Türkenmadonnen im Kreise Ahrweiler
Eine Studie zur Heimat- und Weltgeschichte
von Leo Stausberg
„Geschichte im wahrsten Sinne treibt nur der, der die Zusammenhänge zu ergründen trachtet“, sagt Cari Rademacher. Dasselbe meint Jakob Rausch, wenn er uns lehrt, „durch das Fenster der Heimatgeschichte in die des Reiches, des Abendlandes und der Welt zu schauen.“ Diese Gedanken leiteten mich bei der vorliegenden Studie, in der ich mich bestrebte, vier bedeutsame Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler in einen weltgeschichtlichen Rahmen zu spannen und darüber hinaus Vergangenes mit Gegenwärtigem zu verbinden.
In einer Zeit, wo man die Zwangsvorstellung vom drohenden „Untergang des Abendlandes“ mit fatalistischer Ergebenheit hinzunehmen pflegt, ist es nicht ohne Nutzen, im Buche der Geschichte zu blättern. Man könnte daraus Impulse für eine Überwindung dieses lähmenden Alpdrucks gewinnen.
Türkenmadonna von Ahrweiler Foto: Vollrath
Da zeigt es sich, daß die abendländische Kultur, wie sie aus dem Zusammenklang griechischen Geistes, römischer Formkraft und christlich-germanischer Beseelung in drei Jahrtausenden hervorging, nicht erst in der Gegenwart vom Untergang bedroht ist. Immer wieder standen gewaltige politische und weltanschauliche Gegner wider sie auf. Aber immer wieder erwuchsen im Abendland Abwehrkräfte, die ihrer Herr wurden.
Als Beispiel aus der vorchristlichen Zeit mögen nur zwei Gefahrenkomplexe genannt sein: der Ansturm der Perser auf das antike Griechenland und die Bedrohung des römischen Staates durch die Karthager.
Dem christlich gewordenen Abendland entstand im 5. Jahrhundert von Asien her die Invasion der Hunnen, der die Schlacht auf den katalaunischen Feldern bei Chalons im Jahre 451 ein Ziel setzte. Das 9. Jahrhundert stand im Zeichen des Normannensturms, den die Schlacht bei Löwen im Jahre 891 endgültig brach. Eben noch erlebten wir die Jahrtausendfeier der Ungarn Schlacht auf dem Lechfelde bei Augsburg im Jahre 955. Noch einmal bannten danach christliche Streiter einen Sturm aus der asiatischen Steppe in der Mongolenschlacht bei Liegnitz im Jahre 1241. Als gefährlicher und anhaltender im Vergleich mit den erwähnten vorwiegend militärischen Angriffen, die aus Landnot und Beutelust entsprangen, erwies sich der vom Islam gegen das christliche Europa vorgetragene weltanschaulich-politische Kampf, der unsere Vorfahren mehr als ein Jahrtausend in Atem hielt. Von ihm und davon, wie er sich in vier Kunstdenkmälern unseres Heimatkreises dokumentiert, soll in dieser Studie die Rede sein.
In drei Phasen stellt sich uns dieses gigantische Ringen zwischen Orient und Okzident dar: Arabersturm, Kreuzzüge, Türkennot. Den Auftakt bildete der Panthersprung der mohammedanischen Araber unter Ta-rik auf die Pyrenäenhalbinsel im Jahre 711 n. Chr. an jener Meerenge, die noch seinen Namen trägt: Tschebel-al-Tarik = Gibraltar. Die erste entscheidende Abwehr geschah schon 732 bei Tours und Poitiers an der Loire durch den fränkischen Hausmeier Karl Martell. Immerhin dauerte es noch fast 800 Jahre, bis die Religion des Mohammed im Westen Europas auf ihren Ausgangspunkt zurückgedrängt war: Erst im Jahre 1492 — es ist das Schicksalsjahr, in welchem Christoph Kolumbus zur ersten Entdeckerfahrt in den Atlantik startete — fiel die letzte maurische Feste auf europäischem Boden, Granada, in die Hände der Christen. Gegen Ende des 11. Jahrhundert ging die christliche Ritterschaft ihrerseits zum Gegenangriff auf das ebenfalls vom Islam beherrschte Kleinasien über. Für mehrere Jahrhunderte stand das Abendland im Zeichen dieser Kreuzzüge gegen den türkischen Halbmond um die Wiege des Christentums. Sie endeten nach unerhörten Blutopfern und anfänglichen Erfolgen schließlich tragisch. In ihrem Anfang steht die Erstürmung Jerusalems im Jahre 1099 durch Gottfried von Bouillon, in ihrer Mitte der Tod des Kaisers Friedrich Barbarossa in den Fluten des Saleph (1190), am Ende der Verlust der Festung Akkon, des „Kirchhofs der Christenheit“, im Jahre 1291 an die Mameluken.
