Tonwerk Lantershofen
Von J. Diederich
Das Gebiet nördlich des unteren Ahrtales, gewöhnlich als „Grafschaft“ bezeichnet, ist zwar landschaftlich nicht mit besonderen Reizen ausgestattet, gehört jedoch zu den fruchtbarsten Gegenden unserer Heimat. Der schwere, tiefgründige Lehm- und Lößboden bietet bei intensiver Bewirtschaftung ein vorzügliches Anbaugebiet für wichtige heimische Kulturpflanzen und kann mit Recht als die „Weizenkammer und die Zuckerdose des Kreises Ahrweiler“ bezeichnet werden. In diesem rein landwirtschaftlich genutzten Gebiet hat das Vorkommen von Ton in der Nähe von Lantershofen ein Industrieunternehmen entstehen lassen, das weit über die Grenzen unserer engeren Heimat hinaus bekannt ist und als eines der bedeutendsten seiner Art in Westdeutschland bezeichnet werden kann. Die reichen Tonlager der „Grafschaft“ verdanken ihre Entstehung dem Tertiär. Der Ton ist ein Zersetzungsprodukt meist feldspathaltiger Gesteine. Feldspat, Quarz und Glimmer sind aber die termischen Bestandteile unserer Ahrberge und des Rheinischen Schiefergebirges. Der tonige Feldspat ist mehr oder weniger vermischt mit Karbonaten, Eisen- und Manganhydroxyd, Eisenoxydul, Kalk, Magnesia und verwesten organischen Substanzen. Der bei Lantershofen gefördete Ton besteht zum größten Teil aus feuerfestem Ton, zum kleineren Teil aus Keramikton, Bezeichnungen, die auf seine industrielle Verwendung hinweisen.
Schon um das Jahr 1800 soll in hiesiger Gegend Ton gegraben und mit Fuhrwerken in Töpfereien nach Mayen befördert worden sein. Eine größere Ausbeute scheint in der Folgezeit jedoch nicht mehr stattgefunden zu haben, so daß das Vorkommen von Ton allmählich der Vergessenheit anheimfiel. Erst zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde der spätere, langjährige erste Betriebsleiter der Grube, Herr Georg Thiebes aus Oberdollendorf, von Einheimischen auf den hier lagernden Ton aufmerksam gemacht. Bohrversuche ergaben ein reiches Vorkommen von bester Qualität.
In der ersten Zeit wurde der Rohton auf einer Feldbahn zur Ringener Landstraße und von dort zur Versandstation Ahrweiler befördert. Nach weiteren umfangreichen Bohrungen übernahm im Jahre 1905 die Firma Dr. Otto In Dahlhausen an der Ruhr den damals noch kleinen Betrieb, und nun setzte ein großzügiger Ausbau des Werkes ein. Entscheidende Bedeutung für die weitere Entwicklung der Grube war die Anlage einer Brennerei vor dem ersten Weltkriege, in der der größte Teil des Rohprodukts zu Chamotte gebrannt wird. Die beiden 50 m hohen Schornsteine inmitten des Fabrikgeländes beherrschen weithin das Landschaftsbild der vorderen „Grafschaft“. Die erfreuliche, stete Aufwärtsbewegung des Werkes in technischer und kommerzieller Beziehung setzte sich dann in den folgenden Jahren fort, als im Jahre 1929 der Betrieb in die Hände der „Kettiger Tonwerke“ überging.
