Stationen der Entwicklung eines zentralen Ortes
Altenahr im rheinischen Städteatlas
Dr. Peter Neu
Vom Rheinischen Städteatlas, in dem über 170 Städte und Stadtrechtsorte des Rheinlandes mit einer eigenen, wissenschaftlich fundierten Publikation bedacht werden, liegt inzwischen die Mappe Nr. 37, Altenahr, vor. Anläßlich der Vorstellung trug der Autor des Textteils, Dr. Peter Neu, in Ergänzung zum reichen Inhalt der Mappe einige interessante Aspekte der Altenahrer Geschichte vor, die eine Veröffentlichung im Heimatjahrbuch verdienen. D. Red.
Es muß etwas Besonderes um Altenahr sein. Schon vor rund 100 Jahren schrieb Karl Kollmann in seinem Rheinischen Wanderbuch (1892, S. 144): »Aber so viele nach Altenahr kommen, so wenige gehen weiter. Hier beginnt eine andere Landschaft, ernster und stiller. Höher wachsen die Berge hinan, tiefer steigen die Täler herab . ..«
Was wir heute als romantisch und schön empfinden, vor 150 und mehr Jahren war es der Grund des Klagens und Jammerns, denn wer konnte schon auf diesem Boden und in diesen Berghängen eine ausreichende Lebensgrundlage finden? Im Jahre 1854 schreibt so Gottfried Klinkel in seinem bekannten Buch über das Ahrtal, daß die Einwohner »bei der Enge der Feldmark fast ausschließlich auf Weinbau angewiesen sind. Daher jetzt große Armuth und vor etlichen Jahren eine kleine Auswanderung« stattgefunden hat (S. 63).
Der Kontrast wird vollends deutlich in der alten Überlieferung aus dem Jahre 1684, als angeblich acht Tage vor Pfingsten sich im Tal das Eis „noch auftürmte, als man aber am Pfingstmontag bereits »rings auf den Bergen reife Erdbeeren gesammelt« habe.
Wie nun kommt es, daß an dieser von Gegensätzen so sehr geprägten Talstelle eine Siedlung entstehen konnte, die zudem noch städtische Freiheiten erhielt? Verschiedene Faktoren haben hier — wie so oft — zusammengewirkt. Auch wenn keine römische Hauptverkehrsstraße durch Altenahr sicher bezeugt ist, so haben doch mittelalterliche Verkehrswege aus der Eifel über Altenahr in Richtung Köln – Bonn geführt. Fränkische und mittelalterliche Funde lassen darauf schließen, daß diese Stelle des Ahrtals schon unmittelbar nach der Völkerwanderung besiedelt war. Das seit etwa 1100 bezeugte Geschlecht von Ära oder von Ahr hat hier auf beherrschender Höhe schon früh eine Befestigung ihr eigen genannt. Im Hochmittelalter kommt die Burg in den Besitz des Kölner Erzbischofs, der hier längere Zeit Gefangene in sicherem Gewahrsam hielt, und die Sage berichtet ja, daß auch dann die Gefangenen sich noch nicht in Sicherheit wußten, wenn ihnen der Ausbruch aus dem Turmverlies gelang, denn bei vereisten und verschneiten Felshängen riskierte derjenige den Hals, der die schroffen Felswände hinabwollte. Angeblich gelang es nur einmal einigen Kölner Gefangenen. Dem Erzbischof von Köln steht schließlich allein 1656 nach einem Weistum zu »alle gewaltt, gebott und verbot!, klockenklanck und alles, wie sich von althers finden thuet«. Einer der Hauptarbeitgeber für die Bewohner des Tales war schließlich die Burgherrschaft. Bis die Burg um 1700 endgültig in Verfall geriet, waren hier neben dem Amtmann und den Burgmannen zahlreiche Boten, Pförtner, Knechte, Mägde in Dienst. Selbst 2 Förster und ein Gemsenaufseher standen noch 