Textilindustrie im Kreise Ahrweiler
Von Elisabeth Hammen
Die Ahr und die zum Kreis Ahrweiler gehörigen Eifelberge sind für viele ein Begriff und eine Attraktion geworden. Ausflügler und Kurgäste wissen, daß ihnen hier Erholung und Frohsinn erblüht in der klaren freien Luft und nicht zuletzt bei dem weltbekannten Ahrburgunder.
Aber wenige ahnen und wissen, daß im Kreise Ahrweiler eine fleißige Bevölkerung in alter und neuer Zeit darum ringt, sich im Erwerbsleben einen Platz an der Sonne zu erringen.
Menschen mit Entdeckersinn, man möchte sagen: mit schöpferischer Begabung und eisernem Fleiße ausgerüstet, haben jede Möglichkeit klug und zäh ausgeschöpft, um dies Ziel zu erreichen.
Dies zeigt sich im Kreise Ahrweiler auch auf ‚dem Gebiete der nicht gerade einfachen, aber umso lohnenderen Textilindustrie.
Wie sehr reichen gerade bei dieser Industrie alte und neue Zeit sich die Hände: Von den Schafherden und Flachsfeldern, die alte Spinnräder und „Webstühle belieferten, bis zu den modernsten Maschinen, ja bis zur ganz künstlichen Produkytion der modernsten Kleiderstoffe!
Der Kreis Ahrweiler besitzt ein Musterbeispiel gewachsener Textilindustrie in der bekannten Heimweberei Nonn in Waldorf.
Waldorf selbst ist ein lohnendes Ausflugsziel nach herrlicher Wanderung durch das romantische Vinxtbachtal. Niemand soll darauf verzichten, bei seiner Ankunft in Waldorf bei der Heimweberei Nonn sich ein Stück Textilgeschichte vorführen zu lassen, um dann zu sehen, wie in unserem Kreise gearbeitet wurde.
Ein achtzigjähriger Textilfachmann, der Inhaber der Heimweberei, Herr Johann Nonn, wird zum sachkundigen Führer durch den Betrieb und seine Geschichte. Bei seiner anschaulichen Erzählung tauchen Kindheit und Jugendzeit eines solch erfüllten Lebens auf. Man sieht wieder im Geiste die vielen Schafherden an den Hängen grasen. Man sieht die satten Flachsfelder, die mühsam für dürftigen Lohn gepflegt und abgeerntet werden mußten. Kein Vergleich mit der Lohnzuteilung von heute. Die Leineweber erhielten 12—18 Pf g. pro Berliner Elle.
Bei der Erzählung des alten Herrn surren wieder die Spinnräder in längst verschwundenen Zeiten, und es klappern die Leinenwebstühle ganz emsig.
O du gute, alte Zeit, wo kein Motorengeräusch jäh das geruhsame Arbeiten unterbrach!
Dann kam im Zeitalter der Industrialisierung der Aufschwung für Waldorf und seine Umgebung. Unser Cicerone führt uns in die neuere Zeit hinein. Es kommen die großen Aufträge von Krefeld mit seinen Samt- und Plüschfirmen. In- und ausländische Wünsche, z. B. Polsterbezüge für Sitzplätze in der Bahn, auf Luxusdampfern usw., brachten u. a. einen großen Auftrieb und gute Verdienstmöglichkeiten für Waldorf und die umliegenden Orte.
Ja, es ist schon ein Stück Textilgeschichte, was hier vor unseren Augen abrollt. Aber der kundige Führer entläßt uns nicht, bevor er uns seinen wertvollen Schatz gezeigt hat, nämlich ein altes „Webermusterbuch“ mit wertvollen Gebildemuster-Patronen aus den Jahren 1625 bis 1675. Dies stammt aus seiner Familie und war bis zum Jahre 1929 im germanischen Museum in Nürnberg. Hinzu kommen wesentlich vervollkommnete Gebildmuster in Büchern aus den Jahren 1840, 1854 und 1864.
Auch an Waldorf sind die beiden unseligen Kriege nicht spurlos vorübergegangen. Jedoch ungebrochen durch Kriegswirren und schwere Nachkriegszeit behaupten die Waldorfer ihren Platz auf dem Wirtschaftsmarkt der Textilindustrie. Leinen- und Gebildweberei für Bett-, Tisch- und Küchenwäsche sowie solide, handgewebte Stoffe für Bekleidung und zur Dekoration des Heimes sind unter anderem Zeichen für die Produktivität der Waldorfer Textilindustrie. In engster Zusammenarbeit mit der Krefelder Weberschule werden stets die neuesten Versuche in der Verarbeitung des Rohmaterials und der Mustergestaltung durch abwechslungsreiche Gewebebindungen sowie effektvolle Material- und Farbkombinationen ausgewertet.
Wer dies alles gesehen, wird sagen müssen: Mit Recht trägt die Heimweberei Nonn in Waldorf auf ihrem Geschäftspapier den Aufdruck „Eifeler Heimfleiß“.