Im gleichen Zeitraum war das handelswichtige Mittelmeer ständig durch die islamischen Seeräuberstaaten bedroht, die sich längs der Küste Nordafrikas gebildet hatten. Zahllose christliche Kauffahrerschiffe fielen den verwegenen Korsaren in die Hände, und ihre überlebenden Besatzungen schmachteten als Sklaven in den sarazenischen Raubnestern am Rande der Wüste. Zum Loskauf dieser Gefangenen bildeten sich besondere Orden, aus denen strahlende Heiligengestalten hervorgingen: Die französischen Edelleute Felix von Valois (+ 1212) und Johannes von Matha (+ 1213) gründeten die Genossenschaft der „Trinitarier“. In Spanien waren es die „Mercedarier“, die sich unter Führung eines Raimund Nonnatus (+ 1240), Raimund von Penafort (+ 1273) und des Petrus Nolaskus (+ 1256) dieser Aufgabe widmeten. Zu ihnen gesellt sich der letzte König unter den Kreuzfahrern, Ludwig IX. der Heilige, von Frankreich, der 1270 bei der Belagerung von Tunis starb.
Noch ehe die Kreuzfahrer ihre letzten Bastionen auf den Inseln vor der Küste Kleinasiens aufgeben mußten, begannen die Türken ihre Offensive auf Südosteuropa. Schon 1396 bereiteten sie den Ungarn, die unter ihrem König Sigismund, dem späteren deutschen Kaiser, fochten, bei Nikopolis am Fuße der Karpathen die erste Niederlage. 1453 fiel Konstantinopel in ihre Hand. Das tausendjährige oströmische Reich ward ausgelöscht. Auf der Kuppel der Hagia Sophia blinkt seither — bis auf den heutigen Tag — statt des Kreuzes der Halbmond. Die Zeit der Türkennot brach über Europa herein. Wie sehr unsere Vorfahren unter ihr litten, vermögen wir uns kaum mehr vorzustellen. Schon 1456 gebot Papst Calixtus III. für die ganze Christenheit das Türkenläuten zur Mittagszeit, um damit zum täglichen Gebet in dieser Gefahr aufzurufen. Es sollte sobald nicht mehr verstummen. Um 1475 kam aus eben dieser Not geboren das Rosenkranzgebet in Übung. Der Dominikanermönch Alanus de Rupe hatte es, einer Vision folgend, als geistige Waffe in diesem Schicksalskampf empfohlen. Mit monotoner Eindringlichkeit rang es sich seither von ungezählten Lippen und bestürmte den Himmel, gewaltig in seiner Schlichtheit und Einfalt. Auch der aus dem Orden des hl. Dominikus hervorgegangene Papst Pius V. hat hundert Jahre später noch das Rosenkranzgebet, für dessen Verbreitung sich die Dominikaner stets besonders einsetzten, als Gebetswaffe im Kampfe gegen den Islam den Gläubigen nahegelegt. Dieser Papst war es aber auch, der zugleich einen energischen Seekrieg gegen die Türken finanzierte. Kurz vor seinem Tode erlebte er die Genugtuung, daß am 7. Oktober 1571 die spanisch-venezianische Flotte bei Lepanto im Golf von Korinlh einen vernichtenden Seesieg über die türkischen Galeeren errang. Die Zeitgenossen schrieben diesen Triumph neben dem Genie des christlichen Befehlshabers Don Juan d’Austria — er war ein