da haben die Leute mit Steinen geworfen, und der ganze Markt ist aufgebrochen. Die Krämer ihre Waren eingepackt, die Stände abgebrochen. Alles Vieh wurde abgetrieben bis auf die Schweine: Das war ein Tumult. Die meisten Leute waren der Meinung, die Franzosen wollten das Vieh wegnehmen. Denn der Streit war unweit der Pferde. Und ein starker und herzhafter Mann ist nachgegangen und hat die Franzosen erstaunlich zerschlagen. Da hieb ein Franzose dem Menschen den Daumen und den Finger bei dem Daumen (Zeigefinger) ab. Der Auflauf war so groß, daß ich es selber nicht beschreiben kann.“ Die Plünderungen setzten sich auch 1796 fort, im Nohner Lagerbuch werden Lieferrückstände begründet: „Der Rest von 1796 ist nicht aus Widerspenstigkeit, sondern weil selbige (16 Pächter des Dankerather Kapellenhofes) im besagten Jahr von den Franzosen zu viel gelitten haben.“ Conrats schwarzer Tag ist der 20. April 1796, die Franzosen nehmen ihm auf dem Speicher 16 Fass Hafer fort „auf dem Geheiß des (Trierscheider) Bürgermeisters Johannes Schwirtzheim. Johann Eich war sein Sackträger.“ Ganz bewusst hält er für uns heutige Leser verbittert fest: „Die Nachwelt oder meine Nachfahren sollen noch daran gedenken, wenn sie selber dieses finden oder lesen, wie sie mich verraten haben und mir meine Nahrung geholt, oder will sagen gestohlen haben. Denn der Verräter ist so gut wie der Stehler.“ Vor nunmehr zweihundert Jahren, am 6. Juni 1798, schließen die Franzosen die Nohner Kirche und verbieten diese zu betreten. Fassungslos trägt er das Verbot der Fronleichnahms-prozession in seine Annalen ein: „1798 am Sonntag auf Herrnleichnamstag ist dem Pastor zu Kirmutscheid anbefohlen worden von den Franzosen, nicht mit dem Hochwürdigsten aus der Kirche zu gehen. Da hat der Pastor die Prozession in der Kirche gehalten mit dem hochwürdigsten Gut ganz ordentlich. Barweiler hat den Befehl zu spät bekommen. Die Leute sind an die Kirche gekommen mit ihrem Kreuz. Da haben sie es müssen verbergen und sind heimgegangen.“ Schließlich erwähnt er noch eine besonders inhumane Anordnung: „… wenn einer gestorben ist, dann haben die Leute den Verstorbenen selber begraben. Keiner hat dürfen mitgehen, nur allein die 2 Mann, die ihn begraben haben. Keine Glocken sind geläutet worden, alles ist still geschehen.“ Still wird es auch um unseren Chronisten. Kein „Happy End“ liefert uns sein „Kaleidoskop der spätbarocken Alltagsszenen.“ Als Witwer stirbt Nicolaus Conrats, am 2. November 1803 im Alter von fünfundsiebzig Jahren. Er hinterlässt einen bemerkenswerten Einblick in das Leben und die Mentalität unserer Vorfahren, die keinesfalls einfältige Analphabeten waren, sondern aufmerksam das Geschehen der Welt verfolgte und ihr Dasein im Vertrauen auf Gott aufnahmen.

Quellen/Anmerkungen:

Mein Dank gilt Herrn Hermann-Josef Fabritius aus Trierscheid, der die handschriftliche Kopie der Chronik zur Verfügung stellte. Sie trägt den Titel: „Aus der Chronik des Wanderlehrers Nikolaus Conrat’s aus Trierscheid“, Abschrift von „Hilfslehrer Ernst Wölbert im Februar 1936″.

  1. Matthias Reuter, Beiträge zur Geschichte der Hocheifel, Wimbach 1978, Landeshauptarchiv Koblenz (LHA, Kob.) Abt. 1 C Nr. 3013.
  2. M. Reuter, a.a.O.: Alois Mayer, HJB Kr. Daun, 1993, S. 118, dort fehlen jedoch die Angaben für Nohn, die 1563 38 (!) Häuser belegen; vgl. auch Anm. 4).
  3. K.L. Kaufmann, Aus Geschichte und Kultur der Eifel, 1926, Nachdruck Aachen 1991, vgl. S. 64.
  4. P. Schug, Geschichte der zum ehemaligen kölnischen Eifelgaudekanat gehörenden Pfarreien der Dekanate Adenau, Daun, Gerolstein, Hillesheim und Kelberg, Trier 1956.
  5. LHA. Ko. Abt. 1C Nr. 3038, Teilungsakte Zentenei-Waldungen Nohn (ab 1760), Zum Holzwert, bes. auch zum knappen Eichenholzbestand, vgl.: Christiane Hicking, Die Adenauer Holzverordnungen und der Bau von Fachwerkhäusern im 17. u. 18. Jahrhundert, HJB Kr. Ahrweiler, 1993, S. 195-198.
  6. Diözesenarchiv (D.A.) Trier, Kirchenbuch Nohn 1, Taufen 1663-1795.
  7. D.A. Trier, Kirchenbuch Nohn 4, Sterbefälle 18.01.1935.
  8. De Lorenzi, Beiträger zur Geschichte der Pfarreien der Diözese Trier, Trier 1886, Clemen, Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Düsseldorf 1938, Kr. Ahrweiler, S. 448.
  9. „Arbeitskreis Heimatgeschichte“ der Stadt Daun, Polizey ordnung der Zenteney Nohn, Ehrenbreitstein 1753, Abdruck in Vulkaneifel Nord, 1981.
  10. Hans Kleinpass, Sinzig in den Jahren 1794 bis 1819, HJB Kr. Ahrweiler 1993, zum Papiergeld der franz. Besatzungssoldaten erwähnt er: „Jeder Soldat war reichlich mit dem neuen französischen Papiergeld, den sogenannten „Assignaten“ versehen. Wem hier sein Leben lieb war, der machte keinen Unterschied zur klingenden Münze und nahm das wertlose Papiergeld als gleichwertig hin.“

Auszüge der Chronik wurden veröffentlicht in: Festschrift 200 Jahre Kirche in Nohn, 180 Jahre Pfarrei, kath. Pfarramt Nohn 1981.