Test und Tatsache: Pandemie-Szenarien im Regierungsbunker
Was 2007 als Lükex-Übung ablief, wurde 13 Jahre später Wirklichkeit – Alltag 2020 bis 2022 in der Dokumentationsstätte
Heike Hollunder
Die Pandemie-Übung Lükex 07 begann am Mittwoch, 7. November 2007. Das Szenario: In einem Zeitraum von acht Wochen erkrankten 27 Millionen Menschen in Deutschland. 13 Millionen suchten einen Arzt auf, 307.000 Personen wurden stationär behandelt und 102.000 Menschen starben, alles nur übungshalber.
Die Teilnehmer: Es handelte sich um ein Krisenmanagement-Szenario, an dem sieben Bundesländer (die übrigen neun nahmen als Beobachter teil), die wichtigsten Ministerien wie das Bundeskanzleramt (BK), das Bundesministerium des Innern (BMI), das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) beteiligt waren. Darüber hinaus: Unternehmen aus den Bereichen Pharma/Medizin, Energie, Banken, Kommunikation, Transport, Lebensmitteleinzelhandel und Landwirtschaft. Zusätzlich waren 100 nationale und internationale Beobachter vertreten. Insgesamt nahmen 3.000 Menschen aus der gesamten Bundesrepublik an der Übung teil. Das ist exakt dieselbe Zahl an Menschen, die im Ernstfall in den Regierungsbunker hätten einziehen können.
Planung und Durchführung
Lükex ist eine Kurzform von Länder- und Ressortübergreifender Krisenmanagementübung (Exercise). Die Übungen werden bis heute vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und den Bundesländern geplant und stellen die Fortsetzung der NATO Wintex/Cimex-Übungen dar, die bis 1989 u.a. im Regierungsbunker in Ahrweiler stattfanden, allerdings mit veränderten Inhalten. Die Übungen werden in der örtlichen „Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz“ (AKNZ), die seit dem 1. Juli 2021 den Titel „Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung“ (BABZ) trägt, geleitet und finden wie die NATO-Übungen alle zwei Jahre statt. Die Pandemie-Übung endete am Donnerstag, 8. November, nach nur zwei Tagen.
Geschlossen sind die Regierungsbunker-Tore üblicherweise von November bis Ende Mai – während der Corona-Pandemie jedoch für wei- tere Monate.
Schwachpunkte
Am ersten Übungstag erreicht die Influenzawelle Europa und Deutschland und nahm eine weltweite krisenhafte Entwicklung, die zu einer Überlastung des Gesundheitswesens führte, mit weitreichenden Auswirkungen auf die Kernbereiche des gesellschaftlichen Lebens. Intern hieß es nach der Übung, der „vom BMI und BMG geleitete Krisenstab hat sich strukturell und organisatorisch uneingeschränkt bewährt“. Tatsächlich kam es zu massiven Medikamentenengpässen, zum Zusammenbruch der medizinischen Versorgung in einigen Landkreisen, Personalausfällen in Kliniken und bei der Polizei, sowie Plünderungen und Übergriffen auf Apotheken und Lebensmittelbetriebe. Darüber hinaus stockte die Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern, psycho-soziale Aspekte wurden nur unwesentlich in die Entscheidungen und Maßnahmen einbezogen, alles nur übungshalber.
Corona-Pandemie
13 Jahre später ist der „Ernstfall“ eingetreten. Am 11. März 2020 erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) COVID-19 zur Pandemie. Am 16. März kommt es zum ersten bundesweiten Lockdown, alle nicht systemrelevanten Einrichtungen müssen schließen, darunter auch die Museen.
Die Museums-Saison des Regierungsbunkers 2020 sollte eingeläutet werden mit der Teilnahme an den 5. Ahrweiler Freiheitswochen im März 2020. Geplant und ausgearbeitet waren ein umfangreiches Sonderprogramm mit Führungen zu politischen Persönlichkeiten im Regierungsbunker, Zeitzeugen- und Familienführungen an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden. Am Freitag, 13. März, fand noch die Pflanzung des Freiheitsbaumes am Parkplatz der Dokumentationsstätte statt. In der anschließenden Pressekonferenz mit den Verantwortlichen der Ahrweiler Freiheitswochen, des Regierungsbunkers und des Landrates Dr. Jürgen Pföhler, vor dem neu entstandenen Sanitär- und Gastrobereich des Museums, wurden dann alle Veranstaltungen aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus abgesagt. Daher konnte die Museumssaison auch nicht wie ursprünglich geplant am 4. April 2020 beginnen.
