Sinzig in den Jahren 1794 bis 1819 – Aus der Chronik des Bürgermeisters Vogel
Sinzig in den Jahren 1794 bis 1819
Aus der Chronik des Bürgermeisters Vogel
Hans Kleinpass
Mit Verfügung vom 20. Oktober 1817 und erneut am 26. April 1819 hatte die Regierung Koblenz den zuständigen Behörden im Regierungsbezirk die „Anfertigung zweckmäßiger Orts-Chroniken“ und deren Fortschreibung dringend empfohlen. Landrat von Gruben in Ahr-weiler erinnerte seinerseits am 10. Mai 1819 alle Bürgermeister des Kreises an ihre Chronistenpflicht. Wilhelm Vogel, von 1815 – 1822 erster preußischer Bürgermeister von Sinzig, hat daraufhin noch im gleichen Jahr eine „Chronik der Stadt Sinzig“ zusammengestellt und am 27. Dezember 1819 auch mit seiner Unterschrift versehen. Das Stadtarchiv Sinzig besitzt eine spätere Abschrift dieser Chronik, die zwar nicht druckreif formuliert ist, aber doch eine Fülle stadtgeschichtlich bedeutsamer Angaben enthält. Wilhelm Vogel war viele Jahre Beigeordneter der Bürgermeisterei Sinzig, bevor er hier Bürgermeister wurde.
Vogel geht in seiner Chronik, die aus Platzgründen hier nur auszugsweise behandelt werden kann, bis auf die geschichtlichen Anfänge Sinzigs zurück, wobei man allerdings keine wissenschaftlich belegte Darstellung erwarten darf. Mit Bedauern scheint er an frühere Zeiten gedacht zu haben, wenn er schreibt: „ Jahrhunderte hindurch hat die Stadt Sinzig ihren Rang unter den vorzüglichsten Städten am Rhein behauptet….Sie ist von ihrer Höhe herabgesunken“, nicht durch ihre Schuld, sondern durch Schicksale, die sie nicht abzuwenden vermochte, so unter anderem durch verheerende Feuersbrünste und Kriege, bei denen die Stadt immer hart heimgesucht wurde, schließlich auch dadurch, daß sie (durch Verpfändung) oft „aus einer Hand in die andere“ überging und „daß man mit der Stadt Sinzig wie mit einer Ware gehandelt hat“.
Besonders ausführlich behandelt Vogel die Zeit der französischen Besetzung Sinzigs ab 1794, und vor allem sein Bericht über diese Jahre, die er selbst als bedrückende Fremdherrschaft miterlebt hatte, soll Gegenstand dieses Beitrages sein. Am 21. Oktober 1794, so Vogel, besetzte eine Abteilung der von General Marceau befehligten Sambre- und Maas-Armee die Stadt Sinzig ohne jede Gegenwehr. Beim Anrücken der Franzosen hatten sich die hier stationierten Husaren der österreichischen Armee nach Andernach zurückgezogen. Von da an unterstand Sinzig der französischen Bezirksverwaltung zu Bonn, während der Gouverneur seinen Sitz in Aachen hatte. Die französische Armee war laut Vogel in der schlechtesten Verfassung, ohne richtige Kleidung, ohne Subordination, ohne Religion. Durch die falsch verstandenen Begriffe der ausposaunten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit war dieses Kriegsvolk in Raserei geraten und hatte nur Raub, Plünderung, Brandstiftung und Mord im Sinn. Ohne Hemmungen seien französische Soldaten während des Gottesdienstes mit bedecktem Haupt in die Kirche bis vor den Altar gegangen und hätten den Priester sowie den Gottesdienst verspottet. Die Offiziere dieser französischen Armee, so Vogel, „bestanden mit geringer Ausnahme aus dem Abschaume der Menschheit“. Zum Glück für die Stadt war die Mehrheit der Division des Generals Marceau über die Grafschaft, Kirchdaun, Heimersheim, Löhndorf, Franken, Waldorf und Niederzissen Richtung Koblenz marschiert, nicht ohne die an ihrem Wege liegenden Orte kräftig zu plündern. Was man nichtfortschleppen konnte, wurde vernichtet. Das Jahr 1794 war hier ein gutes Weinjahr gewesen. Der kostbare 94er Heimersheimer und Löhndorfer Wein „wurde verunehret“, soweit man ihn nicht trank. Aus den von Kugeln durchbohrten Fässern ließen die Soldaten den Wein auf die Erde laufen, und die armen Winzer mußten ohnmächtig zusehen. Kein Mensch, so Vogel, war vor diesem wilden ausgelassenen Volk auf Straßen und Wegen sicher, er mochte von geistlichem oder weltlichem Stande, männlichen oder weiblichen Geschlechtes sein. Mancher, der den Soldaten begegnete, „wurde ausgekleidet und mißhandelt, das weibliche Geschlecht öffentlich genothzüchtiget, sogar die Gattin im Angesichte des Gatten“.
