„Spuren“ – Eine Wanderausstellung der Are-Künstlergilde

„Spuren“ – Eine Wanderausstellung der Are-Künstlergilde

Johannes Friedrich Luxem

In Zusammenarbeit mit der Kreissparkasse Ahrweiler führte die Are-Gilde – älteste Künstlergruppe im Lande Rheinland-Pfalz – eine Wanderausstellung mit dem Titel „SPUREN“ durch, die an vier Orten des Landkreises – in Ringen, Adenau, Burgbrohl und Sinzig – von 15. Mai bis 7. Juli 1995 gezeigt wurde.

„Spuren“ und zugleich „Spurensuche“ bildlich wiederzugeben stellte die Gilde – Mitglieder gewiß vor eine nicht leicht zu lösende künstlerische Aufgabe, da die Auffassungen über das Thema sowie eine große Deutungsbreite vom Sujet und den Darstellungstechniken her vielfältige Möglichkeiten einer adäquaten Wiedergabe zuließen. So reichte denn auch die Bandbreite der Bilder, Graphiken, Photographienund Plastiken von sachlicher Wiedergabe, Darstellung realistischer Gegebenheiten über vereinfachende Formen und gegenstandslose Bilder bis hin zu reiner Abstraktion. Viele Werke – und dies wollten die Autoren sicher – gaben Rätsel auf, die den Zuschauerzu eigenen Lösungsversuchen aufforderten und die, je nach Veranlagung und Weltsicht des Betrachters eigene Interpretationen erlaubten. Solche Werke besaßen indessen den Reiz, beim Schauenden Assoziationen auszulösen, so daß er sich in die Lage versetzt fühlte, über die ursprüngliche Absicht der Künstler hinaus selbst Deutungen zu suchen und zu finden.

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Johannes Friedrich Luxem: „Höhlenspuren“ Cro-Magnon (Mischtechnik), 1995.

Insgesamt traf man die Feststellung, daß es für die Gruppe der Are-Gilde anregend und förderlich sei, einmal eine Thematik zu wählen, die Anlaß zu regen Auseinandersetzungen gebe und die nicht leicht zu bewältigen sei.

An der Ausstellung beteiligten sich die Gilde-Mitglieder Rudolf Böhmer, Klaus Dünker, Ibolya Dumitrescu-Ziegler, Inge Gießmann-Smolkow-ski, Rainer Heß, Jutta Ihmig, Dr. Conrad P. Joist, Thilo Kadach, Bernhard Kalley, Otto Kley, Gerd Lehnen, Johannes Friedrich Luxem, Ursula Maas, Sven Schalenberg, Dorle Schweiß, Franz Ulrich, Maria Velkel und Dr. Marliese Wagner.

Ausstellungsleiter Otto Kley und Geschäftsführerin Dr. Marliese Wagner stellten die Exponate zusammen.

Als literarisches Pendant erschien zur Wanderausstellung eine Broschüre mit dem Titel „SPUREN“, verfaßt von Jo. Fr. Luxem, gestaltet vom Designer Thilo Kadach und mit einem Vorwort versehen vom Gilde-Präsidenten Professor Dr. Bernhard Kreutzberg. Aus dieser Broschüre werden hier einige Betrachtungen wiedergegeben.

Spurensuche

„Wo sind die Jahre geblieben? – Ja, sie sind an uns nicht spurlos verübergegangen!“ Wie viele ältere Menschen haben sich diese Frage schon gestellt und in den Spiegel geschaut. Und dort, im Spiegelbild, im Abbild, entdecken sie jene Spuren, die – wie man so rasch sagt – das Leben geschrieben, die Zeit eingegraben hat.

