Sprachplauderei für die Landwirtschaft
PROFESSOR WAGNER
„Labor omnia vicit
improbus et duris urgens in rebus egestas.“
„Alles besieget
unablässiger Fleiß und die Not des drückenden Mangels.“
So sang der römische Dichter Vergil (er lebte 70—19 v. Chr. G.) in seinen ländlichen Gedichten, Georgica lib. I vers 145/6.
Als die Römer nach der Eroberung Galliens durch C. Jul. Caesar in den Jahren 58—50 v. Chr. an den Rhein vordrangen, fanden sie zunächst nicht allzu viel Widerstand. Aber die Bedrückung und der Freiheitsdrang der unterjochten Volksstämme führten zu vielen Aufständen gegen die Römer; es seien nur genannt die Aufstände der Treverer, der Eburonen und der Bataver, die allerdings mit Gewalt und Tücke niedergeschlagen wurden. Allein das besiegte Land hatte sehr gelitten, die Eburonen waren gänzlich vernichtet, die an sich schon, besonders im Gebirge, dünn gesäten Siedlungen waren vielfach zerstört oder verlassen, so daß der Heeresbedarf der Römer nicht mehr von der ansässigen Bevölkerung geliefert werden konnte. Daher mußten die Römer selbst Hand anlegen, sie mußten ihre Soldaten arbeiten lassen: in Ziegeleien, Töpfereien, Steinbrüchen, Eisenschmelzen und auch besonders in der Landwirtschaft, die ihre Verpflegung sichern mußte, da ein Nachschub aus Gallien oder gar Italien geradezu unmöglich war. Die Landwirtschaft wurde betrieben teils in kaiserlichen Domänen, auf denen Soldaten beschäftigt wurden, teils von Pächtern (coloni) im Großgrundbesitz, die eine gewisse Selbständigkeit besaßen, und schließlich auch, wohl zum geringeren Teil, im Kleingrundbesitz. Den deutlichsten Beweis dieser landwirtschaftlichen Tätigkeit der Römer erbringen außer einigen Denkmälern die deutschen Wörter, die aus dem Lateinischen entlehnt sind, soweit sie auf die Landwirtschaft Bezug haben, als da sind: Bezeichnung der Zugtiere, der landwirtschaftlichen Gerätschaften, allgemeine Ausdrücke vom Ackerbau und die Namen von Obstarten.
ZUGTIERE:
Das wichtigste Zugtier für die Landwirtschaft war wohl und ist bis in unsere Tage das Pferd (mittelhochdeutsch pfert, althochdeutsch pferfrit mit vielen Nebenformen). Das Wort ist entlehnt aus dem mittellat. pavaveredus, Nebenpferd, Postbeipferd. Der 1. Teil ist das griechische para = bei, der 2. Teil veredus beruht auf dem keltischen reda = Wagen.
Maultier, ahd. mul, ist zurückzuführen auf das lat. mulus; das Maultier ist ein Bastard von einem Eselhengst und einer Pferdestute, es ist pferdeähnlich und sehr ausdauernd. Der Zusatz -tier findet sich ebenso in Murmeltier, Renntier und Elentier. Der Maulesel ist eine Kreuzung von Pferdehengst mit Esel- . stute; er ist, wie schon der Name besagt, eselähnlich. — Zuletzt der Lastträger, der schon mehrfach genannte Esel (ahd. esil); das Wort ist entlehnt aus dem lat. asinus; der Obergang von lat. n in l ist erst germanisch, während die romanischen Sprachen n beibehalten haben, z. B. span. asno. Die beiden Selbstleute a und i des lat. Wortes asinus erinnern uns eindringlich an die schöne Stimme des langohrigen Grauschimmels, die wir als Kinder mit i-a nachahmten; die Nachahmung der Naturlaute ist eine Hauptwurzel der menschlichen Sprache. Die Entlehnung des Wortes Esel erfolgte, ebenso wie die von mulus = Maultier, etwa im 1. oder 2. nachchristlichen Jahrhundert.