Gleich mit der Ankunft des französischen Besatzungsvolkes, so berichtet Vogel, war jeglicher Handel gelähmt, Wirtshäuser und Kramläden waren geschlossen. Jeder Soldat war reichlich mit dem neuen französischen Papiergeld, den sogenannten „Assignaten“ versehen. Wem hier sein Leben lieb war, der machte keinen Unterschied zur klingenden Münze und nahm das wertlose Papiergeld als gleichwertig hin. Die französische Nation bezahlte mit solchem Papiergeld, verweigerte aber die Rücknahme, wodurch schließlich viele der hiesigen Bewohner in Schulden gerieten. Die französische Armee, so heißt es weiter, war von einem ungewöhnlich zahlreichen Gefolge begleitet, den sogenannten „Kommissaren“. Für jede Kleinigkeit war ein Kommissar beordert, der einiges Gehalt in Assignaten bezog, sich im übrigen auf Kosten der Bewohner des besetzten Gebietes bereicherte. Mit der Ankunft der französischen Besatzung gab es laut Vogel unaufhörlich neue Requisitionen und Contributionen. Gewehre, Kleidungsstücke, Tuch, Heu, Hafer, Stroh, Holz und so weiter wurden für die Besatzung requiriert, während in den öffentlichen Blättern -geradezu widersinnig – von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sowie vom „.Glück der hiesigen Bewohner“ die Rede war. Klubs und Zusammenkünfte wurden gebildet, Tempel der Vernunft errichtet, Reden gehalten und Freiheitsbäume gepflanzt, um die bei republikanischen Festen Rundtänze veranstaltet wurden. In Sinzig habe man zum Glück eine gemäßigte Haltung eingenommen und dem „Spectaculo inaudito“ ernst und gelassen zugesehen. Die Requisitionen der Franzosen waren „loskäuflich“, und zunächst hatte laut Vogel auch die Stadt Sinzig wie manche andere Gemeinde diesen Weg gewählt. Als die Besatzung jedoch sofort wieder mit neuen Requisitionen an die Stadt herantrat, habe man den Betrug erkannt, mit dem Loskaufen aufgehört und „in Natura“ geliefert. Vergebens habe man sich jedoch bemüht, das Geforderte beizubringen. Die Kommissare, so Vogel, hätten „so unchristlich, so schelmisch“ gezählt, geschätzt und gewogen daß die Gemeinden – an Geld und Naturalien erschöpft – doch immer noch im Rückstand blieben. Daneben seien auch die Einquartierungslasten „anhaltend unerträglich“ gewesen. Den fest stationierten Truppen seien täglich eine Menge Nachzügler gefolgt, die sich nach Belieben „billets de refraichissement“ (Verpflegungs-Scheine), Unterkunft oder Fuhrwerk hätten geben lassen. Wir Deutsche seien als „neue Brüder“ geplündert und mißhandelt worden, hätten aber zur gleichen Zeit die Freiheitslieder mitsingen, auch „Vive la Republique“ aus vollem Halse mitschreien müssen, um nicht die Freiheit oder gar das Leben zu verwirken. Der französischen Besatzung habe es an der nötigsten Bagage gefehlt. Was täglich allein an Fuhrwerk gefordert wurde, war nicht beizuschaffen. „Jeder Lump verlangte Karre, Chaise oder Reitpferd, wodurch dann der Ortsvorstand öfters in Lebensgefahr kam“. Da die Franzosen überall auf Geld aus waren, konnten die Fuhrleute oft nur mit Geld den Dienst für sich und ihre Tiere erträglich machen. Wehe aberdem armen Landmann, so Vogel, „der sein Vieh nicht ranconnieren (loskaufen) konnte. Er wurde von den Barbaren so lange gequält und fortgeschleppet, bis er endlich Vieh und Karren im Stiche ließ“. Jede Gelegenheit benutzten die Soldaten dazu, die hiesigen Bewohner„außerordentlich zu besteuren“. Als das Papiergeld der „Assignaten“ seinen Wert völlig verloren hatte, änderte man den Namen und setzte „Mandaten“ (mandats territoriaux) an deren Stelle, welche aber nicht weit in Umlauf kamen. 