Tausend Jahre Heppingen

VON WILHELM KNIPPLER

Dieses Ereignis wurde 1965 in Heppingen gefeiert, denn im Jahre 965 wurde der Heppinger Pantaleonshof dem Kloster St. Pantaleon in Köln testamentarisch übereignet.

Keineswegs möchten die Veranstalter dieses Gedenktages den Eindruck erwecken, als überschätzten sie das Alter ihres Dorfes. Es gibt Orte, die viel länger bestehen. Was aber Heppingen ein Recht gibt, Jubiläum zu feiern, das sind die vielen Abende, an denen der Arbeitskreis tagte, das ist die große Anzahl Heppinger Bürger und Bürgerinnen, die seit zwei Jahren, während sonstwo in Deutschland vielerorts der Sinn für das Historische geschwunden ist, schürfen und graben, sichten und fragen, sammeln und prüfen, daheim und überall darüber debattieren, also ernstlich suchen und werten.

Die Heppinger haben von jeher dieses Interesse gezeigt an mehreren Orten und zu vielen Zeiten. Wer pflegte und erhielt die tausendjährige Kapelle an der Landskron? Wer feierte seit Jahrhunderten das Brezelfest? Nur, man handelte nicht bewußt aus historischen Beweggründen. Einmal waren es religiöse Motive, zum anderen war es lebendiges Brauchtum.

Es wurde vieles gefunden, was nicht nur interessant sein mag für den Einwohner von Heppingen, sondern auch symptomatisch ist für viele Orte der Unterahr und jeden fesseln kann, der die ottonischen Zeitverhältnisse kennenlernen will. Es war für unsre Heimat die gestaltende, grenzen- und richtungweisende Periode. Wer sucht, der findet! Und es ist notwendig zu suchen, denn vieles, was man heute finden kann, findet man morgen schon nicht mehr. Häuser werden abgerissen, entrümpelt, Papiere verbrannt, alte Menschen sterben, Bäume werden gefällt, Keller zugemauert, alter Plunder wird vernichtet. Gerade heute ist das Suchen und Sammeln notwendig; denn eine neue Zeit macht sich nichts mehr aus dem Vergangenen, lebt nur der Gegenwart und dem Morgen. Es gibt sogar Fremde in Ost und West, die uns einreden wollen, die Geschichte unsrer Heimat sei unwichtig, ja das Werden des Abendlandes und Europas sei belanglos vor den Problemen der neuen jungen Welt.

Wir dagegen sind der Meinung, daß auch im neuen Europa derjenige Mensch der zuverlässigste ist und sein wird, der auf den Werten der Heimat und den Erkenntnissen vielhundertjähriger Erfahrungen aufbaut. Kehren wir zurück zum Anlaß der Jahrtausendfeier, dann stoßen wir auf eine Persönlichkeit, um die sich alles dreht, einen Menschen, der es verdient, auch heute noch in das Rampenlicht gestellt zu werden. Und wir stellen mit Freude fest, daß auch an anderen Orten liebevoll die Erinnerungen an diesen Mann geweckt werden, Prof. Schramm tat dies von Göttingen aus, Archivdirektor Oediger in seinem Werk über das Erzbistum Köln, und zuletzt sprach darüber Archivrat Dr. Stehkämper im Bonner Geschichtsverein. Es handelt sich um:

Bruno I., Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen

Er hat gelebt für die Kirche, für den Staat, für das Erzbistum, für das Reich, für den König, Otto den Großen, für die Reichseinheit und für den Frieden.

Überblicken wir zunächst ein kurzes Kompendium ottonischer Geschichte:

924 Bruno geboren als Nachkomme des Sachsenkönigs Widukind und als Sohn Heinrichs I. und der Königin Mathilde, Bruder Ottos des Großen.