Eine Spur, Spuren – was ist das? Viele Gegensätze liegen in diesem so häufig verwendeten Wort. Manches ist äußerst flüchtig, rasch

vergehend, nur für Augenblicke, Stunden, für einen Tag von Bestand. Doch wieviel Spuren gibt es, die Jahrtausende überdauerten, Zeichen urferner Zeiten und unserer Vorfahren, von denen sie stammen. Rätsel und Geheimnisse von Spuren auf dieser Erde! Es mögen Abdrücke von Füßen sein in Sand oder Schnee, Prägungen, rasch vergehend, verweht vom Wind, ausgelöscht von der Kraft der Elemente, von Sonnenglut, von Sturm, von Regen und Feuer. Spuren – nichts Bleibendes, flüchtig, verändert, zerstört, keine Botschaft für die Nachfahren! Wunderbarerweise aber gibt es Zeichen menschlicher Existenz, die Jahrtausende überstanden, Jahrhunderttausende wie die Fußspuren einer Hominidenfamilie, der Abdruck eines Kinderfüßchens, konserviert in versteinerter Tonschicht.

Spuren früher Vorfahren blieben farbenprächtig erhalten in den Höhlen der großen Jäger, in Altmaria, Lascaux Rouffignac, Höhlenbilder voll magischer Kraft. Spuren unter Sand und Ascheschichten: Formen frühzeitlicher Bestattungsri-tuale, Idole der Fruchtbarkeit, Pfeilspitzen, Schalen, Ritzzeichnungen auf Mammutzähnen, Knochen in der Asche erloschener Feuerstellen. Bleibende Spuren, tausendfach entdeckt in allen Teilen der Erde, Reste, Fragmente, Tempel, Säulen, Statuen, Zeichen auf Felsen, Obelisken mit Hieroglyphen und Zeichen auf Papyros, voller Rätsel. Es sind Botschaften hin zu uns Lebenden durch die Jahrtausende. 

Terra Sigillata 

Die Kinder der Rheindörfer wissen es genau: nach jeder Überschwemmung, immer, wenn der Strom steigt, Uferböschungen und Wiesen überflutet, erwacht ihr Such- und Sammeleifer, forschen sie nach Spuren aus der Römerzeit, haben sie Sammlerglück, werden fündig.

Fließt der Strom wieder zurück in sein Bett, treten Spuren der Überflutung offen zutage, Baumstämme, Kisten, Stroh, Dosen, Gerumpel. Wie glänzende Standarten wehen Plastikbahnen von den Zweigen der Uferweiden, Markierungen des Hochwassers. Die Kinder aber suchen zwischen Geröll, Holzstücken, vielerlei Angeschwemmtem nach jenen rötlich schimmernden Ziegelresten, Bruckstücken von Schalen, Krügen aus der Römerzeit: terra sigillata. Sie wissen, daß zwischen Sinzig und Remagen in der Ebene der Schwemmlandböden der Goldenen Meile neben römischem Kastell Ziegeleien und Töpfereien standen. Eifrige kleine Sucher, dem Urtrieb von Jägern und Sammlern folgend, durchstöbern sie das Flußufer, finden und sammeln Scherben, Reste von Gefäßen, Bruckstücke von Ziegeln. Sie bringen ihre Funde, Zeugen römischer Handwerkskunst, in die Heimatmuseumsecke ihrer Schule, die ihnen ein findiger Lehrer einrichtete. Über den Fundstücken aber prangt in Blockschrift ein Motto mit Bedeutung einer Aufforderung zum Forschen und Entdecken: AUF DEN SPUREN DER RÖMER.

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Rainer Hess; „Spuren 3″ (Schabetechnik).

Lebensspuren

Im Heimatmuseum der Genovevaburg zu May-en hängt ein Gemälde des Eifelmalers Curtius Schulten aus Blankenheim. Der Titel lautet schlicht: „Eifelbäuerin“.

Der Künstler hat die alte Frau dominierend in den Bildmittelpunkt gestellt. Im Hintergrund des ausdruckstarken Portraits erblickt der Betrachter die Konturen der Kegel erloschener Vulkane, umsäumt von dunklen Wäldern und kargen Äckern. Das Antlitz der alten Frau nimmt den Schauenden gefangen, fesselt geradezu durch realistische Wiedergabe.

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Sven Schalenberg: Pflug und Flug, 1992 (Öl/Nessel).

