Stadtbibliothek Bad Neuenahr Ahrweiler
Margot-Gabriele Bode
Sie wurde — und wird — mit Worten gerühmt, mit denen man Meisterwerke bedenkt: bildschönes Schmuckstück, seltenes Kleinod, wertvoller Schatz, wohlgelungene Kostbarkeit. Die Kreis- und Kurstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler besitzt seit dem Frühjahr 1978 eine Stadtbibliothek, die dieses Namens nicht nur dank ihres Bücherbestandes würdig ist, sondern ihrer Zweckbestimmung besonders durch ihre Unterbringung in einem mustergültig neugestalteten historischen Gebäude gerecht wird.
In der Woche vom 3. bis zum 10. April 1978 zog die städtische Bücherei aus ihren engen Räumlichkeiten im Rathaus Bad Neuenahr-Ahrweiler an der Hauptstraße und hielt Einzug in ihr neues Domizil an der Ecke Kurgarten-straße/Mittelstraße/Willibrordusstraße. Im ehemaligen Kurpfälzischen Rentmeistereigebäude und späteren Bad Neuenahrer Pfarrhaus, das 1971 von der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler erworben wurde, fand am 30. Mai die offizielle Einweihung der außen wie innen „bildschönen“ Stadtbibliothek Bad Neuenahr-Ahrweiler statt. Die öffentliche Bücherei der Kreis- und Kurstadt — groß und klein, alt aund jung, Bürgern und Kurgästen gleichermaßen zugänglich — entstand auf geschichtsträchtigem Grund in einem geschichtsträchtigen Gebäude, das bis zu seiner Wiedererweckung viele Jahre in einem Dornröschenschlaf geschlummert hatte und dem Zerfall preisgegeben war.
Bereits um 1400 gab es auf dem Gelände an der Ecke Mittelstraße/Willibrordusstraße einen
Weinhof der Grafen von Neuenahr. In den Jahren 1608 bis 1610 wurde die Rentmeisterei errichtet, die 1691 von französischen Soldaten eingeäschert wurde. Der Wiederaufbau folgte um 1710. Ab 1822 bis 1901 diente das ehemalige Rentmeistereigebäude als katholisches Rarrhaus des Ortsteiles Beul der Gemeinde Neuenahr. Dem Pfarrherrn verdankten es die bis zum heutigen Tag in Bad Neuenahr ansässigen Klarissenschwestern, daß sie 1920 im alten Rathaus eine Heimstatt fanden, aus der sie im Jahr 1928 in das — inzwischen abgerissene — Klostergebäude an der Uhlandstraße übersiedelten. Das alte Pfarrhaus wurde in der Folge als katholisches Vereinshaus genutzt.
Über die Geschichte des früheren Rentmeistereigebäudes und späteren Pfarrhauses müssen Besucher der neuen Stadtbibliothek nicht rätseln: im Foyer der öffentlichen Bücherei gibt eine von Peter A. Schmitt mit viel Mühe und Sorgfalt gestaltete hölzerne Tafel über historische Daten und wechselnde Verwendungen Aufschluß.
Bei der Einweihung einer städtischen Bibliothek in einem umgestalteten und einer neuen Nutzung zugeführten historischen Gebäude durfte und konnte die Historie nicht ausgeklammert werden. Sie wurde es nicht — nicht die auf der hölzernen Tafel im Sprung durch die Jahrhunderte wiedergegebene und nicht die eines bestimmten Zeitraumes, der Jahre 1920 bis 1928, als aus dem alten Pfarrhaus „dat Klüsterche“ geworden war.
Berufener Schilderer dieses Zeitabschnittes war den Einweihungsgästen ein „Neuenahrer Jong“: Dr. Josef Ruland, im „Schatten“ des Klösterchens aufgewachsen, heute Geschäftsführer des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz. Er sprach nicht über Bauzeit und Baukosten, sondern über die Erlebnisse und Eindrücke eines Schuljungen und Meßdieners der Zwanziger Jahre. „Köstliches erfrischendes Lokalkolorit“. Erinnerungen, die manche „alten Neuenahrer“ mit ihm teilen.
