Sinzig im 19. Jahrhundert
Wilhelm Knippler
Ich schildere den Ablauf dieses bewegten Zeitraumes der Kürze und Übersicht halber in Stichworten und vermeide dadurch weitschweifige Darstellungen. Von den hundert Jahren erwähne ich siebzig, und in diesen Notizen erleben wir das Erwachen einer Stadt aus jahrhundertelangem Dornröschenschlaf.
Die Jahreszahlen weisen hin auf Änderungen im Staats- und kommunalpolitischen, im kirchlichen und im wirtschaftlichen Bereich. Sie streifen die Gebiete des Schulwesens, der Justiz, des Vereinslebens und die Verkehrsverhältnisse. Viele Daten von familiengeschichtlichem Interesse begegnen uns ebenso wie Angaben über Sinziger Persönlichkeiten. Das Wachstum der Bevölkerung wird ersichtlich, schließlich auch die Bauentwicklung.
1800 | Sinzig ist seit sechs Jahren unter französischer Besatzung. |
1801 | Durch den Frieden von Luneville wird das linke Rheinufer französisch, also auch Sinzig, das zur Mairie Sinzig gehört im Kanton Remagen, Arondissement Bonn, Departement Rhein —Mosel. |
1802 | Sinzig wird dem Bistum Aachen zugeordnet. Das Minoritenkloster Helenenberg wird aufgehoben. |
1803 | Der Zehnthof wird von den Franzosen r für 6850 Frc an Adolf Dietz verkauft. — Heinrich Josef Hertgen wird Maire von Sinzig. |
1804 | J. Wilhelm Reichelstein wird als Pastor in Sinzig abgelöst durch Jakob Theodor Tassi (bis 1828). — Der Code civil wird eingeführt und bleibt gültig bis zum 31. 12.1899. |
1805 | Die Ahrbrücke wird von den Franzosen erbaut. |
1806 | Die Ruine des Schlosses wird als Nationalgut durch die Franzosen an die Herren Broicher und Hertgen in Sinzig verkauft. Die Kirche des Minori-tenklosters (Franziskaner) („Erstes Kloster“) wird abgetragen, der Konventsbau wird Gasthof. |
1807 | Bis zu diesem Jahr wurde das Hospital zum Heiligen Geist (Bachovenstraße, heute Rotes Kreuz) von Beguinen betreut. |
1808 | Johann Peter Broicher erwirbt den Zehnthof von A. Dietz. Sinzig umfaßt 218 Häuser. |
1809 | Michel Schmitz aus Sinzig („Schneiderlein im Venn“), seit etwa zehn Jahren dort ansässig, hat seine Erdhütte im Hohen Venn zu einem Lehmhaus erweitert. Oberst Tranchot verzeichnet die Baraque Michel“ in der von ihm vermessenen Karte. Etwa zur gleichen Zeit erscheint Sinzig auf der in Napoleons Auftrag vollendeten Tranchotschen topographischen Aufnahme rheinischer Gebiete, Blatt 112. |
1813 | Sinzig hat 1229 Einwohner. |
1814 | Das Einkommen der Stadt beträgt jährlich etwa 800 Reichstaler. Russische Soldaten besetzen Sinzig. |
1815 | Sinzig wird preußisch. Die Verwaltung besteht aus dem Bürgermeister (F. R. Vogel), dem Beigeordneten und sechs Schöffen. Das Polizei- oder Friedensgericht und Rheinzollgericht wird in Sinzig eingerichtet. Der Amts- und Gerichtsschreiber Heinrich Josef Hertgen wird Friedensrichter. Der „heilige Vogt“ wird von Frankreich am 28.10. zurückgegeben. |
1816 | Die Bürgermeisterei Sinzig wird gebildet aus Sinzig, Westum, Koisdorf, Löhndorf und Franken. Die preußische Verwaltung übernimmt auch den Postbetrieb Sinzig, der seit 1797 bis 1814 unter französischer Verwaltung, dann für kurze Zeit wieder Thurn und Taxis zugeordnet war. Sinzigs Poststelle gehört nun zum Postamt Bonn. |
1817 | Das alte Stadtwappen wird wieder eingeführt. Die Einwohnerzahl ist auf 1437 gestiegen. |