Viele Spuren sind es, die ein Leben voller Arbeit und Entbehrungen eingezeichnet hat in dieses Menschenantlitz. Spuren, die ablesbar sind von Entstehung und Bedeutung her, Lebenslinien einer Schrift in lebendiger, eindringlicher Zeichensprache. Die Hände der alten Frau sind gefaltet. Auch auf ihnen hat der Maler jene Spüren festgehalten, die das Leben schrieb. Es sind abgearbeitete Hände, faltig und gekrümmt, so, als sei ihnen die Fähigkeit, sich zu strecken vom lebenslangen Zupacken, vom Festhaltenmüssen vom Heben und Tragen gänzlich abhanden gekommen. Das Bild wird so zum Symbol der kargen, schönen Landschaft der Vulkan-eitel: Land der Domberge, der Spitzkegel und Kuppen als Spuren der erloschenen Feuer – auf den Händen und im Antlitz der Bäuerin Spuren arbeitssamen Lebens und einer tiefen Frömmigkeit.

Flammenspuren

Flammen der Martinsfeuer auf den Höhen der Ahrberge: ungezählte Feuerzungen, Flammenvögel mit Rotgelbgefieder, Federn lassend, lange, lanzettförmige Gebilde. Sie unterliegen fremden Gesetzen einer Verwandlung; ihre Spitzen lösen sich auf, zerstieben in silbrigem Funkenregen in das Blau der Nacht. Feuerspuren, Ströme, Glut, Hitze; ein Glimmen durchs Dunkel. Schwankend, im Kreis grellbunte Fackeln, Monde, Sterne, Silhouetten, Knolleköpp, Signale kindlicher Lust an Licht und Vermummung.

Bei erlöschendem Feuer ein Scheit aus der Glut fischen, das glosende Ende nach oben. Dann ein heftiges Kreisen durch die Luft. Aus rotem Glühpunkt entsteht eine ununterbrochene geheimnisvolle Linie. Sie zeichnet rote Spuren in nächtliche Schwärze, Kreise, Kringel, Spiralen:

Feuerschrift auf der weiten Tafel der Nacht. Bergabwärts Fackeln wie Irrlichter den gewundenen Weg hinab. Sankt Martin, der barmherzige Mantelteiler, hebt hoch zu Roß grüßend die Hand. Im Fackelschein glänzt golden der Helm des gewappneten Centurio, im Eifelwind weht sein Mantel wie eine dunkelrote erlöschende Flamme. Hutenfeuer in steilen Weinbergen um Ahrweiler, hunderte Lichter wie Glutbänder im Samtdunkel der Nacht. Spuren kindlicher Freude, Spuren uralten christlichen Brautums unserer Heimat. 

Sanduhr

Es gibt, so sagt man, eine untrennbare Bindung von Spuren und Zeit – Spur der Zeit, Zeitspuren, meßbar, sichtbar, werdend in rieselndem Sand, eingeschlossen in den Glaskegeln der Sanduhr.

Beim Betrachten des alten Gerätes, der in seinem Innern verrieselnden Quarzitkristalle wird es wie von selbst zum Symbol unserer eigenen verrinnenden Zeit in ihrer erschreckenden Flüchtigkeit.

Die Zeit, unsere Zeit, verrinnt. Unaufhaltsam läuft der feine Sand durch die Engstelle des Zeitmessers, fällt, dem Gesetz der Gravitation gehorchend auf den ebenmäßigen Sandkegel im unteren Glase und erzeugt dort beim Aurtreffen dünne Rillen, Spuren der Bewegung. Unsere Zeit wird gemessen, Kontinuum bei gleichzeitig ununterbrochener Bewegung Millionen feinster Sandpartikel. Spuren der Zeit, Spuren unserer Erdentage:

zugleich Wegweiser hin zum Transzendentalen. Und von dem, das wir, wenn wir gehen, als kleine vergängliche Spur hinterlassen, wünschen wir, daß unsere Nachfahren es gedenkend erhalten…