1716, als die Burg schon als zerfallen gemeldet wird, im Dienste der Festung Ähre. Hier saßen auch die Richter in weltlichen Dingen. »Zu Aldenahr under der Linden« wird zu Gericht gesessen, insgesamt sind uns für 1622 drei Gerichtstermine bekannt. Die Härte und Strenge der mittelalterlichen Gerichtspraxis sollten wir aus heutiger Sicht nicht überbewerten. So wissen wir aus den Akten Altenahrs aus der Zeit um 1550, daß die »Kindbetterin kein Rauchhuhn« abzuliefern braucht, sicherlich auch ein Vorteil in einer kinderreichen Zeit. Derselbe Rechnungsbeleg berichtet, daß »uf groesse Fastnacht mit den Leibangehoerigen« 3 Ahmen Wein vertan — das heißt getrunken — wurden. Zur Fastnacht verzehrt die Burgherrschaft mit »Priestern, Scheffen und Schradern« auf der Burg 11 Hühner. Man verstand es also sehr wohl, auch mit den Untertanen zu feiern und kein Fest auszulassen. Eine Kegelbahn wird schon im 18. Jahrhundert erwähnt, und Ende des 16. Jahrhunderts wird ein Spielmann genannt, der mit einem Handzettel des Erzbischofs in Altenahr ankommt und der damit ein Anrecht auf Unterkunft und Verpflegung auf der Burg hat. Den guten Altenahrer Wein wußte auch der Erzbischöf von Köln zu schätzen. So zog er 1551 in seiner Burg 14 Fuder ein. Aber natürlich trug auch der Wein im Orte dazu bei, daß hitzige Gemüter schnell aneinandergerieten. So heißt es in derselben Abrechnung, daß »der Wirt Johan im Dal des Scholtissen frauwe ein hoer gescholden, darzu sie in eynen arm gebissen«. Aber auch solche Vorfälle konnten dem Burgherren nur willkommen sein, denn sie brachten Geld als Buße in seine Kasse, in diesem Falle waren es 6 Mark. Auch über die Wettleidenschaften im Tal Altenahr berichtet dieselbe Burgrechnung.
Altenahr von Nordwesten. Lith. v. C. Hohe um 1845
Nun sind wir von der Burg also doch ins Tal gelangt. Letztlich ist die Entstehung des Ortes ohne die Burg kaum denkbar. In der Talsiedlung, die sich eng an die Burg anschloß, sind vermutlich auch Reste einer alten Siedlung des 10. Jahrhunderts einbezogen worden, die damals als »Roßbach« bezeichnet wird. Das Tal erhält eine Befestigung mit Türmen und Mauern. Das letzte Tor an der Ahrbrücke wurde 1804 in einem Hochwasser weggespült.
Die Bewohner der Talsiedlung durften ihren Ort schon 1394 »statt« nennen. Auch wenn keine förmliche Stadtrechtsverleihung bekannt ist, gab es für die Altenahrer gewisse Freiheiten. Sie sind »mit keinem Dhienst und wachten ahm Hauß A. beschwert«, sie sind »gleich anderen statten und flecken frey, und im falle der noth allein Ire pforten zu bewachen« verpflichtet. Das Jagdrecht auf »schädtliche Tier als Wildtschwein, wölf, fuchs, marder« steht ihnen ebenso zu wie das Fischereirecht auf einer begrenzten Ahrstrecke. Wahrscheinlich aber wurden diese Vorrechte vor allem in weniger fruchtbaren Jahren über Gebühr genutzt, so daß sich der Herr von Altenahr genötigt sah, 1716 das Jagdrecht rigoros einzuschränken. Mit dem Ende der Feudalzeit hat Altenahr endgültig alle Stadtrechte um 1800 verloren. Noch bei der Neuordnung des Rheinlandes 1814/1815 pochen die Einwohner von Altenahr auf besonderen Vorrechten, aber die Zeiten haben sich geändert. Der Ort hat sich nicht mehr darum bemüht, städtische Vorrechte zu erhalten. Schon immer aber waren