„Thias“ und Hochwürden – Geschichte aus „ohsem Doerf“
Thias
Hochwürden – „Ohse Hehr“ hatte in unserem kleinen Dorf viele „Schafe“, die ihm Kummer bereiteten.
Da gab es auch einen Hausstand, auf dem sich im Laufe der Jahre immer drängender das Begehren stellte, Einfluss zu nehmen.
„Ohse Hehr” kämpfte einen schon langen, meist leisen, zuweilen etwas lauteren, immer aber heiligen Kampf vol-ler Glaubenseifer gegen Thias, unseren Waldschratt.
Thias galt als die beruflich rechte Hand unseres Försters und lebte mit seiner Mathilde in einem kleinen Fachwerkhaus am Rande des Dorfes. Nun war es nicht so, dass alle etwas eigenwilligen, eben „verqueren” Bewohner in die Verbannung der Ortsrandlage geschickt worden wären, sondern dieses Fachwerkhaus gehörte zur Försterei, die weit außerhalb am Waldrand angesiedelt war.
Das kleine Haus, das Thias und seine Mathilde bewohnten, war dicht umstanden von allerlei Büschen und Sträuchern und überragt von vier riesigen Fichten. Im Vorgarten hatte Mathilde hübsche Blumenbeete angelegt, während Thias hinter dem Haus die Grundlage für eine gewisse Eigenversorgung mit Gemüse und Kartoffeln geschaffen hatte. Langsam, aber sicher hatte das Grün der Bäume und Sträucher als Herzensfarbe von Thias Besitz ergriffen. Grün waren die Fensterläden und Regenrinnen, grün war die Regenwassertonne und grün waren Tor und Zaun.
„De rollende Mehte”
Thias selbst galt allen im Dorf als richtiger Waldschratt. Nicht größer als ein mittelgroß gewachsener Zimmertischweihnachtsbaum war ihm irgendwann die Bezeichnung „De rollende Mehte” zugekommen und ein ungestüm wachsender rötlicher Bart verlieh ihm die Zotteligkeit des Waldgeistes, die einzige Farbe, die Thias so hinnahm, denn ansonsten war vom Hut über Hemd bis zur Hose alles in grün eingefärbt. Nur Mathilde weigerte sich behaarlich, ihre Zuneigung zu ihrem Thias auch auf das Grün für alles und jedes in bezug auf ihre Kleidung zu übernehmen.
Während hier und da und dann und wann Waldbesitzer rechtzeitig vor Winterzeit und Kälteeinbruch zum Holzschlagen „enn de Bösch” gingen, hob Thias stets sehr bewusst darauf ab, dass er „em Wald schaffe”.
Weihnachtsbaumverkauf
Zur Hochform lief Thias in der Vorweihnachtszeit auf, wenn auf der Försterei der Weihnachtsbaumverkauf stattfand.
War der Förster sonst mit seinem Thias hochzufrieden, so wurde er nun richtig neidisch auf das Verkaufstalent seines Mitarbeiters. Pries er in wohlgesetzten, beredten Worten Größe, Wuchs und Benadelung an und kam doch nicht so recht voran beim Verkaufsgeschäft, ging es Thias flott von der Hand mit flotten Sprüchen über die Lippen:
„Heh, dat es ähne. Bei demm hät de Hass an der Stamm jepinkelt.”
Weg war der Baum! Und als Christbaum lieferte er darüberhinaus vorzüglichen Erzählstoff für die Einmaligkeit eben dieses Baumes.
„Versuchung”
Eine Unart war Thias über die Jahre hin zugewachsen, sehr zum Leidwesen seiner Mathilde. In unregelmäßigen Abständen, aber mit gewisser Regelmäßigkeit machte sich Thias über die Alkoholvorräte her, die sich als „vergelt’s Gott” – Gaben für zahlreiche Gefälligkeiten angesammelt hatten. Sowohl Mathilde als auch Susanne, die Frau des Försters, hatten versucht, hier entgegenzuwirken, bisher jedoch vergeblich. In diese Allianz gegen die Trunksucht hatte sich auch Hochwürden eingebracht. Immer wieder hatten die drei versucht, Thias von der Versuchung ab- und auf den Pfad der Tugend zurückzubringen, jedoch ohne Erfolg. Lediglich etwas war erreicht worden. Thias hatte sich eine große Kiste gezimmert, sie mit Zweigen und Laub gut gepolstert, eine Plane darübergelegt und nutzte sie nun, mit Mathilde strikt vereinbart, als grüne „Ausschloohfskess” im Flur.
„Disputation”
Thias, Matthias war sein Taufname, vertraute sein Credo lautstark und nicht immer nur, wenn es angebracht und er gefragt wurde, seinen Mitmenschen an.
Alljährlicher Höhepunkt der theologischen Disputation zwischen Hochwürden und Waldschratt, ohsem Hehr und Thias, war das Zerkleinern der angelieferten großen, groben Brennholzscheite.
