Umgehungsstraße für Altenahr nach über zehnjähriger Bauzeit eröffnet
Kilometerlange Autoschlangen, die sich an sonnigen Wochenenden durch den Ort zwängen. Fußgänger, die verschreckt in Hauseinfahrten springen, um nicht von vorbeifahrenden Lastwagen gerammt zu werden. Eine Luft zum Zerschneiden, wenn im Herbst in den Weinorten an der Mittelahr gefeiert wird:
Die Zeit des Schreckens dürfte für Altenahr ein Ende haben. Denn bei freundlichem Frühlingswetter. unter den im Wind flatternden Fahnen des Landes Rheinland-Pfalz, des Kreises Ahrweiler und der Gemeinde Altenahr gab Bundesverkehrsminister Matthias Wissman am Mittwoch, 27. Mai 1998, kurz vor 16 Uhr. die Altenahrer Umgehungsstraße frei.
Mit dem Schnitt durch das weiße Band fand der lange Kampf um eine in dem engen und verschlungenen Ahrtal realisierbare Trasse und freilich auch um das erforderliche Geld ein glückliches Ende. Wenn auch das geplante letzte Stück, der Lingenbergtun-nel, noch immer aufsich warten läßt. Auf den bereits fertigen 2,7 Kilometern sind 90 Millionen Mark verbaut worden, nahezu 30 Millionen Mark pro Kilometer: selbst für den Minister eines der teuersten Pflaster, auf denen er je stand.
Zwei Tunnel, zwei Brücken und einige Stützmauern hatten die Rechnung in die Höhe getrieben. Denn 56 Prozent der Strecke bestehen aus Kunstbauten. Allein der 565 Meter lange Durchbruch durch die Ditschhardt verschlang mit allem Drum und Dran 43,5 Millionen Mark und damit nicht viel weniger als die Hälfte der Gesamtsumme. Für die 318 Meter lange Brücke über die Ahr in Richtung Kreuzberg waren 11.3 Millionen Mark erforderlich, und der Übigstunnel mit der anschließenden Hangstrecke und der großen Stützmauer schlug mit 13.4 Millionen Mark zu Buche.
Weg übers Dach der Röhre
In offener Bauweise war der Übigstunnel als überdimensionale Betonröhre entstanden. Der Hang mußte dazu zunächst abgetragen und die Erde später wieder über dem Bauwerk aufgetragen werden. Vegetation und ein Wanderweg über dem Dach der Röhre sollen den Eingriff in die Natur im Laufe der Jahre vergessen lassen.
Zu dem Gesamtprojekt gehört außerdem Richtung Norden die 110 Meter lange Bodenbachtalbrücke, die als erster Abschnitt der Umgehung bereits im März 1989 vollendet war. An der Bodenbachtalbrücke war auch der erste Spatenstich für die gesamte Straße aus dem Schiefergestein gehoben worden: am 14. März 1987 und damit elf Jahre vor der Verkehrsfreigabe. Damals veranstalteten die Altenahrer ein Freudenfest auf dem Gelände der Straßenmeisterei am Roßberg. Als die Autos endlich über die neue Piste rollten, hatte die Straßenmeisterei ihre Tore bereits für immer geschlossen. Zum Gesamtprojekt gehört ferner eine 257 Meter lange Stützmauer am nördlichen Anschluß der Umgehungsstraße an die alte Trasse der Bundesstraße 257. die vom Meckenheimer Autobahnkreuz über Kalenborn kommt und ins Ahrtal führt. Hinter Altenahr geht sie weiter nach Adenau und zum Nürburgring. Die Mauer wurde 1990 fertiggestellt und war bei der Verkehrsfreigabe der gesamten Trasse schon mit Rankgewächsen begrünt. Der Amphibiendurchlaß am Entenberger Pütz und die Brücke für den Wirtschaftsweg zur Bergstation der Seilbahn machen die Sache rund.
Die neue Ortsumgehung Altenahr, 1998.
Größte Anforderungen an die Kunst der Ingenieure stellte der Bau des mehrfach verschwenkten Tunnels durch die Ditschhardt. Das bröckelige Gestein im Berginnern erforderte besondere Vorkehrungen bei der Arbeit. Die Mineure waren vor die Aufgabe gestellt, das unbekannte Terrain zunächst durch einen Pilotstollen zu erkunden. Der war 1992 fertig und erreichte mit einem Durchmesser von 30 Quadratmetern ein Fünftel des späteren Bauwerks. Denn der Pilotstollen wurde Teil der endgültigen Röhre. Sie hat einen Durchmesser von 144 Quadratmetern.
Arbeit ohne schwere Unfälle
Am 4. Dezember 1995 und damit am Namensfest der heiligen Barbara, der Patronin der Bergleute, begannen mit dem Tunnelanschlag die Sprengungen im Bergesinnern für den endgültigen Ausbau. Die Arbeiten geschahen im Sprengvortriebsverfahren, alle Hohlräume wurden sofort mit Spritzbeton und Ankern gesichert. Gearbeitet wurde in dieser Phase rund um die Uhr. Und was die Patronin der Bergleute betrifft: Bei der Freigabe der Umgehungsstraße vermerkten die Festredner dankbar, daß die Arbeiten ohne größere Unfälle beendet werden konnten.