Aus „seiner Zeit“, der Zeit der Klarissen im „Klüsterche“, wußte Dr. Ruland zu berichten, daß die Ordensschwestern „mit ihren hellen Stimmen aus der Klausur hinter Gittern den Gottesdienst hier im Hause veschönten“ und daß es eine Auszeichnung war, bei ihnen in der Messe zu dienen, weil es nach dem Gottesdienst immer etwas gab: „Entweder eine krantige Bemerkung, denn hier wurde mit Kennermiene geurteilt, oder, wenn man seine Sache gut gemacht hatte, Anisplätzchen.“
„Die Messe hier im Hause (der heutigen Stadtbibliothek) hielt entweder Studienrat Schmitt, der auf der Hochstraße wohnte, oder auch schon mal der alte Pfarrer Flock, der es auf mehr als 90 Lebensjahre brachte und angeblich die Messen in ihren festen wie auch beweglichen Teilen im Kopf hatte, weil er fast blind war, der aber doch bei näherem Zuhören auch schon mal Teile ausließ oder hinzufügte.“
Der mit dem Monogramm des Kurfürsten Karl Philipp bekrönte Torbogen gibt von der MittelstraBe den Blick frei auf das Gelände der heutigen Stadtbibliothek
„Damals wohnte quer über den Platz Hoch-straße/Willibrordusstraße der Dentist Hedel, vor dessen Tretbohrmaschine wir alle fürchterliche Angst hatten. Vielleicht hatten wir Neuenahrer Jungen und Mädchen auch so gute Zähne. Hedel war dann ein großer Gönner im hiesigen Eifelverein. Hedel gegenüber stand bis Ende der Zwanziger Jahre ein landwirtschaftlich genutzter Hof. An seine Stelle kam später die Straßenumgehung des Kurgartens und daneben die Statue des heiligen Wiilibrordus. Auf der anderen Seite des Klösterchens, des Rentmeisterhofes, wohnte Dr. Felsch. Für ältere Neuenahrer ein fester Begriff. Er war flott, forsch und dem Leben sehr zugetan. Er wohnte also in dem Haus, in dem Beethoven bei den Stockhausens zu Besuch war“, im Beethovenhaus an der Mittelstraße.
„So sah das also in dieser Gegend aus. Wir mußten täglich hier vorbei, wenn wir vor allem unseren Deputat-Sprudel mittags um ein Uhr zapfen durften. Das Gebäude stand parallel zur Willibrordusstraße. Der jetzige Standort kommt dem ursprünglichen nahe. Das Haus selbst hatte Verwitterungsspuren, denn die Klarissen sollten bald nach Hemmessen umziehen. Dieses alte Haus hatte also Patina, und das jetzige Gebäude wird hoffentlich auch bald Patina bekommen. Dann wird es noch gemütlicher.“
In der Stadtbibliothek sprach der „erklärte Bücherfreund“ Dr. Ruland von Büchern, von Literatur: „Dieses Gebäude hat, wenn auch indirekt, Literatur erlebt. Neuenahr hatte zwei Dichter als Bürger, die es zu Erfolg brachten. Eines der Gedichte von Wolfgang Müller aus Königswinter, der hier starb, das Gedicht vom .Goldenen Pflug‘ mußten wir alle im vierten Schuljahr auswendig lernen. Den anderen Literaten hatten wir täglich vor Augen in der Kirche, in der Schule: das war unser Kaplan Johannes Kirschweng. Seine erste Novelle ,Der Überfall der Jahrhunderte‘ erschien gedruckt, als Kirschweng seine Tätigkeit als Kaplan in Neuenahr aufnahm.“
„Kirschweng hatte übrigens seine eigenen Verhaltensweisen. Zum Beispiel mochte er die Klarissen nicht. Er war dem Leben nicht abhold. Ferner pflegte er sonntags morgens in der ,ahl Kirch‘ eine Messe mit Predigt zu halten. Diese überlegte er auf dem Weg vom Pfarrhaus zur Kirche. Also durfte ihn auf diesem Weg zur Kirche niemand stören. Seine Predigten hatten hohes Niveau und zogen viele Kenner in die ,ahl Kirch‘. Die Orgel in diesen Gottesdiensten spielte Bäckermeister Ulrich.“
„Kirschweng besaß ein gutes Maß Einbildung und Stolz. Er schrieb damals an seinem Märchenbuch ,Der goldene Nebel‘, aus dem er uns einmal bei guter Laune ein Märchen erzählte. Er konnte wunderbar sprechen. Es war ein Vergnügen, ihm zuzuhören. Dem Märchenband folgte die Erzählung „Der Nußbaum‘ und dann die literarische Sensation: Kirschweng wurde um 1930 aus Neuenahr versetzt. Er kannte also den Ort und seine Bürger mit ihren Schwächen. Ich weiß es deshalb so gut, weil er jeden Sonntag nach der Messe hier oben bei meinem Vater vorbeikam. Da gab es immer eine Bouillon. Kirschweng war ein Freund der französischen Küche. Da wurde dann gefachsimpelt. Ich weiß noch, wie er vor seinem Weggang die „Pfeile und Köcher bereithielt. Das Büchlein hieß dann .Geschwister Sörb‘. Es spielte in Altenkrähe, war aber auf Neuenahr abgestimmt. Ein großes Rätselraten begann, wer diese Geschwister sein könnten. Es war jedenfalls eine echte Sensation.“