1819 | Michel Schmitz ist 61 Jahre alt in Baraque Michel im Venn verstorben. Seine Kinder übernehmen die Rettungsaufgaben, die er sich selbst gestellt hatte. |
1820 | Damals befindet sich die katholische Volksschule in der Martelsburg. |
1821 | Am 1. 9. verkehrt die erste Schnellpost der Rheinstrecke über die Station Sinzig. Daneben gibt es noch die Fracht- und Reitpost. |
1822 | Am Dachstuhl von St. Peter werden Reparaturarbeiten ausgeführt. Die Empore wird geschlossen wegen Baufälligkeit. |
1824 | Sinzig kommt zum Bistum Trier, Dekanat Remagen. |
1826 | Ein Einwohner von Malmedy wird durch Kinder des Michel Schmitz im Venn gerettet und läßt zum Dank Baraque Michel als Steinhaus errichten. Neben der Baraque wird die Kapelle „Fischbach“ erbaut. |
1827 | Eine zweite Schnellpost wird eröffnet. |
1828 | Nach dem Tode Tassis wird Math. Sebastiani Pastor (bis 1834). Die erste Katasterkarte von Sinzig wird gezeichnet. Sinzig hat 1542 Einwohner. |
1830 | Der Maler Joh. Martin Niederee ist in Linz geboren. („M853). |
1834 | Arnold Stumpf ist neuer Pastor in Sinzig bis 1872. |
1836 | Die St. Hubertusschützengesellschaft tritt an die Stelle der Bruderschaft. Das Stadthaus wird am Kirchplatz errichtet. Die Volksschule wird ins Stadthaus verlegt, gleichzeitig auch das Gericht, das vorher im Hause Hertgen tagte. Heinrich Josef Hertgen wird Justizrat. |
1839 | Der Friedhof an St. Peter wird geschlossen. Ein neuer Friedhof entsteht an der Rheinstraße. |
1840 | Sinzig hat 1832 Einwohner. |
1842 | Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Schadow, Akademiedirektor in Düsseldorf, erwirbt Godenhaus. Karl Rhodius kauft Helenaberg. Innerhalb von ungefähr vierzig Jahren haben Angehörige der Familie Schmitz, angefangen von Michel Schmitz und fortgesetzt durch seine Kinder, 126 Verirrte aus Todesgefahr im Venn gerettet. |
1843 | Schadow wird unter dem Namen „von Schadow — Godenhaus“ geadelt. Unter Schadows Leitung wird die Ausmalung der Apollinariskirche in Remagen begonnen. |
1848 | Justizrat Hertgen verstorben im späteren Haus von Lennep. Peter Josef Giersberg ist Bürgermeister in Sinzig. Die Geschwister Christian und Johanna Rhodius kaufen das ehemalige Klostergebäude Helenaberg. Sie errichten dort ein Landhaus mit schönen Gartenanlagen. Dort wohnen Karl Christian Andreae (Vater des Malers) und Frau Joh. Therese geb. Rhodius. |
1849 | Der Bürgerverein des Kreises Ahrweiler wird aktiv unter Führung des Bürgermeisters Giersberg. Zu dem Verein gehören Apellationsrat Dr. K. A. Broicher und Friedensrichter Altstädten aus Sinzig. Giersberg wird Abgeordneter der preußischen Natiorfalversammlung in Berlin. Die Landzustellung der Post wird von Sinzig aus eingerichtet. |
1850 | Gustav Bunge Und Adele Bunge, geb. Andreae kaufen das Schloßgrundstück. — Bürgermeister Giersberg wird Regierungsrat in Trier. — Besitzer des Zehnthofes ist der Wirkl. Geheimrat, Apellationsrat und Konsyndikus Dr. Karl Anton Broicher, Exzellenz und Kunstfreund. — Die Sinziger Post kommt zur Oberpostdirektion Koblenz. – Sinzig hat im Jahre 1850 1850 Einwohner, davon sind 1744 Katholiken, 39 evangelische und 67 jüdische Einwohner. Die Sinziger Mineralquelle wird neu gefaßt. |
1851 | Das Postwärteramt Sinzig wird Postexpedition. |