Das Anschirren des Zugviehs führt uns zu folgenden Wörtern:
Koller aus dem lat. collarium zu collare, Halsband (lat. collum = Hals); Koller ist ferner die Halsbekleidung, auch Halsteil einer Rüstung, Mannsjacke, der Lederkoller; das frz. collier hat denselben Ursprung, behielt aber die Sonderbedeutung ,,Halskette“ bei.
Koppel = lat. copula, Band, Strick, Riemen, besonders Leine zum Führen der Hunde, daher Hundekoppel, Jagdhundepaar am Leitriemen, dann allgemein weiter ein Paar, z. B. eine Koppel Ochsen.
Strippe geht auf früh entlehntes lat. struppus oder stroppus = Riemen zurück; wir sagen hier in der Rheinprovinz heute noch Stropp, „Strang, Strick“; in der Schweiz sagt man Struppe.
Kette kommt vom lat. catena bzw. vulgärlat. cadena = Fessel, Kette.
Zur Pflege der Tiere dient der Striegel, ein Schabeisen mit mehreren Kämmen; das Wort stammt vom lat. strigilis, Schabeisen zum Abreiben der Haut beim Baden (zu stringere = streifen, leicht be rühren); die Entlehnung fand wohl gleichzeitig mit den lat. Namen für Pferd, Esel und Maultier statt.
LANDWIRTSCHAFTL. GERÄTE:
Von großer Wichtigkeit ist die in mannigfachen Formen vorkommende Karre, Nebenform: der Karren. Zu Grunde liegt das lat. carrus = vierrädriger Transportwagen. Dieses lat. carrus ist seinerseits keltischen Ursprungs, wie schon der gallische Ortsname Carrodu-num verrät; das gallo-lateinische Wort drang ungefähr im Beginn unserer Zeitrechnung zu den Germanen; dies beweist das m der römischen Kaiserzeit bezeugte carrago (aus carr-hago), Karrenburg, Wagenburg der Germanen.
Wanne (Windfege), entlehnt aus lat. vannus, Getreide-, Futterschwinge, ist ein flaches, dichtes Korbgeflecht, mit dessen Hilfe das Getreide hochgeschleudert wird, wobei durch den gerade herrschenden Wind die leichten Spelzen (Spreu oder Kaff) hinausgeblasen werden; heute wird der Wind durch die Schaufelräder der Windfege künstlich erzeugt. Wanne nennt man auch ein breites, flaches Gefäß, z. B. Badewanne.
Flegel (zum Dreschen) ahd. flegil, mhd. vlegel, kommt vom spätlat. flagellum, Peitsche, Geißel, Dreschflegel. Die einheimische Bezeichnung für Dreschflegel ist ahd. driscil, mhd. und ahd. drischel. Ursprünglich wurde das Getreide mit den Füßen ausgetrampelt, später mit Stöcken und Flegeln ausgeklopft. Die neuzeitliche Landwirtschaft benutzt die Dreschmaschine, die beide Vorgänge: Dreschen und Reinigen, gleichzeitig in e i n e m Arbeitsgang erledigt, so daß die Wanne, die Windfege und der Dreschflegel heute museumsreif geworden sind.
Kolter ist das Pflugmesser, das die von der Pflugschar gelockerte Erdscholle durchscheidet, aus altfrz. coltre, lat. culter = Messer; dagegen hat der Riester, lat. raster, Streichbrett, meist aus Eisen, die Aufgabe, die losgelöste Scholle wegzustreichen und umzulegen.
Forke oder Furke, ahd. furcha, mhd. furke, Gabel, ist das lat. furca, zweizackige Gabel, wie sie heute noch als Heugabel benutzt wird; das Wort ist mit der südlichen Gartenkunst früh in der ahd. Zeit überkommen.
Alle Arbeitsgeräte müssen eine Handhabe besitzen, einen Stiel; auch den Stengel der Pflanzen nennen wir Stiel. Das Wort (ahd. und mhd. stil) ist sehr wahrscheinlich entlehnt aus dem lat. stilus = Stiel, Stengel, überhaupt spitzer, aufrecht stehender Körper. Bekannter ist stilus als Schreibgriffel, der unten spitz war, um die Buchstaben in die mit Wachs überzogenen Tafeln eindrücken, oben aber breit war, um das in Wachs Eingedrückte durch Glätten wieder ausstreuen zu können. Von demselben lat. Wort rührt auch unser Stil = Schreibart, besondere Art der Abfassung, auch Kunststil, Lebensstil. Beide Wörter: Stiel und Stil, haben also denselben Ursprung und dieselbe Aussprache und verursachen daher in der Rechtschreibung oftmals Fehler.