Dr. Ruland, der zuvor auch vom begabten Maler und Lehrer Steinborn, von Dr. Eich, von Fräulein Simonis und vom Zipp, „dessen Methode sehr streng war“, berichtet hatte, schloß: „Die Novelle. Geschwister Sörb ist eine Schlüsselerzählung wie das Ahrtal keine andere aufzuweisen hat, und es ist schade, daß die Literaturführer der Bundesrepublik das Werk Kirschwengs ausschließlich an die Saar verlegen, wo er beheimatet war, aber hier in Neuenahr hatte er ein weit größeres Publikum als daheim.“
Überflüssig zu betonen, mit welch großer Aufmerksamkeit diesen Plaudereien von „Eingeborenen“ und „Zugereisten“ in der neuen Stadtbibliothek zugehört wurde. Nicht minder groß war die Aufmerksamkeit aber auch bei den Ansprachen von Bürgermeister Rudolf Weltken, Staatssekretär Horst Langes aus dem rheinland-pfälzischen Kultusministerium Landrat Dr. Egon Plümer und Diplom-Bibliothekarin Waltraut Thormann, der Leiterin der Stadtbücherei.
Bürgermeister Weltken sprach im Superlativ und nannte die neue Stadtbibliothek, die einschließlich Einrichtung und Außenanlagen rund 1,28 Millionen Mark kostete, aus zwei Gründen „optimal gelungen“. Zum einen stellte er fest, die Bedeutung einer öffentlichen Bücherei sei selbstverständlich daran zu messen, was sie bietet, wie viele Bände zur Verfügung stehen und welche Interessengebiete vertreten sind, und sagte: „Ich glaube, auf diesem Gebiet brauchen wir Vergleiche nach relativ kurzer Zeit nicht zu scheuen. Seit dem Tag der Eröffnung der Stadtbibliothek am 1. April 1975 (im Rathaus. D. Verf.) hat sich der Buchbestand auf heute 10 316 Bände erhöht. Die Zahlen der Leser — 2278 — und der Ausleihungen — 1977:39 491 — sprechen für sich“. Zum anderen richtete er das Augenmerk auf die äußere und innere Gestaltung der Bibliothek, bestechend durch Holz, Schmiedeeisen und freundliche warme Farben, und wollte das neue Schmuckstück der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler auch als Zeichen einer Haltung von Stadtrat und Bürgern verstanden wissen, die in der gern geübten Pflicht zur Erhaltung und Pflege überlieferten Kulturgutes bestehe.
Ein stattliches Bücherangebot erwartet heute schon den Benutzer der Stadtbibliothek Bad Neuenahr-Ahrweiler
Fotos: Kreisbildstelle
Mehr als 10300 Bücher — ein stattliche Bestand, aber bei weitem nicht das Endziel. In der Bücherei, auf den langen hellen Holzregalen, müssen Lücken bisweilen kaschiert werden, und Diplom-Bibliothekarin Waltraut Thormann oder ihre Mitarbeiterinnen Angela Bicht und Christine Bresler werden manchmal gefragt, warum auf den beiden Etagen des Längstraktes so viele Regale stehen.
Die Stadtbibliothek ist auf rund 30 000 Bände ausgelegt, für die alle erforderlichen Einrichtungsgegenstände bereits angeschafft sind, um nicht jährlich oder im Abstand von zwei Jahren nachkaufen zu müssen. Jahr für Jahr
will der Stadtrat, so ist es abgesprochen, aus öffentlichen Mitteln 45000 Mark für den Kauf weiterer Bücher bereitstellen — ein Betrag, für den Waltraut Thormann unter weitgehender Berücksichtigung der Leserwünsche jeweils etwas mehr als 2 000 neue Bücher aussuchen kann.
Die Bücher werden von der Leiterin der Stadtbibliothek selbstverständlich gezielt ausgewählt, und Leserwünsche sind ein gewichtiges, aber nicht das einzige Kriterium. Da sollte ein Werk des Schriftstellers vorhanden sein, der soeben den Literaturnobelpreis erhielt, da die Neuerscheinung eines Autors, dessen Name Bestseller garantiert, da die Veröffentlichung eines anerkannten Experten, die gerade in aller Munde ist, da dieses Sachbuch, da dieser Unterhaltungsroman.