die Bewohner des Ortes rege, betriebsame Menschen. In einem Schöffenprotokoll von 1605 wird allen Einwohnern das ausdrückliche Recht zuerkannt, »wirtschafft (zu) halten, weck und broit (zu) backen, Wein und Bier (zu) zapfen«. Er muß dazu vorher lediglich seine Kannen eichen lassen. Wen wundert es, daß dieser Erwerbszweig um so wichtiger wurde, je mobiler unsere Welt geworden ist. Schon zu Beginn unseres Jahrhunderts sind in Altenahr 11 Hotels und »Beherbergungsunternehmen« registriert, 1980 zählt der Ort 20 Hotels und 25 Gaststätten, hinzu kommen 7 Pensionen. Um 1873 berichtete der Pfarrer von Altenahr seinem Bischof nach Trier, daß in seiner Pfarrei »ein so großer Fremdenbetrieb herrscht gleich wie an Badeörtern«. Was dem Pfarrer damals noch gar nicht recht gefallen wollte, heute hat sich jeder daran gewöhnt. Schließlich war der Pfarrer von Altenahr immer schon eine bedeutende Persönlichkeit gewesen. Er verwaltete eine Pfarrei und eine Kirche, die sich stolz »Ritter-Pfarrkirche« bezeichnen konnte. Das hängt damit zusammen, daß dem Besitzer von Burg Altenahr seit dem Mittelalter das Recht der Pfarrer-Ernennung zustand. Um 1400 üben die Burgmannen zusammen mit dem Burgherren dieses Recht aus. Der Pfarrer übernahm in dem kleinen gefreiten Ort aber auch eine andere Funktion. Nachdem das alte Hospital zerfallen war, mußte er jederzeit so viel Wein und Lebensmittel bereithalten, daß er »in der noth Armen, Krancken und Kindtbetterinnen umb Gottes willen . . . umb ein pillig preiß damit könne« aushelfen.
Zustände und Verhältnisse in Altenahr haben sich endgültig und grundlegend geändert. Fast 50 Prozent der Erwerbstätigen leben heute von Dienstleistungen, nur noch etwa 2 Prozent geben als Erwerbsquelle Land- und Forstwirtschaft an. Vor einigen Jahrzehnten und einem Jahrhundert wäre das Verhältnis fast umgekehrt gewesen. Andere Erwerbsquellen gab es immer nur in beschränktem Maße. Die um 1690 im Amt Altenahr erwähnten »Bergwerke« gingen rasch unter. Erzgruben bei Brück und Bleigruben bei Lind wie auch der Hoffnungsbau auf Zink um 1850 wurden mit viel Begeisterung begonnen, brachten jedoch nie das erwartete und erhoffte Ergebnis. Öl-, Loh-, Mahl- und Schleifmühlen an der Ahr hatten dann schon eher Bestand.
Auch das Gesundheitswesen hat sich erst in unserem Jahrhundert so etabliert, daß für Einwohner und Gäste gesorgt ist. Noch im vergangenen Jahrhundert wurde gleich zweimal die Errichtung einer Apotheke abgelehnt. Endgültig scheinen auch die Zeiten vorbei, daß ein einziger Lehrer — wie für 1790 überliefert — 150 Kinder betreuen muß. Ein vor rund 100 Jahren genehmigtes Mädchen-Pensionat scheint zwar wenig Anklang gefunden zu haben, aber heute hat der Ort mit der Hauptschule Altenahr-Altenburg eine modern eingerichtete Schule, wie sie für unsere Ahnen noch undenkbar gewesen ist. Auch wenn die Burg Altenahr längst zerfallen ist, auch wenn die Erinnerung an eine Stadtbefestigung fast vergessen und die bürgerlichen Vorrechte des Mittelalters längst wertlos geworden sind, in Altenahr kann man stolz sein auf eine reiche historische Vergangenheit und auf eine Geschichte, die für einen Ort dieser Größe außerordentlich ist. Davon soll auch die Mappe Altenahr im Rheinischen Städteatlas Zeugnis ablegen.