1853 | Eine neue Mineralquelle wird entdeckt und erbohrt durch A. Rosenbaum. — Der Maler J. M. Niederee stirbt in Linz, sein Nachlaß befindet sich im Sinziger Schloßmuseum. Johann Heinrich Reiff ist Bürgermeister bis 1870. |
1854 | G. Bunge läßt den Schloßbau beginnen nach Plänen von Baurat von Statz. Zwinger erstellt den Plan zur Restaurierung von St. Peter. |
1855 | Dr. K. A. Broicher wird Präsident des Apellationsgerichtes Köln, im Amt bis 1870. In Sinzig heißt er der alte Präsident“. |
1856 | Med. Rat. Dr. Eulenberg und Dr. Strahl bemühen sich um Anerkennung des Kurbades Sinzig. P. J. Lenne ist als Gast in Neuenahr, wahrscheinlich auch in Sinzig. |
1857 | Die Badeanstalt für Heilbäder in Sinzig wird eröffnet. Der russische Dichter Iwan Turgenjew weilt drei oder vier Wochen zur Kur in Sinzig. Er schreibt hier die Novelle „Assja“. Sinzig wird eigene Bürgermeisterei. Das Hochwasser des Hellenbaches richtet Schaden an. |
1858 | Zwischen 1858 und 1866 entstehen die Gartenbaupläne des Generaldirektors der kgl. Gärten in Preußen Peter Josef Lenne (1789-1866), Mitbegründers eines deutschen Gartenstils, für den Sinziger Zehnthof, für das Schloß und für Helenaberg. Damals wurden die für die hiesigen Grünanlagen charak-‚ teristischen Bäume gepflanzt, deren geistiger Vater Lenne ist. (Man beachte den Lennegedenkstein, früher im Zehnthof aufgestellt, jetzt im Schloß!) Sinzig wird Eisenbahnstation der linksrheinischen Strecke Frankfurt — Köln. Deshalb werden die Schnell- u. Frachtpostverbindungen eingestellt. Nur die nächtliche Reitpost bleibt bestehen. Bad Neuenahr wird gegründet. (Vgl. Einstellung des Kurbetriebs Sinzig |
1860!) | Der Schloßneubau von G. Bunge ist fertiggestellt. |
1859 | Der Stadtmauerweg wird verbreitert und weitergeführt bis zum Bahnhof als Eisenbahnstraße, später Barbarossastr. Am 11.6. überschwemmt der Fützbach das Gebiet der Lindenstraße. Der Männergesangverein Cäcilia wird gegründet. |
1860 | Der Kurbetrieb in Sinzig wird eingestellt, auch der Wasserversand. Der Quellenbesitzer Erlenmeier wird abgefunden. Die Sperre gilt für 30 Jahre. Neuer Bürgermeister wird Theodor Ernst Adam Werner (bis 1872). |
1862 | Das Helenastandbild von dem späteren Dombildhauer und Professor Fuchs wird errichtet. — Fr. W. von Schadow stirbt am 19. März. — Die Restaurierung von St. Peter nach Zwirners Plänen wird unter Leitung von R. Voigtel begonnen. |
1864 | Die Kirchenrestaurierung ist abgeschlossen. |
1865 | Das frühere Hospitalgebäude in der Bachovenstraße wird verkauft. |
1867 | Das Schloß, nach Plänen des Baurats v. Statz im neugotischen Stil errichtet, ist auch innen fertiggestellt. Die Gemälde stammen von dem Historienmaler Prof. Andreae. Die Mantelmauern sind mit hundertjährigem Efeu bewachsen. Die Schloßgräben sind in Anlagen umgestaltet. Bunge läßt das Barbarossastandbild durch den Kölner Bildhauer Albermann anfertigen und aufstellen. |
1869 | Dernbacher Schwestern kommen nach Sinzig. Die Sinziger Mosaikplatten- und Tonwarenfabrik wird von F. Frings aus Bonn gegründet. |
1870 | Die erste höhere Schule wird in Sinzig eröffnet. Gut Godenhaus geht über an Graf Spee zu Arenthal. |
1871 | Sinzig hat 1946 Einwohner, 1839 kath., 43 evang., 64 jüdisch. Der neugotische Neubau am Zehnthof wird begonnen. Die Sinziger Mosaikfabrik, seit dem 15, 10. unter der Leitung von Direktor F. H. Selb, erhält die Erlaubnis zur Aufstellung einer Dampfkesselanlage. Roesdorff — Salm ist Bürgermeister bis 1882. |