1796 wurde Sinzig vorübergehend einer in Düren neu eingerichteten Verwaltungsbehörde unterstellt. Im gleichen Jahr wurde Sinzig auch von einer Viehseuche heimgesucht, der rund 800 Stück Rindvieh zum Opfer fielen. Man glaubte allgemein, die Seuche sei durch die von den Franzosen requirierten und täglich hier durchziehenden Viehherden eingeschleppt worden,welche vernachlässigt und in gräßlichem Zustand waren.
Im Jahre 1797 entstand in Bonn eine neue Verwaltungsbehörde unter dem Namen Mittel-Kommission. Rudlerwurde als Regierungskommissar mit der Neuorganisation des Rheinlands beauftragt; er kam 1797 nach Bonn, verlegte aber später seine Residenz nach Mainz. Im März 1798 trat die von Rudier entworfene Neuorganisation der Rheinlande in Kraft, am 9. April 1798 wurden die Munizipalitäten und Friedensgerichte eingerichtet. Damit endete alle frühere Gerichtsbarkeit. Bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts, so Vogel, wurde die Verwaltung in Sinzigvon einem auf jeweils zwei Jahre gewählten Bürgermeister und einem „ansehnlichen Stadtrat“ geleitet, für den in der Pfarrkirche sogar drei besondere „Ratsherren-Stühle“ reserviert waren. Mit der Neuorganisation wurde das linke Rheinufer 1798 in Departements und diese wiederum in Arrondissements (Bezirke) eingeteilt, welche jeweils eine Reihe von Kantonen umfaßten. Auch Sinzig, so Vogel, sei ursprünglich als Hauptort eines Kantons im Gespräch gewesen, doch sei schließlich der Ort Wehr dazu bestimmt und Sinzig dem Kanton Remagen zugeordnet worden. Sinzig gehörte im übrigen zum Rhein- und Mosel-Departement mit der Zentralverwaltung in Koblenz. Verwal-tungs- und Gerichtswesen waren nun völlig voneinander getrennt, in jedem Kanton gab es nun einen „Friedensrichter“, außerdem das Zivilgericht sowie das Kriminalgericht des Departements in Koblenz und das auch für Sinzig zuständige „Zuchtgericht“ in Bonn. „Empörend war es“, so Vogel, „daß ein Großteil der Richter aus Stockfranzosen bestand“, die mit den Landessitten, Gebräuchen und Gesetzen nicht vertraut, ja nicht einmal Rechtsgelehrte, oft sogar nur Handwerker gewesen seien. Seit der Neuorganisation mußten alle Verhandlungen vor Gericht und Verwaltung in französischer Sprache geführt werden. Ebenso mußten von da ab alle Schriftstücke der neuen republikanischen Zeitrechnung gemäß datiert werden, welche in Frankreich mit dem Jahr l am 22. September 1792 begonnen hatte, ab 1. Januar 1806 jedoch wieder abgeschafft wurde. Auch die alten Wappen und Siegel der Stadt Sinzig wurden 1798 von den Franzosen eingezogen. Als Sinzig im Jahre 1800 Sitz der neuen Mairie (Bürgermeisterei) Sinzig wurde, schrieben die Franzosen hier unter anderem sogar die Verwendung des französischen Siegels vor. Erst nach dem Übergang des Rheinlandes an Preußen wurde der Stadt Sinzig 1816 wieder die Verwendung der früheren Wappen und Siegel gestattet, welche daraufhin aber erst wieder neu angefertigt werden mußten.