Wiedereröffnung 2020
Mit einem ausgereiften Hygienekonzept durfte die Dokumentationsstätte Regierungsbunker erst am 29. Mai mit exklusiven Kleingruppenführungen, unter den nötigen Abstands- und Hygienemaßnahmen in die Saison 2020 starten. Da der Andrang und die Nachfrage der Besucher und Besucherinnen nach einer Besichtigung so groß waren, wurde zusätzlich zu den regulären Turnustagen mittwochs, samstags, sonntags und feiertags noch der Freitag als zusätzlicher Besuchstag geöffnet.
Museumsleiterin Heike Hollunder (2.v.l.) mit einer Besuchergruppe im Eingangsbereich des Museums im Sommer 2021. Alle Personen waren doppelt gegen Corona geimpft und zusätzlich getestet.
Der Besucherstrom war ungebrochen, an einigen Tagen waren bereits mittags alle Führungen des Tages ausverkauft. Statt der erwarteten und seit Jahren konstanten 80.000 Besucher pro Jahr konnten aufgrund der Corona-Pandemie nur 27.000 Besucher begrüßt werden und auch der Millionste Gast blieb daraufhin aus.
Hans-Georg Klein, Erster Vorsitzender des Heimatvereins Alt-Ahrweiler, dem Träger der Dokumentationsstätte, fasste am Ende der Saison zusammen: „2020 war für uns alle ein schwieriges und herausforderndes Jahr. Das gesamte Team hat großen Einsatz gezeigt und unter schwierigen Bedingungen Großartiges geleistet. Wir sind dankbar, dass wir ohne einen Corona-Fall, weder im Team, noch unter den Gästen, diese Saison gemeistert haben!“.
Anhaltend groß ist auch das Interesse der Medien am Originalschauplatz des Kalten Krieges. So fanden in der Saison 2020 regionale und überregionale Interviews statt, wie zum Beispiel für den SWR 2 und WDR 5. Der WDR drehte im Regierungsbunker einen Beitrag für die Reihe „Sagenhaftes Land“, SAT 1 für das Reisemagazin „Grenzenlos“ mit durchschnittlich 1,4 Millionen Zuschauern und im September berichtete das Filmteam von RTL West über das einstige Staatsgeheimnis Nr. 1. Ende Oktober hieß es dann erneut: Alle Tore dicht machen. Von November 2020 bis zum 22. Mai 2021 blieben die Museums-Türen geschlossen.
Nach der Flut
Nachdem im Mai und Juni der Betrieb im Museum langsam wieder Fahrt aufnahm, kam er nach der verheerenden Flutkatastrophe im Juli 2021 erneut zum Erliegen. Die Dokumentationsstätte war selbst von der Flut nicht betroffen, auch die Zuwegung war verschont geblieben. Im September öffneten sich die Tore des Museums bereits wieder, um ein frühes Zeichen für einen Neubeginn zu setzen.
Blick auf die ehemalige Lüftungsanlage des Re- gierungsbunkers
Das Museum blieb auch in der Winterpause für Einzelbesucher und Einzelbesucherinnen geöffnet und für die neue Saison 2022 wurde das Museumskonzept überarbeitet und neue Führungsangebote ins Programm aufgenommen. Neben der Zeitzeugenführung mit einem Glas Wein und verschiedenen Angeboten für Familien hat sich die „Tunnel-Tour“ als Publikumsrenner herausgestellt. Hier werden bisher nicht gezeigte Bereiche und Wege des Regierungsbunkers beschritten.
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 erfuhr der Regierungsbunker eine traurige Aktualität. Die Frage nach der aktuellen Schutzraumsituation beschäftigte Medien und Privatpersonen gleichermaßen. Die häufigste Frage der Besucher und Besucherinnen bezog sich nun nicht mehr auf den Standort des aktuellen Regierungsbunkers, sondern ob dieser wieder reaktiviert werden könnte. Die Antwort der Gästeführer und Gästeführerinnen darauf lautet immer ähnlich: Eine Reaktivierung des Bunkers ist ebenso wenig möglich wie eine Vermietung zur Herrichtung als Schutzbauwerk an Privatpersonen.