928 Bruno nach Utrecht zur Erziehung bei Bischof Balderich.

936 Bruno an den Königshof, übernimmt Kanzlerarbeit.

940 Bruno wird Erzkanzler des Reiches.

949 Bruno ist Abt des Klosters Lorsch.

953 Bruno wird Erzbischof von Köln.

Heppingen

954 Wegen Überbelastung schafft Bruno das Archidiakonat Bonn. Archidiakon ist der Propst des Kassiusstiftes Bonn.

955 Schlacht auf dem. Lechfeld, Bruno wird Herzog von Lothringen. Er erhält das Pallium.

959 Bruno teilt das Herzogtum Lothringen in Ober- und Niederlothringen durch Erneuerung der Vinxtbachgrenze.

960 Bruno gründet das Stift Groß St. Martin in Köln.

961 Bruno salbt seinen Neffen Otto II. in Aachen zum König.

962 Bruno ist zugegen bei der Kaiserkrönung zu Rom.

964 (oder früher) Bruno gründet das Benediktinerkloster St. Pantaleon in Köln.

965 Bruno stirbt am 11. Oktober zu Reims. Alle diese Daten sind Reichsgeschichte, greifen aber durch Bruno hinüber in die Geschichte unserer Heimat.

Brunos vielseitige und einmalige Persönlichkeit

Er war ein wirklich hoch gewachsener Mensch, 1,90 m groß, eine Hünengestalt. Seine wahre Überlegenheit jedoch liegt auf anderen Gebieten.

1. Ein Mann des Geistes war er, kultiviert, von größtem Bildungsstreben. Vom vierten Lebensjahre ab wurde er in Utrecht, also im damaligen Lothringen, nicht in seinem Heimatland Sachsen, erzogen. Genial begabt wird er ein Meister im gelehrten Gespräch. Ein irischer Bischof lehrte ihn die griechische Sprache. Bücherkisten begleiteten ihn sein Leben lang bis in die Heerlager hinein. Er gründete die Hofschule der Ottonen in Köln, den geistlichen Schulen ähnlich, aber als Institut der weltlichen Herrschaft, die erste landesfürstliche Hochschule. Viele bedeutende Männer waren Brunos Schüler. Für seine Zeit war Bruno einer der besten Kenner der antiken Philosophie. Wilhelm Schäfer meint („Auf den Spuren der alten Reichsherrlichkeit“), die frühreife Bildung der Ottonen scheine in Bruno ihren Schlüsselträger zu haben. Außerdem glaubt er, in dem Kulturträger Bruno seien die Bischöfe Bernward von Hildesheim, Williges von Mainz und Burchardt von Worms um ein halbes Jahrhundert vorweggenommen worden.

Landskron

2. Der Staatsmann und Politiker: Seit frühester Jugend hatte Bruno Land und Leute Lothringens kennengelernt. Dann war er in Ottos Kanzlei, mit 16 Jahren Kanzler und später Erzkanzler des Reiches. Alsdann folgt ein unerhörter Vorgang. Ein Geistlicher wurde Herzog! Und Bruno gewann Lothringen in musterhafter Verwaltung für das Reich. Lothringen erlebte nach dem rohen Zwentibold, dem zweideutigen Giselbert und dem überstrammen Konrad einen weltklugen und frommen, einen erfahrenen und nachdenkenden, starken und doch sich mäßigenden Fürsten.

3. Der Priester: Als Kleriker war Bruno ein Muster, ein glänzender Prediger. Er lebte streng, fast wie ein Einsiedler, auch an der Prunktafel sich zurückhaltend. Am liebsten trug er ein schlichtes Gewand. Als Abt in Lorsch und später als Erzbischof mußte er sich mit der Ordnung bzw. Reform des klösterlichen Lebens beschäftigen. Wo es notwendig war, konnte er streng durchgreifen.

Viele Reliquien brachte er ins Rheinland, bes. nach Köln. Als Erzkapellanus war er Verbindungsmann zwischen Kirche und Reich. Er gründete folgende Klöster: Groß St. Martin und das Stift St. Andreas in Köln, das Stift St. Patroklus in Soest. Die Gründung seines Herzens aber war St. Pantaleon zu Köln. Bruno steht am Anfang der Reihe großer Kölner Erzbischöfe, die auch in der Reichspolitik führend waren.