Auch sonst brachte das Jahr 1798 zahlreiche Veränderungen, so unter anderem die Einführung des Dezimalsystems bei Maßen und Gewichten, die Aufhebung des Lehnswesens und aller bisherigen Standesunterschiede. Der Name „Citoyen“ oder „Bürger“ galt nunmehr als Titel bei der Anrede. Auch die alten Sonn- und Feiertage galten nicht mehr und wurden zu Arbeitstagen. Stattdessen wurde jeweils der zehnte Tag (Dekade) des neuen republikanischen Kalenders gefeiert. Außerhalb der zum Gottesdienst bestimmten Gebäude durften keine religiösen Veranstaltungen mehr stattfinden. Wallfahrten und Prozessionen waren abgeschafft. Linksrheinisch wurden 1798 auch die Standesämter eingerichtet. Die Führung der Personenstandsregister, für die hierzulande bis dahin nur die Geistlichkeit zuständig gewesen war, wurde damit den Zivilbeamten des Ortes, den sogenannten „Agenten“ übertragen. Ehescheidungen und neue Ziviltrauungen waren jetzt ebenfalls möglich, die Großjährigkeit der Personen nun mit 21 Jahren gegeben. Schließlich wurde 1798 für die vier Departements des linken Rheinufers ein Sicherheits-Corps, die sogenannte „Gendarmerie“ eingerichtet. Neben neuen Bestimmungen für die Erbfolge gab es 1798 auch eine neue Forst-Ordnung sowie neue Vorschriften für die Notare und das Hypothekenwesen. Im August 1798 kamen französische Zollbeamte, die sogenannten „Douaniers“ an den Rhein und machten, so Vogel, „dem redlichen Bewohner die Land- und Rheinstraße unsicher“. Die von diesen listigen Leuten vollzogenen Zollgesetze änderten sich täglich, sodaß die hiesigen Bewohner keine genaue Kenntnis haben konnten und zwangsläufig über diese Fallstricke stolpern mußten. Die sogenannte „Regie“ in Paris sorgte dafür, daß die geänderten Zollgesetze zum Zeitpunkt ihrer Rechtskraft in den Händen der Zollbeamten waren, daß aber die allgemeine Bekanntmachung so verspätet wurde, daß Beschlagnahmungen von Waren, Pferden und Karren ebenso wie Geldstrafen zwangsläufig reichlicher ausfallen mußten.