Sohn Kaiser Karls V. und der Regensburgerin Barbara Blomberg — der Macht des Rosenkranzgebetes zu. So fühlte sich der Nachfolger des Papstes Pius V., Gregor XIII. — es ist jener Papst, dem wir die nach ihm benannte Kalenderreform verdanken —, bewogen, im Jahre 1573 auf den Tag des Sieges von Lepanto, den 7. Oktober, ein Fest der Rosenkranzkönigin zu legen und es für alle Kirchen vorzuschreiben, die einen Rosenkranzaltar besaßen. — Wir eilten dem zeitlichen Ablauf der Türkenkriege etwas voraus, als wir den Seesieg von Lepanto nannten. Zwar war die Macht der Türken zur See für die Zukunft gebrochen; zu Lande aber blieben sie nach wie vor die überlegenen. Schon Sultan Soliman II. (1520 bis 1566) hatte die Fahne des Propheten siegreich auf dem Balkan vorgetragen. Durch das „Eiserne Tor“ drang er donauaufwärts und eroberte 1521 die Feste Belgrad. Ein Jahr darauf vertrieb er die letzten Kreuzritter, die Johanniter, von der Insel Rhodus, die sich danach auf Malta behaupten konnten. Nach seinem folgenschweren Sieg über die Ungarn bei M o h a c z (im Jahre 1526) fiel Soliman in Österreich ein. 1529 standen die Türken zum ersten Male vor den Toren Wiens. Wenn diese Stadt auch der Belagerung standhielt, so konnte Soliman 1541 doch Ungarns Hauptstadt Budapest gewinnen. 145 Jahre lang bildete diese Stadt dann die türkische Operationsbasis für die Angriffe auf das Deutsche Reich. Die Not war auf ihrem Gipfel. Schon geschahen Einbrüche in das deutsche Kernland. Fast jeder deutsche Reichstag mußte den Reichsständen zur Finanzierung des Reichskrieges gegen die Türken den „Türkenpfennig“ auferlegen. Diese Kriegssteuer wurde oft als drückende Last empfunden, blieb aber mehrere Jahrhunderte lang in Übung. Der Stoß des türkischen Eroberers traf auf ein von inneren Krisen durchgeschütteltes Staatsgefüge. Daß die dazumal herrschende konfessionelle Spaltung des Abendlandes, die mehr und mehr zu kriegerischen Auseinandersetzungen im deutschen Raum und an seinen Grenzen drängte, an der Südgrenze des Reiches nicht zu einer vernichtenden Katastrophe geführt hat, ist fast als ein Wunder zu bezeichnen. Man war im Reiche, über alles Trennende hinweg, sich der gemeinsamen Not und Bedrohung wohl bewußt. Keiner hat dem gültiger Ausdruck verliehen als Hans Sachs, der Nürnberger Schuhmacher und Poet. In seinem Lied von 1532: „Wider den blutdürstigen Türken“ (wir bringen 3 der 35 Strophen) läßt er sich also vernehmen:
Herr got in deinem reiche,
im allerhöchsten tron,
Schau an, wir grausamleiche
der türk facht wider on,
Verfolgt die cristenheite
mit gfennus, mort und brant
ietzung in dieser zeite
durch das ganz Ungarlant.
Wach auf, du heiligs reiche,
und schau den jamer on,
Wie der Türk grausamleiche
verwüst die ungrisch kron!
Sei einig unzuteilet,
greif tapfer zu der wer,
e du werst übereilet
von dem türkischen her.