Ein kleiner Überblick über das Angebot? Im Erdgeschoß finden sich schöngeistige Literatur, Unterhaltungsromane, Jugendbücher, Kinderbücher und Bilderbücher. Der erste Stock ist den Sachbüchern vorbehalten — ein weites Feld. Erdkunde, Länderkunde, Völkerkunde, Heimatkunde, Geschichte, Zeitgeschichte, Kulturgeschichte, Volkskunde, Recht, Erinnerungen, Briefe, Gesellschaft, Staat, Politik, Wirtschaft, Religion, Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Sprache, Literatur, Bildende Kunst, Musik, Tanz, Theater, Film, Funk, Fernsehen, Mathematik, Naturwissenschaften, Medizin, Technik, Handwerk, Gewerbe, Landwirtschaft, Hauswirtschaft, Leibesübungen, Spiele und Basteln.
Anerkennung, Bewunderung, Lob und Dank brachte Staatssekretärt Langes zur Einweihung der Stadtbibliothek Bad Neuenahr-Ahrweiler mit: „Beispielhaftes ist geschehen!“. Der Vertreter der Landesregierung stellte fest, es sei in Bad Neuenahr-Ahrweiler vorbildlich gelungen, ein kulturhistorisch bedeutsames Gebäude, das ungenutzt und dem Verfall preisgegeben war, wieder zu beleben und einer sinnvollen Verwendung zuzuführen.
Als „hervorragend“ bezeichnete Langes die Lage der neuen Stadtbibliothek, die dank ihrer Außengestaltung mit den Gebäuden und Anlagen in der Nachbarschaft eine Einheit bilde und sich nicht zuletzt durch ihre Nähe zum Kurpark auszeichne. Wie der Staatssekretär meinte, werde Gästen und Bürgern in Bad
Neuenahr-Ahrweiler gleichsam eine doppelte Kur geboten: körperlich und geistig.
Besonders widmete sich der Vertreter der Landesregierung der Altenbibliothek, ein ebenso gemütlicher wie heller Raum im Erdgeschoß des alten Pfarrhauses. Dort werden die Besucher von Büchern mit besonders großen Lettern, Zeitschriften und Broschüren zu vielen Themenkreisen erwartet und haben die Möglichkeit, Sprache und Musik von Ton band kassetten zu hören. Bequeme Sitzgruppen laden nicht nur zum Verweilen bei Büchern und Musik, sondern auch zum Verweilen bei Mitmenschen, zum Gespräch, zur Pflege gemeinsamer Interessen ein.
Die nächste Umgebung der neuen Stadtbibliothek, des hell verputzten Gebäudes mit seinen grün gestrichenen Fensterläden, verdient einen kleinen Rundgang — besonders wegen des Torbogens mit Schlußstein an der Mittelstraße, nicht minder aber wegen der Harmonie und der Liebe zum Detail, die der Gesamtkomplex ausstrahlt.
Da sprudelt an der Ecke Mittelstraße/Willibrordusstraße in einem kleinen Hof mit Ruhebänken, Sträuchern, Blumen und Laternen ein munterer Brunnen, da paßt sich sogar ein so zweckbestimmtes Geländestück wie der Parkplatz an der Südseite des alten Pfarrhauses mit Laternen und angelegten Parkbuchten ein, da werden nicht einmal die halt unentbehrlichen Papierkörbe als störend empfunden.
An der Südseite der neuen Stadtbibliothek — dort, wo sich heute der Parkplatz befindet — stand früher in einem verwilderten Garten ein einsamer Torbogen, der Jetzt an der Mittelstraße ins rechte Licht — sprich: Blickfeld — gerückt ist. Bogen und Schlußstein sind eine kleine Kostbarkeit mehr. Der Stein trägt das Monogramm des Kurfürsten Karl Philipp.
Zwei Jahre dauerte es — die Bauzeit betrug exakt 22 Monate — vom Beschluß des Stadtrates Bad Neuenahr-Ahrweiler, der sich im Mai 1976 keineswegs einstimmig für die Restaurierung und Umgestaltung des alten Pfarrhauses aussprach, bis zur Einweihung der neuen Stadtbibliothek, mit der die Kreis- und Kurstadt an der Ahr ein Kleinod ihr eigen nennen darf.