Ende 1799 wurde laut Vogel das ganze linke Rheinufer und damit auch die Stadt Sinzig auf Beschluß des Direktoriums zu Paris in Belagerungszustand versetzt und damit alle Gewalt über dieses Gebiet vorübergehend dem Militär übertragen. In dieser Zeit wurde unter anderem der damalige Friedensrichter Heinrich Joseph Hertgen aus Sinzig von den Franzosen als Geisel genommen und einige Wochen in Koblenz inhaftiert, ohne daß man je die Gründe erfuhr. Ein kleines Feldvergehen, ein kleiner Waldfrevel reichten damals zur Verhaftung, die Anklage eines Franzosen gegen einen Deutschen wegen eines unbedachten Wörtchens hatte Arrest zur Folge, jede Kleinigkeit wurde als Staatsverbrechen ausgelegt. „Stockfranzösische Schelmen und Schurken waren der Verwaltung und Gerichte vorzüglichste Beamte im hiesigen Lande“ und herrschten wie Despoten über die Rheinländer. Quittungen und Entladungsscheine, Passierzettel und sonstige Belege wurden von den französischen Agenten und Beamten oft bewußt so undeutlich und unleserlich geschrieben, daß der Aussteller später nicht mehr zu ermitteln war und der Besitzer somit nichts Beweiskräftiges in den Händen hatte. Im Februar 1800 änderte sich das Verwaltungssystem erneut. Jedes Departement erhielt statt der Zentralverwaltung einen Präfekten, jeder Zuchtgerichtsbezirk einen Unterpräfekten. Der für Sinzig zuständige Präfekt residierte in Koblenz, der Unterpräfekt in Bonn. Zu gleicher Zeit wurden die Mairien (Bürgermeistereien) mit einem Maire (Bürgermeister) an der Spitze gebildet. Zur neuen Bürgermeisterei Sinzig gehörten seitdem neben der Stadt Sinzig die Orte Cois-dorf, Westum, Löhndorf und Franken. Auch das Gerichtswesen änderte sich erneut. An den Hauptorten derdreiArrondissements des Rhein-und Moseldepartements (Koblenz, Bonn und Simmern) wurde je ein Gericht erster Instanz für Zivilsachen eingerichtet. Der Kanton Remagen und damit auch Sinzig gehörten seitdem nicht mehr zum Gerichtssprengel des Zivilgerichtes in Koblenz, sondern zum Bezirk des neu eingerichteten Tribunals erster Instanz in Bonn. Schließlich wurden die vier Departements des linken Rheinufers am 9. März 1801 formell mit der französischen Republik vereinigt. Ende Juli 1801 hat daraufhin der Präfekt des Departements im Beisein des Generalsekretärs der Präfektur in der Pfarrkirche zu Sinzig den versammelten Bürgermeistern und Munizipalräten (Gemeindeverordneten) der Gegend feierlich den Eid der Treue abgenommen.
Am 15. Juli 1801 schloß Napoleon l. mit Papst Pius VII. ein Konkordat ab. Infolge dieses Konkordats wurde unter anderem auch Sinzig vorübergehend der Diözese Aachen zugeordnet. Im übrigen ließ sich Napoleon aber durch das Konkordat keineswegs daran hindern, knapp ein Jahr später am 9. Juni 1802 alle geistlichen Orden und Stiftungen auf dem linken Rheinufer aufzuheben und ihre Besitzungen im Rahmen der sogenannten „Säkularisation“ ersatzlos einzuziehen. Die Güter der aufgehobenen Klöster, ihr gesamter Haus- und Grundbesitz, ihre Klöster und Kirchen wurden von da ab als National-Eigentum von der französischen Domänen-Regie verwaltet, später dann zugunsten der französischen Staatskasse versteigert und verkauft. viele Kirchen danach abgebrochen. In der „Säkularisation“ sah Vogel offenbar nichts Unrechtes. Er war der Meinung, dem Volk und dem Staat sei dadurch „ein außerordentlicher Vor-theil zugeflossen“, weil unermeßliche Werte, die bisher dem Handel entzogen waren, nunmehr „dem freien Gewerbe wiedergegeben“ worden seien. Den plötzlich heimatlos gewordenen Ordensleuten war eine jährliche Pension von 500 Franken zugesichert worden, die aber teils sehr spät, teils wohl überhaupt nie gezahlt wurde. Viele Geistliche, so Vogel, seien dadurch in die größte Not geraten, hätten keine rechte Bleibe mehr gehabt und seien „in dieser betrübten Lage durch Mangel gestorben“. Nach der „Säkularisation“ von 1802 wurde auch der dem Aachener Krönungsstift zugehörige Zehnthof in Sinzig zugunsten des französischen Staates verkauft und kam damit in Privatbesitz. Betroffen war damals auch das Minoritenkloster auf dem Helenenberg in Sinzig, einst von Kapuzinern und zuletzt von Minoriten bewohnt, die bis 1794 dort auch ein kleines Gymnasium unterhielten und „zwei taugliche Professoren“ dafür zu stellen hatten. Das Klostergebäude und die Kirche mit den zugehörigen Grundstücken, so Vogel, wurden 1804 von der französischen Domänenverwaltung meistbietend verkauft, und der private Käufer ließ die Kirche gleich danach abreißen. Gemäß Verfügung des Präfekten, so Vogel, erhielt die Sinziger Pfarrkirche 1806 die Orgel des aufgehobenen Klosters Marienforst bei Godesberg.