Ir cristen auserkoren,
ruft einmütig zu got,
daß er ablaß sein zoren,
helf uns aus aller not,
Verzeich uns sünt und schulde,
die der plag ursach sen,
geb uns genad und hulde.
nun sprecht alle amen!
Auch der Dreißigjährige Krieg, der ganz Mitteleuropa bald in ein Schlachtfeld verwandelte, wurde von den Türken, zum Glück für das Abendland, nicht zu entscheidenden Schlägen gegen das Reich genutzt. — Erst nach dem Großen Kriege glaubte der Türke seine Zeit für gekommen, dem ausgebluteten Reich den Todesstoß zu versetzen, zumal es der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. von Frankreich nicht an ermunternden Winken fehlen ließ. So kam es 1683 zur zweiten Belagerung Wiens durch den Großwesir Kara Mustafa. Der Fürst Rüdiger von Starhermberg verteidigte die Stadt mit Heldenmut, indes ein Heer sich zum Entsatz sammelte. Wiederum waren es im wesentlichen geldliche Zuwendungen des Papstes, die den Aufbau einer Abwehrfront ermöglichten. Dem Reichsheer unter Herzog Karl von Lothringen kam ein polnisches Heer unter König Johann Sobieski zu Hilfe. Die Christen lieferten den Türken am 12. September am Kahlenberg bei Wien eine mörderische, aber siegreiche Schlacht und befreiten die Stadt. Auch in diesem entscheidenden Sieg sah man, wie einst bei Lepanto, das helfende Walten der Himmelskönigin. Dem Dank an sie gab der Papst Innozenz XI. Ausdruck, indem er auf den Tag des Sieg ein bereits bestehendes Marienfest legte und für die ganze Kirche vorschrieb, das Fest „vom hl. Namen Maria“.
Die Macht der Türken war gebrochen. Aber nur allmählich gelang es, sie in mehreren Feldzügen nach Süden zurückzudrängen. Neuer Schwung kam in die kriegerischen Aktionen des Reiches, als der geniale kaiserliche Feldherr Eugen von S a v o y e n , französischer Prinz in deutschem Dienst, sie leitete. Seine ersten Lorbeeren errang er 1697 bei Zenta. Viele Schlachten, die fast ebenso viele Siege waren, lieferte er dem zähen Gegner. Bald ward „Prinz Eugen, der edle Ritter“ der Nationalheros des Reiches. Als Entscheidungsschlacht muß vor allem die Schlacht bei Peterwardein im Jahre 1716 angesehen werden. Gerade in ihr war es wiederum das Rosenkranzgebet, das die Scharen der Kaiserlichen mit Todesmut und Siegeszuversicht erfüllt hatte. Daher ordnete Papst Clemens XI. das schon seit 1573 bestehende F e s t d e r Rosenkranzkönigin am 7. Oktober nunmehr für die ganze Kirche an. So blieb es bis auf unsere Tage. Allenthalben entstanden nun Bruderschaften vom heiligen Rosenkranz, vor allem auch wohl deshalb, weil die Verehrung Mariens unter diesem Titel mit vielen Privilegien und Ablässen ausgestattet wurde. Der lauretanischen Litanei ward damals auch der Vers eingefügt: „Regina sacratissirni Rosarii — ora pro nobis!“ — Man gestaltete das Bild der „Madonnavom Siege „in Holz und Stein. Selbst auf Grabsteinen jener Zeit ist es zu finden.
Und nun wollen wir zwischen den aufgezeigten weltgeschichtlichen Ereignissen und unserem Heimatkreise Ahrweiler die Brücke schlagen. An vier Orten besitzen wir religiöse Denkmäler aus der Türkenzeit, die geeignet sind, die Erinnerung an sie wachzurufen. Sie sind hier im Bilde wiedergegeben: das Türkenkreuz zu B e l l e r, die Madonna vom Siege zu Kirchsahr, das ehemalige Gnadenbild zu Waldorf und die Türkenmadonna zu Ahrweiler. Ihre Bedeutung und zeitliche Einordnung ergibt sich aus der vorangestellten geschichtlichen Darstellung.