1872 | Justinus Griepenkerl wird neuer Pastor (bis zum Jahre 1906). Er ist verantwortlich für die Ausstattung und Ausmalung der Kirche. Die barocke Ausstattung wurde entfernt. Kaufmann Otto Meurer heiratet in Sinzig Adele Luise Bunge. |
1873 | Die feste Straßenbrücke über die Ahr wird erbaut. |
1875 | Die Sinziger Zeitung wird gegründet. |
1876 | Die neue Villa beim Zehnthof ist fertiggestellt. Kaufherr Fritz Broicher in London, der Sohn des,,alten Präsidenten“ hat sie nach dem Rat seines Vaters und den Plänen des Baurats v. Statz erbauen lassen. Das Treppenhaus zieren indische Landschaften von Zick, ebenso zwei Kolossalbüsten aus Carraramarmor von Bildhauer Prof. Voß in Rom (Zeus nach Phidias und Juno nach Polyklet). Die Gartenanlagen wurden gestaltet nach Plänen von Lenne. Eine neue Kirchenuhr kündet die Stunden. |
1879 | Die Mosaikfabrik wird umgewandelt in eine Aktiengesellschaft. Das Friedensgericht geht über in das Sinziger Amtsgericht. |
1880 | Wegen Eröffnung der Ahrtaleisenbahn wird der Verkehr der Privatpersonenpost nach dem Ahrtal eingestellt. |
1881 | Der „alte Präsident“ Broicher (vgl. 1855) ist gestorben. In St. Peter wird eine neue Orgel aufgestellt. |
1882 | Professor Karl Christoph Andreae zieht mit der Familie nach Helenaberg. |
1883 | Die Stadtmauer wird großenteils niedergelegt. Alfred Oft wird Bürgermeister (bis 1910). |
1885 | Sinzig hat 2581 Einwohner. — Der damals gegründete Verschönerungsverein wirkt nur kurze Zeit. Die Kastanienallee zum Ziemet war sein Werk. |
1887 | Das Alters- und Erholungsheim wird gebaut. , Die „Freiwillige Feuerwehr“ geht aus der Hubertus-Schützengesellschaft hervor. |
1888 | Das städtische Wasserwerk wird in Betrieb genommen. |
1889 | Lehrer Chr. J. Zimmermann berichtet in der Sinziger Zeitung bedauernd von der Ablösung der alten Fresken in St. Peter. |
1890 | Sinzig hat 2650 Einwohner. — Die Mosaikfabrik beschäftigt vierhundert Arbeiter. — Der Schützenplatz am Mühlenberg wird erstellt. Der Radfahrerverein Sinzig wird gegründet. An der Volksschule sind sechs Lehrkräfte tätig. In der Villa Schilz wird eine höhere Töchterschule mit Pensionat eingerichtet. |
1893 | Die Apotheke wird eröffnet und das Altersheim. |
1894 | Das erste große Radrennen findet in Sinzig statt. |
1895 | Sinzig hat 2872 Einwohner. |
1896 | Die Schießbergschule wird erbaut. Der Turnverein wird gegründet, hat aber nur kurze Lebensdauer. |
1897 | Am 1. 4. wird das neue Postgebäude bezogen. Bis dahin war die Post am Markt im Hause Broicher stationiert. Der Sinziger Eifelverein wird gegründet. |
1899 | Der Code civil tritt am 31. 12. außer Kraft. |
1900 | Der Code civil wird am 1. 1. durch das Bürgerliche Gesetzbuch abgelöst. — Sinzig hat 3046 Einwohner. — Die Neugründung des Verschönerungsvereins erfolgt durch Josef Broicher, unterstützt durch Baron Penefather of Rathallagh. |
Für viele Bürger von Sinzig mögen manche der verzeichneten Daten noch Erinnerungen wecken oder ihr eigenes Wissen bestätigen.
Mit der letzten Jahreszahl beginnt ein neues Jahrhundert, ungleich turbulenter als das vergangene. Den Überblick über diesen Zeitraum wird ein anderer Berichter schreiben. Möge er von einem glückhaften Ende dieses Säkulums zu berichten haben!