Der eine sprach, der andere schwang die Axt.
„Thias, am Sonntag gehörst Du in den Dom. Christenpflicht!”
„Eschjonn am Sonndach en de Wald onn üwe de Felle. De Füel spillen de Orjel. Dat ess ming Mäss!”
Die Wucht der Worte nahm zu. Hochwürdens Axt sauste nieder, traf einem Trumm verkantet und ein gewaltiges „Donnerkeil nochmal” ertönte. Zornesröte im Gesicht, vielleicht auch gerötet aus Schmach über den misslungenen Axthieb, ahnte Hochwürden, was kommen würde. Na ja, Bonifatius und Thias konnten eben besser mit der Axt umgehen.
„Esch hann üsch jesoht, wat ie braucht – ie braucht en scharef Axt!
What mie brauchen, es en johde Hond onn en scharef Sähsch!”
Und ganz leise vor sich hin fuhr Thias fort, aber hier nehme ich besonders die Damen unter der werten Leserschaft an die Hand, bitte sie, die Augen zu schließen und sich meiner Führung über die seichten Stellen der ungeziemenden Wörter anzuvertrauen „… on esch, esch brauch a scharef Weib!”, wobei ich glaubhaft versichern kann, dass Thias hier angeberhaft tönt, war er doch stets seiner Mathilde in Liebe zugetan. Thias hatte bereits zugeschlagen, wieder mit scharfer Axt und mit scharfen Worten. Dieses Jahr hatte Thias noch einen draufgesetzt. „Ohse Hehr” hatte Tod und Teufel beschworen, doch scheinbar vergebens. Hochwürdens Hinweis auf die Gefährlichkeit der Arbeit im Wald hatte Thias gekontert:
„Jo, me mohs schwer oppasse. Me daref de Hamme net ze kuez schmeisse!”
Nun stand man da, die Arbeit war getan, das Holz in Scheite gespalten, aufschichten konnten es die stets dienstbaren Geister der Meßdienerschaft.
Und während man so da stand, schwitzt, „ohse Hehr” eher gerötet vor heiligem Zorn als körperlicher Anstrengung, bei Thias wohl eher umgekehrt in der Reihenfolge, eilte Pauline, Hochwürdens Haushälterin, herbei und reichte einige Gläschen hochprozentigen Teufelswassers an die beiden, natürlich nur aus Sorge um die Gesundheit und um, wie Hochwürden laut verkündete, das Zeug unter Aufsicht zu vernichten.
Hochwürdens Plan
Und langsam, sehr langsam wuchs in Hochwürdens Kopf ein Plan, der über die Zeit hin genauere Gestalt annahm. Er baute auf die einzige Schwäche, auf die „ohse Hehr” nach sorgfältiger Aus- und Rücksprache mit Mathilde glaubte, als einzige tragfähige Grundlage einer grundsätzlichen Umkehr gestoßen zu sein.
Eben Thias, Matthias, seinen Taufnamen, denn der hatte in der Familie vom Urgroßvater über Großvater und Vater bis auf ihn hochgeachtete Tradition besessen.
„Ohse Hehr” setzte nun voll auf Matthias.
„Sanctus Matthias”
Thias schlummerte in seiner „Ausschlohfskess”. Sein grauschwarzer Dackel hatte sich zu ihm gesellt. Leise öffnet sich die Haustür, ein geflüstertes „Loht et joot dämpe, Hehr!” war gerade noch zu vernehmen, als Hochwürden, weihrauchfassschwenkend, die „Ausschlohfskess” einräucherte. Als erster flüchtete schnaufend, japsend, hechelnd der unschuldige Wurzel mit einem Satz vor der ungewohnten Witterung. Thias brauchte länger. Die wirren Alkoholnebel des Teufelswassers drehten sich schneller und wurden eins mit den schweren Düften des Weihrauchs. Und in diese sich immer schneller drehenden Kreise, Sterne und Lichter drang das stete „Sanctus Matthias” Hochwürdens und Mathildes inbrünstiger Bittvers „Donn däm do joot!” ein.
Und es tat ihm gut. Ob es nun mehr die Angst vor den beginnenden schlimmen Folgen des teuflischen Wassers war oder etwa die vor der Bistums-allmacht seines Namenspatrons; leiser als sonst, aber deutlich genug verkündete Thias jedem, der es hören wollte:
„De Triere woe do!”
So war jeder zufriedengestellt:
Mathilde sah ihren Thias mit scharfer Axt das „Ausschlohfskessche” zuschmettern. Hochwürden sah Thias, zumindest dann und wann und immer öfter beim „Asperges” im Hochamt, wenn zumindest auch vorerst nur als Mitglied der Weihwasserkesselskompanie. Für Thias stand fest „De Triere woe do!” und der heilige Matthias hatte einen noch glühenderen Anhänger mehr!