Das Türkenkreuz zu Beller
Am Wege von Ringen nach Beller in der „Grafschaft“ steht ein basaltenes Grabkreuz mit dem Bilde der Rosenkranzkönigin. Einst hatte es seinen Platz auf dem alten Kirchhof zu Ringen. Es handelt sich um eine Steinmetzarbeit von hohem künstlerischen Wert.
Türkenkreuz zu Beller
nach Federzeichnung des Verfassers 4 Fotos von Rademacher/Buschbaum
Sie läßt einen süddeutschen Künstler bzw. ein süddeutsches Vorbild aus der Zeit des Barock vermuten. Von einem Rosenkranz im Oval umrahmt sehen wir die gekrönte Himmelskönigin, die das gleichfalls gekrönte Jesuskind auf dem linken Arm trägt. Breite Flammen züngeln strahlenförmig hinter beiden hervor. Maria hält in ihrer Rechten ein Schwert, das Kind in der rechten Hand die bekreuzte Weltkugel, während seine Linke den Kopf eines Türken beim Schöpfe schwebend faßt. Auf dem dazugehörigen Rumpf m türkischer Pluderhose steht die Siegerin in maejstätischer Haltung. Am Sockel des Kreuzes grinst ein Totenschädel mit gekreuzten Beinknochen. Schön geschwungene Barockvoluten zieren die Winkel der Kreuzbalken. Die Beschriftung bedeckt den ganzen freien Raum um das Rosenkranzoval und lautet:
„A(NN)O 1725 OBIIT 23. 8. (= OCTO)-BRIS AMALIA NETTEKOVENS. – A(NN)O 1728 OBIIT 16. JA(NU)ARY ZACHEEVS SCHEFVELGEN. – CAROLUS SCHEVFFEL-GENS. – MARIA SYBILLA WOLBERS. GE(N)A(NN)T SCHEVFELGENS. – G(OTT) G(NADE) D(EN) S(ELBEN).“
Bei den Toten handelt es sich um Angehörige einer der deftigen Halfenfamilien, die ehedem auf den Adelshöfen zu Beller saßen. Zeitlich liegt die Errichtung des Steines (1725, 1728) nahe an dem Jahre 1716 der erwähnten Türkenschlacht bei Peter wardein und der Verallgemeinerung des Rosenkranzfestes. Im Interesse der Erhaltung des künstlerisch und geschichtlich so wertvollen Grabsteins wäre es zu begrüßen, wenn er wieder einen würdigen Platz im Schatten der Ringener Kirche fände, wo sich noch etliche Dutzend alter Grabkreuze aus dem 17. und 18. Jahrhundert befinden.
Die Madonna vom Siege in Kirchsahr
Das altehrwürdige Kirchlein zu Kirchsahr im lieblichen Sahrbachtale birgt neben einem kostbaren Flügelaltar aus dem 15. Jahrhundert auch eine kolorierte Holzstatue der „Madonna vom Siege“ aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts, aus derselben Zeit also, der das Türkenkreuz zu Beller entstammt. Auch hier sind die Himmelskönigin und das göttliche Kind von einem Rosenkranz im Oval umrahmt und mit einer Flammengloriole hinterlegt.
Auch hier erblicken wir in der Rechten des Jesusknaben die Weltkugel und, von der Linken gehalten, einen blutigen Türkenkopf. Es fehlen jedoch der Türkenrumpf und das Schwert in der Rechten Mariens. Letzteres wurde vermutlich später durch ein Zepter ersetzt. Der Grund hierfür liegt nahe. Eine spätere Zeit, welcher die Türkennot und die Bedeutung ihrer siegreichen Überwindung nicht mehr bewußt war, mochte das Racheschwert in Mariens Hand wohl als allzu drastisch und gar anstößig empfinden. So aber könnte dem Unkundigen der Janitscharenkopf als nicht motiviert erscheinen. Hier hilft uns nun der Vergleich mit dem Türkenkreuz zu Beller und die eingangs aufgezeigte historische Betrachtung.