In der Landwirtschaft viel benutzt wird der Sack, ahd. und mhd. sac; Sack ist Lehnwort aus lat. saccus = Sack, Geldsack, Sack zum Aufbewahren des Getreides. Das lat. Wort ist durch den Handel römischer Kaufleute sehr früh, vielleicht schon zu Caesars Zeit, zu uns gekommen.
Nun einige allgemeine
WÖRTER VOM ACKERBAU:
Die Erzeugnisse der Erde nennt man zusammenfassend Frucht (ahd. und mhd. vruht): zu Grunde liegt das lat. fructus, der Ertrag.
Pacht ist zurückzuführen auf das lat. pactum, Übereinkommen, Verabredung, Vertrag und eine im Vertrag beschlossene Abgabe, Zins. In unserer Sprache ist Pakt als Fremdwort für Vertrag noch gebräuchlich; Pachtvertrag besagt dasselbe doppelt.
Stoppel, ahd. stupfila, mhd. stupfel, ist entlehnt aus lat. stipula, vulgärlat. stupla statt stupula, der Strohhalm, dessen Spitze abgeschnitten ist; die Römer ernteten nur die Ähren.
Pflanze ist das lat. planta = Setzling, Pflanzreis besonders des Weinstocks oder von Bäumen; das Wort hatte bei den Römern also nicht die heutige allgemeine Bedeutung, und wir nennen heute noch in der engeren römischen Wortbedeutung Setzlinge aller Art „Planzen“.
Nur eine Feldfrucht leitet ihren Namen mit Sicherheit aus dem Lateinischen ab, nämlich die Wicke = lat. vicia (spr. c = k!); die Zeit der Entlehnung wird bestimmt 1. durch die Erhaltung des k-Lautes vor i und 2. durch die Vertretung des anlautenden lat. v durch w, wie z. B. in vinum, der Wein; die Entlehnung erfolgte etwa im 4. Jahrhundert.
Zum Schluß seien noch ganz kurz erwähnt die Namen einiger
OBSTARTEN:
Pflaume vom lat. prunum, in hiesiger Mundart „Prummen“ genannt.
Pfirsich — persicum, verrät im Namen sein Herkunftsland.
Kirsche aus lat. cerasum bzw. ceresia (spr. c = k!). Diese drei Wörter sind schon vor dem 7. Jahrhundert in Deutschland heimisch geworden, dagegen fand die Entlehnung von Birne = lat. pirum erst in späterer Zeit statt.
Diese Zusammenstellung der landwirtschaftlichen Ausdrücke, die auf die lateinische Sprache zurückgehen, zeigt zur Genüge, welch starken Einfluß die Zeit der römischen Besatzung auf die heimische Landbevölkerung ausgeübt hat. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß die deutschen Bauern und Landarbeiter der damaligen Zeit hauptsächlich nur mit den römischen Legionssoldaten, mit angesiedelten Veteranen und mit Händlern in Berührung kamen. Die Soldaten sowohl wie die Händler stammten aus allen Teilen des weiten römischen Reiches und sprachen ein Latein nach ihrer jeweiligen Mundart, das vom klassischen Latein, etwa des Cicero, sowohl in Schrift als auch besonders in der Aussprache weit entfernt war. Wir nennen es heute Vulgär-Latein = Volks-Latein. Aus diesem „Kauderwelsch“, so würden wir heute sagen, sind manche deutsche Wörter hervorgegangen, so viele Orts-, Flur- und Sachnamen, deren Herkunft und Wesensart bis jetzt nicht enträtselt werden konnte. Weil aber gerade die breite Volksmasse die römischen Fortschritte und Neuerungen mit den lateinischen Wörtern in sich aufnahm, hat die lange Besatzungszeit die deutsche Landwirtschaft nachhaltig günstig beeinflußt.