Vogel berichtet schließlich auch von dem verheerenden Ahr-Hochwasser Mitte des Jahres 1804, dem auch die schöne steinerne Fahrbrükke, welche einst die Ahr bei Sinzig „an dem sogenannten Schürgenrech“ überquerte, zum Opfer fiel. Eine um 1750 erbaute Brücke, so Vogel, sei beim Ahr-Hochwasser 1764 fortgerissen, danach durch die Jülich-Bergische Regierung erneutaufgebaut, 1794 beim Einmarsch der Franzosen von dem österreichischen Militär abgerissen und durch die Franzosen wiedererrichtet worden, 1804 dann dem Ahr-Hochwasser zum Opfer gefallen. 1805, so Vogel, sei dann von den Franzosen eine neue Fahrbrücke über die Ahr gebaut und dazu eine ganz neue Chaussee angelegt worden. Gelegentlich erwähnt Vogel auch gute und schlechte Weinjahre. 1811 war hiernach „ein vortreffliches Weinjahr“, der Wein nach Menge und Qualität „außergewöhnlich“.
Schließlich berichtet Vogel über den für Napoleon so verlustreichen Rußlandfeldzug 1812 und die Niederlage Napoleons in der Schlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1813. In der Neujahrsnacht 1814 setzten die alliierten Truppen zwischen Neuwied und Andernach über den Rhein und nahmen das seit 1794 von den Franzosen besetzte linke Rheinufer wieder in Besitz. Am 1. Januar 1814, so Vogel, zogen die Franzosen morgens um sechs Uhr von Sinzig ab, und am Nachmittag desselben Tages seien die ersten alliierten Truppen, „bestehend aus fünf Kosaken“ in Sinzig eingezogen. Offenbar ging aber dann der Rückzug der Franzosen damals doch nicht so schnell und reibungslos vonstatten. Vierzehn Tage lang, so Vogel, wurde Sinzig abwechselnd von der französischen Arriere-Garde und der russischen Avant-Garde besucht. Am 3. Januar 1814 lieferten sich um die Mittagszeit unterhalb des ehemaligen Minoritenklosters bei Sinzig auf der Chaussee russische und französische Patrouillen ein Scharmützel. Neun russische Kosaken schlugen 21 berittene französische Chasseurs in die Flucht, verfolgten sie durch die Stadt bis zur Remagener Chaussee, stießen acht oder neun Franzosen mit der Lanze vom Pferd und nahmen sie gefangen. Die erbeuteten Pferde verkauften die Russen auf der Stelle an hiesige Einwohner. Auch am nächsten Tag gab es wieder ein Scharmützel zwischen Kosaken und Franzosen, diesmal vor dem Mühlenbacher Tor, wo die ankommende französische Patrouille von den Kosaken überrascht und in die Flucht geschlagen wurde. Bei der Verfolgung wurde ein Franzose auf der Chaussee am Fahrweg nach Kripp von den Kosaken getötet, sein Pferd als Beute genommen. Bis zum 15. Juni 1814, also knapp ein halbes Jahr, stand Sinzig damals unter kaiserlich-russischer Verwaltung, danach war es unter preußischer Oberhoheit.
Am Fronleichnamstag (9. Juni) 1814 ist laut Vogel nachts um ein Uhr die dem Geheimrat von Franz zugehörige sogenannte Metternicher Burg in Sinzig abgebrannt, wobei unklar blieb, ob der Brand durch Zufall oder Brandstiftung entstand. 1815 wurde den Sinzigern eine alte Sehenswürdigkeit zurückgegeben, heute als sogenannter „Vogt von Sinzig“ bekannt und in der Sinziger Pfarrkirche noch zu sehen. Der mumifizierte Leichnam war 1797 als „Seltenheit der Natur“ nach Paris gebracht worden. Ganz Sinzig war auf den Beinen, als die Mumie am 29. Oktober 1815 wieder in Sinzig eintraf und hier „unter dem Jubel der Bewohner“ mit großer Feierlichkeit empfangen wurde. Das Jahr 1816 brachte eine neue Einteilung und Benennung der Provinzen, Regierungsbezirke und Kreise. Die Stadt Sinzig wurde dem Kreis Ahrweiler beziehungsweise dem Regierungsbezirk Koblenz zugeordnet.