Rosenkranzkönigin zu Kirchsahr
Das Gnadenbild in Waldorf
Es dürfte wohl wenig bekannt sein, daß auch Waldorf im Vinxtbachtal — der Ort gehörte ehemals als Olbrücker Lehen zum kurkölnischen Amte Andernach — einst eine Türkenmadonna besaß. Sie ging beim teilweisen Abbruch und Umbau der alten Pfarrkirche im Jahre 1867 verloren. Auch hier darf vermutet werden, daß sie wegen ihrer drastischen Symbolik absichtlich beseitigt und vernichtet wurde. Waldorf ist ein alter Marienwallfahrtsort. Ursprünglich bestand hier eine Bruderschaft von der Unbefleckten Empfängnis Maria. Wann diese errichtet wurde, ist nicht mehr feststellbar. Das Fest von der Unbefleckten Empfängnis Maria, dessen Anfänge in der Ostkirche zu suchen sind, wurde von Papst Sixtus IV. im Jahre 1477 in der Stadt Rom eingeführt, jedoch erst 1708 durch Klemens XI. für die ganze Kirche vorgeschrieben. Es wäre daher berechtigt, anzunehmen, daß die Waldorfer Bruderschaft von der Immakulata um diese Zeit gegründet wurde. Wenige Jahre später geschah durch eben diesen Papst die allgemeine Einführung des Rosenkranzfestes (s. Schlacht bei Peterwardem 1716). Nun hat der Waldorfer Pastor Antonius Queck, der von 1703 bis 1731 die dortige Pfarre innehalte, nach seinen eigenen Angaben die Immakulata-Bruderschaft in eine solche der Rosenkranzkönigin umgewandelt, und zwar bereits im Jahre 1713. Was ihn dazu bewog, kann nur vermutet werden. War es deshalb, weil der 7. Oktober für die Wallfahrten günstiger lag als der 8. Dezember? Entsprach er vielleicht einem Wunsche seines Patronatsherrn, des Freiherrn Walbot von Bassenheim, Herrn zu Olbrück? Daß es vor der allgemeinen Einführung des Festes für die ganze Kirche geschah, ist, wenn wir nicht einen Irrtum des Pfarrers annehmen, bemerkenswert. Die Angabe findet sich in einem von diesem Pfarrer herausgegebenen Waldorfer Bruderschafts-Gesang- und Gebetbuch, das erstmals 1720 Im Druck erschien.
Rosenkranzkönigin von Waldorf nach Kupferdruckplatte
Es trägt den Titel: „Marianischer Rosenwald“. Darin heißt es u. a.: „Am 26sten Tag Monats Julius wird auch allhier zu Waldorf das große Fest der heil. Mutter Annae gefeiert zur Gedachtnuß und Danksagung, daß die Erzbruderschaft des heil. Rosenkranz zum erstenmal in dasiger Pfarrkirche mit Gnaden des römischen Stuhls und Consens des hochwürdigen Vaters Antonii Cloche des ganzen Predigerordens damaligen Magistri Generalis, von Rom mitgeteilt und eingesetzet worden im Jahre 1713.“ Das Buch ist gewidmet „Dem Hoch- und Wohlgeborenen Herrn Joann Jacob Frey-herrn Walboth von Bassenheim, Herrn zu Bornheim, Olbrück, Waldorf und Heimerzheim, Ihro kurfürstlichen Durchlaucht zu Cöln Cammer-Präsident und Oberamtmann deren beyden Ämtern Brüll und Königsdorf, meinem gnädigen Herrn.“ Der Genannte wurde von Seiten Kurkölns 1724 mit der Herrschaft Olbrück belehnt. Die kirchliche Druckerlaubnis wurde dem Buche am 14. April 1728 erteilt durch den Kanonikus des Stiftes St. Severin zu Köln, Johannes Neumann, und durch die Herren Albertus Grünewald und Adam Eschenbrender, Mitglieder der Dominikanerkonvents zum heiligen Kreuz zu Köln. Es heißt da u. a.: „Cum gaudio iterum legimus et perlegi-mus Libellum inscriptum „Marianischer Rosenwald“, 1720 editum, et in eo reperimus grandem zelem, cujus fervor et do-mus Dei Authorem vix non sumpsisse vi-detur. . .“
