Trockenes Brot
Maria Ulrich
„Ich mag das Brot nicht, es ist so hart“, nörgelt Klaus.
Das hört der Großvater, er ruft den Enkel heran und wird sehr ernst. „Du hörst doch so gerne Geschichten vom Krieg, dann sollst du heute eine ganz besondere erfahren. Hör zu, was ich erlebte: Damals zogen wir, die letzten zwei Kameraden meiner Kompanie und ich, von der Ukraine aus in Richtung Westen. Wir wussten, da wo die Sonne untergeht, musste unsere Heimat liegen. Zu Fuß begann ein mühevoller Marsch. Schon nach wenigen Tagen gerieten wir in Gefangenschaft. Mit zahllosen anderen Soldaten transportierte man uns, hungrig und zerlumpt, wochenlang nicht gewaschen, in ein Sammellager. Es war das Lager Auschwitz in Polen; du weißt, was dort geschah! Die Sieger trieben uns durch das Lager, vorbei an Bergen von Leichen; wir sollten ansehen, welches Unheil von unserem Volk ausgegangen war! Wir waren aber selbst viel zu schwach und lethargisch, um das Ausmaß zu erkennen.
Wir wurden in die Baracken eingewiesen, wo jeder seine Holzpritsche erhielt. Das harte Lager war die vorläufige Endstation eines jammervollen Rückzugs. Aus dem ersten tiefen Schlaf weckte mich der Hunger. Wie lange hatte ich nichts gegessen – drei, vier Tage? Es war dunkel, ich tastete meine Umgebung ab und begriff erst allmählich wieder, wo ich mich befand. Dabei gerieten meine Hände unter die dünne Matratze, auf der ich lag.
Ich entdecke etwas Raues – etwa so groß wie ein Daumen. Ich versuche herauszufinden, was es sein könnte. Im schwachen Lichtschein erkenne ich eine Brotkruste, hart wie Holz und schon etwas schimmelig. Egal – für mich bedeutet der Fund eine unsagbare Kostbarkeit! Ganz vorsichtig beiße ich etwas ab, dass bloß kein Kamerad aufwacht – zum Teilen ist es zu wenig! Die Krumen werden sorgfältig aufgesammelt. So gut hat mir noch nie Brot geschmeckt . . .“
Hier bricht der Großvater ab, schweigt und kommt ins Sinnen. Wie mag das Brot dorthin gekommen sein? Wer hat diesen kostbaren Schatz versteckt und, vor allem, warum hat er ihn nicht mitgenommen? Ihm fallen die ausgemergelten Menschen ein, die er bei seiner Ankunft im Lager sah. Mit einem Schlag war ihm klar, welch unsägliches Leid und welche Menschenverachtung an diesem Ort geschehen war.
„Und weiter?“, drängt der Enkel. „Nix weiter“, die Stimme das Großvaters klingt barsch: „An dem Tag habe ich den Spruch begriffen: „,Trockenes Brot ist nicht hart. Kein Brot, das ist hart!‘“