4. Bruno als Kirchenbauer: Unter ihm beginnt jener herrliche Rausch christlicher Begeisterung, der in ununterbrochenem Kunstschaffen Köln im ganzen Abendland als „heilige Stadt“ bekannt werden ließ. Köln wurde die Stadt der Kirchen, von denen St. Maria im Kapitol, St. Andreas, St. Cäcilia und St. Pantaleon durch Bruno angeregt worden sind. Insbesondere St. Pantaleon, großartig und beispielhaft angelegt, war steingewordene Idee Brunos.

5. Das griechische Weltbild als Fundament abendländischer Kultur: Peter Bamm sagt dazu 1962: „Erst unser Jahrhundert erinnert sich wieder der Kostbarkeiten der byzantinischen Kultur und der Rolle, die Byzanz in der Geschichte Europas gespielt hat.“

Wievieles Wissen, wieviele Bildung, wieviel Schönes, Feines, Zartes, die Sprache, die Gewandung, mancherlei Speisen, Pflanzen, Früchte und Blumen, die Bauten, die Kuppeln über der Stadt am Bosporus, die Hagia Sophia am Goldenen Hörn: alles das war Inbegriff des Griechischen, und das war damals Byzanz. Wer aber hat dieses fremdartig Südliche kennengelernt, schon in frühester Jugend studiert, nachempfunden, bewundert, ins Deutsche übertragen, in einer neugestalteten Schule gelehrt und dadurch mit am Fundament gebaut für die abendländische Kultur? Das war wiederum Bruno, der dem Heppinger Hof einen Namen gab, welcher tausend Jahre lang erhalten blieb und somit über diese unendlich lange Zeitspanne hinweg Erinnerung ist für jene Verschmelzung deutscher unverbrauchter Kraft mit edler uralter Griechenkultur.

Auf der Landskron, 15 Minuten Fußmarsch entfernt vom Pantaleonshof Heppingen, residiert 250 Jahre später die Gattin Philipps von Schwaben, Kaiserin Irene, und ihre Heimat war Byzanz. Ein eigentümlicher Zufall!

Das Gesamtbild Brunos

Sein Grab in der Krypta von St. Pantaleon hat eine Steinplatte ohne Namen, ohne Datum, ohne Krone, ohne Bischofsstab und ohne Heiligenschein. Alles das ist bei ihm nicht notwendig, denn bei ihm ist sowieso alles einmalig.

Religiöse, wissenschaftliche und politische Bildung vereint er in umfassender Form, ein wirklich vielseitiger Mensch! Sein taktvolles, kluges, sich selbst beschränkendes Wesen hat große Erfolge erzielt. Kein anderer Bischof ist so eng mit der Geschichte des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nationen verbunden wie Bruno.

Er hatte in seiner Hand mehr Ämter als je einer vor oder nach ihm! Dafür aber hatte er auch keine Ruhe, keine Pause, keine Erholung. Er wurde gehetzt, gejagt von Ort zu Ort, von Konflikt zu Konflikt. Er starb, erst 40 Jahre alt, nach heutigem Sprachgebrauch an der Managerkrankheit, im Streit gegen Mißtrauen, Zersetzung, Uneinigkeit, gegen den Wurm von innen.

Den Frieden, den er sich von St. Pantaleon erhoffte, hat er niemals genossen.

Letzte Frage:

Was hatte Heppingen mit Bruno zu tun?

Er war der in unserer Heimat verantwortliche Kirchenfürst und später auch noch der oberste Verwaltungschef, sprich Herzog! Er errichtete eine Stunde weit von hier wiederum die uralte Vinxtbachgrenze bei der Teilung Lothringens 959. Die persönlichen Besitztümer, die er in unsrer Heimat erwarb, lagen nördlich dieser Grenze im „Sinziger Reich“.

Er kannte sich hier aus, besonders an der unteren Ahr. Hier erwarb er Äcker und Weinberge, Wiesen und Wald und als Haupt- und Herzstück den Hof „Havingan“, den heutigen Pantaleonshof zu Heppingen.

Das war der Besitz, den er seinem Lieblingskloster testamentarisch vermachte. So geschehen im Jahre des Heils 965.