Das mir vorliegende Exemplar ist im Jahre 1779 in Bonn gedruckt und stellt sich als 8. Auflage vor. Was uns das Buch im Zusammenhang mit vorliegender Studie besonders interessant macht, ist der darin enthaltene Holzschnitt (s. Abb.), dessen Unterschrift lautet: „Wahre Abbildung des gnadenbildes Mariae im rosencrantz zu Waldorff.“ Er entspricht in allen Einzelheiten einer im Waldorfer Pfarrhause heute noch aufbewahrten prachtvollen K u p f e r t i e f d r u c k p l a t t e , von der wir ebenfalls einen Abdruck bringen. Sie wurde ehedem als Druckplatte für die Bruderschaftszettel verwendet, die man den Wallfahrern aushändigte. Die lateinische Überschrift lautet: „Vera Efflgies B. Mariae V(irginis) De Rosario in Waldorff Pietate Et Hominum Visitatione Celebris.“
Der Stil der Darstellung, insbesondere der Umrahmung, hat Renaissance-Charakter und könnte auf ein Vorbild zurückgehen, das vor der Zeit des Barock entstand. Wie man bei einem Vergleich sieht, stimmte das Gnadenbild zu Waldorf inhaltlich völlig mit der Darstellung der „Madonna vom Siege“ auf dem Grabkreuz zu Beller überein. Die feinere Technik des Stichels bzw. des Geißfußes ermöglichte bei der Druckplatte und dem Holzschnitt die Zufügung recht realistischer, aufschlußreicher Details. Man erkennt neben dem enthaupteten Türken einen Turban, Pfeil und Bogen sowie mit Roßschweifen gezierte Lanzen und Fahnen.
Das heutzutage in der Kirche zu Waldorf zur Verehrung ausgestellte Gnadenbild Marlens mit dem Kinde ist in keiner Weise mit der ehemals vorhandenen Statue vergleichbar, wiewohl es auch dem Barock angehören dürfte. In neuerer Zeit (1935) hat man ihm einen Holzrahmen gegeben, der zusamt der lateinischen Überschrift dem auf der Kupferplatte befindlichen nachgebildet ist. Noch in der Gegenwart ist Wa l d o r f als Gnadenort das Ziel vieler Prozessionen, die von nah und fern, z. T. aus der Gegend des Siebengebirges, alljährlich zum Feste hier eintreffen, wenn auch der Zustrom seit der Beseitigung des alten Bildwerks erheblich nachgelassen hat. „Noch 1850 waren fast täglich in der Festoktav über 1000 Pilger vor dem Gnadenbilde versammelt“, berichtet die Pfarrchronik. Aus Merten-Trippelsdorf am Vorgebirge kommt eine große Prozession nachweislich seit 1750 nach Waldorf. In seinem „Marianischen Rosenwald“ bemerkt Pfarrer Queck: „Durch den Rosenkranz Maria seynd so viele Wunderzeichen Gottes geschehen, . . . deswegen ich keine dergleichen mehr anfügen will, sondern kann sich ein jeder bey sich betrachten und verwunderlich ansehen, die in der Mitte hiesiger Rosenkranz-Pfarrkirche am Gnadenbilde Maria im Rosenkranz hangende große und kleine silberne Herzen, sammt ändern silbernen Schenkungen. Deßgleichen auch zwey Bruderschafts-Stundenzetteln, welche in dem Dorf Sollen (= Soller) unter der Pfarre Mutscheyd, im glühenden Backofen im vollem Feuer glüend unverletzt geblieben, herausgekehrt, und wieder hiehin, wo diese empfangen, eingeliefert worden, welche Gaben dann auch zum demüthigen Dankzeichen Maria hiehin verlobt haben . . .“