Bei aller Vorfreude auf Zeiten mit besserer Luft im Tal und ruhigeren Straßen waren die Arbeiten erst einmal mit Belastungen für die Menschen verbunden. Die nahmen gern die Einladung des Straßenprojektamtes Vallendar, das die gesamte Umgehungsstraße geplant und gebaut hat. zu einem „Tag des offenen Tunnels“ an. Es war ein Samstag, der 12. Oktober 1996, und der Ditschhardttunnel. zwar schon voll aus dem Berg gebrochen, aber noch im Rohzustand.
Ausgerüstet mit Taschenlampen und brennenden Feuerzeugen tasteten sich die Besucher auf dem holprigen und steinigen Untergrund durch das dunkle, zugige Rohr. In der spärlichen Beleuchtung und mit den gebogenen Verstrebungen vermittelte das Bauwerk den Eindruck einer überdimensionalen Speiseröhre.
Damals beschriften auch Angehörige der Feuerwehr Alten-ahr die Strecke und hatten danach große Bedenken, im Notfall nicht schnell genug am Unfallort zu sein und auf jeden Fall mit hohem Risiko für die Einsatzkräfte arbeiten zu müssen. Ihre Forderungen nach weitergehenden Sicherheitsvorkehrungen als geplant konnten sie nicht durchsetzen. So machten sie das Beste aus der Situation und trainierten lange vor der Verkehrsfreigabe auf dem unbekannten Gelände mit sechs Prozent Gefälle und drei Fahrspuren -zwei für die Bergfahrt.
Trotz aller Freude: unvollendet
Als bei der Verkehrsfreigabe die neunjährige Nadja Gasper dem Minister in der warmen Frühlingssonne die Schere auf einem samtenen Kissen reichte, stand für alle Verantwortlichen fest, daß dies nicht der letzte Akt im Ringen um eine menschenfreundliche Verkehrsführung für Altenahr sein konnte. Denn zu dem Gesamtprojekt Umgehungsstraße gehört ein weiterer Abschnitt: der Lingenbergtunnel. Durch ihn sollen die Autos künftig an Kreuzberg vorbei ahraufwärts geleitet werden. Wie Minister Wissmann bekundete Staatssekretär Ernst Eggers aus dem Mainzer Verkehrsministerium die Absicht, auch diese letzte Etappe in Angriff zu nehmen. Einen Zeitpunkt nannten beide nicht. Minister Wissmann sprach von dem „Ziel eines schnellstmöglichen Baubeginns“ für das auf 19 Millionen Mark veranschlagte 205 Meter lange Stück. Und der Mainzer Staatssekretär erklärte, die Finanzierung sei „noch offen“:
In den Schubladen des Straßenprojektamtes liegen bereits fertige Pläne.
Hoffnung auf noch mehr Ruhe
Deutlich forderten auch die Verantwortlichen von Gemeinde, Verbandsgemeinde und Kreis in ihren Festreden diesen dritten Tunnel: Ortsbürgermeister Georg Knieps, Verbandsbürgermeister Achim Haag und Landrat Joachim Weiler. An das fehlende Bauwerk knüpfen sie die Hoffnung auf mehr Ruhe und mehr Sicherheit.
Der Landrat malte auch die Chancen für Altenahr als Fremdenverkehrsort nach Befreiung von einem großen Teil des Durchgangsverkehrs. Zählungen hatten ergeben, daß an Spitzentagen innerhalb von 24 Stunden 20 000 Fahrzeuge durch den Ort rollen und an gewöhnlichen Tagen 10 000. Mit der Umgehungsstraße sollen die Zahlen halbiert werden. Das bedeute vor allem mehr Wohn- und Lebensqualität für Einwohner und Gäste, sagte Weiler. Mit neuen Ideen und erweiterten Angeboten müßten Hoteliers. Gastronomen und der Einzelhandel die neue Zeit für sich nutzbar machen. riet der Landrat.
Eifel mit Köln-Bonner Raum verknüpft
Für Staatssekretär Eggers bedeutet die schnelle Straße mehr als lediglich Entlastung Altenahrs vom Verkehr. Er sieht sie auch als bessere Verknüpfung von Ahr und Eifel mit dem Winschaftsraum Köln-Bonn. Auch würden der Nürburgring und der Wirtschaftsraum Eifel attraktiver für die Menschen am Rhein, erklärte Eggers.
Am Beginn einer neuen Zeilrechnung für den romantischen Ort im Ahrtal, genau an der Grenze zwischen Weinbergen und bewaldeten Hängen. lenkte Landrat Weiler den Blick 164 Jahre zurück. Im November 1834 war der Straßentunnel an der Ahr bei Altenahr als erster Tunnel in ganz Preußen fertiggestellt und als „technische Meisterleistung“ gefeiert worden. Mit dem Bauwerk war die erste und bis heute einzige durchgehende Fahrstraße durch das Ahrtal vollendet. Ziel war es damals, den Verkehr durch die Ortschaften zu leiten und sie damit zu erschließen. Aufgabe der neuen Straße sei eine andere, stellte Weiler fest. Sie solle den Verkehr um den Ort herum lenken und die Bewohner vor Lärm und Abgasen schützen.