Im Jahr 1817 gab es weithin eine große Teuerung. Ein Malter Roggenkorn, hier etwa 240 Pfund, kostete damals bis zu 34 Reichstaler. Durch die Vorsorge der Regierung kam seinerzeit eine große Menge Getreide aus den östlichen Gebieten Preußens ins Rheinland. Hilfsvereine wurden gebildet, um den notleidenden Bewohnern zu helfen. Vogel erwähnt besonders den „Hülfsverein zu Coblenz, welcher nicht allein der Stadt Coblenz, sondern dem ganzen Regierungsbezirk kräftig gegen das eindringende Elend Hülfe geleistet hat“. Die große Not des Jahres 1817 wurde im Rheinland entlang der Rheinstraße noch verstärkt durch ständig neue Scharen hier durchziehender Auswanderer. Mehrere tausend Familien, so Vogel, wanderten damals aus Württemberg und den angrenzenden Gebieten aus, zogen durch das Rheintal Richtung Norden, um von Amsterdam aus per Schiff nach Amerika auszuwandern. Viele von ihnen bekamen jedoch keine Möglichkeit zur Überfahrt, waren also vergeblich nach Amsterdam gekommen, inzwischen wegen der Teuerung der Lebensmittel auch weitgehend mittellos und mußten nun, so Vogel, „in dem elendesten Zustande zu Fuß nach ihrer Heimat zurückkehren. Die Rheinstraße war den ganzen Sommer hindurch bis in den Winter mit diesen Menschen angefüllet, das menschliche Herz weinte bei ihrem Anblicke“. Angesichts der weitverbreiteten Not hatten die Sinziger damals noch großes Glück. Laut Vogel war das Jahr 1817 sogar „im allgemeinen für die Stadt Sinzig ein gutes Jahr“, weil die Ernte 1816 hier reichlich ausgefallen war und die Mehrheit der hiesigen Bewohner aus der Teuerung der Früchte noch ihren Vorteil zog.
Fast nebenbei erwähnt Vogel, daß 1817 in Sinzig „die beiden Thürme auf den Stadtthoren zur Landstraße, genannt Lehe-Thor und Mühlenbacher-Thor der Stadt-Mauer gleich abgerissen“, also bis zur Höhe der Stadtmauer abgebrochen wurden. Das Jahr 1818 war hier das erste gute Weinjahr seit 1811. Statt des teuren echten Weines war in den ertraglosen Jahren offenbar auch ein irgendwie künstlich „fabrizierter Wein“ zu enormen Preisen in Umlauf gewesen, der nach der guten Weinernte nun keine Abnehmer mehr fand. 1819 wurde hier laut Vogel das Berliner Maß und Gewicht eingeführt, wieder gab es neue Abgaben und neue Steuerbehörden, eine Brandversicherung wurde hier eingeführt, und ab 15. Juli 1819 war für Sinzig wieder das Gericht erster Instanz in Koblenz, also nicht mehr das Bonner Gericht zuständig. Auch 1819 war laut Vogel „ein gesegnetes Frucht- und Weinjahr“, beinahe wie 1811. Und auch im Sommer 1819 zeigte sich für kurze Zeit wieder ein Komet, der aber nicht so hell war wie der von 1811 und hier auch nicht so lange sichtbar blieb.
Damit schließt nun diese Sinziger Chronik des Bürgermeisters Vogel von 1819, und wenn sie auch viele Fragen unbeantwortet läßt, so enthält sie doch manchen Hinweis auf stadtgeschichtlich interessante Begebenheiten.