Rosenkranzkönigin von Waldorf
Holzschnitt im Waldorfer Bruderschaftsbuch von 1779
Mag uns auch das erwähnte Mirakel ein Lächeln abnötigen, so dürfen wir doch überzeugt sein, daß zahllose Beter vor dem Bilde der Rosenkranzkönigin Trost im Leid und Hilfe in leiblicher und seelischer Not empfingen, so wie sie sich einst in der großen Türkennot als die „Hilfe der Christen“ erwies. Erst kürzlich wurde bekannt, daß sich auch in Ahrweiler eine „Türkenmadonna“ befindet. Die derzeitige Besitzerin, Frau Gertrud Bünagel, erbte sie von ihren Schwiegereltern, und es wird angenommen, daß sich die Steinplastik schon seit langem im Familienbesitz fortgeerbt hat. Die 40 cm hohe, stark hervorgehobene Reliefarbeit verrät die Hand eines Meisters. Die majestätische Pose der Himmelskönigin und die pralle Leiblichkeit des unbekleideten Jesusknaben, ferner die schwungvollen Gewänder, lassen auch diese Darstellung in die Zeit des Barock setzen. Die Siegerin steht auf einer Halbkugel, aus der die wuchtigen Hörner des Halbmondes emporwachsen. Dieser ist hier nicht nur das herkömmliche Emblem, das uns der Text der Apokalypse an die Hand gibt: „. . . und den Mond zu ihren Füßen . . .“, sondern tritt hier in bedeutsame Beziehung zum Sieg über den türkischen Halbmond. Das wird noch durch weitere Details unterstrichen: Unter dem linken Hörn (vom Beschauer) bemerkt man eine Totenmaske im Profil, der auf der rechten Seite der zugehörige Rumpf mit Halsansatz entspricht. Das erhobene Schwert in Mariens rechter Hand und ein weiterer, kleinerer Türkenkopf in Frontalansicht, den der Jesusknabe mit der Linken an den Haaren gefaßt hält, begegnen uns auch in dieser Darstellung. Zwei Paare von Kriegsfahnen mit posamentierten Lanzenspitzen drapieren wirkungsvoll die untere Hälfte der Skulptur.
So bildet das Kunstwerk von Ahrweiler inhaltlich, trotz vieler Übereinstimmungen mit den vorbeschriebenen, eine interessante Variante unseres Themas. Knüpfen wir zum Schlüsse dieser Studie an die Gedanken an, die wir eingangs zum Ausdruck brachten: Es ist nicht mehr der Islam, der das christliche Abendland bedroht: diesmal kommt die Gefahr aus dem von kommunistischmaterialistischen Ideologen durchsetzten Nahen und Fernen Osten. Sie wird nur dann unabwendbar sein, wenn das Abendland nicht mehr die innere Kraft aufzubringen vermag, ihr zu begegnen. Letztlich wird der Untergang des Abendlandes nicht durch militärische Pakte und Rüstungen gebannt, sondern durch Besinnung auf die Macht christlichen Glaubens und Betens, wie sie einst in den Kunstwerken, die hier vorgestellt wurden, so eindringlich und mitreißend Gestalt annahm.
Benutzte Literatur: Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler. Clemen, Düsseldorf 1938. — Kirchengeschichte von Kirsch und Luksch, München 1905. — de Lorenzi: Geschichte der Pfarreien der Diözese Trier-Koblenz 1887. — Schott Meßbuch, Herder 1953. — „Monomischer Rosenwald“ von Pfarrer Anton Queck, 8. Aufl., Bonn 1779. — von Stramberg: Rheinischer Antiquarius III/5, Koblenz 1858. — Ferner verschiedene profangeschichtliche Kompendien und Lexika.