2 Fotos: Jakob und Helena Steinborn
Ein Besuch der Grube vermittelt uns einen umfassenden Einblick in die Betriebs- und Arbeitsweise der Tongewinnung und der Weiterverarbeitung in der Chamottebrennerei. Die Ausbeutung des Rohprodukts geschieht im Tagebau. Das Gelände umfaßt etwa 40 ha, die größte Tiefe der Grube beträgt 40 m. Zum Entfernen des Abraums, der in einer Stärke von 4—24 m über dem Ton lagert, sind verschiedene Bagger aufgestellt. Der Abbau erfolgt in Stufen, um ein Abrutschen der Wände zu verhindern. Das Tonstechen selbst setzt eine besondere Erfahrung voraus. Mit großen Preßluftspaten werden rechteckige Schollen abgetrennt und auf dem Schienenwege in die Brennerei gebracht. In Brennöfen und modernen Schachtöfen mit einer monatlichen Brennleistung von ca. 4000 Tonnen wird der grubenfeuchte Ton in die Ofenkammern eingesetzt und bei einer Temperatur von 1300—1400° C gebrannt. Das Brennen erfordert gute Fachkenntnisse, um die vorgeschriebene Brennleistung bei möglichst niedrigem Brennstoffverbrauch zu erzielen. Nach vollzogenem Brande wird das Material, nunmehr Chamotte genannt, aus den Kammern ausgefahren und in Förderwagen über eine 1700 m lange Seilbahn, die die gradlinige Verbindung zwischen der Grube und der Versandstation herstellt, zum Bahnhof Ahrweiler gebracht und dort in Güterwagen der Bundesbahn zum Weitertransport verladen. Der Absatz beträgt täglich durchschnittlich rund 30 Waggon zu je 10 Tonnen. Im Laufe eines Jahres, das Jahr zu 300 Arbeitstagen gerechnet, würde ein solcher Güterzug 9000 Wagen aufweisen und 50 km lang sein, eine Länge, die etwa der Eisenbahnstrecke Remagen—Köln entspricht. Abnehmer der Rohstoffe sind die Werke der feuerfesten Industrie und die Steinfabriken verschiedener Stahlwerke. Die in diesen Betrieben hergestellten feuerfesten Steine werden benötigt beim Bau von Hochöfen und Roheisenschmelzöfen. Zum festen Kundenkreis des Werkes zählen nicht nur Firmen des Inlandes, auch Frankreich, die Benelux-Länder und die nordischen Staaten werden laufend mit Lantershofener Chamotte und Ton beliefert.
Nicht unerwähnt im Produktionsprozeß darf die im Jahre 1948 angegliederte Keramikabteilung des Werkes bleiben, die noch in der Entwicklung und Ausweitung begriffen ist. Hergestellt werden Reiseandenken, in neuerer Zeit auch kunstkeramische Erzeugnisse, die nicht wie in der Steingutfabrikation auf Töpferscheiben gedreht werden, sondern im Gußverfahren entstehen. Die Leitung des Werkes gibt Interessenten an Mittwochnachmittagen gern Einblick in die technischen Einzelheiten dieser HerstellungsMaterie und Technik bestimmen zwar weitgehend den Gang unserer modernen Wirischaft, der Geist aber, der ihr Leben einhaucht, wird gekennzeichnet durch das persönliche Verhältnis der Menschen zueinander, die tagtäglich im Produktionsprozeß eingespannt sind. Vorbildlich Ist in den „Kettiger Tonwerken“ sowohl die Betriebskameradschaft als auch das Verhältnis zwischen Betriebsleitung und Belegschaft. Davon zeugt die unverhältnismäßig hohe Zahl der Jubilare und Betriebsangehörigen, die jahrelang im Dienste der Firma stehen. Arbeiter und Angestellte, deren Zahl sich z. Z. auf fast 250 beläuft, erfreuen sich einer segensreichen sozialen Fürsorge. So konnten nach dem Kriege nicht weniger als 42 Heimatvertriebene In der näheren Umgebung angesiedelt und erhebliche Mittel für Siedlungsbauten bereitgestellt werden. Die unlängst erfolgte Einweihung eines neuen Gemeinschaftshauses, das in seiner Zweckbestimmung und modernen Gestaltung und Ausstattung als vorbildlich gelten kann, ist ein weiterer Markstein in dem Bestreben der Firma, das Zusammengehörigkeitsgefühl der schaffenden Menschen zu stärken . Die traditionelle Jahrfeier am 4. Dezember, dem Feste der hl. Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, vereint die Betriebsleitung samt Ihren Mitarbeitern in schönster Harmonie.
Wenig mehr als fünf Jahrzehnte umfaßt der Werdegang und die Geschichte des Lantershofener Tonwerks. Während noch um die Jahrhundertwende die Ortschaften der vorderen „Grafschaft“ rein bäuerlichen Charakter trugen, Ist durch das Aufkommen und die Entwicklung des Tonbergbaues in diesem Landstrich ein grundlegender Wandel in der Bevölkerungsstruktur eingetreten. Die Durchsetzung der bodenständigen Einwohnerschaft mit Industriearbeitern ist im Erscheinungsbilde der in Frage kommenden Dörfer mehr oder weniger unverkennbar. Auf das Ausmaß und die Folgeerscheinungen dieses bevölkerungsmäßigen Umschichtungsprozesses in soziologischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehung kann im Rahmen der vorstehenden Ausführungen nicht eingegangen werden.