Einen weiteren überzeugenden Blick in die Wirksamkeit der Textilindustrie im Kreise Ahrweiler läßt uns die Tuchfabrik August Rademacher in Adenau tun. Auch hier in der herben Eifellandschaft entwickelte sich die wertvolle heimatgebundene Textilfabrikation.
Ursprünglich wurde hier lediglich Tirtey und Eoden aus Eifeler Schafswolle hergestellt. So erforderten es die damaligen Verhältnisse. Um eine größere Haltbarkeit zu erzielen, verzwirnte man die Textilprodukte mit Baumwolle.
Heute ist man in Adenau in der Produktion soweit fortgeschritten, daß man auch den verwöhntesten Ansprüchen gerecht werden kann. Derbe Stoffe für Arbeitsbekleidung und feinste Tuch- und Kammgarngewebe, die mit allen anderen in- und ausländischen Stoffen Schritt halten, verlassen heute Adenau. Wahrhaftig, auch hier gilt das Wort „Eifeler Heimfleiß“.
Die Textilindustrie läßt sich nicht mehr wegdenken aus dem Erwerbsstreben des Kreises Ahrweiler. In den Nachkriegs-jahren ist sie sogar weiter gewachsen. An
der Unterahr und am Rhein entstanden verschiedene Konfektionsbetriebe. Es sind Neugründungen, von zähem Unternehmergeist aus der Erde gestampft. Es sind z. T. auch verlagerte Industrien, die anderswo erprobt und mit Erfolg gekrönt waren.
Frau Eise Kühr in Remagen beschäftigt beispielsweise mit der Herstellung von Damenbekleidung 19 Lehrlinge und etwa 34 Fachkräfte.
In der Fabrik Heinrich Hoenen in Remagen finden 27 Lehrlinge in einer Lehrwerkstatt ihre Berufsausbildung, sie arbeiten mit vielen Fachkräften bei der Herstellung von Herrenoberbekleidung.
Der ursprünglich in Oberwinter ansässige Betrieb Fenger konfektioniert neuerdings ebenfalls in Remagen Damenmäntel, Sport- und Berufskleidung.
Die Filzwarenfabrik Irmen & Co., Remagen, fertigt modische Jacken, Röcke, Westen und Kleider an. Mit einem ihrer Modelle erhielt sie auf der Kölner Textilmesse im Frühjahr 1953 den 1. Preis.
In Sinzig sind durchschnittlich 6—8 Lehrlinge und Anlernlinge mit weiteren Arbeitskräften bei der Kleiderfabrik Svoboda M + M tätig. Hier wird überwiegend wie in der neuerdings dazu gekommenen Firma Gumula Damenbekleidung hergestellt.
Seit kurzem konfektioniert in Heimersheim der Zweigbetrieb einer Baumwollberei und Wäschefabrik im Rührgebiet speziell Blusen.
Ja, gerade die Textilindustrie, und nicht zuletzt in unserem Kreise Ahrweiler, steht auf dem alten „goldenen Boden des Handwerks“ und weiß auch im modernen Zeitalter der Technik eine Brücke zu schlagen in diese „neue Zeit“.
Gerade in dieser Polarität zwischen gediegener, systematischer handwerklicher Arbeit und der fortschrittlichen modeschaffenden Industrie sehe ich auch von dieser Seite aus eine Chance für unseren Kreis, Altes und Neues geschickt zu verbinden gemäß dem Sprichwort: „Das gute Alte behalte, das gesunde Neue betreue!“
In gemeinsamer Arbeit Hand in Hand vermag handwerkliche Kunst und geschickt angewandte technische Vollendung immer mehr und mehr den wachsenden Bedürfnissen der Zeit und der modernen Menschen zu dienen.
Im angestrebten edlen Wettbewerb können beide nach dem Prinzip des bescheidenen Nutzens bei gediegener Leistung den vielen Käufern heute eine günstige Anschaffungsmöglichkeit erschließen. Von hier aus werden insbesondere große Kaufhäuser unserer dichtbewohnten Großstädte im Industriegebiet beliefert.
Ich möchte nicht schließen, ohne auf eine besondere soziale Wirkung der Textilindustrie in unserem Kreise aufmerksam zu machen.
Die Textilindustrie in unserem Kreis konnte vielen Jugendlichen besonders bei den geburtenstarken Jahrgängen mit dem notwendig resultierenden Mangel an handwerklichen Lehrstellen eine wegweisende Ausrichtung fürs Leben geben. Zugleich vermochte sie auch in der Verarbeitungsindustrie dieser heranwachsenden Jugend bei dreijähriger Lehrzeit mit Abschlußprüfung an der Industrie- und Handelskammer in Koblenz eine gediegene Berufsausbildung zu vermitteln.
Wenn auch diese Berufsausbildung der Konfektions-Schneiderinnen und Konfektions-Anlernlinge in unserem Umkreis noch in den Kinderschuhen steckt, so sehe ich doch bei den beachtlichen Erfolgen eine ungeahnte Entwicklungmsöglichkeit für die Textilindustrie unseres Kreises.